«Spoilern ist eine Todsünde»

Das Magazin der Buchhandlung Stauffacher
Nr. 2/2015
Ihr p
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eWer
b!
Eine Menükarte
voller Leichen
Neue Thriller
Lest den Ozean!
SommerliTeraTur:
Bücher zum meer
Und ausserdem:
erzähluNgeN, KiNderBücher,
NeueS voN Siri huSTvedT uNd
michèle miNelli
«Spoilern ist
eine Todsünde»
ExklusivintErviEw
mit ursula Poznanski
edItorIal | 3
Meissner Thalia
Bahnhofstrasse 41, 5001 Aarau
Mo – Fr: 9.00 – 18.30 Uhr | Do: 9.00 – 20.00 Uhr
Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
Wirz Thalia
Hintere Vorstadt 18, 5001 Aarau
Mo – Mi, Fr: 9.00 – 18.30 Uhr
Do: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 8.00 – 17.00 Uhr
FRAUENFELD –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Orell Füssli Einkaufszentrum Passage
Bahnhofstrasse 70 / 72, 8500 Frauenfeld
Mo – Fr: 8.00 – 20.00 Uhr
Sa: 8.00 – 18.00 Uhr
FRIBOURG
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Thalia
Bahnhof / Gare, 1700 Fribourg
Mo – Fr: 7.00 – 21.00 Uhr
Sa, So: 9.00 – 21.00 Uhr
BADEN –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Thalia
Langhaus beim Bahnhof, 5401 Baden
Mo – Fr: 9.00 – 19.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
BASEL ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Orell Füssli Bahnhof SBB
Passerelle, Güterstrasse 115, 4053 Basel
Mo – Fr: 7.00 – 21.00 Uhr | Sa: 8.00 – 21.00 Uhr
So: 9.00 – 20.00 Uhr
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Freie Strasse 32, 4001 Basel
Mo – Mi, Fr: 9.00 – 18.30 Uhr
Do: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 9.00 – 18.00 Uhr
BERN ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Stauffacher
Neuengasse 25 – 37, 3001 Bern
Mo – Mi, Fr: 9.00 – 19.00 Uhr
Do: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 9.00 –17.00 Uhr
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Spitalgasse 47/51, 3001 Bern
Mo – Mi: 9.00 – 19.00 Uhr | Do: 9.00 – 21.00 Uhr
Fr: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 8.00 – 17.00 Uhr
Thalia Bahnhof SBB
Bahnhofplatz 10, 3001 Bern
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BRIG –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
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Furkastrasse 3, 3900 Brig
Mo – Fr: 9.00 – 18.30 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
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Englischgrussstrasse 6, 3900 Brig
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BRUGG –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
SCHAFFHAUSEN
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Thalia
Vordergasse 77, 8200 Schaffhausen
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Do: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
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Industriestrasse 10, 3322 Schönbühl
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Sa: 8.00 – 17.00 Uhr
SCHÖNBÜHL
SIERRE –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
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Mo – Fr: 9.00 – 12.00 und 13.30 – 18.30 Uhr
Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
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Thalia Shoppi & Tivoli
8957 Spreitenbach
Mo – Sa: 9.00 – 20.00 Uhr
ST. GALLEN ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
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Rösslitor Bücher
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Thalia Shopping Arena
Zürcher Strasse 464, 9015 St. Gallen
Mo – Mi, Fr: 9.00 – 19.00 Uhr,
Do: 9.00 – 21.00 Uhr | Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
CHUR –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
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Thalia Emmen Center
Stauffacherstrasse 1, 6020 Emmenbrücke
Mo, Di, Do: 9.00 – 18.30 Uhr
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Bälliz 60, 3600 Thun
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Inhalt
Orell Füssli
Marktgasse 41, 8400 Winterthur
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Mo – Fr: 9.00 – 12.00 Uhr und 14.00 – 18.30 Uhr
Während der Saison:
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ZÜRICH ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
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Mo – Fr: 9.00 – 20.00 Uhr | Sa: 9.00 – 18.00 Uhr
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So: 10.00 – 18.00 Uhr
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9430 St. Margrethen
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Sa: 8.00 – 17.00 Uhr
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Schaffhauserstrasse 152, 8400 Winterthur
Mo – Fr: 8.30 – 20.00 Uhr | Sa: 8.00 – 18.00 Uhr
SPREITENBACH
Thalia
Neumarktplatz 12, 5200 Brugg
Mo – Do: 9.00 – 18.30 Uhr | Fr: 9.00 – 20.00 Uhr
Sa: 8.00 – 17.00 Uhr
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Raschärenstrasse 35, 7000 Chur
Mo – Do: 9.00 – 19.00 Uhr | Fr: 9.00 – 20.00 Uhr
Sa: 8.00 – 18.00 Uhr
WINTERTHUR ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
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0848 849 848
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Meer lesen
Liebe Leserin
Lieber Leser
«Sie sind bewegt wie das Meer und ruhig wie das
Meer und tief wie das Meer», schrieb der österreichische Autor Joseph Roth über die Werke seines
polnischen Kollegen Joseph Conrad. Und er beendete seine Lobrede mit der berühmten Aufforderung
an alle Literaturinteressierten: «Lesen Sie den
Ozean!»
Wie Joseph Roth rufen auch wir Ihnen zu: «Lest
den Ozean!» Wir beziehen uns damit aber nicht
allein auf das herausragende Werk eines einzelnen
Schriftstellers, sondern ausdrücklich auf Bücher
übers Meer. In dieser Ausgabe von Books stellen
wir Ihnen ab Seite 18 einige der schönsten Neuerscheinungen rund um Ozeane und Strand vor. Eine
schöne Einstimmung auf die Sommertage!
Aber eigentlich kann man Joseph Roths Diktum
noch viel weiter fassen. Denn die Welt der Bücher
ist fraglos ein riesiger Ozean für sich: eine Welt,
in die wir richtig eintauchen können, die voller
Geheimnisse und Tiefe ist, die ebenso seichte wie
unheimliche Stellen kennt. Und die einem niemals
langweilig wird, weil sie so viele verschiedene Bereiche unseres Menschseins anklingen lässt.
NeUe THriller
NeUe KOcHBücHer
Eine Menükarte voller
Leichen
Köstlich und gesund:
Smoothies und Säfte
Seite 14
Seite 44
illUSTrATiONeN DANielA KOHl, © AreNA 2015
AARAU –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
NeUeS AUS Der KiNDerWelT
Strickende Jungs und
dichtende Mädchen
Seite 42
Wir freuen uns, wenn wir Sie auf eine Reise durch
das Meer der Bücher begleiten dürfen. Besuchen
Sie uns in unseren Filialen und im Internet – wir
zeigen Ihnen gern die schönsten Seiten dieses
Ozeans!
Ihr Michele Bomio
CEO Orell Füssli Thalia AG
VISP ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
ZAP
Bahnhofstrasse 21, 3930 Visp
Mo – Fr: 9.00 – 12.00 und 13.30 – 18.30 Uhr
Sa: 9.00 – 17.00 Uhr
4 notizen
10 «spoilern ist eine todsünde»
Exklusivinterview mit Ursula
Poznanski, Autorin von
«Stimmen»
18 lest den ozean!
Bücher zum Meer
22 Im schaufenster 1
«Die gleissende Welt» von
Siri Hustvedt
23 Im schaufenster 2
«Die Verlorene» von
Michèle Minelli
24 kurz und gut
Spezial zu Erzählungen
32 kaffeepause
Die Books-Debatte
36 Fantastisch!
Fantasy-Neuerscheinungen
41 mein buch
46 kreuzworträtsel
47 veranstaltungen
48 kolumne
Darum schreibe ich –
von Max Küng
49 orell Füssli thalia special
Trampunzel und Landesmuseum
Impressum
Die nächste Ausgabe von Books, dem Magazin der Orell Füssli
Thalia AG, erscheint am 28. August 2015. Sie erhalten Books
kostenlos in jeder Filiale. Bestellungen nehmen wir gern entgegen
unter www.books.ch, orders@books.ch und Telefon 0848 849 848.
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Preisänderungen vorbehalten. Unsere aktuellen Verkaufspreise
und eine umfassende Auswahl an Büchern, Filmen und Spielen
finden Sie auf www.books.ch, www.thalia.ch und www.buch.ch.
Herausgeber:
Orell Füssli Thalia AG, Dietzingerstrasse 3, Postfach, 8036 Zürich
gesamtHerstellung und redaktIon:
Die Blattmacher GmbH, Zürich
gestaltung / laYout: Strichpunkt GmbH, Winterthur
CoverFoto: Martin Vukovits
Bücher mit diesen Zeichen sind auch als eBook
oder Hörbuch erhältlich.
4 | notIzen
Notizen
© ArT WOlFe / KNeSeBecK VerlAG
marius leutenegger
sehen und gesehen werden: das ist die maxime
vieler paradiesvögel, vor allem menschlicher. In
der freien wildbahn ist unauffälligkeit hingegen
oft überlebenswichtig – und das sowohl für verteidiger wie angreifer. bloss kein aufsehen erregen,
wenn man sich anschleicht oder wenn ein potenzieller Feind in der nähe ist! die evolution
begünstigt die meister der tarnung sehr direkt, denn wer nicht gefressen wird oder sich
leichter einem opfer annähern kann, gibt auch seine gene eher weiter. deshalb haben sich
in der tierwelt beispiele für Camouflage entwickeln können, die uns sprachlos machen.
solche beispiele präsentiert der weltberühmte tierfotograf art wolfe im famosen, soeben
erschienenen bildband «meisterhaft getarnt», erschienen bei knesebeck. Jede seite lässt
einen staunen, und nicht selten kann man nur noch den kopf schütteln oder lächeln über
so viel einfallsreichtum der natur. unsere bilder zeigen den pracht-riedfrosch aus botswana und den kanadischen drosseluferläufer – ja, wo ist es denn, das vögelchen?
Books Nr. 2/2015
notIzen | 5
Verirrt man sich als Bücherfan einmal vor
die Flimmerkiste, könnte man erschaudern: Bei manchen Sendungen lassen
Mitwirkende jegliche Hemmung fallen. Sie
blamieren sich im Dschungel, auf dem Tanzparkett und
überhaupt. Ja, gibt es denn
überhaupt kein Schamgefühl mehr?, fragen sich da
die schlauen Bücherleserinnen und -leser, die sich
selbst von den schlimmsten Romanfiguren noch
mehr Selbstachtung
gewohnt sind. Doch, gibt
es!, ruft uns die New Yorker
Umweltwissenschaftlerin Jennifer
Jacquet zu. Wir müssen ihr glauben, denn
sie hat viel über das Thema geforscht und
ein interessantes Buch darüber geschrieben: «Scham», jetzt im Fischer-Verlag auf
Deutsch erschienen. Jacquet zeigt darin
nicht nur auf, was wir bereits wissen –
dass Scham eine unerlässliche Eigenschaft ist, wenn das Zusammenleben
einigermassen erspriesslich sein soll –,
sondern auch Überraschendes: Scham ist
selbst in vermeintlich schamlosen Zeiten
wie der unseren ein Gefühl, das die Gesellschaft entscheidend prägt. Jacquets
Studien zeigen allerdings, dass «Die
politische Kraft eines unterschätzten
Gefühls», wie der Untertitel des Buchs
lautet, sorgfältig eingesetzt werden muss:
Auch wenn zum Beispiel die in den USA
verbreiteten «Steuerpranger» als Druckmittel funktionieren, kann Beschämung
beim Blossgestellten rasch zu Resignation
führen. Mit vielen Anekdoten, klugen
Denkanstössen, evolutionsbiologischen
Erläuterungen und wissenschaftlichen
Fakten liefert das Buch auf spannende
Weise manches wichtige Mosaiksteinchen
zum Verständnis des eigentlich Unverständlichen: unserer Mitmenschen.
Murakami – bei diesem Familiennamen
denken wohl die meisten an Haruki
Murakami, den grossartigen japanischen
Schriftsteller, zu dessen bekanntesten
Werken bei uns «Gefährliche Geliebte /
Südlich der Grenze, westlich der Sonne»,
«Kafka am Strand» und «1Q84»
gehören. Es gibt aber noch einen anderen
japanischen Autor mit demselben
Nachnamen: Ryu Murakami. In Japan ist
er längst ein Literaturstar, bei uns kennt
man ihn aber noch kaum. Das dürfte sich
nun ändern, denn der Septime-Verlag
Was lesen Sie gerade?
Nicole Schwägli, Curling-Weltmeisterin 2015:
nicht die einzige Tat, da nach einigen Tagen eine weitere Frau durch das Küchenfenster ihres Hauses tödlich getroffen
wird. Der sogenannte Sniper tötet scheinbar wahllos weiter. Der Fall scheint komplex zu sein, und die Kommissare wissen
nicht mehr weiter. Bevor sie sich ihrer
Verzweiflung hingeben, erkennen sie
doch noch einen Zusammenhang zwischen den beiden ersten Fällen. Für die
Lösung des Falls benötigt die Polizei allerdings die Hilfe der Öffentlichkeit. Sie entfacht damit den Zorn des Snipers, der daraufhin weiter mordet. Im Lauf der
Ermittlungen stossen die Kommissare
schliesslich auf eine tragische Geschichte.
«Krimis sind meine Leidenschaft. Das ungewisse Ende, die Spannung vom Anfang
bis zum Schluss und die brennende Frage
nach dem Täter faszinieren mich. Auf langen Reisen an Wettkämpfe im Ausland
sind Krimis für mich eine willkommene
Abwechslung, bei der ich mich entspannen und in eine andere Welt eintauchen
kann.
Die Krimis von Nele Neuhaus gefallen mir
dabei am besten. Ihre Bücher sind fesselnd geschrieben und beinhalten nicht
selten überraschende Wendungen. So
bleibt eine Geschichte bis zum Schluss
spannend. Ich habe noch keinen Krimi
von Nele Neuhaus ausgelassen und fiebere regelmässig den neuen Veröffentlichungen entgegen.
Die Geschichte vom Serienkiller und die
damit verbundene tragische Geschichte
faszinieren von Beginn weg. Das Motiv für
die Taten scheint anfangs unklar zu sein
und kristallisiert sich erst mit der Zeit heraus. Die schwierigen Ermittlungen, welche die Kommissare durchführen müssen, tragen ihren Teil zur Spannung bei.
Nele Neuhaus hat es in diesem Buch geschafft, die Leserin und den Leser zu fesseln. Mich liess das Buch nie los. Ich las in
jeder freien Minute darin, um herauszufinden, ob die Polizei dem Täter auf die
Schliche kommt.»
die lebenden und
die toten
nele neuhaus
560 seiten
CHF 28.90
ullstein
Im Buch ‹Die Lebenden und die Toten›
wird im Wald eine ältere Frau aus dem
Hinterhalt erschossen. Leider bleibt dies
WettbeWerbs-GeWInner
1. Preis (200 Franken): Konrad Jacobs, Winterthur
2. Preis (100 Franken): Connie Zwingli, Herisau
© JeNNiFer JAcqUeT
© ArT WOlFe / KNeSeBecK VerlAG
In jeder Ausgabe von Books finden Sie einen Kreuzworträtsel-Wettbewerb; in dieser
Ausgabe auf Seite 46. Zu gewinnen gibt es jeweils zehn Büchergutscheine im Wert von
20 bis 200 Franken. Beim letzten Wettbewerb – das Lösungswort lautete «Koenigsschwur» – wurden folgende drei Teilnehmenden als Gewinner ausgelost:
3. Preis (50 Franken): Regina Goossens, Schaffhausen
Herzliche Gratulation!
Die Gewinnerinnen und Gewinner der Preise 4 bis 10 werden schriftlich benachrichtigt.
hat soeben eines seiner wichtigsten
Werke auf Deutsch herausgebracht:
«Coin Locker Babys». Schon nach
wenigen Seiten wird klar: Ryu teilt mit
Haruki nur den Nachnamen und die
schriftstellerische Fertigkeit, Stile und
Inhalte liegen sehr weit auseinander.
Dass der mit den höchsten Preisen
ausgezeichnete Ryu Murakami als
Enfant Terrible der japanischen Literaturszene gilt, kommt nicht von ungefähr;
er zeichnet ein sehr düsteres Bild der
Gesellschaft seines Heimatlands. Die
«Coin Locker Babys» sind die beiden
Buben Kiku und Hashi, die von ihren
Müttern in Schliessfächern ausgesetzt
werden, gemeinsam in einem Kinderheim
aufwachsen, dann adoptiert werden –
und die schwere Bürde ihrer Geschichte
nicht tragen können. Hashi wird ein
drogenvernebelter Popstar, Kiku will
Tokyo zerstören. Die Suche der beiden
nach ihren Müttern endet mit Mord und
Totschlag. Es geht um Sex, Gewalt und
Freundschaft. Ein gewaltiger Stoff, der
demnächst auch mit Liv Tyler und Val
Kilmer in den Hauptrollen verfilmt
werden soll. Mit diesem Buch ist es
tatsächlich ein wenig wie mit einem
unheimlichen Film: Man kann gar nicht
hinschauen – will aber trotzdem immer
wissen, wie es weitergeht.
notIzen | 7
Books Nr. 2/2015
Ja HREStaGE
© FOTO MONiqUe JAcOT, cOPyriGHT MUSeUM TiNGUely, BASel
Am 2. Juni jährt sich
der Geburtstag von
Donatien Alphonse
François de Sade
zum 275. Mal. Schon
als junger Mann
war der Marquis
ein schlimmer Finger; er feierte
Orgien, wie sie sich selbst für den damals
ziemlich verruchten französischen Adel
nicht ziemten, hielt gotteslästerliche Reden und entehrte seine Familie, als er seine Schwägerin entführte – eine Nonne.
1772 verhängte der König auf Wunsch
der Schwiegermutter das Todesurteil über
Am 22. Mai 1925 kam Jean Tinguely zur
Welt; in diesem Jahr wäre «Jeannot» also
90 Jahre alt geworden. Der Fribourger,
der in Basel aufwuchs, zählt zu den wichtigsten Vertretern der sogenannten «kinetischen Kunst» und zu den weltweit bekanntesten Künstlern der Schweiz. Seine
beweglichen Installationen stehen vor allem in Frankreich und in der Schweiz:
meist sehr eindrückliche, aber dennoch
heitere Maschinen, die zweckfreie Bewegungen ausführen. Zu
den bekanntesten Werken zählen die Plastik
«Heureka» beim Zürichhorn und die «Fontaine Stravinski» beim
Centre Pompidou in
Paris, die Tinguely zusammen mit seiner
Künstlerfreundin und
Ehefrau Niki de Saint
Phalle schuf. Der Christoph-Merian-Verlag hat jetzt eine neue Biografie über den
Künstler veröffentlicht: «Jean Tinguely –
Motor der Kunst» von Dominik Müller.
Der Autor ist zwar Kunsthistoriker, er nähert sich dem Künstler aber ohne das in
seinen Kreisen leider weit verbreitete Geschwurbel. Das reich bebilderte Buch liest
sich federleicht, ist sehr unterhaltsam,
gibt da und dort interessante Gedankenanstösse – und passt auf diese Weise ideal
zu Tinguely.
ihn; der junge Marquis wurde natürlich nicht hingerichtet, aber immerhin ins Gefängnis gesteckt. Dort lebte
er seine Gelüste fortan schriftlich aus.
Die Aufenthalte in Festungen und
Irrenhäusern machten de Sade zu jenem Schriftsteller, der bis heute sowohl
heftig abgelehnt wie leidenschaftlich
bewundert wird. In Zeiten, in denen
«Shades of Grey» und Epigonen die Bestsellerlisten sprengen und die Kinosäle füllen, ist wohl manche Dame versucht, auch
einmal zu einem Buch des «göttlichen
Marquis» zu greifen. Aber Obacht: Manche Werke von de Sade, der nicht umsonst
Namensgeber des Sadismus ist, sind
wahrhaft harte Kost. Etwa «Die 120 Tage
von Sodom», die der Marquis heimlich
und mit winziger Schrift auf eine zwölf
Meter lange Papierrolle schreib, als er in
der Pariser Bastille sass. Das Buch wurde
gerade von Matthes & Seitz neu aufgelegt;
der Berliner Verlag hat sich um die Verbreitung von de Sades Werk besonders
verdient gemacht.
In diesem Frühsommer jährt sich der Geburtstag des bedeutendsten Dichters italienischer Sprache zum 750. Mal. Wann genau, weiss man nicht: Dante kam vermutlich
im Mai oder Juni 1265 in Florenz zur Welt.
Wahrhaft unsterblich machte ihn seine
«Göttliche Komödie»; in diesem Werk
schildert Dante eine Reise durch die Hölle
und das Paradies. Der Stoff hat unzählige
bildende Künstler inspiriert; Botticelli fertigte dazu 93 Zeichnungen an, Gustave
Doré und Salvador Dalí schufen berauschende Zyklen. Besonders eindrücklich ist
auch die Interpretation durch
William Blake. Der englische Dichter und Maler vollendete in seinen letzten
Lebensjahren 102 Illustrationen zur «Göttlichen
Komödie». Der TaschenVerlag hat dieses opulente Werk nun in einem
ebenso opulenten Buch
veröffentlicht. Wer sich
schon lange vorgenommen hat, sich
einmal Dantes' Beitrag zur Weltliteratur anzunehmen, erhält hier eine schöne und
grosse Motivationsspritze.
2015 ist ja bekanntlich das Jahr der
Schweizer Jubiläen: 700 Jahre Morgarten! 500 Jahre Marignano! 200 Jahre
Wiener Kongress! Dass bei all dem Jubeln
der 125. Todestag von Gottfried Keller am
15. Juli ein wenig in Vergessenheit gerät,
ist einerseits nicht so erstaunlich – andererseits aber auch kein Zufall. Der Zürcher war zwar einer der bedeutendsten
Schriftsteller, welche die Schweiz bis jetzt
hervorbrachte. Zur Mythenbildung taugt
er indessen nicht besonders, denn Keller
setzte sich in seinem Werk auch sehr kritisch mit der Nationenbildung und dem
Wirtschaftsliberalismus am Ende des 19.
Jahrhunderts auseinander. Ein romantisch-verklärtes Schweiz-Idyll wie beim
Maler Albert Anker – der übrigens Mitglied der Gottfried-Keller-Stiftung war –
sucht man bei ihm vergebens. Gerade seine skeptische Haltung macht Keller aber
auch heute noch absolut lesenswert.
Selbst Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki zählte Kellers Hauptwerk «Der grüne
Heinrich» zum Kanon der 20 wichtigsten deutschsprachigen Romane. Kellers
wechselvolles Leben liest sich aber auch
selber wie ein Roman. Nachzuprüfen ist
das zum Beispiel in der so kompakten wie
informativen Neuerscheinung «Gottfried
Keller» von Florian Trabert, erschienen
im Tectum-Verlag.
Das Spezial des letzten Books war der
Liebe gewidmet. Ein Buch blieb dort
wegen seines leider etwas späten
Erscheinungstermins unerwähnt – aber
weil es so ideal in die Präsentation
lesenswerter Sachbücher und Romane
zur Liebe gepasst hätte, holen wir das
Versäumte gern nach. In seinem Buch
«Wer hat den schlechtesten Sex?»,
erschienen bei DVA, unternimmt Rainer
Moritz eine «literarische Stellensuche» – und geht der Frage nach, warum es Autorinnen und Autoren offenbar
so unendlich schwer fällt, Sexszenen
einigermassen erträglich zu gestalten.
Seine Analyse ist treffsicher und
verständlich, wirklich Spass machen
aber die unzähligen Beispiele missratener Stellen. Selbst anerkannte Grössen
wie Elfriede Jelinek und Jonathan
Franzen blamieren sich ja ganz schön,
wenn es um die Darstellung eines
Geschlechtsakts geht. Peinlich, peinlich.
Man wundert sich, wie Rainer Moritz all
die Stellen gefunden hat, die er hier
genüsslich – und sauber kategorisiert –
ausbreitet. Und man fragt sich, warum
nicht mehr Autoren wie der sagenhafte
Alex Capus vorgehen. Der sagte nämlich
einst im Books-Interview: «Der Liebesakt
hat von aussen betrachtet ja auch etwas
Albernes, und die Anzahl verfügbarer
Bilder, mit denen man eine Sexszene
beschreiben kann, sind sehr beschränkt.
Für mich ist es jedenfalls unnötig,
Details zu beschreiben, wenn man genau weiss, wie es weitergeht.» Weise
Worte. Dächten alle Schreibenden so,
hätte Rainer Moritz
aber sein Buch
nicht schreiben
können – und das
wäre wiederum
eine Schande.
»Ein wunderbar
lustiges Buch.«
Smålandsposten
Illustration: © Oliver Werner
6 | notIzen
ISBN 978-3-651-02229-4 / sFr 21,90
Haben Sie schon mal in Las Vegas
ein Casino geknackt?
Für Märtha, Snille, Kratze, Stina und
Anna-Gret ist das kein Problem. Kluge
Planung, sorgfältige Recherche und ihr
hervorragend aufeinander eingespieltes
Team machen diesen Coup zu einem
Kinderspiel. Wieder zurück in Schweden, ist es an der Zeit, nicht nur das Geld
an Arme und Alte zu verteilen, sondern
auch höchste Zeit, sich einmal näher mit
den neuen Nachbarn zu beschäftigen.
8 | notIzen
Leute, die das mögen,
mögen auch ...
Sie kennen das: Man hofft, ein Buch ginge nie zu Ende, weil es einem so gut gefällt – aber irgendwann ist die letzte Seite
doch gelesen. Zum Glück kann man sich
in solchen Momenten vertrauensvoll an
Fachleute wenden, die einem ein Buch
mit vergleichbaren Qualitäten empfehlen.
Zum Beispiel an Sabine Obi. Die 41-Jährige lebt in Volketswil und arbeitet in der
Filiale von Orell Füssli am Flughafen Zürich. Buchhändlerin wurde sie, weil sie
ihr Hobby – das Lesen – zu einem Teil
ihres Berufs machen wollte.
