Editorial Liebe Leser*innen, bereit zum fünften Mal schließt sich anlässlich des 1. Mai in Braunschweig unser Jugendbündnis zusammen, welches sich seit 2011 u.a. auf der traditionellen 1. Mai-Demonstration zum Jugendblock formiert. Damit versuchen wir, unseren Themen und unserer Kritik an den bestehenden Verhältnissen eine Stimme zu verleihen. Uns eint hierbei eine fundamentale Kritik an der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und die gemeinsame Forderung nach einem besseren Leben für alle. Daher ist unser zentrales Motto: Gemeinsam für eine solidarische Gesellschaft! Es ist notwendig unsere Kritik an den bestehenden Verhältnissen gemeinsam zu formulieren, da unsere Probleme in der Schule, am Arbeitsplatz, mit dem Arbeitsamt, der Ausländerbehörde oder an der Universität uns zwar einzeln treffen, jedoch Auswirkung der selben gesellschaftlichen Verhältnisse sind. Unsere Vorstellung von einer befreiten und solidarischen Gesellschaft hat sich leider noch lange nicht erfüllt – Tag für Tag sind wir mit der Gewalt des kapitalistischen Alltags konfrontiert. Das macht die Organisierung gegen die Verhältnisse so wichtig wie eh und je und wir müssen gemeinsam Antworten auf deren momentane Erscheinungen finden. In dieser Broschüre wird es daher auch wieder Hintergrundartikel zu aktuellen Themen geben. So beschäftigen wir uns mit den bevorstehenden Treffen der G7-Staaten in Deutschland und mit der grundsätzlichen Rolle des Staates. Eine Auseinandersetzung mit der rassistischen BRAGIDA/PEGIDA-Montagsveranstaltung und ihren Parallelitäten zum Islamismus findet ihr hier ebenfalls. Darüber hinaus wird sich der besonderen Rolle der Gewerkschaften im Kapitalismus angenommen sowie auf deren Doppelcharakter hingewiesen und im selben Zuge beschäftigt sich ein weiterer Artikel mit der Notwendigkeit einer neuen Arbeitszeitverkürzungsdebatte. Wir wollen aber auch Perspektiven für Kämpfe um eine solidarische Gesellschaft hier vor Ort aufzeigen. Dazu werden verschiedene Jugendorganisationen aus Braunschweig ihre Positionen und aktuellen Arbeitsfelder vorstellen. Viel Spaß beim Lesen und selber aktiv werden – wir sehen uns am 1. Mai auf der Straße! Euer Redaktionskollektiv im Jugendbündnis 1. ALLGEMEIN 3. TEXTE ZUM INHALTLICHEN SCHWERPUNKT 4 Historie des Jugendbündnisses 6 Aufruf „Gegen die Gewalt der herrschenden Verhältnisse“ 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich Für mehr Möglichkeiten der Persönlichkeitsentfaltung außerhalb des Arbeitsprozesses 32 Ver.di Jugend Braunschweig/Wolfsburg Das Treffen der G7 – oder: Wie hältst du es mit dem Staat? Eine Staatskritik anlässlich des G7-Gipfels 2. WAS GEHT VOR ORT? Von Franzi, Nele und Malte Texte zur Vorstellung lokaler Gruppen Doppelcharakter der Gewerkschaften Eine Staatskritik anlässlich des G7-Gipfels 10 DGB Jugend TAK Von Timo Reuter und Marvin Hopp 12 Ver.di Jugend „In der Dämmerung fallen ihre Masken“ Ein Erklärungsversuch reaktionärer Krisenbewältigungsideologien 14 IG Metall Jugend 16 SJ – Die Falken 18 AStA der TU 20 Antifaschistische Gruppe Braunschweig 34 42 46 Antifaschistische Gruppe Braunschweig IMPRESSUM Die Texte dieses Heftes geben nur die Meinung der jeweiligen Autor*innen wieder. Die Verteiler*innen dieses Heftes sind nicht mit den Macher*innen identisch. Wir verwenden die geschlechtsneutrale Form „*innen“, um neben dem männlichen und weiblichen Geschlecht auch Transgendern und Anderen Rechnung zu tragen. 22 Ultras Braunschweig 24 Jusos 26 Grüne Jugend V.i.S.d.P.: Markus Hulm, Jugendbildungsreferent DGB Region SüdOst-Niedersachsen, Wilhelmstr. 5, 38100 Braunschweig 28 Jugendring Braunschweig Bildrechte: Seite 38&40: strassenstriche.net bei Flickr, CC BY-NC 2.0 H i st o r i e d e s J u g e n d b ü n d n i s s e s 4 2011 „Gemeinsam für eine solidarische Gesellschaft“ 2012 „Unsere Kritik geht weiter“ 2013 „Eine andere Welt ist nötig!“ 2014 „Unser Protest ist grenzenlos“ 5 G e g e n d i e G e wa l t d e r h e r rs c h e n de n Ve r häl t nisse Gemeinsam für eine solidarische Gesellschaft! Heraus zum 1. Mai 6 Wir, das Jugendbündnis zum 1. Mai 2015, rufen alle SchülerInnen, Studierenden, Auszubildenden, jungen ArbeiterInnen und Erwerbslosen dazu auf, sich am Jugendblock zu beteiligen. Es ist notwendig, unsere Kritik an den bestehenden Verhältnissen gemeinsam zu formulieren, da unsere Probleme - in der Schule, am Arbeitsplatz, mit dem Arbeitsamt, der Ausländerbehörde oder an der Universität - uns zwar einzeln betreffen, jedoch die Auswirkungen derselben gesellschaftlichen Verhältnisse sind. Die Verhältnisse, in denen wir leben, basieren auf der Logik von Privateigentum an Produktionsmitteln und Profitmaximierung. Dies bedeutet für viele Menschen alltägliche Gewalt in Form von Armut und Leistungszwang, Diskriminierung und Ausgrenzung, bzw. fehlender Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, aber auch grundlegend den Ausschluss von Entscheidungen darüber, was wir produzieren und wie wir den gesellschaftlichen Reichtum verteilen. Eine andere Welt ist möglich Die Alternative wäre, sich solidarisch gegen diese Zustände zu organisieren und gemeinsam für ein gutes Leben für alle zu kämpfen. Allerdings stehen wir uns alle in erster Line als Konkurrenten im ewigen Wettbewerb um Jobs, Ausbildungs- und Studienplätze, bessere Noten oder Bewertungen gegenüber. Diese Konkurrenzverhältnisse werden von vielen als (gott-)gegeben wahrgenommen und aufgrund von Leistungszwang verinnerlicht. Dass sie einer Gesellschaftsordnung entspringen, die vom Menschen geschaffen wurde und somit auch vom Menschen verändert und überwunden werden kann, wird zu selten gesehen. Packen wir es an! Rassismus und Faschismus den Boden entziehen Oftmals dienen vereinfachte und falsche Muster zur vermeintlichen Erklärung der herrschenden Verhältnisse. Die Zunahme sowie die Entstehung von PEGIDA/BRAGIA, auch bei uns in Braunschweig, sind eines dieser falschen Erklärungsmuster. Plötzlich sind Ausländer und Flüchtlinge an Arbeitslosigkeit Schuld und nicht die ungleiche Verteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit. Dass die zugrunde liegenden Erklärungsmuster dabei völlig irrational sind, sehen wir daran, dass MigrantInnen einerseits „Schmarotzertum“ vorgeworfen wird und sie andererseits „uns“ die Arbeitsplätze wegnähmen. Was denn nun? Wer aus Angst Menschen tritt, denen es noch schlechter geht als einem selbst, ist kein besorgter Bürger, sondern ein Arschloch! Wir kämpfen lieber gemeinsam gegen die eigentlichen Ursachen der Gewalt der herrschenden Verhältnisse! Der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte Der Kapitalismus produziert heute unglaublichen Reichtum und zugleich den Ausschluss vieler Menschen von diesem. Obwohl genug für alle da ist, wird einem Großteil der Menschheit der Zugang zu dem verwehrt, was sie für ein gutes Leben brauchen. Selbst grundlegende Bedürfnisse der Menschen wie Wohnraum für alle, Frieden, Gesundheit, genug zu Essen und Bildung, kann der Kapitalismus nicht befriedigen. Immer noch sterben Menschen an Hunger oder heilbaren Krankheiten, weil sie keinen Zugang zum Nötigsten haben. Die unsolidarische Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums ist die systematische Gewalt des kapitalistischen Alltags. Daher finden wir: Nur in einer Gesellschaft, die den Zugang zum gesellschaftlichen Reichtum allen (frei) ermöglicht, ist ein friedliches und solidarisches Miteinander möglich. So wie es ist, bleibt es nicht! Für uns stellt sich daher die Frage, wie lange wir es, insbesondere als junge Menschen, noch hinnehmen wollen, uns dieser gewalttätigen Logik zu beugen. Wie lange wollen wir es noch zulassen, dass eine Gesellschaft diese Logik verinnerlicht und sich dabei Menschen, besonders in Krisenzeiten, mit vereinfachten und diskriminierenden Erklärungsmustern zufrieden geben? Für uns stellt sich neben den täglichen Abwehrkämpfen, die wir gegen die permanenten Angriffe des Kapitalismus führen, auch immer die Frage nach einer Gesellschaft jenseits dieser unmenschlichen und unsozialen Logik. Wir bilden uns, machen uns Gedanken und kämpfen