© PeTrA AMerell
Rechtzeitig auf die sommerliche Wandersaison veröffentlicht der Verlag Hier und
Jetzt ein neues Werk vom Experten für
historische Hotels, Roland Flückiger:
«Berghotels zwischen Alpweide und
Gipfelkreuz». Der Architekturhistoriker
stellt darin Tourismusperlen aus der Zeit
von 1830 bis 1920 vor. Manche der Hotels
dienten als Ausgangspunkt für heroische
Klettertouren, andere boten anspruchsvollen Gästen ein einmaliges Naturerlebnis. Viele der schönen Unterkünfte sind
längst Geschichte, andere gibt es immer
noch – wie das unten abgebildete Hotel
auf dem Faulhorn, das
wohl zu den originellsten
seiner Art gehört.
Flückiger beschreibt
nicht nur die legendären
Häuser, sondern verweist auch auf technische Pionierleistungen
und zeichnet die
Geschichten wichtiger
Erschliessungsstrecken nach. Denn ohne
Bahn hätte es den Schweizer Tourismus
wohl nie auf jene Art gegeben, die in
diesem schönen Buch nachvollziehbar ist.
notIzen | 9
Books Nr. 2/2015
nächstes Jahr wird der grosse schweizer schriftsteller silvio
blatter 70; auch wenn man ihm das kaum ansieht, steht er
damit fraglos an der schwelle zum alter. so geht es auch den
beiden Hauptfiguren seines neuen romans «wir zählen unsere tage nicht», der bei piper erschienen ist. die gefeierte
radiomoderatorin Isa lerch steht kurz vor der pensionierung und sieht sich gerade mit ihrer nachfolgerin konfrontiert, ihr mann severin ist ein erfolgreicher bildhauer, der wichtige entscheidungen
fällen muss. das paar könnte sich getrost zurücklehnen, gemeinsam auf gute Jahre zurückschauen und sich der beiden kinder und zwei enkelkinder erfreuen. doch daraus
würde kein roman entstehen. also setzt silvio blatter seinen protagonisten subtil zu.
wie war das jetzt mit den lebensplänen? was soll noch aus einem werden, wenn das
erreicht ist, was möglich schien? und wie soll man sich mit einer anderen generation
auseinandersetzen, die einem so fern ist? dem reifen blatter gelingt, was Heinrich böll
bereits 1978 am jungen blatter im magazin der spiegel lobte: nuancierte beschreibungen ohne voyeurismus. ein kluger, zuweilen aber auch schmerzhafter roman.
Vom lernenden Spielen zum spielerischen Lernen
Schweizer Konstruktionsspielzeug
(Produktion in Biberist, Solothurn)
Jurassic life M-set
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Erich Zumstein, Rektor, Einsiedeln
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freien Zusammenbauen, lassen ihre Fantasie
walten und üben sich im Rollenspiel.
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Beim konkreten Nachbauen nach Plan werden
die Fähigkeiten der Kinder zusätzlich gefördert.
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Geeignet für Kinder von 6 M - 12 Jahren
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Wir sind von dem Produkt sehr überzeugt,
die Kinder spielen gerne und immer wieder mit
kiditec. Einige benutzen die Schrauben und
Muttern, andere setzen sie einfach so zusammen. Es entstehen viele Fantasiegebilde und
verschiedenste Varianten von Autos.
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«Ich
interessiere
mich sehr für die
Zeit des Zweiten
Weltkriegs,
und
deshalb las ich den
Roman
‹Adams
Erbe› von Astrid
Rosenfeld, der vor
ein paar Jahren
bei Diogenes erschien, mit viel Interesse. Das Buch
spielt in zwei Epochen: zu unserer
Zeit und während
des Zweiten Weltkriegs. Der junge
Edward Cohen lebt
in Berlin und findet
auf dem Dachboden das Tagebuch
seines Grossonkels
Adam. Diese Aufzeichnungen bilden den
Grossteil des Romans. Adam beschreibt darin seine Liebe zur Jüdin Anna. Die junge
Frau verschwindet, und Adam findet heraus, dass sie ins Warschauer Ghetto geschafft wurde. Er setzt alles daran, sie dort
herauszuholen – und lässt sich selber ins
Ghetto bringen, um sie zu retten. Obwohl
das Thema nun wirklich nicht lustig ist,
habe ich den stellenweise sehr witzigen
Roman gern gelesen – nicht zuletzt auch
deshalb, weil er zeigt, wie gross die Kraft
der Liebe sein kann.
Eine Neuerscheinung, die viele Parallelen
zu ‹Adams Erbe› aufweist, ist ‹Die uns lieben› von Jenna Blum, erschienen im Auf-
bau-Verlag. Beim Lesen hatte ich manchmal das Gefühl, einer wahren Geschichte
beizuwohnen, so authentisch klingt sie,
doch sie ist fiktiv. Wie ‹Adams Erbe› spielt
auch dieser Roman in zwei Zeiten: während des Kriegs in Weimar und in den
1990er-Jahren in den USA, in Minnesota. Im Zentrum steht Anne, die 1940 19
Jahre alt, ledig und schwanger ist. Ihr Vater wirft sie aus dem Haus, und sie findet
Unterschlupf bei der Bäckerin Mathilde.
Mit Mathilde liefert Anne Brot ins Offizierscasino des KZ Buchenwald. Die beiden Frauen schmuggeln auch Waren und
Briefe für die Insassen, doch sie fliegen
auf. Mathilde wird
erschossen – und
Anne kann sich und
ihre kleine Tochter
Trudy nur retten,
indem sie die Geliebte eines SS-Offiziers wird. Am Ende
des Kriegs wird
sie von einem USAmerikaner gerettet, und sie folgt ihm
nach
Minnesota.
50 Jahre später ist
Anne alt und pflegebedürftig. Sie hat
Trudy nie von der
Zeit in Deutschland
erzählt, aber ihre
Tochter will jetzt die
ganze Wahrheit darüber erfahren. Da sie
Historikerin ist, findet sie Zugang zu Menschen, die ihr weiterhelfen können.
Wie bei ‹Adams Erbe› gibt es auch in ‹Die
uns lieben› einen Zeitsprung, in beiden Romanen findet jemand aus unserer Gegenwart mehr über seine Vorfahren heraus. Und in beiden Romanen ist die
Liebe das Leitthema – denn Anne
hat ihre ganze Existenz nur darauf
ausgerichtet, ihre Tochter Trudy zu
retten. Wegen all der Ähnlichkeiten
bin ich mir sicher: Wer ‹Adams Erbe›
mochte, wird auch ‹Die uns lieben›
schätzen.»
... und ausserdem
Wer gern liest, ist meist auch einem Spielchen nicht abgeneigt. Denn beides, das Lesen und das Spielen, setzt Neugier, Freude
an Spannung und Nervenkitzel sowie eine
gute Portion Vorstellungskraft voraus. Daher bieten wir allen Leserinnen und Lesern
von Books gern auch einmal einen originellen Spieltipp. Diesmal: Bellz! Mit einem
magnetischen Stab muss man möglichst
viele Glöckchen derselben Farbe sammeln.
Der Magnet am dicken Ende des Stabs ist
stärker als jener am dünnen. Das ist zwar
ein Vorteil – aber mit dem dicken Ende
zieht man auch eher Glöckchen der falschen Farbe an. Und dann muss man alle
gesammelten Glöckchen wieder abgeben
und den Gegnern den Stab überlassen.
bellz!
Für 2–4 spieler
ab 6 Jahren
CHF 19.90
Das nenne ich jetzt aber einmal ein praktisches Buch: «Der liebste Ort auf Erden»,
erschienen im Unionsverlag, präsentiert
eine reiche Sammlung von Texten über
das stille Örtchen. Das hübsche Bändchen vereinigt echte Schwergewichte der
ansonsten ja sträflich unterschätzten
Klo-Literatur: Robert Gernhardt, Bertolt
Brecht, Herta Müller, Ernst Jandl, Goethe
oder Günter Eich. Sie alle sondern ihr
Bestes über die weite Welt der Toiletten
und deren Gebrauch ab, und Günter
Grass schafft es mit geradezu imposanter
Zuverlässigkeit, auch bei diesem Thema
mit aufgesetzter Markigkeit zu nerven.
Wie es sich für die Anthologie eines
Schweizer Verlags gehört, sind auch viele
hiesige Autorinnen und Autoren vertreten, etwa Milena Moser,
Franz Hohler oder Hugo
Lötscher. Alle Beiträge
sind kurz – natürlich ausser jener von Grass –, das
Buch liegt gut in der
Hand, und daher gehört
es ab sofort auf jedes
stille Örtchen von Literaturfans.
10 | Interview
Books Nr. 2/2015
Interview | 11
«Spoilern ist eine
Todsünde»
Die Österreicherin Ursula Poznanski zählt zu den erfolgreichsten deutschsprachigen ThrillerAutorinnen. Soeben ist ihr dritter Roman um Kommissarin Beatrice Kaspary erschienen –
«Stimmen». Books traf sich mit der Schriftstellerin im «Palmenhaus» in Wien.
Jeff Mangione
Books: Ursula Poznanski, was macht für
Sie einen guten Thriller aus?
Ursula Poznanski: Manche Thriller sind
vom Plot getrieben, bei anderen stehen
die Charaktere im Zentrum. Mir gefällt die
Mischung: Man hat einerseits eine gute
Geschichte, andererseits Figuren mit Charakter. Plot und Protagonisten befruchten einander. Allerdings ist das meines
Erachtens ein allgemeines Kriterium für
gute Romane.
Was unterscheidet eigentlich einen
Thriller von einem Krimi?
Die beiden Genres lassen sich tatsächlich
nicht so leicht voneinander abgrenzen.
Im letzten Sommer sprach ich unter
anderem mit meinem Kollegen Sebastian
Fitzek über genau dieses Thema, und da
kam der Gedanke auf: Sind Ermittler im
Spiel, handelt es sich um einen Krimi. Das
stimmt aber auch nicht, denn dann wäre
«Das Schweigen der Lämmer» kein Thriller. Ich finde: Bei einem Thriller gibt es
eine unmittelbare Bedrohung. Während
die Figuren beim Krimi Tee trinken und
gepflegt herumrätseln können, müssen sie
im Thriller um ihr Leben fürchten.
Ist es nicht einfach so, dass Thriller
viel brutaler sind? Oder anders gesagt:
Schlachtplatte ist Thriller, Rätselstunde
Krimi?
Nicht unbedingt. Bei Psychothrillern zum
Beispiel muss kein Blut spritzen. Und ich
kenne auch Krimis, die einen hohen Blutzoll fordern. Nein, für mich steht letztlich
die unmittelbare Bedrohung im Zentrum.
Wie immer man ihn definieren will: Der
Thriller ist seit Jahren ein überaus beliebtes Genre. Wo sehen Sie die Gründe
für den Erfolg?
Ich glaube, letztlich entspricht es einfach
einem Grundbedürfnis, sich aus sicherer
Warte heraus dem Gefühl einer Bedrohung
auszusetzen, die uns nicht persönlich betrifft. Schon Kinder suchen das ja, wenn sie
ein unheimliches Märchen hören wollen.
Die Folgen von Gewaltdarstellungen
werden oft diskutiert. Die einen glauben, Gewaltdarstellungen förderten Aggressionen, andere meinen, sie könnten
diese durch Spannungsabbau mindern.
Welche Theorie vertreten Sie? Oder
anders gefragt: Trägt Ursula Poznanski
zur Verrohung der Gesellschaft bei?
Ich glaube, das Lesen von Thrillern ist wie
Geisterbahnfahren: Man will sich wohlig
gruseln. Dass die Ideen aus Thrillern in
die Praxis übersetzt werden, kann ich mir
schlecht vorstellen. Leute mit einer gesunden Psyche können gut zwischen Fiktion
und Realität unterscheiden.
Haben denn die Autorinnen und Autoren selber eine gesunde Psyche? Wenn
man sieht, wie sie sich immer neue
und noch grausamere Methoden zur
Qual ihrer Figuren ausdenken, könnten
einem schon Zweifel kommen.
Ich kenne viele Kolleginnen und Kollegen
aus dem Genre, und sie scheinen mir alle
nicht sonderlich krank. Die Inflation des
Grauens hat vielleicht auch damit zu tun,
dass sich die Autorinnen und Autoren
immer wieder fragen: Womit packe ich
meine Leserinnen und Leser? Will man
das Publikum schockieren, liegt die Latte
heute tatsächlich sehr hoch. Alles wurde
abgearbeitet, jeder Körperteil wurde
bereits x-fach filetiert. Oft steckt bei den
grausigen Einfällen ja auch kommerzielles Kalkül dahinter: Das hat noch keiner
gemacht und wird für Aufsehen sorgen!
Ursula Poznanski
Ursula Poznanski kam 1968 in Wien zur
Welt, wo sie noch heute mit ihrer Familie
lebt. Sie begann mehrere Studien – etwa
in Japanologie, Publizistik, Rechtswissenschaften und Theaterwissenschaften – und
arbeitete dann als medizinische Journalistin.
2003 schrieb sie mit «Theo Piratenkönig»
ihr erstes Buch. Zwei Jahre später erhielt
sie für «Die allerbeste Prinzessin» den
Kinder- und Jugendbuchpreis der Stadt
Wien. International bekannt machten sie
schliesslich die All-Age-Romane «Erebos» –
der von der Jugendjury mit dem Deutschen
Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde –,
«Saeculum» und «Die Verratenen». 2012
veröffentlichte sie mit «Fünf» das erste
Buch um Kommissarin Beatrice Kaspary;
nach «Blinde Vögel» ist der eben erschienene Thriller «Stimmen» der dritte
Kaspary-Roman.
Wo setzen Sie die Grenzen bei den Thrillerelementen? Wie viel Leiden darf sein?
Für mich ist die Geschichte der Boss;
wenn sie verlangt, dass einer die Köpfe
seiner Opfer abschneidet und diese auf
Denkmälern drapiert, lasse ich das zu. Es
gibt aber schon Grenzen. Ich bringe zum
Beispiel in meinen Büchern keine Kinder
um. Und ich erinnere mich, wie ich für
«Blinde Vögel» über die Massaker in ExJugoslawien recherchierte. Ich las Berichte von Amnesty International und dachte:
Das kannst du so nicht verwenden, das
ist alles so schlimm – und echt. Ich habe
das Leiden schliesslich auf ein Zehntel der
Wirklichkeit heruntergebrochen.
Ihrer Figur Jasmin Matheis ersparen
Sie in «Stimmen» allerdings nicht viel.
Haben Sie denn kein Mitleid mit Ihren
Figuren?
Natürlich mute ich dieser Figur einiges
zu, aber ich kann Realität und Fiktion gut
© Jeff Mangione, Loewe Verlag GmbH
Marius Leutenegger
12 | IntervIew
unterscheiden. Echtes Mitleid für nicht
existente Menschen fände ich etwas eigenartig. Trotzdem muss ich als Autorin
stets mit den Figuren mitfühlen. Will man
einigermassen glaubwürdige Figuren
schreiben, muss man auch einigermassen authentische Gefühle einbringen.
Man muss die eigenen Ressourcen anzapfen und sich zum Beispiel fragen: Was
würde ich in dieser Situation empfinden?
Woran würde ich leiden? Ich gehe da ein
wenig vor wie ein Schauspieler, und das
nimmt mich gelegentlich schon mit.
In Beatrice Kaspary, der Hauptfigur
Ihrer Thriller-Reihe, habe ich immer Sie
gesehen. Geht es Ihnen auch so? Wie
stark identifizieren Sie sich mit Ihrer
Protagonistin?
Ich bin nicht Beatrice Kaspary! Natürlich trägt sie Züge von mir, aber das gilt
letztlich für jede Figur. Beatrice quält sich
zum Beispiel viel mehr, als ich das tue,
sie ist sehr viel pflichtbewusster und hat
einen höheren Perfektionsanspruch. Ich
bin wesentlich netter zu mir.
Seit ein paar Jahren ist bei Thrillern
der Trend feststellbar, dass der Alltag
der Hauptfiguren fast so viel Raum
einnimmt wie der eigentliche Plot.
Auch Sie beschreiben die Sorgen und
Nöte von Beatrice mit Kindern, bösem
Ex-Mann, neuer Liebe. Folgen Sie hier
einfach einem Trend, oder gehört das
für Sie zu einem guten Buch?
Wie erwähnt, gehören für mich zu einem
gelungenen Buch eine gute Geschichte
und gute Figuren – und diese Figuren bestehen ja nicht allein aus ihrem Job. Ich
liebe es, wenn die Charaktere ein Leben
neben dem Fall führen.
In «Stimmen» gibt es auch eine richtige Sexszene. Warum beschreiben Sie
das Liebesspiel detaillierter, als für die
Geschichte nötig wäre? War da Ihre
Freude an der Sache entscheidend,
oder kommt man seit «Shades of Grey»
einfach nicht mehr darum herum, es
auch erotisch krachen zu lassen?
Freude an der Sache? Ich sass zwei,
drei Tage an diesen wenigen Seiten,
diese Szene hat mich Blut, Schweiss
und Tränen gekostet! Bei Sexszenen ist
die Absturzgefahr gross: Ein falsches
Wort – und alles kippt ins Lächerliche. Es
wäre sicher leichter gewesen, die Sache
nicht so explizit zu beschreiben, aber ich
wollte nicht feige sein. Viele Leserinnen
und Leser begleiten das Ermittlerpaar
Beatrice und Florin ja seit dem ersten
IntervIew | 13
Books Nr. 2/2015
«Echtes Mitleid
für nicht existente
Menschen fände ich
etwas eigenartig.
Trotzdem muss ich
als Autorin stets
mit den Figuren
mitfühlen.»
ursula poznanski währen des Interviews mit books im «palmenhaus» in wien: «nach 1300 wörtern ist
meistens der punkt erreicht, an dem ich nur noch Quatsch schreibe.»
Buch, und dass die beiden jetzt zusammenkommen, konnte ich nicht einfach
ausblenden.
Sie bieten auch viel Einblick in die
Polizeiarbeit. Woher haben Sie sich das
Wissen darüber angeeignet? Aus dem
Fernsehen?
Ich habe mich schon erkundigt, wie der
Alltag der Polizei aussieht – bei einem
Salzburger Polizisten. Die Wirklichkeit ist
natürlich viel unspektakulärer als die Fiktion. Meine Figuren sitzen bereits oft herum
und wälzen Akten, tatsächlich ist die Büroarbeit aber noch wesentlich dominanter.
Warum spielt die Serie um Beatrice Kaspary eigentlich in Salzburg?
Wien wird als Handlungsort bereits sehr
stark genutzt, für mich kam es nicht in
Frage, weitere Wiener Ermittler loszuschicken. Salzburg kenne ich gut von meiner
Freizeit her, und daher gibt es auch ein
egoistisches Argument für diesen Handlungsort: Denke ich an Salzburg, ist das
ein wenig wie Urlaub. Darüber hinaus bot
sich Salzburg auch aus formalen Gründen an. Salzburg ist gleichzeitig urban
und ländlich, und beim ersten BeatriceKaspary-Fall brauchte ich eine ländliche
Umgebung; eine Wiener Polizistin arbeitet
nie auf dem Land, eine aus Salzburg hingegen schon.
«Stimmen» spielt nicht nur in Salzburg,
sondern vor allem in einer psychiatrischen Klinik. Ehe Sie Schriftstellerin
wurden, waren Sie medizinische Journalistin, Sie kennen also das Innenleben
einer Klinik. Warum lassen Sie Ihre
Geschichte hier spielen?
Weil eine Klinik ein tolles Umfeld für einen
Thriller ist – was allein schon die Tatsache
beweist, dass bereits sehr viele Thriller in
Psychiatrien spielen. Es ist ja eigentlich
verrückt, wie wenig es braucht, dass man
sich grundlegend verändert. Es muss nur
etwas mit dem Hirnstoffwechsel nicht
stimmen, schon wird man zu einem anderen Menschen. Das hat etwas Erschreckendes, fasziniert mich gleichzeitig aber sehr.
In einem «Vorwort zum Nachwort»
flehen Sie Ihre Leserinnen und Leser
geradezu an, das Nachwort erst zu
lesen, wenn sie mit dem Roman durch
sind. Und Sie bezeichnen es auch als
schlimm, wenn jemand erst das Ende
eines Buchs liest. Was ist daran so
schrecklich? Eine unserer Mitarbeiterinnen liest immer erst das Ende, weil
sie beobachten möchte, wie der Autor
oder die Autorin die Geschichte zu diesem Ende führt.
Das finde ich wirklich schade. Ich gebe
mir echt Mühe, die Geschichten so zu
stricken, dass man am Schluss einen AhaEffekt hat. Nun, ich habe natürlich keinen
Einfluss auf die Leserschaft, und jeder
kann das so halten, wie es ihr oder ihm
den grössten Spass macht. Was mich aber
wirklich ärgert, sind Rezensionen, die
alles verraten. Spoilern ist eine Todsünde.
Auch weil ich es als Leserin selber so toll
finde, wenn ein Autor oder eine Autorin
es schafft, mich aufs Glatteis zu führen.
Schreibt man selber, liest man ja ein bisschen anders und durchschaut vielleicht
die eine oder andere Wendung eher. Kann
mich jemand trotzdem überraschen,
macht mich das glücklich – und ich finde
es schade, wenn mir das genommen wird.
Ohne das Ende von «Stimmen» zu verraten: Man wird von Ihnen an der Nase
herumgeführt, doch plötzlich geht alles
perfekt auf. Wie Ihre anderen Thriller
zeichnet sich auch der neue Roman
durch einen gekonnt geflochtenen Plot
aus. Man kann sich kaum vorstellen,
dass Sie sich einfach hinsetzen und
drauflos schreiben. Wie viel Architektur
steckt hinter Ihren Büchern?
Ich kenne das Ende, wenn ich ein neues
Buch beginne. Ich muss wissen, wie ich
die Geschichte auflöse, und kann nicht
einfach einmal Zutaten in einen Topf werfen und dann schauen, was passiert. Aber
natürlich ergibt sich dann vieles noch
beim Schreiben.
Erstellen Sie zuerst also eine Synopsis?
Es gibt ein paar wirre Textdokumente;
keine Reihenfolge der Ereignisse, sondern
eher eine Auflistung, was alles rein muss.
Ich definiere also ein paar Wegpunkte, an
denen ich mich entlang hangeln kann.
Und wie schreiben Sie?
Ich setze mir immer das Ziel, etwa 1300
Wörter am Tag zu schreiben. Das erreiche
ich zu Beginn der Arbeit nicht immer,
gegen Ende wird es mehr – auch, weil der
Abgabetermin dann meistens schon vorbei ist und ich wirklich vorwärtsmachen
muss. Nach 1300 Wörtern ist meistens
der Punkt erreicht, an dem es nicht mehr
geht und ich nur noch Quatsch schreibe.
Sind Sie eine disziplinierte Schreiberin?
Eine faul-disziplinierte! Weil ich viele Lesereisen mache, habe ich mir angewöhnt,
überall zu schreiben. Am häufigsten
schreibe ich aber daheim. Ich setze mich
am Morgen vor den Computer, gehe auf
Facebook oder andere schöne Internetseiten, schwinge mich ein auf Betriebstemperatur. Meistens warte ich darauf,
dass sich das Gefühl einstellt: Schreiben
wäre jetzt eine gute Idee! Wird es mit den
Terminen eng, arbeite ich aber schon
etwas straffer.
Sie weisen ein sehr breites Repertoire
auf; neben den mittlerweile drei Thrillern um Beatrice Kaspary haben Sie
zahlreiche Kinderbücher wie «Die allerbeste Prinzessin» und All-Age-Romane
mit Fantasy-Elementen wie «Saeculum»
veröffentlicht. Was schreiben Sie am
liebsten?
Kinderbücher möchte ich nicht mehr
schreiben, denn ich habe mittlerweile den
Kontakt zur Zielgruppe verloren. Meinem
Sohn, der jetzt 16 Jahre alt ist, las ich früher sehr viel vor, daher kannte ich die Anforderungen an ein Kinderbuch. Jugendbücher und Thriller schreibe ich gleich
gern. Die beiden Genres liegen ja auch gar
nicht so weit auseinander. Es gibt jeweils
ein paar besondere Regeln, ich muss mich
aber nicht komplett umstellen.
Wie kamen Sie eigentlich zum Thriller?
Ich hatte eine Idee zu einer Geschichte,
die ich nicht für ein Jugendbuch verwenden konnte – «Fünf». Ich erzählte meinem
Agenten davon, und er ermunterte mich,
fortan auch für Erwachsene zu schreiben.
Was wird als nächstes von Ihnen erscheinen?
Im August ein neues Jugendbuch und
im November ein neuer Thriller, den ich
zusammen mit dem deutschen Autor Arno
Strobel verfasst habe. Und dann folgt der
vierte Kaspary-Roman.
Die lang erwartete Liebe zwischen
Beatrice und Florin hat sich in «Stimmen» erfüllt – folgen jetzt Beziehungsprobleme?
Möglicherweise wird es jetzt schwierig, ja.
stimmen
448 seiten
320 seiten
CHF 21.90
wunderlich
DIe WIchtIGsten
romane von ursula
PoznanskI
erebos (2010)
488 seiten
CHF 14.90
loewe
Das vielfach ausgezeichnete Thriller-Debüt
von Ursula Poznanski: In einer Londoner
Schule wird das Computerspiel «Erebos»
herumgereicht. Wer es startet, kommt
nicht mehr davon los. Die Regeln sind
streng: Jeder hat nur eine Chance. Er darf
mit niemandem darüber reden und muss
immer allein spielen.
saeculum (2011)
496 seiten
CHF 14.90
loewe
Wieder geht es um ein Spiel: Jugendliche
müssen fünf Tage im tiefsten Wald wie
im Mittelalter leben. Als kurz vor der
Abfahrt das Geheimnis um den Spielort
gelüftet wird, fällt ein erster Schatten aufs
Unternehmen: Das abgelegene Waldstück,
in dem das Abenteuer stattfindet, soll
verflucht sein.
die verratenen
(2012)
464 seiten
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«Die Verratenen» ist der erste Band
der «Eleria»-Trilogie, zu der auch «Die
Verschworenen» und «Die Vernichteten»
gehören. Im Mittelpunkt dieser Dystopie
steht die Studentin Ria, die sich einer
perfiden Intrige ausgesetzt sieht.