für eine Gesellschaft, in der Solidarität an erster Stelle steht. Jugendbündnis zum 1. Mai 2015 10.3 30 Uhr, Burgplatz Im Anschluss: Jugendmeile im Bürgerpark 7 Wa s g e ht vor Ort? „ U n s e re m Ve rstän dnis na ch m ü ssen d i e G r u n d s ä t z e F re i h e i t , G l e i c h h e i t u n d S oli d ar i t ä t mi t Le be n g e fü l l t we rden “ 10 Wir sind ehrenamtlich engagierte junge Menschen - Schüler*innen, Azubis, Studierende oder auch Arbeits- aber nie Beschäftigungslose, die sich der politischen Jugendbildungsarbeit verschrieben haben und gemeinsam den Teamendenarbeitskreis (TAK) in der DGB Jugend Braunschweig bilden. Politische Jugendbildungsarbeit, auch weit über klassisch als gewerkschaftlich verstandene Themen hinaus, ist ein zentraler Bestandteil im Selbstverständnis und Tätigkeitsbereich der DGB Jugend. Unser Ziel besteht darin, Jugendliche über gesellschaftliche Misstände und die dahinterstehenden Strukturen aufzuklären und sie gleichzeitig dazu zu ermutigen, für die Partizipation an und solidarische Gestaltung der Gesellschaft aktiv zu werden - sei es im Betrieb, in der Schule, der Uni oder auch im “privaten” Umfeld. Wir möchten also ein politisches Verständnis wecken und aufzeigen, dass auch und gerade junge Menschen für ihre Interessen eintreten und ihren Vorstellungen von einer anderen Gesellschaft Gehör verschaffen können und sollten. Das wollen wir euch allerdings nicht nach Lehrplan „beibringen“ oder gar von oben „verordnen“, sondern ganz im Gegenteil gemeinsam mit euch auf Augenhöhe und mit euren Perspektiven erarbeiten. Unserem Verständnis nach müssen die Grundsätze Freiheit, Gleichheit und Solidarität mit Leben gefüllt werden und dementsprechend gestalten wir auch unser Bildungsangebot bewusst jenseits von Leistungsprinzip und Autoritätsglaube. Diese in der Regel mehrtägigen Seminare bieten wir seit vielen Jahren und erfreulicherweise mit steigendem Umfang, u.a. zu den Themenbereichen Antirassismus & Diskriminierung (Courage), Demokratie & Mitbestimmung (PDM) und auch Gesellschaft & Geschlecht (Gender) an. Vielleicht ist der eine oder die andere Leser*in uns ja schonmal begegnet und erinnert sich spätestens jetzt an unser Seminar im Gewerkschaftshaus. In diesem Rahmen begegnet uns - und vor allem eben auch unseren Teilnehmenden - die sprichwörtliche Gewalt der herrschenden Verhältnisse in vielen verschiedenen Formen. Dies beginnt bei Azubis, die vom Betrieb als billige Hilfskräfte ausgenutzt werden und dort alle möglichen Tätigkeiten ausüben müssen, nur nicht jene für die Erlernung ihres späteren Berufs notwendigen - geht über die (Un-)Sichtbarkeit verschiedener Arten von Diskriminierung im schulischen Alltag - und hört bei Diskussionen über geschlechtliche Rollenanforderungen und deren Auswirkungen auf unser Leben in dieser Gesellschaft noch lange nicht auf. Neben einigen praktischen Tipps, die wir aus unseren eigenen Erfahrungen geben können, sehen wir unsere Aufgabe vor allem darin, diese persönlichen Frustrationserlebnisse in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu bringen und damit auch aufzuzeigen, welche Möglichkeiten es gibt, sich dagegen solidarisch zur Wehr zu setzen. Daneben verstehen wir uns natürlich auch selbst als politische Menschen und versuchen somit über unsere Bildungsarbeit hinaus aktiv gegen gesellschaftliche Missstände vorzugehen und unsere Vorstellungen einer solidarischen Gesellschaft breiter zu streuen. Dazu beteiligen wir uns aktuell nicht nur an den No-Bragida-Protesten des „Bündnis gegen Rechts“, sondern engagieren uns auch beim Jugendbündnis zum 1. Mai im Jugendblock auf der Demo, mit Diskussionsveranstaltungen im Vorfeld und nicht zuletzt durch die Erstellung dieser wundervollen Broschüre. Wer mit uns nach dieser kurzen Vorstellung immer noch - oder gerade deswegen - Seminare organisieren möchte (wir teamen übrigens auch noch über die o.g. hinaus verschiedene Workshops und Ausstellungen), kann sich gerne an unseren Jugendbildungsreferenten (Kontakt s.u.) wenden. Vor allem aber freuen wir uns