Fünf (2012)
384 seiten
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rowohlt
Spektakulärer Auftakt zur Serie um Beatrice Kaspary. Die Salzburger Kommissarin
muss sich auf eine blutige Version von
Geocaching einlassen. Eine Frau liegt tot
auf einer Kuhweide; auf ihren Fusssohlen
findet man eintätowierte Koordinaten, die
zu einer in Plastikfolie eingeschweissten
Hand führen – und zu einem Rätsel, dessen
Lösung wiederum zu einer Box mit einem
weiteren abgetrennten Körperteil führt.
14 | tHrIller
tHrIller | 15
Books Nr. 2/2015
tig, Kettenraucher, aber ein brillanter Ermittler –, Mia Krüger – eigentlich aus dem
Polizeidienst ausgeschieden und suizidgefährdet – und Gabriel Mørk, ein Neuling bei
der Mordkommission und Computer-Nerd.
Es entwickelt sich ein düsterer, schneller
und präzis vorgetragener Psychothriller,
bei dem es Bjørk gelingt, engelskalt zu sein,
ohne in effekthascherische Widerlichkeitsorgien zu verfallen. Der junge Norweger
wird sicher auch ausserhalb Skandinaviens eine Fangemeinde finden, die sich
über weitere Abenteuer mit Munch und
Krüger freuen wird.
Eine Menükarte
voller Leichen
Als wäre das Leben nicht schon aufregend genug, ist das Verlangen des Publikums nach Thrillern riesig. Books ist ins
Gruselkabinett gestiegen, hat einige Leichen, pardon, ThrillerPerlen ausgegraben – und präsentiert die aktuelle Menükarte
der besten Neuerscheinungen. Bon appetit!
Josh malerman ist sänger, songwriter – und thrillerautor mit Hang zum Horror.
Stephen Kings Romane waren in der jüngeren Vergangenheit nicht immer über
jeden Zweifel erhaben. Mit «Revival»
zeigt der Vielschreiber jedoch wieder einmal, wo der Hammer hängt und wer der
König im Thriller-Ring ist. Auf der einen
Seite ist der Roman die Geschichte des
Pfarrers Charles Jacobs, der seine Familie
– und damit seinen Glauben – verliert und
sich mehr und mehr zu einem gottähnlichen Dr. Frankenstein aufschwingt. Auf
der anderen Seite erzählt King die Lebensgeschichte von Jamie Morton. Die
Schicksale der beiden Protagonisten berühren einander immer und immer wieder. Dabei zieht King alle Register seines
Könnens. Er führt die Lesenden mit falschen Anspielungen an der Nase herum,
überschwemmt sie mit Szenen, die eine
fast unheimliche Kraft besitzen, setzt sie
metaphorisch in den gemütlichen Beobachtersessel und reisst sie im nächsten
Moment mit einem Ruck wieder raus und
schleift sie hinter sich her. Wer mittlerweile vom König abgefallen ist, sollte sich
schnellstens wieder unter seine Untertanen mischen. Long live the King!
stephen king zeigt allen wieder einmal, wo der
Hammer hängt.
Nun gut, so ganz reicht Tess Gerritsen
nicht an die Meriten von Stephen King heran. Als kleine Königin der Thriller geht sie
aber schon durch, zumal ihre Serie um die
Ermittlerinnen Rizzoli und Isles mittlerweile auch erfolgreich im Fernsehen läuft.
Was, wenn man die Welt draussen nur
noch mit verbundenen Augen erleben
könnte? Was, wenn der ach so verführerische kurze Blick den sicheren Tod bedeutet? Niemand weiss, wer oder was die
Menschen in den Wahnsinn und dann in
den Selbstmord treibt. Sicher ist nur: Alle
Opfer haben zuvor irgendetwas – oder irgendjemanden – gesehen. Deswegen hat
Malorie mit ihren beiden Kindern seit vier
Jahren das Haus nicht mehr verlassen. Sicher ist sicher. Noch sicherer wäre es allerdings, wenn sie nicht ganz allein leben
würden. Also machen sich die drei auf den
Weg. Ohne zu sehen, wohin die Reise geht.
Ist Josh Malermans «Bird Box» noch ein
Thriller, oder liegen die Leichen hier schon
im Reich des Horrors? Sicher ist jedenfalls, dass der US-amerikanische Sänger,
Songwriter und Autor in vielen Revieren
wildert, um seine beklemmende, düstere,
postapokalyptische und hochoriginelle
Geschichte zu erschaffen. Und dass seine
Geschichte einen nicht mehr loslässt, bis
man die letzte Seite gelesen hat.
der Held bei Christoffer Carlsson ist eine menschliche ruine. typisch schwedisch!
in seinem Wohnhaus in Stockholm eine
drogenabhängige Prostituierte ermordet
wird, sind seine Ermittlerinstinkte sofort
hellwach. Das ist auch gut so, denn dass der
Mord etwas mit ihm und seiner Vergangenheit zu tun hat, wird schnell klar. «Der Turm
der toten Seelen» ist ebenso Krimi wie
Thriller oder Psychodrama und Gesellschaftskritik – typisch schwedisch eben.
Der Norweger Samuel Bjørk beschäftigt
sich in seinem viel bejubelten Thrillerdebüt «Engelskalt» mit Kindermorden: Als
ein Spaziergänger im Wald ein Mädchen
findet, das mit einem Springseil an einem
Baum aufgehängt ist und ein Schild mit der
Aufschrift «Ich reise allein» um den Hals
trägt, schickt der Autor ein ungewöhnliches Team ins Rennen um die Aufklärung:
Kommissar Holger Munch – übergewich-
tess gerritsen schneidet das eine oder andere
organ heraus, um ihre geschichte voranzutreiben.
Um deren aktuellen Fall geht es in «Der
Schneeleopard». Wie immer harmonieren
die so unterschiedlichen Hauptfiguren
blendend miteinander, während sie einen
Fall aufklären, der mit einem toten Jäger
beginnt, mit herausgeschnittenen Organen
weitergeht und über Afrika zu einem verschwundenen Schneeleopardenfell führt.
Gerritsen treibt dabei nicht nur die actiongeladene Geschichte mit sicherer und
ziemlich expliziter Schreibe voran, sondern schafft es auch, Rizzoli und Isles weiterzuentwickeln. Kommt es gar zur Trennung der erfolgreichen Ermittlerinnen,
weil es Isles nach San Francisco zieht?
Natürlich haben auch die Autorinnen und
Autoren aus dem hohen Norden ein gewichtiges Wort mitzureden, wenn es um
Thriller geht. Da ist zunächst einmal «Der
Turm der toten Seelen» von Christoffer
Carlsson. Der junge Schwede knüpft mit
diesem ersten Band einer neuen Serie um
den Polizisten Leo Junker bei dem an, was
seine arrivierten Kolleginnen und Kollegen schon seit Jahren so beliebt macht: Er
erschafft einen Cop, der nicht nur Ecken
und Kanten hat, sondern eigentlich eine
Ruine ist. Suspendiert, psychisch angeschlagen und dem Alkohol nicht eben abgeneigt. Aber ein Cop ist ein Cop, und als
auch samuel bjørk bevorzugt Figuren mit ecken,
kanten und einigen rissen.
da kann einer aus dem vollen schöpfen:
leif gw persson war profiler.
Leif GW Persson ist im Gegensatz dazu
ein alter Thriller-Hase. Er hat bereits
1978 seinen ersten Roman veröffentlicht.
Sein aktuelles Buch, «Der glückliche
Lügner», macht einmal mehr deutlich:
Persson, der Kriminologe und ehemalige
Profiler, kennt die Polizeiarbeit so gut,
dass er sich ganz auf die Geschichte konzentrieren kann. Und die beginnt mit der
Leiche eines bekannten Rechtsanwalts.
Wieder einmal ist Kommissar Evert Bäckström, der Mann für die wirklich dreckigen Fälle, zur Stelle. Es stellt sich
heraus, dass der Rechtsanwalt kurz vor
seinem gewaltsamen Ableben eine wertvolle Kunstsammlung inklusive einer russischen Pinocchio-Spieluhr veräussert
hat. Aber an wen? Und in welchem Zusammenhang steht Pinocchio mit dem
Mord? Vieles scheint bei diesem Fall nicht
zusammenzupassen, und als auch noch
der wichtigste Augenzeuge verschwindet,
startet die Geschichte erst richtig durch.
Persson ist ein Meister der Beobachtung,
ein Meister der Sprache und einer, der vor
der für einen Thriller nötigen Härte nicht
zurückschreckt, allerdings ohne zu übertreiben.
Die Damen der Schöpfung sind bei dieser
Zusammenstellung zwar in der Unterzahl.
Sie werden durch Wiebke Lorenz jedoch
würdig vertreten. Die Düsseldorferin – eine
Hälfte des schwesterlichen Autorengespanns Anne Hertz – erweist sich mit ihrem Roman «Bald ruhest du auch» als fast
schon teuflisch perfid. Ganz nach dem Motto «Einen hab’ ich noch!» gelingt es ihr,
Seite für Seite immer wieder einen draufzusetzen. Ein Beispiel gefällig? Lena ist
schwanger, als ihr Mann bei einem Autounfall ums Leben kommt. Schlimm genug.
wiebke lorenz erweist sich in ihrem neuen
thriller als fast schon teuflisch perfid.
16 | tHrIller
Doch vier Wochen nach der Geburt wird
Töchterchen Emma auch noch entführt.
Nicht etwa «nur» wegen eines Lösegelds,
sondern um Lena leiden zu lassen. Denn es
wird schnell klar, dass Lena für irgendetwas büssen soll. Nur wofür? Und wer steckt
dahinter? Jede neue Figur, jede neue Wendung lässt beim Publikum die Alarmglocken schrillen und Seite um Seite verschlingen bis zum grossen, vermutlich auch
langjährige Thriller-Fans überraschenden
Finale. Wobei: Selbst da setzt Wiebke Lorenz dann noch einen obendrauf.
Der Flügelschlag eines Schmetterlings in
Brasilien kann über Texas einen Tornado
auslösen. Oder anders gesagt: Kleine Ursachen können grosse Wirkung haben,
wie der Roman «Der letzte Morgen» von
Ryan David Jahn zeigt. Da ist zum einen
Sandys Mord am verhassten Stiefvater
mit einer selbstgebastelten Pistole; da ist
zum anderen der Mord des Buchhalters
Teddy an einem nervigen Croupier. Wer
am Ende aber den Kopf hinhalten muss
und zum Sündenbock gestempelt wird, ist
der Milchverkäufer Eugene – einfach,
weil er zur falschen Zeit am falschen Ort
war. Jahn zeichnet sein Los Angeles aus
dem Jahr 1952 als einen Ort, an dem jeder auf irgendeine Weise beschädigt ist
und jeder irgendwie Dreck am Stecken
hat – selbst die eigentlich «Guten». Mehr
als einmal fühlt man sich beim Lesen an
die «Sin-City»-Comics und -Filme erinnert, auch weil die Geschichte vor Dreck,
Brutalität und Abgründigkeit nur so
strotzt. Ein wenig Geduld muss die geneigte Leserschaft jedoch aufbringen,
denn Jahn hat einen Hang zu Beschreibungen, den man schon fast als exzessiv
bezeichnen kann und der die Geschichte
eher als Panzer denn als Ferrari daherkommen lässt.
Dass italienische Autoren mit Sprache
meisterhaft umgehen können, ist wirklich
kein Geheimnis. Sandrone Dazieri bildet
da keine Ausnahme. In «In der Finsternis» erzählt er von Dante Torre, dessen
besondere Gabe es ist, Menschen lesen zu
können. Diese Gabe entwickelte er während der elf Jahre, die er in einem Betonverlies verbrachte – dort galt es, die Absichten seines Entführers, den er Vater
nennen musste, möglichst frühzeitig zu
erkennen. Jahre nach Dantes Befreiung
verschwindet wieder ein Junge, und Dante
ist sich sicher, dass «Vater» wieder zugeschlagen hat, auch wenn alle glauben, dieser sei tot. Nur die suspendierte Polizistin
Colomba Caselli glaubt Dante und lässt
sich von ihm auf eine Fährte führen, die zu
vielen weiteren Entführungen und direkt
in die Abgründe ihrer eigenen Vergangenheit führt. Es passiert selten, dass man wie
hier mit Gänsehaut vor einem Buch sitzt –
nicht nur wegen der vielen thriller-typischen Elemente, sondern auch wegen der
beklemmend detailliert geschilderten vermeintlichen Kleinigkeiten, die Dazieri in
den Plot webt.
und schliesslich als Grieche Marko Voronis
auf einer kleinen Insel in der Bretagne untertauchen muss. Er verdingt sich als Fischer, stets argwöhnisch beäugt von den
Einheimischen. Als ein anderer Fischer
ermordet wird, ist für die Dorfbewohner
klar: Der Fremde ist schuld! Genau genommen ist «Der fremde Bretone» wohl eher
Krimi als Thriller, denn trotz aller Morde
kommt der Thrill doch ein wenig kurz.
Aber vielleicht ist das ja genau das, was
man zwischen aufgehängten Mädchen und
weggesperrten Jungs zur Abwechslung
braucht?
Und noch einmal geht die Reise in die
Abgründe der menschlichen Psyche, wo
Rachsucht, Alkoholsucht und andere finstere Gemeinheiten lauern. «Der Psychiater» von John Katzenbach entführt uns
ins schwülwarme Miami, wo der Student
«Moth» gegen seine Sucht kämpft. Mithilfe seines Onkels Ed, eines Psychiaters, ist
er nun schon seit fast 100 Tagen clean und
bekommt allmählich sein Leben auf die
Reihe. Umso schlimmer ist der Schlag, als
er seinen Onkel tot im Büro findet. Selbstmord, sagt die Polizei. Mord, sagt «Moth»,
und er zieht aus, den Fall aufzuklären –
nachdem er in einem heftigen Rückfall
wieder zur Flasche gegriffen hat. Katzenbach liefert einen Psychothriller der heftigen Art ab. Zynisch, sarkastisch und schonungslos direkt fühlt man sich beim Lesen
manchmal wie auf der berühmten Couch,
auf der selbst das Innerste nach aussen
gekehrt wird. Geht es nach Katzenbach,
so ist Rache wohl ein Gericht, das am besten kalt serviert wird. Eiskalt.
Aktuelle Politik, alte Legenden und Alltagsgeschehen so miteinander zu verquicken,
dass daraus ein spannender Thriller entsteht, ist eine grosse Leistung. Mit «Der
fremde Bretone» gelingt dies Emmanuel
Grand auf überzeugende Art und Weise.
Für einmal treibt kein mordender Irrer
den Plot der Geschichte an. Vielmehr fängt
alles damit an, dass der Ukrainer Marko
Woronin aus seiner Heimat flüchtet, sich
dabei mit der ukrainischen Mafia anlegt
John katzenbach hat einen psychothriller der
heftigen art abgeliefert.
revival
In der Finsternis
stePhen kInG
512 seiten
CHF 33.90
Heyne
sanDrone DazIerI
560 seiten
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tess GerrItsen
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GranD
400 seiten
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544 seiten
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goldmann
taschenbuch
Im Thriller-Genre kommt eine Leiche bekanntlich selten allein. Das gilt für
«Schwarze Strömung» von Sharon Bolton gleich in doppelter Hinsicht. Zum einen
handelt es sich hier bereits um den vierten
Fall von Lacey Flint. Zum anderen stösst
eben jene Lacey Flint auf mehr als nur eine
in der Themse versenkte Frauenleiche. Dabei hat sie sich doch extra zur Marine Unit
der Londoner Polizei versetzen lassen, damit sie mit solchen Dingen nichts mehr zu
tun haben muss! Es scheint aber, als wolle
der Täter Lacey in die Geschehnisse verwickeln. Und es scheint auch, als beobachte
er sie ständig, um immer einen Schritt voraus zu sein. Hinterlistig, nicht wahr? Aber
so kennen und mögen wir sie ja, die Täter
in der Welt der Thriller.
John katzenbach
576 seiten
CHF 28.90
droemer knaur
der turm der
toten seelen
engelskalt
sharon boltons Heldin lacey Flint wollte mit toten
eigentlich nichts mehr zu tun haben. pech gehabt!
ein meister der sprache: der Italiener sandrone
dazieri.
die neue geschichte von ryan david Jahn strotzt nur
so von dreck, brutalität und abgründigkeit. schön!
tHrIller | 17
Books Nr. 2/2015
der glückliche
lügner
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bald ruhest du
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morgen
ryan DavID Jahn
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Heyne
18 | büCHer zum meer
büCHer zum meer | 19
Books Nr. 2/2015
Lest den Ozean!
Am Strand ein Buch lesen? Das kommt der Vorstellung vom
Paradies doch ziemlich nahe. Und wie wäre es, am Meer gleich
auch noch über dasselbe zu lesen? Drei Books-Redakteure
haben sich Neuerscheinungen zu Seereisen und Strand ausgesucht – und empfehlen diese in E-Mails nicht nur einander,
sondern natürlich auch Ihnen.
marius leutenegger, erik brühlmann, Jonas bühler
dankenspielen und bissigen Bemerkungen. Beispiel gefällig? Bitte: «Man muss
wirklich zu äusserster Gleichgültigkeit
entschlossen sein, um nicht vor Kummer,
vor Abscheu und vor Scham zu weinen,
wenn man den Menschen sprechen hört.»
Da hat Maupassant natürlich Recht. Und
er beweist gleich selber: Den Menschen zu
lesen, das immerhin kann ein himmlischer Genuss sein. Packt dieses Buch in
den Strandsack, kann ich da nur sagen!
Herzlichst
marius
auf see
Guy De mauPassant
200 seiten
CHF 22.90
unionsverlag
schreitende Zeit ihr endlich die Augen öffnete. Es gibt wenige Autoren, die mit wenigen Worten viel ausdrücken, die grosse
Geschichten auf kleinem Raum unterbringen können. Van der Kwast schafft es
scheinbar mühelos und liefert eine Perle
ab, die man immer wieder ansehen – oder
vielmehr lesen – möchte.
En Gruess
Erik
Fünf viertelstunden bis
zum meer
ernest van Der kWast
96 seiten
CHF 26.90
mareverlag
Lieber Marius
Lieber Jonas
liebe kollegen
Zum Auftakt lege ich euch ein Buch ans
Herz, das uns in eines der berühmtesten
Feriengebiete bringt: an die Côte d’Azur,
Symbol für so stilvolle wie opulente Sommertage zwischen Mittelmeer, gutem Essen, Kultur und Natur. Hier lebte zeitweilig auch der französische Romancier Guy
de Maupassant (1850–1893). Sein berühmtestes Werk ist der autobiografisch
angehauchte, bissig-sarkastische Roman
«Bel-Ami» über einen Playboy in Paris.
Tatsächlich war Maupassant selber ein
ziemlicher Frauenheld; bei einer seiner
Geliebten steckte er sich mit Syphilis an,
die ihn jung dahinraffen sollte, und die
Angst vor der Krankheit verdüsterte sein
eher ausgelassenes Gemüt zunehmend.
Gegen Ende seines kurzen Lebens zog
sich der Schriftsteller mehr und mehr zu-
rück, gern auch auf seine Yacht Bel-Ami,
die er sich an der Côte d’Azur hielt. Das
Buch «Auf See» handelt von einem zweiwöchigen Ausflug auf ebendieser Yacht;
mit seiner Mannschaft – dem zuverlässigen Bernard und dem zupackenden Raymond – reist Maupassant der schon damals beliebten Küste mit ihren herrlichen
Badeorten Cannes, Saint-Raphaël oder
Saint-Tropez entlang. Von der Reise bringt
er ein Tagebuch nach Hause, das natürlich nur vorgibt, ein solches zu sein; in
Wirklichkeit handelt es sich um sorgsam
ausgearbeitete, aber luftig-leichte Aufsätze, die manchmal so sommerlich daherkommen wie ein Roséwein, manchmal so dunkel sind wie ein Kaffee. Subtile
Beschreibungen, die einen das Meer
förmlich riechen lassen, wechseln ab mit
spritzigen Anekdoten, geistreichen Ge-
Zuerst ein Dankeschön für den Tipp! Meiner ist, ich muss es sagen, für einen
Strandsack fast zu schade. Es wäre stillos, ein Büchlein, das auf lediglich knapp
hundert Seiten grosse Gefühle derart mitreissend, aufwühlend und dennoch fast
chirurgisch präzis auf den Punkt bringt,
zwischen Unterwäsche und Strandschuhe
zu stecken. Wobei ... der Strand spielt bei
«Fünf Viertelstunden bis zum Meer» von
Ernest van der Kwast schon eine zentrale
Rolle. Schliesslich erblickte der pubertierende Ezio die wunderschöne und aufreizende Giovanna das erste Mal am Strand
von San Cataldo im Süden Italiens. Er
verliebte sich in sie, buhlte um ihre Gunst,
wurde wieder und wieder zurückgewiesen, bis der Schmerz schliesslich zu gross
wurde. Ezio floh, weg vom Schauplatz der
unerfüllten Liebe, hinauf nach Bozen, wo
er die nächsten sechs Jahrzehnte als Apfelpflücker verbrachte – nicht glücklich,
aber zumindest auch nicht unglücklich.
Und «seine» Giovanna? Sie wurde zur
Strandverführerin, zur Geliebten – aber
eben auch zur einsamen Frau, die nicht
erkannte, welches Puzzleteil ihr Leben
komplett machen könnte. Einmal schrieb
Ezio Giovanna einen Brief und bat um
«die grossen Worte». Doch so sehr es Giovanna auch versuchte, sie schaffte es
nicht, diese Worte zu Papier zu bringen.
Zumindest nicht, bis die unerbittlich fort-
Victoria» befinden sich auch Mina Ahlhusen und
Bethy Borgmann mit ihren Familien. Die beiden
Mädchen wuchsen fast wie Schwestern auf und
sind beste Freundinnen; ihre Eltern begegnen einander nach einem einige Wochen zurückliegenden Streit aber mit kalter Verachtung. Doch nun
müssen sie alle die kommenden Monate zusammen auf demselben Schiff verbringen – beste Voraussetzungen also für heftige Gefühle und giftige
Familien-Fehden, denen sich auch Mina und Bethy
nicht entziehen können. Beim Lesen merkt man,
dass die Autorin Carla Federico Geschichte studiert hat. Akribisch genau erzählt sie vom Leben
des industriellen Grossbürgertums in Hamburg.
Auch für die Beschreibung des Schiffs und der
Landausflüge hat sie mit äusserster Sorgfalt recherchiert; historisch interessierte Leserinnen
und Leser finden in diesem Buch deshalb mehr als
genug Fakten über Schiffbautechnik, Tourismus,
Politik, Kunst und Kultur um 1890. Diese Neuerscheinung richtet sich also an alle, die grosse
Geschichten von Liebe und Verrat mögen – und
auch an jene, die eine grossartige Epoche bis ins
kleinste Detail erforschen und erfahren wollen.
Und ihr zwei werdet ja wohl zu der einen oder
der anderen Gruppe gehören!
gruss
Jonas
Hallo zusammen
der traum von meer
und wind
Vielen Dank für eure stimmungsvollen Ferienbuch-Tipps. Da passt mein Tipp natürlich bestens
dazu. Der Reiseroman «Der Traum von Meer und
Wind» erzählt von der allerersten Kreuzfahrt der
Geschichte im Jahr 1891. Die zweimonatige Reise
entführt die Gesellschaft der Hamburger Grossbürger und Adligen aus dem eisigen deutschen
Winter ins warme Mittelmeer, wo zahlreiche
Landausflüge und Abenteuer an fremden Küsten
auf sie warten. Mit an Bord des luxuriös umgebauten ehemaligen Auswandererschiffs «Augusta
carla feDerIco
672 seiten
CHF 21.90
knaur
men. Man greift sich ständig an den Kopf:
Was brachte zwei arme Muschelfischer
aus New Jersey im Jahr 1896 bloss auf die
komplett beknackte Idee, in einem offenen Ruderbötchen, das normal tickende
Menschen höchstens für eine kleine Lustfahrt auf dem Greifensee nutzen würden,
über den Atlantik zu rudern? Warum setzte der Liverpooler Tristan Jones jahrelang
sein Leben aufs Spiel, um mit demselben
Boot sowohl auf dem höchst- als auch auf
dem tiefstgelegenen schiffbaren Gewässer der Erde zu segeln – auf dem Toten
Meer und dem Titicacasee? Wie Fitzcarraldo im legendären Film schleppte der
Mann sein Schiff durch den Dschungel
und über Berge. Nichts konnte ihn – oder
eine andere Figur des Buchs – stoppen!
Schön ist immerhin, dass fast alle der beschriebenen Unternehmungen gut ausgehen. Von jenen, die bei ähnlichen Abenteuern ums Leben kamen, spricht ja auch
niemand; der Grat zwischen Held und
Spinner ist bei solchen Expeditionen nun
einmal sehr schmal. Das Buch zeigt auf
amüsante Weise auf, wie Männer ticken,
wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt
haben. Und es belegt, dass das Meer nach
wie vor die ideale Spielwiese für Hasardeure ist. Mal ehrlich: Beneidet ihr diese
Draufgänger irgendwie nicht auch dafür,
dass sie einfach durchziehen, wovon ihnen nun wirklich alle abraten?
bis bald
marius
wie man sich allein auf
see einen zahn zieht
ebba D. DrolshaGen
208 seiten
CHF 38.90
Corso
liebe kollegen
«Mein Tipp ist, ich
muss es sagen, für
einen Strandsack
fast zu schade. Es
wäre stillos, ein solches Büchlein zwischen Unterwäsche
und Strandschuhe
zu stecken.»
Ihr seid mir ja ganz schön extrem – entweder mickrige 96 oder dann gleich fette 672
Seiten! Als Strandlektüre käme in meinem
Fall wohl eher die erste eurer Empfehlungen in Frage, denn länger als einen halben Tag herumliegen kann ich nicht. Ich
bin lieber unterwegs, und damit teile ich
die Neigung der Protagonisten meines
nächsten Tipps: «Wie man sich allein auf
See einen Zahn zieht». Das ist im Unterschied zu den bisherigen Empfehlungen
ein Sachbuch, aber eines, das sich wie ein
Schelmenroman liest. Die norwegischdeutsche Autorin Ebba D. Drolshagen
breitet darin höchst vergnügt – und nicht
minder vergnüglich – zehn wahre Abenteuer wagemutiger Kerle aus, die so irrsinnige wie sinnfreie Seereisen unternah-
Lieber Marius
Lieber Jonas
Vor allem bin ich froh, dass wir von solchen Abenteurern lesen können! Schliesslich ist das Kopfkino mindestens ebenso
spannend wie der Dschungel – und weit
weniger gefährlich. Aber, lieber Marius,
jetzt hast du natürlich den Historiker in
mir geweckt. Da komme ich nicht umhin,
euch «Auf dem Meer» von Edmondo de
Amicis (1846–1908) unter die sonnengebräunten Nasen zu reiben. Zwar zeichnet
das Cover die Geschichte der Überfahrt
20 | büCHer zum meer
büCHer zum meer | 21
Books Nr. 2/2015
Hallo zusammen
von 1800 italienischen Auswanderern
nach Uruguay als Roman aus. Allerdings
ist es einer jener Romane, die auf wahren
Begebenheiten beruhen. De Amicis war
Soldat, Schriftsteller, Journalist, Kriegsberichterstatter und Chronist und ist viel
herumgekommen, unter anderem auch
per Ozeandampfer bis nach Uruguay.
Sein Roman-cum-Bordtagebuch «Auf dem
Meer» aus dem Jahr 1889 wurde nun das
erste Mal ins Deutsche übersetzt und
führt Leser und Leserinnen während der
22-tägigen Überfahrt durch einen nautischen Mikrokosmos. Da sind die wenigen
Passagiere der ersten Klasse, die halbwegs anständige Kajüten haben; die noch
minder zahlreichen Passagiere der zweiten Klassen und die grosse Masse derer,
die irgendwo im Schiff unter der Bezeichnung dritte Klasse hausen. Bauern, Handwerker, Abenteurer, Verfolgte – es gibt
wirklich nichts, das es nicht gibt. So ist es
denn auch weniger die Rahmenhandlung,
die dieses Buch lesenswert macht; vielmehr versteht es de Amicis ebenso meisterlich wie Herman Melville in «Moby
Dick» oder Mark Twain in «Leben auf dem
Mississippi», die Zustände und Befindlichkeiten auf einer solchen Reise heraufzubeschwören: «Die meisten Matrosen
hausen wie die Tiere, das Krankenzimmer
ist ein Loch ... und für 1600 Passagiere
der dritten Klasse gibt es kein einziges
Bad!» Da kann man es doch dem Koch
heute ruhig einmal nachsehen, wenn der
Braten auf der Luxuskreuzfahrt ein wenig
trocken ist – oder?
Was für abenteuerliche Buchtipps! Allerdings lebten die von euch beschriebenen Abenteurer in
längst vergangenen Zeiten. Heute gibt es aber
auch noch Helden und wagemutige Männer, die
sich unerschrocken den Gewalten des Meers entgegenstellen. Dabei machen sie eine gute Figur –
denn sie sind Surfer. Mein nächster Buchtipp an
euch handelt von den Helden in Wetsuits. In
«Surferboy» will ein junger Kalifornier aus dem
San Fernando Valley zu einem echten Wellenreiter werden. In lässiger Surfersprache erzählt er
dem Leser von seinen Erlebnissen als Anfänger
auf dem Brett. Er berichtet von aggressiven einheimischen Surfern, profitgierigen Boarddesignern, kiffenden Hobbywellenreitern und natürlich von Mädchen, die total auf Surfer stehen. Viel
wichtiger als die Personen sind jedoch die Strände, an denen sich der Protagonist in der Kunst
des Surfens übt. Von Malibu über Hollywood-atSea bis zur verlassenen Insel in Mexiko beschreibt
der junge Abenteurer Riffs, Wellen und Gezeiten
mit ansteckender Begeisterung. Dabei schmückt
er seinen Surferslang mit unzähligen Fachbegriffen, deren Bedeutung er grösstenteils selber nicht
kennt. Zum Glück hat Autor Kevin McAleer am
Ende des Buches ein Glossar angehängt. Dort
finden sich einfache Begriffserklärungen für alle
Anfänger und Landratten. Denn gerade auch an
die richtet sich dieses humorvolle Szene-Porträt,
das unter Surfern bereits Kultstatus erreicht hat.
Wollt ihr euch also ins Abenteuer mit den Wellen
stürzen, ohne dabei nass zu werden, bietet dieses
Buch die ideale Möglichkeit dazu.
gruss
Jonas
surferboy
kevIn mcaleer
272 seiten
CHF 28.90
mareverlag
En Gruess
Erik
ganz heissen Tipp für dich. «Endloser
Sommer» hält, was sein Untertitel verspricht – «Ein literarischer Surftrip». Das
Buch vereint etwa zwanzig Geschichten
und Reportagen rund ums Wellenreiten.
Wenn ihr jetzt trendige Szenebeiträge erwartet, habt ihr euch geschnitten. Denn
Surfen ist, was mir so gar nicht bewusst
war, uralt und schon ewig ein literarisches
Thema. Als die ersten Europäer im 18.
Jahrhundert nach Hawaii kamen, waren
sie platt wie ein Surfbrett, als sie die jungen
Insulaner bei ihren wilden Ritten auf riesigen Wellen entdeckten. Natürlich versuchten sie schleunigst, den Eingeborenen
solch teuflisches Tun auszutreiben. Denn
was offenkundig so viel Spass macht, war
nichts für die steifen Herren von der Mission. Und erst recht nichts für die Eroberer,
die keine fröhlichen, sondern fleissige Untertanen brauchten. Fast wäre so eine
4000 Jahre alte Tradition verschwunden,
doch im 20. Jahrhundert erlebte das Wellenreiten eine gewaltige Renaissance.
«Endloser Sommer» breitet die Geschichte
einer Sportart – nein: einer Kultur! – anhand von Texten aus ganz verschiedenen
Epochen vor uns aus. Mit dabei sind Jack
London, der selber ein ganz passabler Wellenreiter war, oder der sagenhafte Mark
Twain, der sich nie auf dem Brett halten
konnte; man kann ihn sich ja auch gar
nicht so recht im Badeanzug vorstellen.
Der schreckliche Captain Cook, der den
Eingeborenen wohl schlimmer vorkam als
Captain Hook den verwunschenen Kindern, ist ebenso vertreten wie Hermann
Melville oder Tom Wolfe. Doch eines müsst
ihr wissen: Das Buch lesen und dann keine
Lust auf Surfen zu haben – das geht nicht.
Herzlichst
marius
auf dem meer
eDmonDo De amIcIs
192 seiten
CHF 52.00
Corso
Liebe Kollegen
lieber erik
lieber Jonas
Erneut vielen Dank für eure Tipps. Ich
muss wohl meine Sommerferien verlängern, um von ihnen profitieren zu können
– und es für einmal wirklich mit dem Liegestuhl probieren. Jonas, mir war zwar
bekannt, dass du schon Matrose in Holland
warst, aber ich wusste nicht, dass du ein –
zumindest literarisches – Interesse am
Surfen hast. Zum Glück habe ich jetzt einen
endloser sommer
eIn lIterarIscher surftrIP
236 seiten
CHF 21.90
tropen
Man kann doch bestimmt auch in Down
Under prima surfen, oder? Dahin, genauer gesagt nach Tasmanien, bringt uns
nämlich mein letzter Tipp für diese Leseferien: «Der Himmel über uns» von Favel
Parrett. Gebt es zu, ihr habt gerade das
Cover angeschaut und euch gefragt, seit
wann es in Tasmanien Pinguine und Eisschollen gibt! Dazu muss man wissen,
dass Tasmaniens Hauptstadt Hobart seit
vielen Jahrzehnten Ausgangspunkt für
Arktisexpeditionen ist. «Aha, ein Abenteuerroman!» Nein, liebe Kollegen, ganz
und gar nicht. Zwar geht es um das dänische Versorgungsschiff «Nella Dan»; die
eigentliche Expedition ist der – übrigens
in Hobart geborenen – Autorin aber nur
ein paar Zeilen wert. Einen Liebesroman
liessen Titel und Cover wohl noch vermuten, doch auch dies stimmt nicht wirklich.
Vielmehr geht es in diesem Roman um Familien: jene der kleinen Isla, ihres Bruders und der geschiedenen Mutter in Hobart; jene des dänischen Schiffskochs Bo
in seiner Heimat und auf der «Nella Dan»;
und um jene, die spontan um Menschen
herum entsteht, die einander mögen und
verstehen. Das klingt jetzt etwas kryptisch, nicht wahr? Nun, Favel Parrett
macht es uns mit ihren inhaltlichen und
zeitlichen Verschachtelungen auch nicht
leicht, den verschiedenen Strängen zu folgen. Das macht den Roman zwar zusätzlich interessant, aber eben auch nur bedingt geeignet zur Lektüre zwischen
Grillwurst und Beach-Party. Eine Geschichte für die Heimreise vielleicht?
En Gruess
Erik
der Himmel über uns
favel Parrett
220 seiten
CHF 31.90
Hoffmann & Campe
die drei von der aquatischen lesetruppe: erik brühlmann, nachwuchs-matrose Jonas bühler
und marius leutenegger.
«Surfen ist, was
mir so gar nicht
bewusst war, uralt
und schon ewig
ein literarisches
Thema.»
22 | Im sCHauFenster
Geschlecht als Bürde
In ihrem neuen Roman «Die gleissende Welt» führt uns Siri
Hustvedt auf eine Schnitzeljagd nach der Identität ihrer Protagonistin. Diese macht ihre Person zum Kunstprojekt.
benjamin gygax
Books Nr. 2/2015
Im sCHauFenster | 23
ren Ende. Harry Burden hat sich für ihren
Auftritt eine fremde Identität angeeignet,
doch das Spiel kehrt sich ins Gegenteil.
Einer der Männer eignet sich das Werk der
Künstlerin an, als sie endlich Anerkennung
findet. «So ein gut aussehender Mann! Gesalbt, viel gepriesen, trägt er seine Lorbeeren. Eitel, denke ich, wahrscheinlich sehr
eitel, aber sind wir das nicht alle?», urteilt
Harriet Burden.
über Frauen. Er thematisiert zudem heute
absurd wirkende Ungerechtigkeiten des
patriarchal geprägten Gesetzes, etwa dass
«Weibszimmer» ihren Schwängerer nicht
wegen Vaterschaft belangen konnten, wenn
dieser bekanntermassen verheiratet war.
Ohne Chance
In «Die Verlorene» erzählt Michèle Minelli die gut dokumentierte Geschichte einer jungen Thurgauerin, die 1904 zum Tod
verurteilt wurde. Der Zürcher Schriftstellerin ist ein faszinierender historischer Roman gelungen, der auch den gesellschaftlichen Hintergrund schildert.
die new Yorker autorin siri Hustvedt ist eine
geistreiche erzählerin und hat sich in ihren bisherigen romanen schon oft mit geschlechterfragen
befasst.
ein literarisches puzzle
Harry Burden ist die Figur, um die sich im
neuen Roman der New Yorker Schriftstellerin Siri Hustvedt alles dreht. Der Name
steht aber nicht für einen Mann, sondern
für eine Frau. Mit vollem Namen heisst sie
Harriet. Die Autorin lässt eine Jugendfreundin dieser Harriet erzählen: «Es war
ihr Vater, der sich den Spitznamen ‹Harry›
einfallen liess. Als Analytikerin kann ich
schwer übersehen, dass in dem ‹Kose›Namen offen ein Wunsch zutage trat.» Der
Spitzname ist also ein früher und deutlicher Hinweis darauf, welches Thema sich
die Autorin vorgenommen hat. Der Nachname beseitigt die letzte Unsicherheit:
Burden ist das englische Wort für «Bürde»
oder «Last».
Identität als last und spiel
Harry Burden empfindet ihr Geschlecht bei
ihrer Wahrnehmung als Künstlerin als
Bürde. Doch dieses bekannte Problem ist
nicht ihr einziges. Sie muss sich auch damit herumschlagen, dauernd als die Frau
Die intelligente und belesene Frau rappelt
sich also nach dem Tod ihres Manns auf,
macht ihr Anliegen zum künstlerischen
Spiel und tritt mit drei Ausstellungen an die
Öffentlichkeit – jedes Mal unter dem Namen eines männlichen Alter Egos. «Die Geschichte der Kunst des Westens» von Anton Tish, «Die Erstickungsräume» von
Phineas Q. Eldridge und «Darunter» von
Rune unterschieden sich stark voneinander, wurden aber alle positiv aufgenommen. Hier setzt Siri Hustvedts Buch ein.
Eine Ich-Erzählerin – oder ein Erzähler? –
namens I.V. Hess berichtet in der Einführung, wie die Schnitzeljagd nach der Urheberschaft jener drei Ausstellungen begann.
Danach folgt ein Puzzle: Jedes Kapitel ist
der Beitrag einer anderen Person, sei es
eine Jugendfreundin, der Sohn und die
Tochter, eine Bekanntschaft oder ein
Kunstkritiker. In den unterschiedlichen
Formen und Tonalitäten der Kapitel zeigt
sich Siri Hustvedts Virtuosität. Und die Autorin führt ihre Geschichte bis zum bitte-
die gleissende
welt
496 seiten
CHF 31.90
rowohlt
Die Autorin verwebt das Quellenmaterial subtil
mit literarischer
Fiktion.
WeItere Werke von
sIrI hustveDt
leben, denken,
schauen
496 seiten
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rowohlt
Die 32 Essays in diesen Buch gehen den
Fragen nach: Wie sehen, erinnern und
fühlen wir? Hustvedt schöpft aus Kunsttheorie, Literatur, Philosophie, Psychologie
oder Neurowissenschaften und kreist die
Grundfragen unseres Menschseins ein.
der sommer
ohne männer
352 seiten
CHF 12.90
rowohlt
Die New Yorker Dichterin Mia erleidet
einen Zusammenbruch, als ihr Mann eine
«Pause» will. Sie verbringt den Sommer
in der Nähe ihrer neunzigjährigen Mutter.
Im Kreis alter Frauen und junger Mädchen
entdeckt Mia das Leben neu.
was ich liebte
749 seiten
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rowohlt
Siri Hustvedt erzählt von zwei befreundeten Künstlerfamilien in New York. Vom
Aufbrechen und Ankommen, von Idealen
und Lebensentwürfen, von Eltern und
Kindern – und davon, wie ein Unfall das
sorgsam geplante Glück jäh zerstört.
© ANNe BürGiSSer
© MAriON eTTliNGer
markus ganz
des erfolgreichen Galeristen gesehen zu
werden. Und als dieser früh stirbt, steht
auch ihr privates Sein als Frau und Partnerin zur Disposition. Jetzt gilt sie als reiche
Witwe, die es sich leisten kann, ein bisschen Kunst zu machen. Kurz: Harriet Burden ringt mit der Identität, die ihr in der
Öffentlichkeit zugeschrieben wird. Wer das
jetzt alles etwas zu trübsinnig und kompliziert findet, kann beruhigt werden: Erstens
ist Siri Hustvedt eine geschliffene und humorvolle Erzählerin, zweitens jammert
ihre Protagonistin nicht: «Ich, Harriet Burden, meinen alten Freunden und ausgewählten neuen Freunden auch als Harry
bekannt, bin zweiundsechzig, nicht uralt,
aber auf dem besten Wege zum ENDE, und
ich habe noch zu viel zu tun, bevor eines
meiner Wehwehchen sich als Tumor oder
Wortausfalldemenz entpuppt oder der aus
der Spur gebrochene Lastwagen auf den
Gehweg springt, mich gegen die Wand und
den letzten Atemzug aus mir herausquetscht.»
die zürcher autorin michèle minelli findet den
menschen hinter der signatur ga 002/329.
Es bleibt bis heute schwer verständlich,
warum Frieda Keller 1904 ihren Buben erdrosselte. Michèle Minelli versucht in ihrem neuen Roman «Die Verlorene» die Ursachen dieser Tat zu ergründen, die damals
in der ganzen Schweiz viel Aufsehen erregte: eine Mutter als Mörderin ihres Kinds –
unvorstellbar! Anhand historischer Quellen
zeichnet die Zürcher Schriftstellerin das
Leben der 1879 geborenen und 1942 gestorbenen Schneiderin nach. Gab es bereits
in ihrer unbeschwert wirkenden Kindheit
erste Anzeichen, die zur späteren Tat führten? Klar ist, dass das Leben der jungen
Frau eine dramatische Wendung erfährt,
als sie vom Arbeitgeber, einem Wirt, vergewaltigt wird. Sie stellt keine Vaterschaftsklage – wegen der Schmach einer ungewollten Schwangerschaft und weil sie
glaubt, diese so besser geheim halten zu
können.
männer ohne schuld
In St. Gallen findet Frieda Keller Anonymität und schlecht bezahlte Arbeit. Sie bringt
den Buben in die «Kinderbewahranstalt»,
weil sie überfordert ist. Als der Junge nicht
länger dort bleiben darf, sieht sie keinen
Ausweg mehr und tötet das ohnehin «totgeschwiegene» Kind. Bald wird sie gefasst
und gesteht die Tat. Im stark moralisch geprägten Gerichtsverfahren glaubt man ihr
nicht, dass sie ihre Tat aus Furcht beging,
den Lebensunterhalt des Kinds nicht bestreiten zu können. Der Staatsanwalt wirft
ihr auch vor, sie habe damals den Zudringlichkeiten des Wirts nicht standzuhalten
vermocht und sich ihm hingegeben. Frieda
Keller wird zum Tod verurteilt und dann
begnadigt. Als sie nach fünfzehn Jahren
aus dem Gefängnis entlassen wird, ist sie
eine gebrochene Frau, die sich im Leben
nicht mehr zurechtfindet.
gesellschaft im umbruch
Michèle Minelli beschreibt einige weitere
Personen genauer, etwa einen Landjäger.
Dieser stellt bei der Suche nach dem Täter
fest, dass jeder etwas darüber erzähle, aber
keiner etwas wisse. Diese Romanstelle
zeigt, dass schon lang vor dem Online-Zeitalter sofort Gerüchte ins Kraut schossen
und aus Mutmassungen bald Verleumdungen wurden. Bei den Nebenfiguren sticht
vor allem der Verteidiger Arnold Janggen
heraus, der für Frieda Keller einsteht und
sie auch zum Schreiben ihrer Lebensgeschichte bringt. Janggen steht für den Beginn eines Umdenkens in der Gesellschaft,
vor allem bezüglich der Vorurteile gegen-
Historische authentizität
«Dieses Buch schrieb sich fast von selbst»,
schreibt Michèle Minelli im Anhang mit einigem Understatement. Die 1968 geborene
Schriftstellerin, die für die Familiensaga
«Die Ruhelosen» (2012) und den Kriminalroman «Wassergrab» (2013) viel Anerkennung erhielt, verweist damit auf das viele
zur Verfügung stehende Dokumentationsmaterial. Sie stützte sich beim Schreiben
stark auf Frieda Kellers Lebensbeschreibung, auf Gerichtsakten, Zeitungsartikel
und Briefe, was diesem historischen Roman eine aussergewöhnliche Authentizität
bis ins Detail verliehen hat. Die Quellenliste
führt zudem Schriften auf mit Titeln wie
«Erinnerungen an Bischofszell in früheren
Zeiten», «Materialkunde für textile Berufe»,
«Frauenfleiss. Ein Nachschläge-Büchlein»
und «Sexualisierte Gewalt 1500–1850». Mit
den daraus gewonnenen Hintergrundinformationen konnte Michèle Minelli die Geschichte der Frieda Keller in ein dichtes
Zeit- und Gesellschaftsbild einbetten. Die
teilweise originalgetreue Übernahme des
Quellmaterials ist sprachlich zunächst gewöhnungsbedürftig. Sie verstärkt aber die
Glaubwürdigkeit und die Nähe zum Geschehen, was sich besonders bei der Schilderung des Gerichtsprozesses zeigt.
lebendige geschichte
Die Lebendigkeit der Beschreibungen ist
darauf zurückzuführen, dass Michèle Minelli das Quellenmaterial subtil mit literarischer Fiktion verbunden hat. So wird Geschichte leicht lesbar und lebendig. Und
aus den historischen Figuren werden komplexe Menschen, deren Handeln letztlich
doch irgendwie verständlich wird. Denn
«lange bevor Frieda Keller zu einem Dossier mit der Signatur GA 002/329 zusammenfiel, war sie einmal Mensch», wie
Michèle Minelli im Nachwort schreibt.
die verlorene
440 seiten
CHF 35.90
aufbau
24 | spezIal – er ZäHlUNGeN
Kurz und gut
Kurzgeschichten erfordern keinen
langen erzählerischen Atem, dafür
den scharfen Blick für besondere Momente. Autorinnen und Autoren, die
solche Szenen einprägsam wiedergeben, ziehen uns mit ihren Erzählungen
in Bann – auch auf wenigen Seiten.
spezIal – er ZäHlUNGeN | 25
Books Nr. 2/2015
books
sPezIal
Schlaglichter aufs
Leben
In die Welt eines 500-seitigen Romans einzutauchen, ist ein
grosses Vergnügen. Doch auch kurze Blicke auf ganz verschiedene Szenen sind reizvoll. Solche Schlaglichter auf Menschen
und Ereignisse kann man in Erzählbänden geniessen. Die
Zusammenstellung der Kurzgeschichten macht aus einem
Buch manchmal mehr als deren Summe.
benjamin gygax
edle destillate
Erzählungen leben davon, dass die Leserinnen und Leser in eine Szene eintauchen, ihr kurz folgen, und dann wieder
«weiterziehen» – als würde man durch
eine Stadt schlendern und Menschen beobachten oder Gespräche im Zug oder Restaurant belauschen. Autorinnen und Autoren können das Leben auf interessante
Momente konzentrieren. Will man noch
einmal zu kulinarischen Analogien greifen, so könnte man sagen: Ein Roman ist
ein traditionelles Menu mit üppiger Hausmannskost, eine Sammlung von Erzählungen dagegen eine Abfolge vieler überraschender, aber schön aufeinander
abgestimmter kleiner Speisen. Jede ist
mit Liebe und Sorgfalt zubereitet. Denn
Während vieler Jahre galt in Verlagskreisen: Soll sich ein Buch gut verkaufen,
muss darauf «Roman» stehen. Mit der
Genrebezeichnung «Erzählungen» liegt
es bleischwer in der Auslage. Leserinnen
und Leser schienen Kurzgeschichten im
Allgemeinen nicht besonders zu mögen.
Woran das lag, ist nicht ganz klar. Die Erzählungen litten wohl unter dem Vorurteil, keine vollwertige Mahlzeit zu sein,
sondern nur ein Snack, der nicht richtig
satt macht. Oder aber ein Essen, das aus
lauter Resten besteht, die beim letzten
grossen Kochen irgendwie übrig blieben.
mit einem nobelpreis geadelt
Mittlerweile hat sich diese Sicht auf
die Kurzgeschichte offenbar etwas korrigiert – zumindest erscheinen gegenwärtig
Erzählbände in grosser Zahl. Rehabilitiert
wurde die Kurzgeschichte auch durch den
Entscheid des Nobelpreis-Komitees, den
Literaturnobelpreis 2013 der kanadi-
Die Erzählungen
litten wohl unter
dem Vorurteil,
keine vollwertige
Mahlzeit zu sein,
sondern nur ein
Snack.
alice munro, die königin der kurzgeschichten aus ontario, wurde 2013 mit dem literaturnobelpreis
gekrönt.
schen Schriftstellerin Alice Munro zu verleihen. Die Autorin erntete mit ihrem
Werk von über 150 Kurzgeschichten
schon seit vielen Jahren internationale
Anerkennung. In ihren Erzählungen fängt
sie Szenen des Alltags ein: lebensnah, unspektakulär, aber tiefsinnig. Obwohl die
Autorin nur wenige Seiten beansprucht,
um ihre Geschichte zu entwickeln, packt
sie ihre Leserinnen und Leser mit Figuren, die dank gekonnter Ungereimtheiten
besonders menschlich und echt wirken.
Oft hält sich Munro nicht an die Chronologie. Damit ist sie keine besonders typische
Vertreterin ihrer Kunst; meist kommen
Erzählungen nämlich ohne Zeitsprünge
oder Rückblenden aus, weil die knappe
Form sich für das chronologische Erzählen besser eignet. Ebenso bieten sich Erzählungen dafür an, eine Geschichte nicht
bis zu ihrem Ende zu erzählen, sondern
ihren Ausgang offen zu lassen. Eine Form,
die auch Alice Munro gern wählt.
wer sich nicht darum kümmern muss,
eine Geschichte voranzutreiben oder eine
komplexe Struktur mit vielen Figuren und
Handlungssträngen einzuhalten, kann
sich umso mehr um Stimmungen oder Details kümmern. Allen, die sich bisher eher
an dicke Wälzer hielten, weil sie nicht
gern haben, wenn sie die letzte Seite des
Buchs erreichen, könnte man entgegenhalten: Ob kurz oder lang, jede Geschichte
endet einmal. Bei einem Erzählband hat
man aber das Vergnügen, immer wieder
neu anzufangen.