über personellen Nachwuchs in unserem TAK - also wenn du vielleicht schonmal ein Seminar als „Teili“ mitgemacht hast und auf die andere Seite wechseln möchtest oder aber politische Jugendbildungsarbeit so wie wir einfach mega cool und wichtig findest, dann bist du herzlichst eingeladen, bei unseren regelmäßigen Treffen reinzuschnuppern und mitzumachen! Kont Ko ntak nt aktt ak DGB DG B Ju Juge g nd d TAK TAK Mark rkus kus Hul ulm lm Wilh Wi lhel elms lms mstr traß aße ße 5, 5, 381 8100 00 Bra Bra raun unsc un sch sc hwei hwei hw eigg E-Ma Mail Mail il:: mark rkus kus.h hullm@ @dg dgb.d b.de de Tellef Te lefon: fon: 053 053 5311 48 4 09 96337 11 Z u e rs t m u s s d e r G l a u b e a n e t w a s e n t st e h e n ! 12 Ganz nach dem Motto von Meister Yoda: „Diskriminierung, Ausgrenzung und Ausbeutung – die dunklen Seiten der Macht sie sind! Besitz sie nicht dürfen ergreifen von dir!“, kämpfen wir, die ver.di Jugend Braunschweig/Wolfsburg, auch in diesem Jahr für eine solidarische Gesellschaft, in der man Akzeptanz, Toleranz und ein Miteinander nicht im App-Store suchen muss. Wir stellen die Frage: Glauben wir nur, was wir sehen oder sehen wir nur das, was wir glauben? Unser Fazit: Zunächst muss die Vorstellung von einer solidarischen Gesellschaft in uns existieren, um sie dann umzusetzen. Zentrale Themen, bei denen wir Einfluss nehmen wollen, sind die Verbesserung der Flüchtlingspolitik und der Kampf gegen Alltagsrassismus. In Kooperation mit Asylsuchenden setzen wir uns im Rahmen der Organisationswahlen in Ver.di dafür ein, dass ver.di dafür eintritt, dass sich die Lebensbedingungen und Gesetze für Asylsuchende verbessern. Ebenfalls soll Geflüchteten eine Mitgliedschaft in ver.di ermöglicht werden. Es ist wichtig in Zeiten von Bragida nicht nur Petitionspapiere zu unterschreiben, sondern sich auch aktiv für Solidarität einzusetzen. Daher beteiligen wir uns an den Gegendemonstrationen zu Bragida oder Nazi-Aufmärschen und sagen: „Solidarität, die kannst du nicht googlen oder nachlesen, du kannst sie nur erleben!“. Außerdem beschäftigen uns die Schwerpunkte: Arbeitszeitverkürzung, Mindestausbildungsvergütung, Bildungsurlaub und Arbeitskampf. Um die Diskussion zur Arbeitszeitverkürzung wieder in unserer Gesellschaft zu etablieren, planen wir zusammen mit der IGM Jugend eine Veranstaltung. Denn: „Seit die Arbeiter Arbeit fordern statt so wenig Arbeit wie möglich, blieb ihre Kritik systemimmanent…“ - das niedliche Känguru. Wir sagen: Gewalt beginnt auch dann, wenn wir gezwungen sind jede Woche mindestens 40 Stunden zu festen Zeiten arbeiten zu gehen, nur um uns selbst zu reproduzieren. Kämpft mit uns für eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich! Denn dann haben wir auch wieder Zeit zum Lachen. Zeit um uns zu mobilisieren gegen prekäre Arbeitsund Lebensbedingungen, vor allem als ver.di Jugend im Dienstleistungssektor. Daher unterstützen wir tatkräftig die Tarifrunden für den öffentlichen Dienst der Länder sowie den Sozial- und Erziehungsdienst. Wir sagen: Solidarität, das beginnt schon beim „Gefällt-mir-Klick“ auf Facebook. Wenn wir uns fragen, was die Gewerkschaften je für uns getan haben, schreit es aus vielen Ecken. Aus einer kommt: „Bildungsurlaub“. In Niedersachsen steht jedem*jeder Arbeitnehmer*in 5 Tage Bildungsurlaub im Jahr zu. Ein Erfolg, den es zu verteidigen gilt. Wir machen uns mit kreativen Ideen und Aktionen stark dafür, dass dieses Angebot wahrgenommen wird. Wir unterstützen unsere starken Jugend-und Auszubildendenvertretungen in den Betrieben, die sich täglich dafür einsetzen, dass die Qualität der Ausbildung steigt. Hierbei unterstützen wir Aktionen zur Übernahme oder großartige Kampagnen wie „Einsatz für 4 Wände“, eine Kampagne der JAVen und Auszubildenden in Wolfsburg, um die Lebens- und Wohnqualität der Auszubildenden vor Ort zu verbessern! „Wir alle suchen unser Leben lang nach einem Ort, einem Menschen oder einer Vorstellung von etwas, das uns das Gefühl gibt, angekommen zu sein.