26 | spezIal – er ZäHlUNGeN
Mal kurz
eintauchen
Auf den folgenden Seiten stellen wir Ihnen brandneue Bücher mit
Erzählungen vor – aber natürlich finden Sie in Ihrer Buchhandlung noch viele weitere Neuerscheinungen mit Kurzgeschichten.
benjamin gygax
Vermächtnis eines unvollendeten Lebens
Die Geschichte klingt, als hätte sie eine
Autorin geschrieben, die gern mal ein
bisschen zu stark auf die Tränendrüse
drückt: Die lebenshungrige junge Frau
will unbedingt Schriftstellerin werden
und die Welt verändern. Sie schreibt Geschichten über den Rausch des Jungseins,
die Freude an der Gemeinschaft und über
die Lust an der Entdeckung der Welt. Wenige Tage nach ihrer Diplomfeier jedoch
stirbt sie in einem Autounfall. Die Ereignisse sind nicht erfunden, sondern haben
sich tatsächlich so zugetragen: Marina
Keegan studierte in Yale. Fünf Tage, nachdem sie ihr Studium mit Magna cum laude
abgeschlossen hatte, starb sie 22-jährig
auf dem Weg zur Geburtstagsfeier ihres
Vaters. Ihr Freund war am Steuer des Autos eingeschlafen und der Wagen überschlug sich. Zwei Jahre nach ihrem Tod
erscheint nun Marina Keegans Erstling
«Das Gegenteil von Einsamkeit». Er beginnt mit dem Satz: «Wir haben kein
Wort für das Gegenteil von Einsamkeit,
aber wenn es eins gäbe, könnte ich sagen, genau das will ich im Leben.» Die
junge Frau schreibt über Träume und berufliche Ambitionen, Beziehungen, Partys und Todesfälle. Natürlich sind die
Texte von Marina Keegan sehr jugendlich; Leserinnen und Leser um die 20
dürften sich in ihnen deshalb besonders
wiedererkennen. Doch auch wer nicht
mehr ganz so jung ist, kann an den Beobachtungen, Reflexionen und Stimmungsbildern dieser Autorin Freude haben. Sie schreibt so mitreissend, witzig
und bisweilen selbstironisch, dass sie
damit ihr Lebensgefühl auch bei älteren
Semestern wieder zum Klingen bringt.
Oder diese freuen sich einfach, daran erinnert zu werden, dass jetzt ihre Kinder
oder Enkel den Rausch des Jungseins
auskosten dürfen. Allerdings soll jetzt
nicht der Eindruck entstehen, die Autorin
könne nur Leben und Gedanken ihrer eigenen Generation beschreiben. Auch
wenn sie erzählt, wie die alternde Balletttänzerin an ihrem körperlichen Verfall
leidet und sich damit Linderung verschafft, dass sie einem jungen blinden
Mann vorliest und sich dabei heimlich
entblösst, zeugt das vom grossen Talent
der früh verstorbenen Autorin.
das gegenteil von einsamkeit
marIna keeGan
288 seiten
CHF 27.90
s. Fischer
die autorin marina keegan wurde nur 22 Jahre alt.
spezIal – er ZäHlUNGeN | 27
Books Nr. 2/2015
Liebe in Krieg und Frieden
Die 1979 geborene Autorin Molly Antopol
wuchs in Kalifornien auf, ihre Familie
stammt ursprünglich aus dem weissrussischen Dorf Antopol. Heute lebt die Autorin
in den USA und in Israel. Molly Antopol
sagt, sie habe Erzählungen schon immer
geliebt. Ihre eigene Sammlung mit Kurzgeschichten hat sie jetzt nach zehn Jahren
Arbeit veröffentlicht. Ihr Erstling «Die Unamerikanischen» wurde hoch gelobt und
mit einem Preis der National Book Foundation ausgezeichnet. Die Autorin beschreibt darin ein Kaleidoskop jüdischen
Lebens in den USA, Europa und Israel.
Zum Beispiel jenes des New Yorker Wäschereibesitzers Howard. Er findet in
um die Gunst von Asaafs schöner Freundin Yael bricht auf. In einer anderen Geschichte berichtet eine Grossmutter ihrer
Enkelin, wie sie sich einer Gruppe jüdischer Partisanen in Weissrussland anschloss und dort mit ihrem künftigen Ehemann zusammenkam. Die Gefahr führt
die beiden in eine Beziehung, obwohl sie
sich mehr als Bruder und Schwester fühlen. Die Autorin erzählt aus der Ich-Perspektive unterschiedlich alter Männer
und Frauen. So verschieden die Personen,
Orte und Handlungen sind – immer geht
es um ersehnte oder missglückte Liebe.
Leicht und zugleich eindringlich schildert
Molly Antopol, wie ihre Figuren in einer
Beziehung Halt suchen auf ihrem mehr
oder weniger dramatischen Weg durchs
Leben. Mit diesem Thema verleiht sie ihren Kurzgeschichten über den historischen und kulturellen Hintergrund hinaus
universale Bedeutung.
die unamerikanischen
molly antoPol
320 seiten
CHF 28.90
Hanser berlin
molly antopol gehört zu den grossen entdeckungen, wenn es um erzählungen geht.
Sveta seine späte Liebe. Die Hochzeitsreise führt die beiden in die Heimat der
Braut, nach Kiew. Zwar stammt auch
Howards Familie aus der Ukraine, doch
eigentlich verspürt er kein Bedürfnis, sich
mit seiner Herkunft zu befassen – er will
einfach sein neues Glück geniessen. Sveta
dagegen wird in der Heimat von ihrer Vergangenheit eingeholt, und ihre Gefühle
für Howard fallen schlagartig in sich zusammen. Was aus diesem Scherbenhaufen wird, überlässt die Autorin unserer
Fantasie. Auch in vielen anderen Geschichten bleibt das Ende offen. So auch
das Schicksal zweier Brüder, die in einer
israelischen Landwirtschaftsgenossenschaft leben und gerade Militärdienst leisten. Asaaf, der ältere der beiden, ist erfolgreich und selbstsicher. Doch bei einem
Unfall mit dem Traktor verliert er einen
Unterschenkel. Auf der Fahrt ins Spital
wird sein jüngerer Bruder Oren zum Helden für kurze Zeit. Der Unfall dreht das
Kräfteverhältnis zwischen den Brüdern,
und die unausgesprochene Konkurrenz
Geschichten von der Couch
«Für mich ist einer der unerfreulichsten
Aspekte des Todes, dass meine ganze Welt
– also meine Welt der Erinnerungen, diese
erfüllte Welt mit all den Menschen, die mir
je begegnet sind, diese scheinbar so in
Stein gemeisselte Welt – mit mir verschwindet, wenn ich sterbe. Zack! Einfach
«Für mich ist
einer der unerfreulichsten Aspekte
des Todes, dass
meine ganze Welt
mit mir verschwindet, wenn ich
sterbe. Zack!»
so.» Hat der bekannte Psychoanalytiker
Irvin D. Yalom deshalb zehn Geschichten
von Menschen, die er in seiner langjährigen Tätigkeit als Therapeut kennenlernte,
für uns aufgeschrieben – damit diese Welt
nicht verschwindet? Der 84-jährige Analytiker würde über diese küchenpsychologische Deutung vielleicht schmunzeln –
Humor besitzt er ja offensichtlich. Seine
Erzählungen in «Denn alles ist vergänglich» sind leicht und humorvoll, aber zugleich alles andere als oberflächlich. Wenn
der Autor uns von seinen Begegnungen
mit seinen Patienten erzählt, zeugt das
von tiefer persönlicher Anteilnahme und
grosser Berufserfahrung: Die todkranke
Ellie sucht Hilfe auf ihrem letzten Weg,
verachtet aber nichts so sehr, wie «die
Krebspatientin» zu sein. Yaloms Unterstützung sucht sie, weil sie davon überzeugt ist, dass er sich mit dem Tod befasst
hat und ihr unbefangen begegnen kann.
Die 50-jährige Natascha hat das Gefühl,
dass ihr das Leben abhanden gekommen
ist, weil sie ihrer intensiven Zeit als Ballerina und ihrer leidenschaftlichen Liebe
nachtrauert. Und der erfolgreiche Geschäftsmann Charles bricht zusammen,
als er erneut den Verlust eines geschätzten Menschen verkraften muss. Irvin Yalom präsentiert uns nicht einfach Porträts
seiner Patienten, sondern erzählt immer
die Geschichte einer Begegnung; er nimmt
seine Gedanken und Gefühle nicht aus.
Die «Geschichten aus der Psychotherapie» – so lautet der Untertitel des Buchs –
sind keine Fiktion. Doch der Autor weiss
die Therapieberichte so tiefgründig zu
verarbeiten und so leichtfüssig zu erzählen, dass sie über die Einzelschicksale hinaus Bedeutung erlangen und sich lesen
wie Kurzgeschichten. Gelegentlich blitzt
in den Schilderungen so etwas wie professionelle Eitelkeit auf, doch die gesteht
man dem arrivierten Autor gern zu.
denn alles ist vergänglich
IrvIn D. yalom
240 seiten
CHF 28.90
btb
Neues vom Altmeister
J. D. Salinger starb 2010 und hinterliess
seinen Leserinnen und Lesern nur wenig.
Sein einziger Roman, «Der Fänger im
Roggen», erschien bereits 1951. Die Erlebnisse des 16-jährigen, psychisch angeschlagenen Holden Caulfield in Manhattan
machten den Autor weltberühmt. Holden
Caulfield verkörperte eine junge Generation, die auf der Schwelle zur modernen
Nachkriegswelt mit den Werten der vorangegangenen Generation rang. Nach der
Veröffentlichung lebte J. D. Salinger ohne
Kontakt zur Aussenwelt hinter hohen
Mauern, und er veröffentlichte nur noch
einige Erzählungen – die letzten vor 50
Jahren. Umso sensationeller war die
Nachricht, dass 2014 «Die jungen Leute»
erscheinen würde. Das Büchlein enthält
drei Kurzgeschichten des einflussreichen
Autors, die er schon in jungen Jahren geschrieben hatte. Es sind seine ersten Erzählungen, und sie lassen bei aller Knappheit ungewöhnliches schriftstellerisches
Talent und feines psychologisches Gespür
erkennen: Salinger erzählt darin mit wenigen Worten und vielen Zwischentönen
28 | spezIal – er ZäHlUNGeN
Nicht weniger morbid ist die Geschichte,
in der Saez seinen Schwiegervater am
Flughafen abholt und zu sich nach Hause
bringt. Der alte Mann, der noch nie aus
seiner Heimat im armenischen Kaukasus
herauskam, stürzt kaum eine Stunde nach
der ersten Begegnung mit Saez aus dem
26. Stock. Lakonisch, manchmal auch mit
schwarzem Humor, erzählt Véronique Bizot diese verschrobenen Anekdoten. Je
schrecklicher die Ereignisse, desto mehr
reizen sie uns zum Lachen – und je seltsamer die Figuren, desto besser scheinen
sie verständlich.
die Heimsucher
véronIque bIzot
288 seiten
CHF 29.90
steidl
von Sprachlosigkeit und Ohnmacht, Sehnsüchten und Eitelkeiten. Wie der Titel vermuten lässt, geht es auch in diesen drei
Geschichten um eine Generation junger
Erwachsener, die mit ihren Sehnsüchten
sozusagen im Wartesaal des Lebens sitzen. Die Gespräche des Partyvolks sind
mit «ich weiss nicht» und «ich meine ja
nur» durchsetzt, denn eigentlich hat er ihr
nichts zu sagen, weil er es auf die Blonde
im anderen Raum abgesehen hat. Die Geschwister platzieren ihre verbalen Hiebe
gegeneinander treffsicher, sie kennen einander ja schon lang genug. Und das junge
Ehepaar unterhält sich darüber, was mit
seiner Tante Rena wird, wenn er in den
Krieg zieht. Sie solle mit ihr hin und wieder ins Kino gehen, findet er: «Einmal die
Woche bringt dich schon nicht um.» Sie
entgegnet enerviert: «Wer hat das denn
gesagt? Habe ich das auch nur einmal gesagt?» «Seit drei Jahren ging das nun, und
immerzu hatte sie mit ihm in Kursiven
gesprochen.» Solche kurzen Szenen gibt
Salinger karg, aber unglaublich einprägsam wieder, und man sieht sie vor sich, als
hätte man sie sich in einem Filmklassiker
angeschaut.
die jungen leute
J.D. salInGer
80 seiten
CHF 21.90
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spezIal – er ZäHlUNGeN | 29
Books Nr. 2/2015
Abstecher ins Düstere
Die 1958 geborene französische Journalistin und Autorin Véronique Bizot begann
erst nach der Hälfte ihres Lebens mit dem
Schreiben von Romanen. Ihr Debüt «Meine Krönung» war 2010 international erfolgreich, und die Autorin erhielt dafür
den Grand Prix du Roman der französischen Schriftstellervereinigung sowie den
Autorinnenpreis Prix Lilas. Jetzt publiziert sie den Erzählband «Die Heimsucher». Ihre Kurzgeschichten bieten einen
eher ungewohnten Genuss: Die Orte und
Menschen scheinen uns zwar vertraut,
doch die Ereignisse kippen oft ins Surreale, die Gedanken sind schräg oder verstörend. Die erste Erzählung handelt von einem Handelsvertreter, der in einer
nächtlichen fremden Stadt zufällig einem
Mann begegnet. Dieser erzählt ihm, er
habe einen Mord begangen. Er hat eine
Frau getötet, und obwohl er die Tat sogar
jeden Abend von der Bühne ins Publikum
schreit, erntet er dafür nur Applaus und
Lacher. Auch die Polizei glaubt ihm nicht
und hat statt ihm seinen Nachbar verhaftet. In einer anderen Kurzgeschichte klagt
der Ich-Erzähler: «Die Gärtner tun erbarmungslos ihre Arbeit, sie liessen sich nicht
wegschicken, sie würden gewalttätig, wir
wissen, was wir zu tun haben, würden sie
mir sagen und ihre Spaten, ihre Forken
und ihr ganzes Mordwerkzeug schwenken.» Mit ihrem Wühlen würden die Gärtner den Garten, der perfekt war, wie er
immer gewesen ist, in Unruhe versetzen.
Beziehungen auf Schleuderkurs
Eine schöne Neuerscheinung ist «Der letzte Schrei» von A. L. Kennedy – und das ist
zunächst ganz wörtlich gemeint. Der
blassblaue Leineneinband mit der Abbildung zweier farbiger Fische, die sich zu
einem Kreis formen, macht Lust, das
Buch zur Hand zu nehmen. Die Erzählungen sind dann allerdings zwar gut, aber
nicht ganz so schön. Die Fische stehen
offensichtlich für zwei Partner in einer
Beziehung, in der beide stumm bleiben.
Die Autorin, 1965 in Schottland geboren
und bei uns 2000 mit dem Roman «Gleissendes Glück» bekannt geworden, erzählt
nämlich von Paaren. Sie sind miteinander
durch etwas verbunden, was nicht mehr
Zuneigung ist. Sie reden aufeinander ein,
ohne dass sie einander noch etwas zu
sagen hätten. Sie verletzen einander, obwohl sie sich gegenseitig schon gleichgültig geworden sind. Die Autorin hat einen
Blick für das Skurrile und Absurde der
Liebe: Eine Frau verlässt ihren Freund
endlich, nach langem Zaudern, und irrt
danach wie betäubt durch eine fremde
Stadt, bis sie hilflos in einem Sex-Shop
landet. Ein Paar hat sich völlig entfremdet, doch nach einem Essen finden sie
sich plötzlich in einem innigen Kuss vereint. Er fällt umso leidenschaftlicher aus,
weil sich die beiden eigentlich gar nicht
so richtig kennen. Häufig lesen wir in
«Der letzte Schrei» in kursiver Schrift die
Gedanken der Protagonisten, was den
Geschichten eine starke subjektive Perspektive verleiht. Dazu trägt auch die ungewöhnliche Sprache von A. L. Kennedy
bei. Sie schreibt ausdrucksstark und bildhaft. Für die Freunde einer fadengerade
erzählten Geschichte dürfte die Sprache
aber bisweilen etwas zu originell erscheinen und führen die Gedanken zu stark
um Ecken. Als Lektüre kurz vor dem Einschlafen eignet sich das Buch deshalb weniger gut.
der letzte schrei
a. l. kenneDy
208 seiten
CHF 28.90
Hanser
Zwischen Dämmerung und
Dunkelheit
Die «blaue Stunde» bezeichnet die Zeit
zwischen Dämmerung und Nacht, wenn
der Himmel eine besondere Färbung annimmt. Schon immer wurde der Begriff in
der Literatur verwendet und mit Melancholie gleichgesetzt. Nun nennt auch Sabine Haupt ihren eben erschienenen Band
mit Erzählungen «Blaue Stunden». Die
Autorin ist in Deutschland geboren, lebt
seit 1980 in der französischen Schweiz
und ist Professorin für Allgemeine und
Vergleichende Literaturwissenschaft an
der Universität Fribourg. Daneben publiziert sie seit 1993 Erzählungen und Essays. Die 49 Erzählungen des neuen Bands
führen in die Labyrinthe der Liebe, in die
Höhen und Tiefen von Begegnungen und
Abschieden, Sehnsüchten und Enttäuschungen. Die Autorin nimmt alltägliche
und weniger alltägliche Liebesverhältnisse unter die Lupe. Dabei geht es nicht nur
um «private» Erfahrungen wie Sexualität,
Einsamkeit oder die Suche nach dem grossen Glück, sondern immer auch um die
Welt, in der ihre Figuren solche Erfahrungen machen. In ihren manchmal versonnenen, manchmal humorvollen Kurzgeschichten erzählt Sabine Haupt von jungen
und nicht mehr ganz jungen Mädchen, von
melancholischen Träumern, von Stadtneurotikern, finsteren Typen und «verdorbenen» Frauen. Sie erzählt vom Körper
und von der Seele, von Sehnsüchten und
Missverständnissen. Kurz: davon, was
zwischen Menschen passiert, wenn Gefühle auf die «schiefe Bahn» geraten. Vom
Zustand zwischen Dämmerung und Dunkelheit. Sie schreibt in einer Mischung aus
realistischer, essayistischer und experimenteller Sprache, je nach ihrem Gegenstand. Ihre Geschichten stehen nicht einfach für sich, sondern sind in vier Kapitel
gegliedert: «Nomenklaturen und andere
Wortklaubereien», «Sehnsüchte und Fernwehen», «Anatomien und Leibesübungen» sowie «Moritaten und Wahnwitze».
Damit führt die Autorin vor, dass eine
Sammlung von Kurzgeschichten mehr als
eine Aneinanderreihung ist – und dass sie
durch deren Kontextualisierung zusätzlich an Reiz gewinnt.
blaue stunden
sabIne hauPt
528 seiten
CHF 31.90
offizin
Literarischen Colloquium Berlin als Redakteur, und seit 15 Jahren betreut er auf
der Leipziger Messe das Autorenspecial.
Für dieses Vortrags- und Leseprogramm
lud er schon weit über 100 europäische
Schriftstellerinnen und Schriftsteller nach
Leipzig ein. Und diesem Engagement haben wir wohl auch sein neustes Buch zu
verdanken: «Luftsprünge». Dieser Ausdruck der grossen Freude passt zur Anthologie von Thomas Geiger, denn sie verschafft uns grosses Lesevergnügen. 36
Autoren aus fast ebenso vielen Ländern
erzählen vom Leben heute, von ihrem
Land, von unserer Zeit. In seinem Vorwort
schreibt der Herausgeber: «25 Jahre nach
dem Fall des Eisernen Vorhangs im Herbst
1989 versammelt das Buch Texte aus Europa. Aber – um einen Titel des uramerikanischen Erzählers Raymond Carver zu
paraphrasieren – wovon reden wir, wenn
wir von Europa reden? Diese Frage ist
schwieriger zu beantworten als es zunächst scheint. Denn es gibt in der Tat
nicht nur ein Europa, sondern es gibt
deren viele.» Über ihr eigenes Europa
schreiben unter anderem Colm Tóibín,
Aris Fioretos, Juri Andruchowytsch, Eva
Menasse, Melinda Nadj Abonji, Rafael
Chirbes, Georgi Gospodinov, John Burnside, Michel Houellebecq, José Saramago,
Janne Teller, Nico Bleutge, Swetlana Alexijewitsch, Rosa Liksom, Davide Longo,
Jean-Philippe Toussaint und Orhan Pamuk. Ihre Erzählungen und Gedichte handeln vom Schicksal der einzelnen Menschen, von Traditionen und Kulturen. Sie
erzählen aber auch von Hoffnungen und
den grossen Umbrüchen, die in unserem
alten Kontinent stattgefunden haben. Das
Buch lenkt unseren Blick ganz neu auf das
Europa von gestern, heute und morgen,
auf seine Landschaften und Metropolen
und vor allem auf die Menschen und die
Art, wie sie heute leben, leiden, lieben.
luftsprünge
thomas GeIGer (hrsG.)
368 seiten
CHF 23.90
dtv
Gefällt uns eine
Figur oder Handlung nicht so sehr,
lacht das Leseglück vielleicht
schon einige Seiten
weiter wieder.
Reise durch Europa
Eine Sammlung von Kurzgeschichten bietet den Lesenden den Vorteil der Vielfalt.
Gefällt uns eine Figur oder Handlung
nicht so sehr, lacht das Leseglück vielleicht schon einige Seiten weiter wieder.
Eine besonders grosse Vielfalt bietet uns
nun Thomas Geiger an. Der 1960 Geborene ist in der Literatur bestens vernetzt
und zu Hause. Seit 1989 arbeitet er im
30 | publIreportage
buCHtIpps | 31
Books Nr. 2/2015
kasPar schnetzler
Jo Platt
Don WInsloW
naveeD JamalI
kaspar schnetzler, meister der Ironie
und kompetenter chronist der stadt
zürich, reiht sich mit dieser satire ein
in die reihe von tyler brûle, sibylle
berg oder Philipp tingler mit ihrem
lieblingsthema: Downtown zurich.
mit rückschlägen kennt sich ros aus.
18 monate ist es her, dass ihr verlobter – aus gutem Grund nur «die
ratte» genannt – von ihrer hochzeit
floh. Im malerischen st. albans hofft
sie nun, ihr Glück zu finden. sie liebt
den neuen Job in der buchhandlung
und ihre kollegen: den schweigsamen
andrew, die liebenswerte Joan und
Georgina, die alles Wünschenswerte
zu haben scheint.
mit viel erfolg drang der berühmte
us-Drogenfahnder art keller in die
komplizierten strukturen der mexikanischen Drogenmafia ein. sein erfolg
war so gross, dass die Drogendepots
aufflogen und die «narcotraficantes»
die Jagd auf ihn eröffneten. nun
muss art keller feststellen, dass das
Drogen- und Waffengeschäft bereits
unfassbare Dimensionen angenommen hat. und dass der feind aus
einer ganz unerwarteten richtung
kommt.
«Du könntest eine menge Geld
machen!» «Was heisst denn eine
menge?» «Du hast doch mal von
dieser corvette geschwärmt.» «Ja,
und?» «mit den unterlagen, an die
du rankommst, könntest du zehn
von denen kaufen.» «nun ja, ich
liebe diese geilen amerikanischen
sportwagen.»
das modell
KULTur-Insel Sylt
Die Insel Sylt bietet Sonne, Sand und Strandkorb – und noch viel mehr. Unverkrampft
schafft sie den Spagat zwischen kreativer Tradition und aktueller Kultur.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Sylt
ein begehrtes Reiseziel von Künstlern und
Literaten. Sie suchten auf der Insel Ruhe vor
dem Grossstadttrubel und fanden in elementaren Naturerlebnissen am Meer Inspiration für ihre Werke. Lang ist die Liste jener, die auf Sylt Spuren hinterliessen. Im
kleinen Künstlerdorf Kampen lässt sich diese Liste sogar erwandern: Auf einem Kunstpfad erinnern Bronzetafeln an Künstler und
Visionäre des letzten Jahrhunderts.
Seit über 100 Jahren zieht der Kampener
Literatur- und Musiksommer zwischen
Juli und September Berühmtheiten an.
Peter Suhrkamp, Thomas Mann, Max
Frisch – sie alle waren da. Diesen Sommer
werden unter anderem Gregor Gysi (19.8.)
und Peer Steinbrück (27.8.) ihre literarischen Fussabdrücke im Sand der Insel
hinterlassen.
GeWInnen sIe FerIen auF sYlt!
Weitere Informationen rund um Ferien
auf Deutschlands prominentester Insel
bietet der virtuelle Inselspaziergang auf
www.sylt.de. Für eine schnelle Anreise
sorgt der Deutschland-Spezialist railtour
gemeinsam mit airberlin; von April bis
Oktober wird Sylt zweimal wöchentlich
direkt von Zürich aus angeflogen.
WettbeWerb:
«das modell» ist die leidensgeschichte von Jonathan flint, Gross
münsterburger bis tief ins herz.
Der kleine Werber verhilft durch
ein geniales konzept und mit hilfe
einer kongenialen mitarbeiterin der
kleinen stadt zum top-ranking im
globalen stadtmarketing. tragisch:
flint zerstört mit seinem konzept
das Gross münsterburg in seinem
herz. er rettet sich durch flucht in
die Wälder von maine, usa, folgt
h. D. thoreau in die Idylle und erlebt die leichtigkeit des Glücks.
Herz über kopf
eines tages klingelt es an der tür.
ros’ nachbar Daniel bringt schlechte
nachrichten: er hat ihr meerschweinchen mr. edward überfahren. noch
ahnt ros nicht, dass das vorzeitige
ableben ihres geliebten meerschweinchens einen noch grösseren
einfluss auf ihr leben haben wird als
die flucht der ratte.
das kartell
sechs Jahre lang recherchierte Don
Winslow intensiv für sein monumentales meisterwerk «tage der
toten». nun folgt mit «Das kartell»
die fortsetzung des grossen romans
über den Drogenkrieg in mexiko.
Jagd auf Juri
Die wahre Geschichte eines jungen
amerikaners, der sich selbst das
agentenhandwerk beibringt, für
russland in den usa spioniert
und dem fbI hilft, einen russischen
agenten zu fall zu bringen. atemberaubend und beängstigend zugleich:
eine Geschichte von spionage und
Gegenspionage, von vertrauen und
verrat, von list und täuschung. und
eine Geschichte über den kalten
krieg in unseren tagen.
Wir verlosen vier Übernachtungen im 4-sternehotel Dorint Westerland. vom hotel aus
gelangen sie über eine treppe direkt an den 40
kilometer langen sandstrand und die erfrischende nordsee. fliegen sie mit airberlin von zürich
direkt auf die nördlichste aller nordseeinseln –
und geniessen sie Ihre ferien in vollen zügen.
sie wollen sich an der verlosung beteiligen?
Dann senden sie eine e-mail mit dem stichwort
«sylt» und der angabe Ihrer vollständigen
anschrift an info@sylt.de.
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Isbn 978-3-280-05574-8
32 | k aFFeepause
Die Debatte
Was machen Buchhändlerinnen und Buchhändler in ihrer
Kaffeepause? Sie plaudern über Bücher. Zum Beispiel im
Starbucks des Kramhofs, der Filiale von Orell Füssli an der
Zürcher Bahnhofstrasse. Books hat sich dort zu Céline Tapis
und Dario Widmer gesetzt.
marius leutenegger
simeliberg
mIchael fehr
144 seiten
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gesunder
menschenversand
böse absichten
keIGo hIGashIno
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klett-Cotta
eine heitere wehmut
amélIe nothomb
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diogenes
k aFFeepause | 33
Books Nr. 2/2015
erik brühlmann
Books: Céline, dass du «Simeliberg» von
Michael Fehr mitgebracht hast, hängt
wohl mit deiner Herkunft zusammen:
Du lebst in Bern, und der legendäre
Simeliberg soll sich ja südlich der Stadt
befinden.
Céline Tapis (CT): Nein, nein, ich habe
das Buch wegen des Autors Michael Fehr
gewählt. Von ihm hat man in letzter Zeit
viel gehört. 2014 gewann er beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt den zweiten Preis. Eine Freundin war
hin und weg, nachdem sie eine Lesung
von ihm besucht hatte. Wobei man eher
von Performance als von Lesung sprechen
muss: Michael Fehr ist sehbehindert, und
er spricht seinen Text nach, den er über
einen Kopfhörer vernimmt. Dabei lässt er
sich gern von Perkussion begleiten. Als
ich sah, dass «Simeliberg» jetzt als Buch
erschienen ist, wollte ich die Gelegenheit
nutzen, Michael Fehr endlich kennenzulernen.
Und bist du jetzt auch hin und weg?
CT: Ja, «Simeliberg» ist ein grandioses
Buch. Man kann ihm aber kaum gerecht
werden, wenn man darüber redet, weil
seine Sprache sehr aussergewöhnlich ist –
und weil es vor allem von dieser Sprache
und weniger von der Handlung lebt. Die
Geschichte spielt im hintersten Krachen
des Emmentals und ist eine moderne Variante des Märchens vom Simeliberg, das
wiederum eine Adaption der Ali-BabaGeschichte ist. Der Gemeindeverwalter
bringt einen Mann namens Schwarz auf
die Sozialbehörde. Die Frau von Schwarz
ist verschwunden, und es scheint möglich,
dass sie umgebracht wurde. Bald stellt
sich heraus, dass Schwarz sieben Studenten um sich geschart hat. Er verfolgt
offenbar ein utopisches Ziel: Eine kleine
Gruppe von Menschen soll auf den Mars
auswandern und dort eine kommunistische Gesellschaft gründen. Der Gemeindeverwalter findet Schwarz und dessen
Utopie zwar sehr seltsam, er fühlt sich
aber von der Sache angezogen. Während
der Abwesenheit von Schwarz fliegt
schliesslich dessen Haus in die Luft, und
darin werden sieben Leichen gefunden.
Ziemlich viel Handlung für ein so
schmales Buch ...
CT: Schlägt man das Buch auf, könnte
man vom Schriftbild her meinen, es
handle sich hier um Lyrik. Ein Kritiker
bezeichnete Fehrs Stil als «gemeisselte
Prosa», und das finde ich sehr passend.
Fehr schreibt kurze Sätze, die sich nie
über die ganze Seite ziehen, alles ist exakt
auf den Punkt gebracht, und der Klang
der Sprache spielt eine ganz besondere
Rolle. Auch die vielen Helvetismen, die
Fehr verwendet, machen die Tonalität
ungewöhnlich.
Dario Widmer (DW): Ja, die Sprache
ist wirklich sehr interessant – ich habe
jedenfalls noch nie etwas gelesen, dass
so aufgebaut ist wie dieses Buch. Die
Zeilenumbrüche geben einen eigenwilligen Rhythmus vor. Auf youtube kann
man sehen, wie Michael Fehr schreibt: Er
spricht die einzelnen Zeilen in ein Aufnahmegerät, löscht Sätze, nimmt sie neu auf;
das Geschriebene entwickelt sich bei ihm
also aus dem Gesprochenen heraus. Ich
glaube, das Buch eignet sich auch gut für
alle, die Poetry Slam mögen.
CT: Wobei sich Michael Fehr klar von
diesem Genre distanziert ... «Simeliberg»
ist aber sicher etwas für Leute, die ein
aussergewöhnliches Buch suchen – und
für alle, die Freude haben am kreativen
Umgang mit Sprache. Der Text wirkt in
Dario Widmer:
«Die Atmosphäre ist
so anziehend wie die
Sprache, trotzdem
musste ich erst einen
Zugang zum Text finden. Es hilft, wenn man
weiss, wie Michael Fehr
schreibt. Und ich glaube, es wäre wirklich
spannend, ihn einmal
live zu erleben.»
Céline Tapis:
«Er ist ja auch Musiker,
und das spürt man
beim Lesen. Tatsächlich
habe ich einen Teil des
Buchs während eines
Jazzkonzerts gelesen
und erlebte die rhythmische Unterlegung als
sehr passend.»
gewissem Sinn rau, obwohl er wohlgeformt ist. Und die Stimmung im Buch
finde ich sehr interessant. Sie bewegt sich
immer im Graustufen-Spektrum. Schon
die Namen deuten darauf hin: Schwarz,
Weiss, Griese, Wyss. Auch die Autos sind
grau, schwarz oder silbrig, und die Sonne
scheint nie.
DW: Ja, die Atmosphäre ist so anziehend
wie die Sprache, trotzdem musste ich
erst einen Zugang zum Text finden. Es
hilft, wenn man weiss, wie Michael Fehr
schreibt. Und ich glaube, es wäre wirklich
spannend, ihn einmal live zu erleben.
CT: Er ist ja auch Musiker, und das spürt
man beim Lesen. Tatsächlich habe ich
einen Teil des Buchs während eines Jazzkonzerts gelesen und erlebte die rhythmische Unterlegung als sehr passend.
Ein Schriftbild wie in der Lyrik, ein
Rhythmus wie beim Jazz – ist «Simeliberg» etwas für Intellektuelle?
DW: Nicht unbedingt. Der Text hat zuweilen eine Kraft wie ein Rapsong, und er
kann sicher auch Leute begeistern, die
nicht so viel mit Literatur anfangen können. Mir jedenfalls hat es sehr gefallen,
etwas derart Ausgefallenes zu entdecken.
Dario, du stelltest in einer früheren Debatte bereits ein Buch von Keigo Higashino vor – «Heilige Mörderin». Nun hast
du mit «Böse Absichten» das neue Buch
des japanischen Autors mitgebracht.
Worum geht’s?
DW: Diesmal steht Kommissar Kaga im
Zentrum. Hidaka, ein berühmter Schriftsteller, wird ermordet. Seine Ehefrau
und sein bester Kollege Nonoguchi finden die Leiche; Nonoguchi ist ebenfalls
Schriftsteller, aber ein eher erfolgloser.
Die Ehefrau und Nonoguchi werden des
Mords verdächtigt. Kaga ermittelt, und
das macht die Sache ein wenig kompliziert, denn der Kommissar ist ein guter
Bekannter von Nonoguchi. Kaga möchte
dem Verdächtigen helfen – und muss
schliesslich erkennen, dass Nonoguchi
eben doch der Mörder ist.
CT: Das alles ereignet sich noch vor Seite
50.
Die Geschichte ist da aber noch nicht zu
Ende ...
DW: Nein, weil das Motiv fehlt. Das Buch
ist interessant aufgebaut; wir lesen abwechselnd die Aufzeichnungen, die sich
Kommissar Kaga macht, und die Gedanken von Nonoguchi.
CT: Der Erzählstil ist extrem nüchtern.
Kagas Aufzeichnungen oder die wörtliche
Wiedergabe der Vernehmungen lassen
das Buch stellenweise eher als eine Art
Report als ein fiktives Werk erscheinen.
Aber «Böse Absichten» liest sich sehr gut.
DW: Nonoguchi schreibt schliesslich
sein Geständnis nieder. Offenbar hatte
er einst eine Affäre mit der ersten Frau
von Hidaka, des Ermordeten. Die Affäre
flog auf – und Hidaka zwang Nonoguchi,
für ihn als Ghostwriter zu arbeiten. Die
Bücher des Starschriftstellers waren also
Werke eines erfolglosen Kollegen! Hidaka
rückt durch diese Erpressergeschichte in
ein schlechtes Licht, und als Leser fand
ich die Gründe für den Mord plötzlich
recht nachvollziehbar. Aber Kaga glaubt
Nonoguchi nicht.
Handelt es sich bei diesem Buch um
einen klassischen Krimi?
DW: Der Fall wird umgekehrt aufgerollt,
als üblich: Wir erfahren sofort, wer der
Mörder ist, dann geht es nur noch um das
Céline tapis, 23, lebt in Bern. Nach der
Matura absolvierte sie eine Buchhändlerlehre in Basel; mittlerweile arbeitet sie zu
50 Prozent bei Stauffacher Bern, daneben
studiert sie Germanistik und Interreligiöse
Studien.
dario widmer, 22, lebt in Bühler in
Appenzell Ausserrhoden. Seine Lehre zum
Buchhändler absolvierte er im Rösslitor in
St. Gallen, der grössten Buchhandlung der
Ostschweiz, heute arbeitet er in der OrellFüssli-Filiale Kramhof in Zürich.
ralf nestmeyer
shlomo Graber
sanDra GattI-mÜller
rIcarDo tarlI
operationsgebiet schweiz
Hotelwelten –
luxus, liftboys,
literaten
fast die ganze familie von shlomo
Graber wurde in auschwitz ermordet. er selbst überlebte wie durch ein
Wunder und mit starkem lebenswillen die qualen dreier konzentrationslager – und anschliessend auch
noch den berüchtigten Görlitzer
todesmarsch. nach seiner befreiung
1945 wanderte Graber nach Israel
aus. später zog er in die schweiz, wo
er nun seit 25 Jahren lebt.
Im mai 1906 wurde die 21-jährige
anna müller in einem Wäldchen
im zürcher Weinland auf bestialische art ermordet. Das ungeklärte
verbrechen liegt bis heute wie ein
schatten über der region; der tatort
heisst seither «mörderhölzli».
Im kalten krieg diente die schweiz
dem Geheimdienst der DDr, der
stasi, als operationsbasis für diverse
mafiöse machenschaften: technologieschmuggel, illegale Devisengeschäfte, steuerhinterziehung, Geldwäsche
und Waffenhandel. Die stasi konnte
sich dabei auf ein ganzes netz williger
helfer stützen.
Glanz, luxus, ferien. ralf nestmeyer begibt sich auf die spur des
Phänomens hotel – des hotels als
sehnsuchtsort, künstlerischer raum
und nicht zuletzt als schauplatz der
literatur. er zeigt die entwicklung von
den frühen Pilgerherbergen über das
klassische Grand hotel bis hin zu den
traumpalästen in las vegas, und er
schildert den «luxus durch technik».
denn liebe ist
stärker als Hass
nun blickt er weder im zorn noch
mit verbitterung auf sein leben
zurück. Gewalt und fanatismus lehnt
der holocaust-Überlebende kategorisch ab. seine motivation, seine
lebensfreude und sein einzigartiger
humor überzeugen und beeindrucken die zuhörerinnen und zuhörer
an seinen vorträgen immer wieder
von neuem.
k aFFeepause | 35
Books Nr. 2/2015
mörderhölzli
schon als kind fragte sandra Gattimüller ihre Grossmutter, woher der
name des Wäldchens komme. Jahre
später stöberte sie die alten Polizeiakten auf und fand heraus, dass das
opfer ihre urgrosstante war. mit
akribischen recherchen erweckte
sie darauf die damaligen ereignisse
wieder zum leben. In «mörderhölzli»
verwebt die autorin sachbuch, krimi
und historie zu einem fesselnden
Werk – und es bleiben am schluss
kaum mehr zweifel, wer den mord
beging.
Der schweizer Journalist ricardo
tarli räumt mit der legende auf,
die schweiz sei während des kalten
kriegs ein antikommunistisches bollwerk gewesen. er zeigt faktenreich,
wie eng die verbindung zwischen
schweizer unternehmern, bankern
und Politikern mit dem Geheimdienst der DDr war und wie sehr
die schweiz in einigen bereichen
vom ostdeutschen unrechtsregime
profitierte.
nestmeyer charakterisiert das Personal vom liftboy bis zum Direktor,
porträtiert die hotelier-legende césar ritz und widmet sich schliesslich
denen, für die der ganze aufwand betrieben wird: den Gästen – zuflucht
suchenden autoren, hochstaplern
und Dieben, stammgästen mit ihren
marotten und leuten, die nie mehr
auschecken.
Motiv und um die Psyche des Täters. Darüber hinaus ist der Ton sehr ruhig. Das
alles hebt das Buch zum Beispiel deutlich
von den blutigen nordischen Krimis ab,
die oft demselben Strickmuster folgen.
CT: Und die Geschichte hat wirklich etwas
Haarsträubendes. Als die GhostwritingEpisode ausgebreitet wurde, dachte ich:
Das darf doch nicht wahr sein! Man kippt
als Leserin oder Leser ständig hin und
her. Die New York Times schrieb, dieses
Buch weise mehr überraschende Wendungen auf als eine Tokioter Autobahn.
Das ist wohl etwas übertrieben, aber
man hat tatsächlich stets das Gefühl, alles
könnte auch ganz anders gewesen sein.
DW: Ich bewundere, dass es Higashino
immer wieder gelingt, seine Krimis ganz
anders aufzubauen als andere Autoren.
Und mir gefällt die fast harmonische japanische Stimmung in seinen Büchern.
CT: Auch wenn ich für «Böse Absichten»
nicht ganz so schwärme wie für «Simeliberg», finde ich das hier ein wirklich
gutes Buch. Alles ist raffiniert konzipiert.
Das dritte Buch, über das wir heute
sprechen, ist «Eine heitere Wehmut»
der französischen Erfolgsautorin und
Vielschreiberin Amélie Nothomb.
DW: Ich las bislang zwei Bücher von ihr,
«Der japanische Verlobte» und «Kosmetik des Bösen». Obwohl Amélie Nothomb
sehr erfolgreich ist, überzeugen mich ihre
Werke nicht besonders: Ich finde sie zu
oberflächlich, sie berühren mich nicht.
CT: Ich bin auch kein grosser Fan, las
aber ein paar Sachen von ihr, die mich
wegen ihrer eigenwilligen Boshaftigkeit
faszinierten. In «Reality-Show» beschreibt
Nothomb eine ebensolche, die in einem
künstlichen KZ spielt und bei der die
Fernsehzuschauer darüber abstimmen,
wer als nächstes hingerichtet wird. Ich
fragte mich damals: Darf man so etwas
überhaupt schreiben? Meines Erachtens balanciert die Autorin ständig auf
dem schmalen Grat zwischen Genie und
Wahnsinn.
Worum geht es diesmal?
DW: Amélie Nothomb schreibt oft autobiografische Bücher, und auch hier verarbeitet sie eine Episode aus ihrem Leben.
Als Tochter des belgischen Botschafters
verbrachte sie die ersten fünf Lebensjahre
in Japan. Als junge Frau kehrte sie noch
einmal für längere Zeit nach Japan zurück – von diesem zweiten Aufenthalt
handelte auch «Der japanische Geliebte». Nun wird sie als Literaturstar vom
französischen Fernsehen angefragt, ob
sie für eine Dokumentation noch einmal
nach Japan reise. Nothomb zieht los, trifft
sich mit ihrem früheren Kindermädchen,
mit dem Ex-Verlobten, sie besucht ihren
ehemaligen Kindergarten und so weiter.
CT: Dass das Buch auf dem Umschlag
als «Roman» bezeichnet wird, finde ich
irreführend – das ist schon eher ein Reisebericht.
DW: Genau!
CT: Ich fand «Eine heitere Wehmut»
nicht grundsätzlich schlecht. Einige Sätze
haben mir so gut gefallen, dass ich sie herausgeschrieben habe. Aber ich finde: Will
man das Werk von Amélie Nothomb kennenlernen, sollte man nicht mit diesem
Buch beginnen. Es scheint mir einfach so
dahingeschrieben.
DW: Ich fand den Bericht letztlich schon
typisch für die Autorin – weil er oberflächlich ist. Sie will die Gefühle schildern, die
in ihr hochkommen, wenn sie in die alte
Heimat zurückgeht, aber alles ist ziemlich
platt. Manche Episoden ergeben kaum einen Sinn, und man denkt: Warum erzählt
sie uns das?
Ist das Buch denn richtig autobiografisch, oder hat es fiktive Elemente?
CT: Es ist ein Bericht. Man lernt Amélie Nothomb besser kennen. Manchmal
musste ich den Kopf schütteln über ihre
Naivität: Es wirft sie völlig aus der Bahn,
dass sich seit ihrer Kindheit alles verändert hat.
DW: Dabei darf man nicht vergessen:
Sie war ja erst fünf Jahre alt, als sie das
Land ihrer Kindheit, um das es hier geht,
verliess. So viele Erinnerungen an damals
wird sie gar nicht haben.
Also ein Buch «For Fans only»?
DW: Ich würde das Buch tatsächlich nur
jenen empfehlen, die Amélie Nothomb
bereits kennen und mögen. Persönlich
werde ich nach drei Fehlschlägen nichts
mehr von ihr lesen.
CT: Also ich werde bestimmt wieder zu
einem Buch von ihr greifen!
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34 | buCHtIpps
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Books Nr. 2/2015
«ada von goth und die geistermaus»
überzeugt auch wegen der tollen zeichnungen,
die der autor selber angefertigt hat –
Chris riddell ist unter anderem der Illustrator von terry pratchett.
Fantastisch!
Eine Mitarbeiterin von von Orell Füssli Thalia präsentiert Neuerscheinungen und Geheimtipps
aus dem Fantasy-Genre: Bücher für alle, die sich gern in fremde Welten entführen lassen.
Dass ‹Magisterium› ein tolles Buch ist,
darf einen nun wirklich nicht überraschen. Geschrieben wurde es nämlich von
zwei US-amerikanischen Bestseller-Autorinnen, die miteinander dick befreundet
sind: Holly Black ist die Schöpferin der
«Wenn Liv merkt,
dass sie tot ist, muss
sie erst einmal
lernen, wie man als
Geist durch Wände
gleiten kann. Das
ist nicht so einfach,
wie wir glauben.»
‹Spiderwick›-Reihe, Cassandra Clare hat
die ‹Chroniken der Unterwelt› verfasst.
Mein erster Gedanke beim Lesen des
Buchs war: Endlich habe ich etwas gefunden, das ich allen Harry-Potter-Fans empfehlen kann. Denn wer Harry liebte, mag
wohl auch die ‹Magisterium›-Reihe, die
auf fünf Bände angelegt ist.
Der Einstieg in die Geschichte ist furios:
Bei einem Krieg zwischen Magiern kommen viele Leute ums Leben, darunter
auch die Mutter von Callum Hunt. Der Bub
wächst allein bei seinem Vater auf und soll
jetzt eine Prüfung für den Eintritt in die
titelgebende Zauberschule ablegen. Der
Vater will aber nicht, dass Callum Zauberei lernt, weil er Magie für schlecht hält –
kein Wunder, kam doch seine Frau durch
Magie ums Leben. Callum tut alles, um an
der Prüfung wunschgemäss durchzufallen, aber leider ist sein magisches Potenzial unübersehbar. Ein Lehrer nimmt ihn
deshalb in seine kleine Gruppe auf. Dieser
gehören noch ein weiterer Junge und ein
Mädchen an.
Klar: Das Trüppchen erinnert schwer an
Harry, Ron und Hermine. Und auch andere Parallelen zur berühmten Geschichte
sind unübersehbar: Callum hat einen
ativer Ideen, und man könnte richtig süchtig werden nach all den schrägen Einfällen.
Die Namen aller Figuren sind herrlich und
voller Anspielungen; allerdings verstehen
sie wohl nur erfahrene Leserinnen und
Leser. An diesem Buch haben daher fraglos auch Erwachsene ihren Spass. Ich
habe mich jedenfalls sehr amüsiert.
Ada ist also ziemlich isoliert, hat sich aber
damit arrangiert. Als sie eines Abends allein in ihrem Zimmer sitzt, hört sie ein
schweres Seufzen. Sie schaut auf – und
entdeckt den durchsichtigen Geist einer
Maus, die gerade in einer Falle gestorben
ist. Die Geistermaus bittet Ada, ihr bei der
Aufklärung ihres Todesfalls zu helfen.
Bald erforschen die beiden zusammen
das Schloss. Und sie stossen dabei nicht
nur auf viele Geheimnisse, sondern auch
auf allerhand höchst eigenwillige Figuren.
Mit Hilfe eines Gärtners und des ‹Schmieds
für Steckenpferde› entdeckt Ada, dass im
Schloss manches nicht mit rechten Dingen zugeht ... und dass noch andere Kinder hier wohnen.
Stellenweise ziemlich lustig war auch das
dritte Buch, das ich vorstelle. ‹Liv, forever› von Amy Talkington. Als ich den
Klappentext las, dachte ich: ‹Okay, wieder
eine dieser Geschichten, die kann ich mir
sparen›, aber jemand legte mir das Buch
dann sehr ans Herz, und ich begann doch
damit, es zu lesen. Und als ich das nächste
Mal aufsah, hatte ich schon das ganze
Buch verschlungen.
Man wartet gespannt darauf, was einem
Chris Riddell auf der nächsten Seite auftischt – das Buch lebt von einer Fülle kre-
marius leutenegger
«Ich bin eine bekennende Elster: Alles,
was glitzert, finde ich toll. Habe ich deshalb die drei Bücher ausgesucht, die ich
heute vorstelle? Sie alle glänzen nämlich
mit einem tollen Cover mit viel Gefunkel
und Geflimmer – und sind wahre Zierden
in jedem Regal! Aber natürlich überzeugen die drei Neuerscheinungen vor allem
mit ihren inneren Werten.
man eher als Schloss bezeichnen könnte.
Ada ist die Teenager-Tochter des verwitweten Hausherrn, und sie muss ständig in
klobigen Stiefeln herumgehen, weil ihr
Vater findet: ‹Kinder soll man hören, nicht
sehen.› Ada erinnert ihn nämlich an seine
wunderschöne verstorbene Frau, und daher erträgt er ihren Anblick nicht.
Malfoy-ähnlichen Gegenspieler, er zieht
das Unglück förmlich an – und er muss
viele Prüfungen bestehen. Aber man findet auch viele Elemente, die ‹Magisterium› von ‹Harry Potter› unterscheiden. Im
Magisterium wird eine andere Art Magie
betrieben als in Hogwarts, ohne Zauberstäbe und Zaubersprüche. Die Schule und
der Unterricht sind anders – und auch die
Herausforderungen, mit denen sich Callum konfrontiert sieht, haben nicht mit
einer Voldemort-ähnlichen Figur zu tun.
Dennoch dürfen sich Harry-Potter-Fans
ab etwa zwölf Jahren diese neue Geschichte auf keinen Fall entgehen lassen!
Das nächste Buch, das ich vorstelle, las ich
im Zug – und ich löste dabei einige schiefe
Blicke aus, denn ich musste die ganze Zeit
kichern und lachen. ‹Ada von Goth und
die Geistermaus› von Chris Riddell ist
ein ganz besonderes Vergnügen, und dies
auch optisch: Der britische Autor ist zugleich Zeichner, er hat unter anderem viele Bücher von Terry Pratchett illustriert,
und dieses Buch ist voll von seinen witzigen Darstellungen. Eine Augenweide!
Auch die Geschichte ist sehr ulkig. Sie
spielt im 19. Jahrhundert auf einem riesigen landwirtschaftlichen Anwesen, das
Die etwa 16-jährige Liv ist gelinde gesagt
eine Schwierige. Ihre Eltern stecken Sie
deshalb in eine Schule für Schwererziehbare. In Wahrheit handelt es sich dabei
aber um ein Internat für Kinder versnobter Eltern, in dem alles seltsam ist: die
Atmosphäre, die Lehrerschaft, der Umgang der Schülerinnen und Schüler untereinander. Liv wird von den anderen ausgegrenzt, nur ein ziemlich schwatzhaftes Mädchen nähert sich ihr an. Und
dann gibt es auch noch den attraktiven
Malcolm ... so weit, so banal.
Plötzlich kommen aber Kapitel hinzu,
in denen die Geschichte bestimmter
Mädchen aus früheren Zeiten erzählt werden – Ruth, Olivia und so weiter. Alle diese
Mädchen gingen an die gleiche Schule,
und alle sind tot. Als Liv diesen Mädchen
begegnet, beginnt sie an ihrem Verstand
zu zweifeln. Die Wahrheit ist aber dramatischer als ein gewöhnlicher Wahnsinn:
Liv ist selber tot! Alle zehn Jahre wird an
der Schule offenbar ein Mädchen getötet,
und sie gehört jetzt zu dieser Reihe. Liv
freundet sich darauf mit einem Aussenseiter an, der mit Toten kommunizieren
kann, und macht sich mit ihm daran, die
eigenartigen Todesfälle aufzuklären.
Nun ja, die Geschichte ist schon etwas
morbid, aber auch immer wieder lustig.
Als Liv merkt, dass sie tot ist, muss sie erst
einmal lernen, wie man als Geist durch
Wände und Türen gleiten kann. Das ist
offenbar nicht so einfach, wie wir glauben.