“ - Lea-Patricia Kurz. Lasst uns ein „Zuhause“ schaffen, das allen das Gefühl gibt, angekommen zu sein - für eine solidarische Gesellschaft! „Willkommen auch in unserer ver.di Jugend ihr seid!“ - Meister Yoda. 13 G e g e n d i e G e wa l t d e s Ka p i t a l s Gemeinsam für ein schönes Leben! 14 Hallo! Wir sind die IG Metall Jugend aus Braunschweig. Wir – das sind Auszubildende, dual Studierende und Jugendvertreter*innen aus unterschiedlichen Braunschweiger Betrieben sowie Schüler*innen und Student*innen. Zusammen treffen wir uns regelmäßig, um uns auszutauschen. Vor allem geht es dabei natürlich um den allgegenwärtigen Kampf mit den Arbeitgeber*innen. Was geht gerade schief? Wie kann man das ändern? So versuchen wir u.a. gegen prekäre Beschäftigung und Diskriminierung von Azubis anzugehen. Eine große Rolle spielt zurzeit die Qualität unserer Berufsschulen. Um zunächst einen Überblick der Situation zu erhalten, haben wir im letzten Jahr eine Umfrage in unseren Betrieben gestartet. Die Ergebnisse waren zum Teil erschreckend – über 75% wissen nicht einmal, dass eine Interessenvertretung existiert! In unserer alljährlichen „Nikolausaktion“, bei der wir den Braunschweiger Weihnachtsmarkt ein wenig aufmischen, haben wir deshalb das Thema aufgegriffen. Mit einem Beamer bewaffnet zeigten wir ein selbstgedrehtes Video mit den Ergebnissen und verteilten Flyer, auf denen die Berufsschulen schlechte Noten erhielten. Viele Passant*innen konnten wir so auf dieses Problem aufmerksam machen und wir wollen auch weiterhin an dem Thema arbeiten. Für den Frühsommer ist eine Podiumsdiskussion geplant. Einen Erfolg für die betriebliche Weiterbildung konnten wir in der letzten Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie erringen: Der Zugang zur Weiterbildung wird damit für alle Beschäftigten deutlich einfacher. Wir stellen uns klar gegen jegliche Form von Ausgrenzung und Diskriminierung. In den Betrieben kommt leider beides in den unterschiedlichsten Formen vor. Um den Frauentag geht es also genauso, wie um die Ungleichbehandlung von Kolleg*innen mit Migrationshintergrund. In jedem Fall versuchen wir eine Lösung zu finden. Deshalb sprechen wir uns beispielsweise für die Einführung von anonymen Bewerbungen aus. Aber nicht nur betriebliche Themen befinden sich in unserem Fokus. Mit Schrecken haben wir die Entwicklung populistischer Parteien und Organisationen wie PEGIDA beobachtet und diskutiert. Seit der PEGIDA-Ableger in Braunschweig demonstriert, gehen auch wir auf die Straße, um zu verhindern, dass Braunschweig zur Bühne rechter Parolen wird. Für uns heißt es: Flagge zeigen gegen ausgrenzende Meinungsbilder! Das gilt sowohl für BRAGIDA und Naziaufmärsche als auch bei verstecktem Rassismus. All diese Themen stehen natürlich nicht nur bei uns auf der Tagesordnung. Gemeinsam sind wir stark, deshalb ist uns Vernetzung sehr wichtig. Im Vor- dergrund steht dabei die Zusammenarbeit mit dem DGB und anderen DGB-Gewerkschaften. Im Jugendbündnis sind wir gern aktiv, weil es zeigt, dass wir gemeinsam eine starke Stimme sind. Neben der ganzen politischen Arbeit verstehen wir uns auch sonst ziemlich gut. Unser bunt gemischter Haufen hat bei jedem Treffen viel zu Lachen und im Anschluss wird sich häufig bei einem Bierchen in der Kneipe weiter ausgetauscht. Insgesamt sind wir in weit gestreuten Bereichen tätig. Das liegt wohl daran, dass es noch so viel zu tun gibt im Kampf gegen die Gewalt der herrschenden Verhältnisse. Allerdings haben wir auf dem Weg zu einer solidarischen Gesellschaft auch schon viel geschafft. So gehört für uns zur erfolgreichen Arbeit auch das Feiern, schließlich muss man sich auch mal selbst auf die Schulter klopfen können. Waru Wa rum m wi wirr am 1. 