Die grosse Stärke dieses Buchs ist die
Hauptfigur. Und hervorragend gefallen
haben mir die Kapitel über die toten Mädchen – sie machen dieses originelle Buch
zu etwas ganz Besonderem.»
angelina rubli, 29, ist im Kanton
Schaffhausen aufgewachsen, wohnt in
Dachsen und arbeitet bei Orell Füssli am
Bellevue. «Das erste Geschenk, an das ich
mich erinnern kann, war das Buch ‹Ronja
Räubertochter›», erzählt sie. «Von da an
wollte ich nur noch lesen – und Buchhändlerin werden.» Angelina verschlingt
etwa drei bis vier Bücher pro Woche;
eigenartigerweise liest sie bei jedem Buch
immer zuerst das Ende.
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FantastIsCH | 39
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24, wohnt in Grenchen und arbeitet
bei Stauffacher in
Bern. Sie hat sich
zur Buchhändlerin
ausbilden lassen,
weil sie sehr gern
liest
und
ihre
Freude am Gelesenen gern weitergibt. Am allerliebsten sind
ihr Fantasybücher und Comics – kein Wunder also, ist sie in der Comic- und Fantasyabteilung tätig. «Fantasy bietet mehr als
unsere bekannte Welt», erklärt sie ihre
Leidenschaft, «denn die Autorinnen und
Autoren müssen sich an kein Naturgesetz
halten.» Ihr Tipp: «Die Musik der Stille»
von Patrick Rothfuss. «Seit vier Jahren
schon müssen wir auf den dritten Teil von
Rothfuss’ grossartiger ‹KönigsmörderChronik› warten. Immerhin hilft uns der
US-amerikanische Autor jetzt, das Ausharren ein bisschen angenehmer zu gestalten: Er hat ein Buch geschrieben, in
dessen Zentrum ein Nebencharakter der
‹Königsmörder-Chronik› steht. Das Mädchen Auri lebt tief unter der Universität
von Imre in einem höhlenartigen Labyrinth verlassener Räume und alter Gänge.
Während die klugen Köpfe hoch über ihr
die Rätsel der Wissenschaft und der Alchemie entschlüsseln wollen, dringt Auri
auf ihre Weise in die Geheimnisse der Dinge ein ... Die Novelle ist wie ihre Protagonistin: voller Gefühl und Einfühlungsvermögen. Die Sprache von Rothfuss sucht
ihresgleichen – und der Autor beweist
auch mit diesem Werk, dass Fantasy zu
Unrecht als Literatur zweiter Klasse abgestempelt wird. Schlimm ist aber, dass einen ‹Die Musik der Stille› mit ganzer Kraft
daran erinnert, warum man so sehnsüchtig auf die nächste Folge der ‹Königsmörder-Chronik› wartet!»
kai mader, 33,
wohnt auf der
deutschen
Seite
von
Weil
am
Rhein. Seit sechs
Jahren arbeitet er
bei Thalia Basel –
und seit vier Jahren leitet er dort
die Fantasy-Abteilung. «Fantasy bietet mir auf schöne Weise
eine Möglichkeit, den Alltag hinter mir zu
lassen», begründet er seine literarische
Vorliebe. Sein Tipp: «Westeros» von
George R.R. Martin. «Mit dem grossen
Bildband ‹Westeros› ist eine Chronik erschienen, die jedem Fan von ‹Game of
Thrones› Freudentränen in die Augen
treibt. George R. R. Martin beschreibt die
Geschichte der sieben Königreiche und
der restlichen Welt so detailliert wie noch
nie zuvor. In den Romanen der Reihe erfährt man immer wieder etwas über die
Sagen, Mythen und Geschichten des Kontinents Westeros und der angrenzenden
Länder. Doch erst hier offenbart sich das
Gesamtbild dieser faszinierenden Welt. Die
erste Hälfte des Buchs handelt von der Ankunft der ersten Menschen, beschreibt die
Herrschaft der Drachen und endet in der
Neuzeit. Dann werden die einzelnen Königreiche mit ihren Besonderheiten vorgestellt. Jede Seite wartet mit wunderschönen und aufwändigen Zeichnungen auf
– sie bringen den Leserinnen und Lesern
die Figuren und Ereignisse noch näher.
Dieses Buch gehört nicht in die Reihe jener,
die aus dem Erfolg von ‹Game of Thrones›
schnellen Profit schlagen wollen. Es ist ein
grossartiges Werk für alle, die Martins Bücher kennen und sich vom US-amerikanischen Bestseller-Autor durch die Welt von
Eis und Feuer haben führen lassen.»
katharina kromer,
29, lebt in Wutach,
etwa eine halbe
Stunde von Schaffhausen
entfernt.
Seit vier Jahren
arbeitet sie bei
Thalia Schaffhausen. Buchhändlerin
wurde sie, «weil ich
schon immer sehr gern las und nicht studieren wollte». Ihre bevorzugte Lektüre sind
Fantasy-Romane für Jugendliche und Erwachsene. Kathi Kromers Tipp: «NOX. Unten» von Yves Grevet. «NOX ist ein Nebel,
der das Oben und das Unten voneinander
trennt. Oben leben die Schönen und Reichen, unten hausen die Armen. Polizei und
Miliz sorgen dafür, dass die Trennung bestehen bleibt. Der 17-jährige Lucen, der in
Dunkelheit und Gestank aufwächst – also
unten –, gerät wegen seines Berufs zu den
Aufständischen. Sein Freund aus Kindertagen, Gerges, wird hingegen Mitglied der Miliz. Und dann gibt es auch noch Ludmilla,
ein Mädchen aus der Oberstadt ... Die Idee
hinter dieser Dystopie ist wohl nicht sehr
neu – aber ich finde sie wahnsinnig gut umgesetzt. Die Geschichte wird aus den drei
Perspektiven der Hauptfiguren erzählt, und
das verleiht ihr einen besonderen Pfiff. Teilweise bekommen wir dieselbe Szene zum
Beispiel aus der Sicht von Lucen und dann
aus jener von Ludmilla erzählt. Klingt zäh?
Ist es überhaupt nicht, denn ich fand es
spannend zu sehen, wie unterschiedlich
eine Situation empfunden werden kann.
Ein weiterer positiver Aspekt des Buchs ist
die Entwicklung der Charaktere. Ludmilla
zum Beispiel wandelt sich vom naiven Papa-Liebling zur jungen Dame mit eigenen
Vorstellungen und Zielen. Das Ende lässt
die Leserinnen und Leser voller Spannung
auf den zweiten Teil zurück. Ja – es gibt eine
Fortsetzung, aber vermutlich nur noch einen weiteren Band.»
die musik der stille
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Books Nr. 2/2015
Szenen einer Ehe
Wir möchten von Kundinnen und Kunden wissen: Welches ist Ihr liebstes
Buch? Heute antwortet Veronika Minder aus Bern. Getroffen haben wir sie
in der Buchhandlung Stauffacher in Bern.
schmunzelnd. «Dabei kommen die Männer ja nur auf den ersten Blick schlecht
weg – Sallys Mann wächst einem zum Beispiel während des Lesens richtig ans
Herz.» Die beiden seien eben unterschiedlich, keiner besser oder schlechter als der
andere, und die Geschichte ein tiefsinniger
Roman mit Potenzial zum Nochmallesen.
erik brühlmann
Veronika Minder ist selbstständige Kulturschaffende. «Ich habe in meinem Leben
schon alles gemacht», erzählt sie, «Platten
verkauft, Konzerte organisiert, in einem
Kino das Programm gestaltet, zwei Dokumentarfilme gedreht und vieles mehr.»
Auch mit 67 Jahren ist die gebürtige Spiezerin im Kulturbereich beschäftigt. Zurzeit
organisiert sie eine Ausstellung.
Drama
der koch
Der tamilische asylbewerber maravan arbeitet als hilfskraft in einem
zürcher sternelokal. Doch er ist ein
begnadeter koch, seine Grossmutter
hatte ihn in die Geheimnisse der
aphrodisischen küche eingeweiht. als
maravan gefeuert wird, ermutigt ihn
seine kollegin andrea, mit ihr ein catering für liebesmenüs aufzuziehen.
anfangs kochen sie für Paare, die eine
sexualtherapeutin vermittelt. Doch
der erfolg von «love food» spricht
sich herum, und eine viel zahlungskräftigere klientel bekundet Interesse:
männer aus Politik und Wirtschaft.
maravan sorgt sich, das Geschäft
könne «unanständig» werden. und
das wird es. Doch er benötigt das
Geld dringend, um seine familie zu
unterstützen.
komöDIe
birdman oder
die unverhoffte
macht der
ahnungslosigkeit
riggan thomson hofft, dass seine
dahinsiechende karriere durch eine
theaterinszenierung am broadway
wiederbelebt wird. zwar handelt es
sich um ein ausgesprochen tollkühnes
unterfangen, doch der frühere kinosuperheld hegt grösste hoffnungen,
dass das kreative Wagnis ihn als
künstler legitimiert und dass es allen
beweist, dass er kein abgehalfterter
hollywood-star ist – vor allem ihm
selbst.
Doch während die Premiere des
stücks unaufhaltsam näher rückt, wird
riggans hauptdarsteller bei den Proben verletzt und muss schnell ersetzt
werden. Widerwillig engagiert riggan
deshalb mike shiner – ein unberechenbarer typ, aber ein Garant für
viele ticketverkäufe und begeisterte
kritiken.
Drama
leben und
sterben in god’s
pocket
Im arbeiterviertel God’s Pocket
geht alles seinen geregelten Gang:
man arbeitet, heiratet, bekommt
kinder und stirbt irgendwann eines
natürlichen todes. Doch das ändert
sich, als mickey scarpatos stiefsohn
leon bei einem baustellen-unfall ums
leben kommt.
Die wahren umstände dieses ereignisses würde mickey gern mitsamt
der leiche begraben, doch seine frau
Jeannie will Genaueres über den tod
ihres sohnes wissen. als sich dann der
reporter richard shelburn einmischt
und brutale schuldeneintreiber bei
mickey auftauchen, geraten die Dinge
vollkommen ausser kontrolle ...
Drama
the good lie
Der brutale bürgerkrieg, der 1983
im sudan wütet, macht unzählige
menschen zu flüchtlingen. unter
ihnen auch mamere, theo, abital
und Jeremiah. sie haben ihre familie
verloren und sind auf sich alleingestellt. Über tausend kilometer legten
sie zu fuss zurück, um nach kenia
in ein flüchtlingslager der uno zu
gelangen. Dort leben sie zusammen
mit 200'000 anderen Waisen unter
katastrophalen bedingungen.
nach 13 Jahren im flüchtlingslager
werden drei von ihnen ausgewählt:
sie sollen an einem hilfsprogramm
teilnehmen, bei dem 3600 flüchtlinge
in die usa gebracht werden. sie
landen im büro der sozialarbeiterin
carrie Davis, die es schafft, ihnen
wieder hoffnung zu geben.
Auch Bücher gehören zur Kultur – und
Veronika Minder verschlang sie schon von
Kindesbeinen an. «Zuerst war die Bibliothek meiner Eltern dran», erinnert sie
sich. «Dann konzentrierte ich mich auf die
Gemeindebibliothek und auf die Sammlung eines Lehrers.» Ihr System ist recht
einfach: «Wenn ich etwas entdecke, das
mir gefällt, lese ich gleich alles in dem Bereich, was mir in die Hände fällt!» Als passionierte Krimi-Leserin hat sie mittlerweile die meisten Schweden- und Norwegenkrimis intus, aber auch im Fantasy-Genre
und bei den französischen Autoren fühlt
sie sich heimisch. Auch Sachbücher liegen
immer wieder auf ihrem Tisch. «Für gewöhnlich lese ich drei, vier Bücher parallel», sagt sie. eBooks haben bei ihr aller-
dings keine Chance: «Ich brauche einen
Computer zum Arbeiten – das reicht mir.
Zum Lesen möchte ich nicht auch noch auf
einen Bildschirm starren!»
Für unsere Rubrik empfiehlt Veronika
Minder den Roman «Alles über Sally» des
Österreichers Arno Geiger. Der Roman
über Ehe und Beziehungen, über Lust und
Laster, über Männer und Frauen hat die
Bernerin positiv überrascht: «Ich bin immer etwas skeptisch, wenn männliche Autoren mit weiblichen Hauptpersonen arbeiten. Arno Geiger ist einer der wenigen,
der eine Frau auch in ihrem Denken und
Fühlen überzeugend beschreiben kann.»
Die verschiedenen Wahrnehmungsebenen
des Romans seien eine weitere Stärke der
Geschichte. «Hinzu kommt, dass Geigers
Stil sich sehr gut liest. Die Dialoge fliessen,
das Denken der Charaktere ist schonungslos offen, ihre Motivationen und Antriebe
sind absolut nachvollziehbar.» «Alles über
Sally» sei, so vermutet Veronika Minder,
allerdings vor allem ein Roman für Frauen. «Jedenfalls weigerten sich die Männer
in der Lesegruppe meiner Bekannten, den
Roman zu Ende zu lesen», erzählt sie
alles über sally
arno GeIGer
368 seiten
CHF 14.90
dtv
Alonso
Eine Komödie um Untreue
und einen mexikanischen Nackthund
AUTOR: STEFAN VÖGEL REGIE: VIKTOR GIACOBBO
3. sep bis 3. Okt 2015
www.casinotheater.ch / 052 260 58 58
102 minuten
119 minuten
81 minuten
112 minuten
DvD: chf 18.90
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DvD: chf 19.90
DvD: chf 19.90
42 | kInderwelt
kInderwelt | 43
Books Nr. 2/2015
«wer war’s?» die Frage, die dem buch von olivier tallec den titel gab, ist für
kleine kinder gar nicht so einfach zu beantworten.
SStrickende JJungs
und dichtende Mädchen
Alle haben Talente. Nicole Stäuble, unsere Spezialistin für Kinderbücher, besitzt zum
Beispiel jenes, stets die besten Neuerscheinungen aus dem Regal zu zupfen. Und heute stellt
sie ausgerechnet Bücher zum Thema Talent vor!
marius leutenegger
«Warum ich das Thema Talent gewählt
habe? Ehrlich gesagt, weil ich zwei megacoole Neuerscheinungen dazu erhielt. Und
dann dachte ich daran, dass wir doch alle
gewisse Sachen gern und gut machen. Man
muss ja nicht gleich ein Mozart sein – oft hat
ein Talent ja einfach damit zu tun, was uns
im Alltag Freude macht.
Beim ersten Titel, den ich empfehle, steht
das Talent der kleinen Leserinnen und Leser im Zentrum. ‹Wer war’s?› des französischen Illustrators Olivier Tallec ist mein
aktuelles Lieblingsbilderbuch. Über jeder
Doppelseite prangt eine einfach Frage, zum
Beispiel ‹Wer hat sich weh getan›, darunter sieht man eine Handvoll Figuren – und
nun muss man herausfinden, wer gemeint
sein könnte. Die Figuren – vorwiegend Kinder und Haustiere – sind einfach zum Verlieben. Alle haben grosse Köpfe wie die Peanuts und zeigen witzige Mienen. Man
könnte jede Seite dieses Buchs als kleines
Kunstwerk herauskopieren und an die
Wand hängen. Die Rätsel mögen uns Erwachsenen eher etwas einfach vorkom-
men, aber mein Sohn musste da und dort
schon daran knabbern. Ach, das ist ein richtiges Geniesserbuch – und die ideale Unterhaltung für eine unbeschwerte Stunde, die
Kinder mit ihren Eltern zusammen auf dem
Sofa oder am Sonntagmorgen im Bett verbringen.
Eingangs habe ich angedeutet, Talente seien oft Dinge, die man gern und gut mache.
Manchmal ist diese Kombination aber nicht
gegeben. Das erlebt zum Beispiel auch Linni
von Links. Sie ist die Hauptfigur einer neuen
Serie der Deutschen Alice Pantermüller,
der Autorin von ‹Mein Lotta-Leben›. In
‹Linni von Links 01. Berühmt mit Kirsche
oben drauf› erfahren wir, dass Linni wahnsinnig gern Gedichte schreibt, aber leider
überhaupt kein Talent dafür hat. Liest man
ihre Gedichte, denkt man tatsächlich: Ojeoje, da reimt sich nichts, das ergibt keinen
Sinn, das ist doch Gugus. Aber Linni lässt
sich nicht von ihrem Ziel, eine grosse Lyrikerin zu werden, abbringen. Erstens sind
alle Frauen ihrer Familie berühmt geworden; ihre Urgrossmutter war zum Beispiel
bereits eine erfolgreiche Dichterin, ihre
Mutter ist Fotografin, und sogar Linnis kleine Schwester sorgt als Mode-Ikone für Furore. Da muss doch endlich auch Linni etwas gelingen, das sie berühmt macht.
Zweitens gibt es eine Person, die fest an
Linni glaubt: Ihre Freundin, Tochter eines
Konditors, findet alle Gedichte ‹sahnig› oder
‹cremig›.
Eines Nachts wacht Linni auf, und vor ihrem Bett steht der Geist ihrer Urgrossmutter, der beim Lesen der Gedichte die Haare
zu Berge stehen. Die alte Dame möchte Linni helfen, ein Hobby zu finden, zu dem sie
mehr Talent hat, aber das Mädchen lässt
sich vom Gedichteschreiben einfach nicht
abbringen. Schliesslich steht ja auch ein
wichtiger Wettbewerb vor der Tür ...
Vor der Hauptfigur dieses hinreissenden
Buchs muss man einfach den Hut ziehen:
Sie schreibt unbeirrt weiter, obwohl ihr
ständig gesagt wird, sie solle es bleiben lassen. Sie nimmt am Wettbewerb teil, obwohl
ihr eigentlich klar sein müsste, dass sie kei-
Aber oh Graus: Ben hat sich geirrt, der Kurs
wird von einer ihm unbekannten Lehrerin
geleitet. Doch er macht gute Miene zum bösen Spiel und nimmt trotzdem teil. Schon
bald merkt Ben, dass ihn das Stricken total
erfüllt und dass er es erst noch gut kann.
Natürlich hat er niemandem erzählt, dass er
in den Strickkurs geht, denn Jungs stricken
nicht. Um einen Beweis vorlegen zu können,
dass er sich wie behauptet im Töpferkurs
eingeschrieben hat, muss er irgendwie an
Ton herankommen. Und schon bald kommt
es zu 100 Verstrickungen – erst recht, als die
Lehrerin meint, Ben solle doch am StrickLandeswettbewerb für Junioren teilnehmen.
Das Buch ist als Tagebuch verfasst und an
Originalität kaum zu überbieten. Als Leserin oder Leser fiebert man von der ersten
Seite an mit Ben mit, und wenn man selber
gern strickt, kann man seine Begeisterung
richtig mitfühlen. Obwohl die Hauptfigur
ein Bub ist, eignet sich das Buch für Mädchen und Buben ab 12 Jahren.
illUSTrATiONeN DANielA KOHl, © AreNA 20152015
Richtig begeisternd ist auch ‹Ben Fletchers
total geniale Maschen› des Briten T.S. Easton – ich traue mich kaum, es zu sagen, aber
das ist schon wieder ein Lieblingsbuch von
mir! Der 14-jährige Ben hat das Herz eigentlich auf dem rechten Fleck, aber wie
das Leben so spielt, wird er – obwohl unschuldig – beim Alkoholklauen erwischt. Er
bekommt eine Bewährungshelferin und
muss eine ganze Reihe von Bewährungsauflagen erfüllen. Dazu zählt auch die Teilnahme an einem Abendkurs. Zur Auswahl stehen vier Kurse, und Ben liest sich jenen aus,
den seine Lieblingslehrerin gibt: Stricken!
illUSTrATiONeN DANielA KOHl, © AreNA 2015
illUSTrATiONeN OliVier TAllec, © GerSTeNBerG 2015
nen Erfolg haben wird. Das ist wirklich ein
liebenswertes Mädchen und gutes Vorbild
für uns alle. Die Geschichte ist so bezaubernd
geschrieben, dass man das Buch allen Kindern ab acht Jahren an Herz legen kann.
linni lässt sich trotz offensichtlicher
talentlosigkeit
t
talentlosigk
eit nicht davon abhalten, ihrer
leidenschaft zu frönen: dem dichten.
Die nächste Neuerscheinung ist nun definitiv mein Lieblingsbuch. Ich empfehle sie
daher, obwohl sie nicht viel mit dem Thema zu tun hat – denn sie liegt mir sehr am
Herzen und ist einfach genial: ‹Eleanor &
Park› von Rainbow Rowell. Was ist das
doch für eine schöne Liebesgeschichte! Sie
beginnt im Schulbus. Park, ein Junge mit
asiatischen Wurzeln, fährt damit täglich
zum Unterricht. Eines Tags steigt die rothaarige Eleanor zu. Sie ist neu in der Stadt
und ein bisschen pummelig, also das ideale
Opfer für die böse Clique, die hinter Park
sitzt. Eleanor tut Park leid, und deshalb
lässt er sie neben sich sitzen.
Die beiden kommen zuerst nicht miteinander ins Gespräch. Park liest im Schulbus
immer Comics, und irgendwann beginnt
Eleanor, ihm über die Schulter zu schauen
und mitzulesen. Mit der Zeit wartet Park
mit dem Weiterlesen, bis Eleanor neben
ihm sitzt, und die beiden beginnen auch
damit, ihre Lieblingsmusik auszutauschen.
Und ganz allmählich erfahren wir mehr
über die beiden. Park lebt in einer HeileWelt-Familie, ist aber wegen seiner geringen Körpergrösse eher ein Aussenseiter.
Eleanor haust mit ihren vier Geschwistern
und der Mutter bei deren neuem Lover, einem schlimmen Mann. Park wird für sie zu
einer ganz wichtigen Stütze.
Ich habe die Art, wie die beiden miteinander umgehen, wunderbar gefunden: Man
hat das Gefühl, im Schulbus sei alles grau,
nur die beiden sässen glücklich da wie
zwei Gestalten im Licht. Das Buch ist aber
überhaupt nicht kitschig, die Geschichte
entwickelt sich im Gegenteil sogar ziemlich
dramatisch. Diesem sehr feinsinnigen und
eindrücklichen Roman für Leserinnen und
Leser ab 14 Jahren gelingt es, die Gefühle
von Teenagern glaubwürdig und respektvoll einzufangen. Ich habe jedenfalls noch
nie etwas so Schönes über die erste Liebe
gelesen.»
Nicole Stäuble, 42, ist Buchhändlerin bei Orell
Füssli in Frauenfeld; sie hat einen fünfjährigen Sohn. «Ich machte bereits meine Lehre
zur Buchhändlerin bei Orell Füssli», erzählt
sie. Schon in der Lehre seien Kinder- und
Jugendbücher für sie das Grösste gewesen,
denn «dieser Bereich ist so vielseitig – und
fast so etwas wie eine Buchhandlung in der
Buchhandlung!» Ausserdem könne man die
Kundinnen und Kunden, die Kinderbücher
suchten, richtig beraten: «Die meisten Leute
sind dankbar für Empfehlungen, weil sie sich
mit den Neuerscheinungen nicht so gut
auskennen.»
wer war’s?
olIvIer tallec
32 seiten
CHF 14.90
gerstenberg
linni von links 01.
berühmt mit kirsche
oben drauf
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PantermÜller
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arena
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ben Fletchers total
geniale maschen
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ueberreuter
eleanor & park
raInboW roWell
368 seiten
CHF 23.90
Hanser
44 | koCHbüCHer
Köstlich und gesund
Säfte, Smoothies und Superfoods sind der Saison-Trend. Neue Bücher
zeigen, dass dahinter aber mehr als nur eine Modeerscheinung steckt.
markus ganz
Wird von «Superfood-Smoothies» und
dem «Glück aus dem Glas» geredet, ist Vorsicht angesagt – ein Wundermittel ist das
Trendgetränk nicht. «Smoothies sollen keine Mahlzeit ersetzen», stellt etwa Erica
Bänziger in ihrem Buch «Smoothies –
Power aus der Natur» fest. «Sie können
aber helfen, die Empfehlung ‹Fünf Portionen Früchte und Gemüse täglich› lustvoll
umzusetzen». Die diplomierte Ernährungsberaterin und vielfache Kochbuchautorin aus Verscio im Tessin empfiehlt,
Smoothies selber zuzubereiten. So könne
der tägliche Gemüseanteil gesteigert werden, der bei gekauften Smoothies leider
Saft ist so etwas
wie die Erwachsenenversion
der Milch, die
Babys trinken.
koCHbüCHer | 45
Books Nr. 2/2015
meist zu gering sei. Mit der Smoothie«Verpackung» könne man zudem bei Kindern, die oft einen Bogen um Gemüse machen, Vorurteile abbauen.
gegen Frühjahrsmüdigkeit
Erica Bänziger begründet in einem theoretischen Buchteil detailliert, weshalb
ausgewogene Smoothies gesund sind. Sie
erklärt auch, welche Zutaten gesund sind
und welche nicht, vor manchen warnt sie
gar. Selbstredend, dass ihre Rezepte auf
einem «harmonischen Mix von Kräutern,
essbaren Wildpflanzen, Früchten und Gemüse basieren». Erica Bänziger gibt auch
Anwendungsbeispiele
und
empfiehlt
Smoothies etwa gegen Frühjahrsmüdigkeit. Denn die Natur bringe «gleichzeitig
jene Dinge zum Vorschein, welche uns dabei unterstützen, uns wieder fitter zu fühlen». Wildkräuter und frische Kräuter lieferten zahlreiche Vitalstoffe, die beleben
und das Säure-Basen-Gleichwicht fördern
würden.