1 Ma Maii au auff di diee St Stra raße ße geh gehen en Der 1. Mai Der Mai iist st jed edes es Jah ahrr ei ein n su supe p r Ta pe Tag, g, an an de dem m wi wirr di diee g ball ge ball llte te Pow Power er der der Arbbei eite iter* r*inne innens nsch haft ft auff d diie ie Str Straaße bri bri ring nggen kön kön önne nen ne n. Das Das ssol ollt ol lten lt en – und und müs müs üsse sen se n – wi wirr auch h al als ls Juggen end d mach chen hen. Am Am bes bestten ten al all lle le zus zusam amme men n im Juggen endb dbün db ündn ün dnis dn is,, de is denn nn:: Nu nn Nurr ge g me mein insa in sam sa m si sind nd wir wir star st tark! k! 15 E in e We l t , wi e si e uns ge fäl l t! 16 Die Sozialistische Jugend – Die Falken ist ein freiwilliger, parteiunabhängiger Zusammenschluss von Kindern und Jugendlichen. Wir organisieren Veranstaltungen, Zeltlager und Ferienfreizeiten. Das SUB, im Bohlweg 55, ist unser Jugendzentrum, in dem wir Partys, politische Seminare, Aktionen und vieles mehr organisieren. Im Vordergrund steht dabei der Anspruch der Selbstorganisation von Kindern und Jugendlichen - die Falken stellen die Möglichkeiten dafür zur Verfügung. Bei uns verbringen Kinder und Jugendliche ihre Freizeit und machen gemeinsam mit anderen Politik für sich selbst. Politik hat etwas mit uns zu tun, mit unseren Interessen, Bedürfnissen und unserem alltäglichen Leben. Wir „Falken“ wehren uns gegen Bevormundung, Intoleranz und gegen menschenverachtende Parolen und Politik. Wir treten ein für mehr Gerechtigkeit, Chancengleichheit und eine grundlegende Veränderung der bestehenden Verhältnisse. Frei von Rassismus, Sexismus, Homophobie, Kapitalismus und Antisemitismus. Und was wir denken, träumen und hoffen, versuchen wir schon heute (vor) zu leben. Deswegen ist es umso wichtiger, Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten anzubieten, aus denen sie lernen können, ihr Umfeld kritisch wahrzunehmen und Änderungsvorschläge zu entwickeln. Denn gegen die Dinge, die uns nicht passen, müssen wir aktiv vorgehen. Das können wir nur, wenn wir wissen, was uns nicht passt und wie wir es ändern können - wenn wir wissen, dass eine andere Welt möglich ist. Wir wollen eine Welt, die uns gefällt! Peer Leader International - ein selbstorganisiertes Jugendnetzwerk Peer-Leader-International (PLI) ist ein innovatives Bildungsprojekt für Jugendliche und junge Erwachsene mit einer Gruppe auch in Braunschweig. In Kooperation mit den Falken in Braunschweig organisieren wir unsere Aktionen ebenso im SUB am Bohlweg. Das Projekt gibt den Teilnehmenden aus verschiedensten Kulturen und sozialen Schichten die Möglichkeit, Neues kennen zu lernen und sich auszuprobieren. Lernen und Spaß durch eigenverantwortliches und gemeinschaftliches Erarbeiten von gemeinnützigen Projekten stehen dabei im Mittelpunkt. PLI will die Idee des „global citizenship“ (Weltbürger_innen) mit den Zielen Frieden, intakte Umwelt, Gerechtigkeit, Beteiligung und Bildung umsetzen. Alle PLI-Projekte werden von den ersten Ideen bis hin zur praktischen Realisierung von den Jugendlichen selbst entwickelt. Bisher haben Peers im Netzwerk verschiedenste Projekte verwirklicht: gutes Kochen - bio und fair, Klimaschutz, Energieprojekte, Exkursionen, internationale Besuche, Street Art und Globale Gerechtigkeit. Bei Peer-Leader-International dabei zu sein bedeutet, das Leben aktiv zu gestalten, Verantwortung für sich selbst und das eigene Umfeld zu übernehmen und sich über die Entwicklung von gemeinnützigen Projekten kreativ und spielerisch in die Gesellschaft einzubringen. Die persönliche Entwicklung des Einzelnen ist der Lohn dafür. Waru Wa rum m wi wirr am 1. 1 Ma Maii au auff di diee St Stra raße ße geh gehen en „S „Sol Sol olid idar id arit ar ität it ät.. Fr ät Freu eund eu ndsc nd scha sc haft ha ft. Gle Gle leic ichb ic hber hb erec er echt ec htig ht igun ig ungg. un g. Anti An ti-F Fas asch chis ch ismu is muss. mu s. Fem Fem emin inis in ismu is muss. mu s. Veg Veg egan anee Bu an Burg rger rg er der der Grün Grü Gr ünen JJug ünen ugen ug end en d. O d. Omn mnom mn omno om nomn no mnom mn omno om nom no m. N m. Naz aziis az is d doo ooff. oo f. Kapi Ka pita tali lism li smus sm usk us krit kri kr itik itik ik. Ve Vern Vern rnet etzu et zung zu ngg. Fr Frei eih ihe heit hei it it. Somm Somm So mmer er - S Son onne on ne - S Soz oziia oz iali iali lism smus sm us.. us Weil Pol Weil We oli lit itik auc itik auc uch h Sp Spaß ß mac mac ach hen ka hen he kann!“ kann !“ Kontakt k SJ - Die Die Fal Fal alke ken ke n KV Bra Bra raun unsc un schw sc hwei hw eigg ei Bohl Bo hlwe hl wegg 55 we 3810 38 100 0 Brau Brauns nsch chwe hweiig ig 05531 3 531 3 896 9645 456 6 kv@f kv @fal @f alke al ken ke n-bs.de n-bs de www ww w.kv kv.fal fal alke ken ke n-bs bs.de de www.facebook.com/falken.braunschweig 17 „ D o c h e s i s t n i c h t e i n fa c h , L e u t e f ü r d i e s e n M e h ra u f wa n d z u b e g e i st e r n “ 18 Wir sind als politische Vertretung der Studierendenschaft durchgehend mit struktureller Gewalt konfrontiert. Das hat viel damit zu tun, dass die Universität gesellschaftlich als Ort der Elitebildung angesehen wird und daher der Zugang zu dieser Form der weiterführenden Bildung stark beschränkt ist. Menschen ohne Abitur wird es fast unmöglich gemacht, einen Platz in einem Studiengang zu bekommen. Wer nicht mit dem Schulsystem zurecht kommt, hat keine Chance zu studieren. Zeitgleich ist ein Studium eine Spezialisierung auf eine bestimmte Wissenschaft und das angeeignete (Allgemein-)Wissen eines Abiturs wird nicht mehr benötigt. Scheitert jemand also in Fächern wie Englisch oder Geschichte, ist auch ein Mathematik-Studium in weite Ferne gerückt. Wer einen Studienplatz erhält, wird mit weiteren Problemen konfrontiert. Spätestens durch die Einführung von Bachelor und Master kommt es verstärkt dazu, dass Studis sich nicht zum Zwecke eines Wissensgewinns mit Themen auseinandersetzen. Es wird immer mehr darauf gesetzt, möglichst schnell mit dem Studium fertig zu werden. Dieses wird fortlaufend optimiert, um mehr und mehr Themen einzubauen, die ökonomisch verwertbar erscheinen. Durch die fehlende Zeit kommt es dann auch zu Phänomenen wie Bulimielernen – innerhalb von möglichst kurzer Zeit möglichst viel Wissen auswendig zu lernen, um es in Klausuren auf Kommando auszuschütten. Ein Lerneffekt bleibt dabei außen vor. Der Kampf um bessere Noten und den schnelleren Abschluss führt zu einem Konkurrenzkampf an den Hochschulen, welche eigentlich ein Platz für freie Bildung sind und nicht zum reinen Erwerb von Abschlüssen. Ein anderes Problem ist, dass viele Studis keinerlei finanzielle Unterstützung von den Eltern bekommen und sich mit BAföG und Jobben auseinandersetzen müssen. Auf der einen Seite immer mehr in kurzer Zeit auswendig lernen und auf der anderen Seite das komplette Leben mit (Neben-)Jobs zu bestreiten, sorgt für durchgehenden Stress und hohe Belastung der Studierenden. Wir als AStA versuchen, politisch gegen diese Umstände anzukämpfen und die Situation der Studierenden zu verbessern. Dabei vernetzen wir uns mit anderen ASten auf Landesebene, um politischen Druck auszuüben. Zugleich informieren wir die Studierenden und versuchen bei akuten Problemen auch direkte Aktionen vor Ort zu machen. Dazu besteht die AStA-Struktur u.a. aus Referaten, wo aktive Studis zu speziellen Themen arbeiten. So kümmern sich Studis um die Situation des knappen günstigen Wohnraums und die semesterweise akute Wohnungsnot. Es gibt auch Referate zu Antifaschismus oder Antirassismus, die sich mit diesen Themen auseinandersetzen und auch im städtischen Raum dazu arbeiten. Dazu gibt es Referate wie das AusländerInnen-, Homosexuellen- und FrauenLesben-Referat, welche als Repräsentationsorgane und Interessenvertretung für verschiedene Gruppen an der Hochschule agieren. Wir wirken also in vielen Bereichen und können uns glücklich schätzen, dass es aktive Studis gibt, die sich so sehr einbringen. Doch es ist nicht einfach, Leute für diesen Mehraufwand zu begeistern. In nächster Zeit werden wir unter anderem versuchen zu verhindern, dass es zu einer Entdemokratisierung des Niedersächsischen Hochschulgesetzes kommt. Außerdem wollen wir Studis für politische Themen begeistern, indem wir diese mit kulturellen Veranstaltungen verbinden. Auch die Wohnraumknappheit wird weiterhin ein akutes Thema bleiben und wir werden das „Festival contre le racisme“ (Veranstaltungen gegen Rassismus im Rahmen einer landesweiten Aktionswoche) wieder mehr beleben. Wirr ge Wi g he hen n am 1. 