Fast wie muttermilch
Mit «Superfood Smoothies» ist Julie Morris vor zwei Jahren ein Grosserfolg geglückt. Nun doppelt die US-amerikanische
Küchenchefin und Ernährungsberaterin
mit dem neuen Buch «Superfood Säfte»
nach, in dem sie sich statt Smoothies den
Säften widmet. Saft sei so etwas wie die
Erwachsenenversion der Milch, die Babys
trinken: «Er ist einfach zu konsumieren,
leicht zu verdauen und vollgepackt mit
Nährstoffen». Sie erklärt in der Einleitung
aber auch, wieso die unterschiedliche Zubereitung von Smoothies und Saft wichtig
ist. Beim Pressen der frischen Zutaten für
einen Saft bleibt eine Masse zurück, wodurch die im Fruchtfleisch konzentrierten
Fasern, Fett und Eiweiss für den Saft verloren gingen. «Somit enthält der Saft zwar
reichlich pflanzliche Vitamine, Mineralstoffe, Antioxidantien und sekundäre
Pflanzenstoffe, aber eben auch viel natürlichen Zucker.» Das Reduzieren von Zucker sei bei den Säften deshalb noch viel
wichtiger als bei den Smoothies.
nicht theoretische Überlegungen, sondern
praktische Rezepte, die schnell und einfach umzusetzen sind.
auswahlhilfe für säfte
Auch Erin Quon und Briana Stockton bieten in ihrem – auffallend stilvoll bebilderten – Buch «Super Säfte!» eine umfassende Einführung in das Thema der Säfte.
Doch sie setzen mehr auf Beratung, wann
welcher Saft die beste Wahl ist. Sie haben
die gut 90 Rezepte deshalb in die vier Kategorien Energie, Power, Detox und Stärke aufgeteilt. Das Spektrum reicht von
süssen Säften auf Obstbasis bis zu
schmackhaften Gemüsesäften. Wer gern
etwas Ungewohntes ausprobiert, findet
auch Kombinationen mit Grünkohl, Avocado und Ingwer, die hier Powerfoods genannt werden. Hilfreich und amüsant zugleich sind oft die Rezeptbezeichnungen.
«Guten Morgen in Grün» etwa wird aus
Honigmelone, Limette und Selleriestangen zubereitet. Das «Gesunde Wunderwasser» enthält neben Zuckermelone, Limette, Basilikum und Kokoswasser auch
Jalapeño-Chilischote. Und wer über den
Durst getrunken hat, findet eine «Katermedizin», die sich aus Wassermelone, Limette, Gurke und frischem Ingwer zusammensetzt.
Rezept aus dem nebenan besprochenen Buch «Superfood Säfte»
smoothies –
power aus der natur
erIca bänzIGer
128 seiten
CHF 31.90
Fona
besonders gesund
Als zweite Grundregel dieses Buchs kann
man den Einsatz von Superfoods bezeichnen, um den herstellungsbedingten Verlust von Nährstoff zu kompensieren. Mit
den sogenannten Superfoods sind besonders «gesunde» Nahrungsquellen gemeint, die natürlichen Ursprungs sind,
gemäss Julie Morris aber einen ausserordentlich hohen Anteil an Vitaminen, Mineralstoffen, Antioxidantien und sekundären Pflanzenstoffen enthalten. Sie zählt
etwa Algen, Gojibeeren, Camu-Camu-Pulver und Weizengraspulver dazu, deren
spezielle Eigenschaften sie ebenso erklärt
wie die von Basiszutaten wie Ananas,
Gurken, Melonen, Sellerie und Zitrusfrüchten. Im Mittelpunkt stehen aber
Für Sie probiert:
Schoko-Minze-Saft
superfood säfte –
100 rezepte für leckere
powersäfte
JulIe morrIs
224 seiten
CHF 28.90
königsfurt-urania
super säfte!
s
e
erIn
quon, brIana stockton
110 seiten
CHF 17.90
edel
e
Dieser Saft macht hochgradig süchtig – im positivsten Sinn natürlich. Aufgrund
seines Gehalts an Elektrolyten ist er stark feuchtigkeitsbildend und hat ein
Geschmacksprofil, das an minzige Schokoladenmilch erinnert. Zudem ist er
sehr erfrischend.
erGIbt runD 475 ml
zutaten:
zubereItung:
6 grosse Palmkohlblätter
(auch als Lacinato-Grünkohl oder
Schwarzkohl bekannt)
1 grosse Handvoll Minze
370 ml Kokoswasser
1 EL Kakaopulver
1 TL Vanilleextrakt
Süssungsmittel nach Belieben
Palmkohlblätter und Minze entsaften.
Den Saft in einen Mixer giessen und
Kokoswasser, Kakaopulver und Vanille
dazugeben. Alles gut durchmixen.
Abschmecken und mit Stevia oder
einem bevorzugten Süssungsmittel
süssen.
verstärkung:
Wenn Sie flüssiges Chlorophyll haben,
kann es bei diesem Rezept ideal
eingesetzt werden.
46 | wettbewerb
veranstaltungen | 47
Books Nr. 2/2015
Das Literatur-Kreuzworträtsel
VERANSTALTUNGEN
Unter den richtigen Lösungen verlosen wir Gutscheinkarten von Orell Füssli Thalia:
1. Preis: CHF 200.–, 2. Preis: CHF 100.–, 3. Preis: CHF 50.–, 4. bis 10. Preis: je CHF 20.–.
JunI
1.
thalia bern
JulI
17.30 uhr
«Fremdsprachen in der Schule»
4.
berner Wissenschaftscafé, öffentlicher vortrag
und Diskussion
6.
9.
6.
kramhof zürich
13–15 uhr
Theo der Bär besucht die
Kinderwelt
kramhof zürich
4.
thalia bern
20 uhr
13–15 uhr
buchvernissage mit
Peter fahr; es lesen
stefan kurt und meret
matter, musik von
andy harder
17.30 uhr
«Es lebe der Sport»
10. Hotel mont Cervin palace, zermatt
7.
19 uhr
thalia bern
8.
thalia bern
20 uhr
«Das Wunder
der Heilung»
vortrag von
Patric Pedrazzoli
august
25. thalia bern
17.30 uhr
«Mythos Wald»
berner Wissenschaftscafé, öffentlicher vortrag
und Diskussion
«Matterhorn – Berg der Berge»
berg-buchvernissage mit autor Daniel anker
und fotograf robert bösch, veranstaltet von
zaP zermatt
20 uhr
«Alles ist nicht
alles»
Theo der Bär besucht die
Kinderwelt
berner Wissenschaftscafé, öffentlicher vortrag und Diskussion
thalia bern
stauffacher bern
20 uhr
«Geld aus dem Nichts»
9.
Wie banken Wachstum ermöglichen und
krisen verursachen – lesung mit mathias
binswanger
10. meissner bücher aarau
stauffacher bern
20 uhr
«Die Walserin»
buchvernissage und
lesung mit
therese bichsel
19.30 uhr
«Wir zählen unsere Tage nicht»
lesung mit silvio blatter
«Indien – ein Länderporträt»
10. stauffacher bern
20 uhr
lesung mit bernard Imhasly
«Burnout»
Psychiatrie im Gespräch, öffentlicher vortrag
und Diskussion
10. rösslitor st. gallen
26.
20 uhr
18. barocksaal stiftsbibliothek st. gallen
«Mythos Wald»
thuner Wissenschaftscafé, öffentlicher
vortrag und Diskussion
30. thalia basel
20 uhr
september
1.
stauffacher bern
20 uhr
lesung mit Donna leon und regine Weingart
veranstaltet mit der buchhandlung rösslitor
✁
27.
Lösungswort:
Vorname / Name
Adresse
Mit der Angabe ihrer E-Mail-Adresse akzeptieren die Teilnehmenden die Teilnahmebedingungen. Die Orell Füssli
Thalia AG ist berechtigt, die angegebenen Daten zu speichern – und sie für den Versand des kostenlosen Newsletters
von buch.ch, thalia.ch und books.ch sowie zu Markt- oder Meinungsforschungszwecken zu nutzen.
«Wirksame Therapie bei
Angststörungen»
17.15 uhr
20 uhr
«Tod zwischen den Zeilen»
Bis zum 1. Juli 2015 bei Orell Füssli, Thalia, Stauffacher, ZAP, Meissner oder bei
Rösslitor Bücher abgeben – oder per E-Mail senden an: books@books.ch.
Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt.
20 uhr
Psychiatrie im Gespräch, öffentlicher vortrag
und Diskussion
«Matterhörner. Eine folgenschwere Erbschaft»
lesung mit blanca Imboden
14. thalia thun
stauffacher bern
PLZ / Ort
stauffacher bern
18 uhr
«Büro Destruct»
vernissage der ausstellung vom 22. Juni bis
2. august
«Es gibt Tage, da sind alle
Menschen blau und sprechen
Chinesisch»
kabarettistische lesung mit bänz friedli
«Der Tod – live»
buchvernissage und lesung mit
Philipp Probst
E-Mail
alle veranstaltungen finden sie auf www.books.ch, www.thalia.ch und www.buch.ch
48 | kolumne
tram-aktIon | 49
Books Nr. 2/2015
Trampunzel: Das
Sommer-Märlitram
Schweizer Autorinnen und
Autoren erzählen in Books,
warum sie schreiben.
Heute: Max Küng
Bis jetzt gab es das Märlitram in Zürich nur im Advent. Dieses Jahr
fährt aber auch im Sommer das Märlitram von Orell Füssli durch die
Strassen. Zwei Erzähler bringen auf der halbstündigen Reise Kinderaugen zum Leuchten.
preise und weitere
Informationen
Ein Ticket kostet 12 Franken pro Kind
und ist erhältlich in der Kinderwelt der
Orell-Füssli-Filiale Kramhof Zürich.
Mehr Informationen unter
0848 80 18 80.
Jonas bühler
Der Duden zählt 250’000 Wörter. Das sind
250’000 Möglichkeiten, ein erstes Wort zu
wählen. 250’000 verschiedene Anfänge.
Auch ein Mensch, der Zahlen grundsätzlich
ablehnt, muss erkennen, dass die Zahl
250’000 sehr hoch ist. Und hat man erst
einmal das erste Wort gewählt, dann ist die
Arbeit noch lang nicht getan: Nein, man
muss ein zweites Wort suchen. Und dann
ein drittes Wort. Ein viertes Wort. Und so
weiter.
Ich schreibe kurze Texte, lange Texte, meist
für «Das Magazin». Es sind Texte über alle
Themen (ausser Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Religion). Dieses Schreiben
funktioniert niemals ohne vorgehaltene
Waffe: Da muss jemand sein, der den Text
erwartet. Ein Redakteur. Eine Lektorin. Jemand, der sehr streng ist. Ohne Leidensdruck geht gar nichts. Heute etwa sitze ich
im Büro und schreibe diese Worte. Draussen ist ein wunderschöner Tag. Ich könnte
mit dem Fahrrad durch die Gegend fahren.
Und wäre es ein Regentag, dann auch egal:
Ich könnte im Womb Chair sitzend liegen
oder liegend sitzen und auf Netflix eine Serie schauen. Aber ich habe jemandem diesen Text versprochen. Liefere ich ihn heute
Abend nicht, dann würde jemand sehr böse
auf mich sein. Das will ich nicht. Deshalb
schreibe ich.
Und nun habe ich ein Buch geschrieben,
einen Roman, er hat 288 Seiten, das sind so
knapp 70’000 Wörter. Das sind so gut
400’000 Zeichen. Dass ich ein Buch schreibe, das war nicht meine Idee. Man hat mich
überredet.
Es gab den einen oder anderen Moment
während des Schreibens, in dem ich sehr
nahe dran war, alles in den Kübel zu
schmeissen. Deswegen habe ich den Vertrag mit dem Verlag auch erst unterschrieben, als ich das Manuskript fertig hatte. Ich
dachte: Sollte ich es nicht schaffen, dann
sag ich denen, ich hätte niemals einen Vertrag gesehen. Ich würde einfach sagen:
«Ein Buch? Was für ein Buch? Ich weiss
von keinem Buch ...»
Stadt heraus zu fahren, über einen Hügel,
durch ein Tal, einen Fluss entlang, über
noch einen Hügel, hinein in ein anderes Tal.
Ja, darum schreibe ich: Damit ich Fahrrad
fahren kann. Und ich schreibe auch, weil
ich sonst nichts kann. Ich wäre ein schlechter Metzger. Ich wäre ein übler Baggerfahrer. Ich wäre ein lausiger Hundecoiffeur.
Darum schreibe ich: Es ist mein Beruf.
Als ich den Roman in Angriff nahm, schrieb
ich vier Wochen lang kein Wort, sondern
dachte darüber nach, mit welchem Wort
das Buch beginnen sollte. Es gibt da tolle
Rezepte. Brett Easton Ellis sagte einmal, für
sein Buch «Glamorama» habe er folgendes
Konzept gehabt: Er wollte mit dem Wort
«Flecken» beginnen, mit etwas sehr Kleinem, und er wollte das Buch mit dem Wort
«Mountain» beenden, mit etwas sehr Grossem also. Alles dazwischen hätte sich dann
einfach so ergeben.
Die zweiten vier Wochen verbrachte ich damit, Berechnungen anzustellen: Wie viele
Zeichen ich pro Tag zu schreiben hätte, um
an einem bestimmten Tag eine bestimmte
Anzahl Worte zustande gebracht zu haben.
Und ich ernährte mich von Weisheiten wie
jener von E. L. Doctorow: «Writing is like
driving at night in the fog. You can only see
as far as your headlights, but you can make
the whole trip that way.» Das gab mir Mut.
Die nächsten Wochen dann verbrachte ich
damit, am Morgen früh aufzustehen und zu
schreiben. Am besten schreibt es sich frühmorgens, bevor man richtig wach ist, bevor
man denken kann, was man machen könnte, anstatt zu schreiben. Hatte ich jeweils
die von mir gesetzte Marke von 7500 Zeichen erreicht, durfte ich den Rest des Tages
tun, was ich wollte. Meistens stieg ich aufs
Fahrrad. Denn das ist das, was ich am
liebsten tue: Mit dem Rennvelo aus der
Fahrplan
Abfahrt und Ankunft:
Tramschleife Bellevue Zürich
© cHriSTiAN ScHNUr
Es ist ganz simpel: Ich schreibe, damit ich
Fahrrad fahren kann. Denn dies ist das, was
ich am liebsten tue. Niemals käme ich auf
die Idee, einfach so zu schreiben, weil ich
etwa so etwas wie ein inneres Bedürfnis
verspürte. Dazu ist das Schreiben viel zu
schrecklich, denn es gibt viel zu viele Wörter.
max kÜnG
Max Küng kam 1969 in Maisprach bei Basel
zur Welt. Er absolvierte in Liestal eine kaufmännische Lehre bei einer Bank – in der
Hoffnung, einmal ein reicher Bankdirektor
zu werden. Anschliessend begann er eine
Ausbildung als Computerprogrammierer.
Mit 25 Jahren trat er schliesslich in die
Ringier-Journalistenschule ein. Seit 2000
schreibt er regelmässig Kolumnen und
Reportagen für «Das Magazin». Soeben ist
sein erster Roman erschienen:
wir kennen uns
doch kaum
288 seiten
CHF 14.90
rowohlt
Mit Geschichten vom Rumpelstilzchen
und den Bremer Stadtmusikanten werden
Andrea Fischer und Adrian Schulthess
vom Minitheater Hannibal die Kinder im
Märchentram unterhalten. Die beiden haben bereits zahlreiche Theaterstücke für
Kinder inszeniert und sind Meister im
Märchenerzählen. Während einer halbstündigen Fahrt im historischen Tram
durch Zürich betreten sie mit den jungen
Zuhörerinnen und Zuhörern in der Fantasie eine magische Welt voller singender
Esel, einfältiger Räuber, listiger Männlein
und so schlauer wie schöner Müllerstöchter. Die Kinder hören vier Tiere mehr
schlecht als recht zusammen musizieren
und erraten den Namen dieses kleinen
Kerls, der zwischen den hölzernen Bänken herumpoltert. Und vergessen dabei
völlig, dass es nur die Stadt Zürich ist, die
da vor den Fenstern vorbeizieht, und kein
Märchenland.
rasch tickets holen!
Start- und Endpunkt der märchenhaften
Reise, die von Orell Füssli Thalia und der
VBZ gemeinsam veranstaltet wird, ist die
Tramschleife am Bellevue. Die Fahrt findet an vier Samstagen von Juni bis Oktober jeweils dreimal pro Nachmittag statt.
Sie dauert rund eine halbe Stunde. Das
alte VBZ-Tram hat bloss 20 Plätze – leider
lassen sich auch bei wildem Flunkern
nicht mehr hinzaubern, man muss also
schnell reservieren. Tickets gibt’s in der
Kinderwelt der Orell-Füssli-Filiale Kramhof in Zürich. Erwachsene dürfen leider
nicht mitfahren, da sie zu gross für den
kleinen Platz im Tram sind. Sie können
ihre Kinder spätestens eine Viertelstunde
vor Abfahrt zum Tram bringen und nach
der Fahrt wieder abholen. Proviant müssen sie den Kindern keinen mitgeben.
6. Juni
14 bis 14.30 Uhr
15 bis 15.30 Uhr
16 bis 16.30 Uhr
4. Juli
14 bis 14.30 Uhr
15 bis 15.30 Uhr
16 bis 16.30 Uhr
5. September
14 bis 14.30 Uhr
15 bis 15.30 Uhr
16 bis 16.30 Uhr
3. Oktober
14 bis 14.30 Uhr
15 bis 15.30 Uhr
16 bis 16.30 Uhr
50 | CarIgIet-ausstellung
Das Bündnerland in
leuchtenden Farben
Alois Carigiet wurde als Kinderbuchautor weltbekannt. Der
Künstler aus der Surselva hat aber weit mehr zu bieten als den
«Schellen-Ursli». Ab dem 12. Juni ist ein Querschnitt seines
Werks im Landesmuseum Zürich zu bewundern. Orell Füssli
Thalia unterstützt die Ausstellung.
benjamin gygax
1947 mitspielte. Zeitlebens widersetzte
sich Alois Carigiet dem Zwang, sich auf
eine Rolle als Illustrator, Gebrauchsgrafiker oder Künstler festlegen zu lassen. Er
war deswegen auch Kritik ausgesetzt. Dafür gibt es am Bündner Maler, der vor
dreissig Jahren in seinen Geburtsort Trun
starb, umso mehr zu entdecken.
© Orell FüSSli VerlAG
der schellen-ursli prägte das bild der schweiz – und vor allem jenes des engadins.
grafiker, autor und maler
Der Künstler Alois Carigiet hat allerdings
weit mehr zu bieten als seine Kinderbuchklassiker. Der gelernte Dekorationsmaler,
der 1902 in Trun in der Surselva zur Welt
kam, führte in Zürich ein Grafikatelier und
entwarf zahlreiche Werbeplakate, zum
Beispiel für die Landi 1939. Von ihm stammen so bekannte Sujets wie das rote Kleeblatt für die Landeslotterie oder das weisse
Hündli von Fein-Kaller. Carigiet malte
Landschaften vor allem aus seiner Bündner Heimat, schuf Wandgemälde und fertigte Bühnenbilder für das legendäre «Cabaret Cornichon» an. 1934 gehörte er zu
den Gründungsmitgliedern des Ensembles, und er war ihm auch durch seinen
Bruder Zarli Carigiet verbunden, der bis
«seIne vIelseItIGkeIt fInDe Ich beeInDruckenD»
Pascale Meyer hat die Ausstellung über Alois Carigiet als Kuratorin betreut.
Sie erzählt, was es an diesem Künstler zu entdecken gibt.
Was wollen Sie in der Ausstellung
vermitteln?
Wir wollen auch ein Stück Kulturgeschichte aus der rätoromanischen
Schweiz zeigen, denn das Werk Carigiets
muss man vor dem Hintergrund seiner
Heimat betrachten. Ich finde die Vielseitigkeit des Künstlers beeindruckend. Er
hat ja nicht nur gezeichnet und gemalt,
sondern auch Kinderbücher getextet. In
der Ausstellung kann man seine Biografie
und sein vielseitiges Werk kennen lernen.
ein raum für jede seite des künstlers
Das sagte sich auch das Schweizerische
Landesmuseum in Zürich. Und weil die
letzte Ausstellung von Carigiets Werk
schon lange zurück liegt – sie fand 2002 im
Bündner Kunstmuseum Chur statt –, hat es
die Ausstellung «Alois Carigiet. Kunst, Grafik & Schellen-Ursli» organisiert. Vom 12.
alois Carigiet malte die natur, die ihn im bündnerland umgab.
Der Bub mit der roten Zipfelmütze will
sich nicht damit abfinden, am Chalandamarz mit dem kleinsten Glöcklein durchs
Dorf Guarda zu ziehen. Deshalb wagt er
ganz allein die abenteuerliche Wanderung
zum Maiensäss, um dort eine grosse Treichel zu holen. Die Geschichte vom Schellen-Ursli kennt in der Schweiz seit vielen
Jahrzehnten fast jedes Kind. Und sogar in
Amerika und im fernen Osten hat das Bilderbuch begeisterte Leserinnen und Leser. Die Kinderbücher machten ihren
Schöpfer Alois Carigiet berühmt, und sie
sind auch heute so beliebt wie eh und je.
Zurzeit wird der Schellen-Ursli, der 1945
entstand, bereits zum zweiten Mal verfilmt. Der Spielfilm von Xavier Koller
kommt im Herbst in die Kinos.
CarIgIet-ausstellung | 51
Books Nr. 2/2015
Juni an zeigt das Museum einen breiten
Querschnitt durch das Schaffen des Künstlers. Die Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit der Familie Carigiet, einer der beiden Töchter des Künstlers, und dem
Bündner Kunstmuseum entstand, bringt
den Besuchenden das ganze Spektrum von
Carigiets Schaffen näher. Ein Raum ist der
rätoromanischen Kultur gewidmet, die
den Künstler so sehr geprägt hat. Kinder
können in einer künstlichen Berglandschaft herumturnen und alle Bilderbücher
Carigiets erleben. Ein Raum ist dem grafischen Werk gewidmet, einer der Malerei
und einer seiner Zusammenarbeit mit dem
«Cabaret Cornichon».
unbekanntes entdecken
Als besondere Leckerbissen präsentiert
die Ausstellung auch weniger bekannte
Plakate, bisher ungesehene Entwürfe für
Wandmalereien wie zum Beispiel die Flurina, ein Entwurf für das Wandgemälde
der «Cascheria» in Trun, sowie ein Kinderbuch, das bis heute nicht veröffentlicht
wurde: Besucherinnen und Besucher können einen Blick in sein spätes Buch «Krikel» werfen. Sie werden auch Kostüme und
Requisiten aus der Neuverfilmung des
«Schellen-Ursli» bestaunen und ein Making-of ansehen können.
Books: Was hat Sie dazu veranlasst,
eine Ausstellung über Alois Carigiet zu
gestalten?
Pascale Meyer: Die Idee ist eigentlich
auf unsere Märchen-Ausstellung vor
zwei Jahren zurückzuführen. Als wir
damals die Märchenbücher des Künstlers und Illustrators Felix Hoffmann
zeigten, fiel bereits ab und zu der Name
Carigiet – auch er gehört zu den Künstlern, die weit über die Schweiz hinaus
ausstrahlen. Damit war für uns klar, dass
er «der Nächste auf unserer Liste» ist.
Gibt es in diesem breiten Schaffen
einen Bereich, der speziell ist?
Das grafische Werk von Carigiet ist sicher
herausragend: In diesem Bereich spielte
er in der Schweiz absolut in der ersten
Liga. Allerdings schloss er nach einigen
Jahren mit der Grafik ab, um nur noch als
freier Künstler zu arbeiten.
Wie hat Carigiet als Künstler nachgewirkt?
Er war vor allen in den 1960er- bis
80er-Jahren populär, in sehr vielen
Schweizer Haushalten hingen seine
Bilder und Lithographien. Seine Kinderbücher sind weiterhin sehr beliebt. Sie
tragen viel zum Bild der Schweiz und vor
allem des Engadins bei.
das grosse buch vom schellen-ursli
Schellen-Ursli, Flurina und das Wildvöglein,
Der grosse Schnee
aloIs carIGIet unD selIna chönz
120 seiten | CHF 65.00 | orell Füssli
Die «Engadiner Trilogie» von Carigiet umfasst
den «Schellen-Ursli», «Flurina und das Wildvöglein» sowie «Der grosse Schnee». 2012
wurden sie in einem Band herausgegeben. Die
Illustrationen sind aufgrund früher Drucke neu
lithografiert, damit sie in den Farben erstrahlen,
die der Künstler damals anstrebte.
des st. moritzer
peterli wunderbares skiabenteuer
(1938)
aloIs carIGIet unD
lÜ DeGIacomI-DIDIo
32 seiten
CHF 19.90
orell Füssli
zottel, zick
und zwerg
(1965)
aloIs carIGIet
40 seiten
CHF 29.90
orell Füssli
birnbaum, birke,
berberitze (1967)
aloIs carIGIet
34 seiten
CHF 29.90
orell Füssli
schellen-urslI beGeGnen
1. oktober 2015,
19 – 21 uhr
29. oktober 2015,
19 – 20.30 uhr
1. november 2015,
12 – 14 uhr
«schellen-ursli – der
Film: kinderbücher und
das bild der schweiz»
mit xavier koller, oscarpreisträger, regisseur des
films «schellen-ursli»,
matthias lerf, filmkritiker,
sonntagszeitung / tagesanzeiger, Peter reichenbach,
Produzent.
moderation: monika schärer
eintritt: chf 10.–
«beim umzug wird der
letzte sein, der schellenursli ganz allein!»
vortrag von chasper Pult,
romanist und kulturvermittler, zur entstehung des
Weltbestsellers und zu
seinen Übersetzungen.
eintritt: chf 10.–
«der schellen-ursliFilm: triff deine stars»
für kinder ab 6 Jahren und
familien, mit den schauspielerinnen tonia maria zindel
und Julia Jerker sowie den
schauspielern andrea zogg
und Jonas hartman.
moderation:
Patrick stöper, srf.
eintritt: chf 10.–
maurus und
madleina (1969)
aloIs carIGIet
44 seiten
CHF 29.90
orell Füssli
alois Carigiet
kunst – grafik –
schellen-ursli
hans ten
Doornkaat
(hrsG.)
112 seiten
CHF 19.80
orell Füssli
T, K S
N FI EN
U
K RA LL
G E
H I
C
S SL
& UR
12.06.2015
–
03.01.2016
www.carigiet.landesmuseum.ch