1. Ma Maii au auff di diee St Stra raße ße,, „...um um die die Ung Ung ngle leic le ichh ic hhei hh eite ei ten te n in uns uns nser erer er er Ges Ges esel ells el lsch ls chaft ch aft sich si chtb ch tbar tb ar zzu u ma mach chen ch en. Bi en Bild ldun ld ungg so un soll llte ll te für für all all llee zu zugä g nggli gä lich ch und un d ko kost sten ten enllo los se los seiin in Ma in. Man le Man lern lern rntt sc schl hliie hl ießl ießl ßliic ich fü ich fürs rs Leb eben ben und un d nich cht ht fü für de für den Ar den Arbbe beit beit itsm smar sm ark ar kt.“ kt Kontakt Alllgemeiner All i Studen d tisch i her Ausschuss h (AStA)) TU (A TU Braunschwei h ig Kath thar har arin inen in enst en stra st raß ra ße 1 (im G ße Glla lask skas kas aste ten te n vo vorr de der Me der Mens nsa)) 3810 38 106 6 Brau Brauns nsch chwe hweiig ig 0531 05 31 3391 91-4 91 -4455 5555 19 astta as ta@t ta@ @tu bs @tubs.d .de de www ww w.as asta ta.tutu brau brauns nsch chwe hweiig ig.de de www.facebook.com/AStATUBS F ü r e i n E n d e d e r G e wa l t ! 20 Die Gesellschaft, in der wir leben, ist von unpersönlicher Herrschaft und struktureller Gewalt durchzogen. Das heißt, dass wir jeden Tag gezwungen sind, in die Schule, Arbeit, Uni - oder, wenn wir Pech haben, zum Jobcenter oder zur Ausländerbehörde - zu gehen. Dafür kann keine Person verantwortlich gemacht werden, sondern die abstrakten gesellschaftlichen Verhältnisse, die sich gegen die Menschen verselbstständigt haben. Nach dem Zweck unseres täglichen gesellschaftlichen Handelns fragt niemand, obwohl die Frage nach dem Zweck des Ganzen die gesellschaftlichen Widersprüche und die alltägliche Gewalttätigkeit des Systems sichtbar machen würden. Unser Anspruch ist es daher in erster Linie, Gesellschaft zu verstehen, um unsere eigene Erfahrung von Ohnmacht gegenüber den Verhältnissen erklären zu können. Es geht nicht darum, dass wir alleine in unserem Kämmerchen Bücher lesen und über die Welt philosophieren, sondern wir halten die theoretische Kritik der Gesellschaft für eine wichtige Praxis. Wir wollen in aktuelle gesellschaftliche Auseinandersetzungen hineinwirken sowie in theoretischen Diskursen die Idee der Möglichkeit des schönen Lebens für alle aufrecht erhalten - damit diese Möglichkeit überhaupt real werden kann. Dafür grundlegend ist Ideologiekritik - das heißt genauer die Kritik einer falschen oder verschobenen Sicht auf die Welt - aber auch eine Kritik an der real bestehenden gesellschaftlichen Ordnung. Wir verstehen uns als linksradikale, emanzipatorische Gruppe, die es wichtig findet in die gesellschaftliche Realität zu intervenieren und positive Veränderungen zu bewirken. Allerdings sind wir uns auch darüber bewusst, dass dies nur in einem gewissen Handlungsrahmen möglich ist. Da die gegenwärtigen Verhältnisse von Zwängen und Gewalt durchzogen sind und wir derzeit kaum emanzipatorisches Potenzial in der Gesellschaft sehen, läuft es meist leider darauf hinaus, nur den schlimmsten Auswüchsen dieser Gesellschaft, beispielsweise PEGIDA und Islamismus, entgegenzuwirken. Die Wurzel dieser schlimmsten Auswüchse liegt jedoch in der bürgerlich-kapitalistischen und patriarchalen Einrichtung der Welt als Ganzes. Es kann also nicht darum gehen, die Welt, wie sie ist, gegen das noch Schlimmere zu verteidigen - sondern die Ursachen in der kapitalistischen Vergesellschaftung zu benennen. Um das bisher gesagte auf eine konkretere Ebene zu bringen: Momentan sehen wir die Notwendigkeit, sich gegen den PEGIDA-Ableger „BRAGIDA“ zu stellen. Das tun wir auch inhaltlich und haben dafür einen Vortrag in Kooperation mit den Falken zu antimuslimischem Rassismus und Islamismus organisiert und einen Text für diese Broschüre aufgearbeitet (ab Seite 46). Es geht uns eben nicht darum, die freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen rassistische Dumpfbacken zu verteidigen, sondern eine Gesellschaft infrage zu stellen, die eben diese ständig hervorbringt - vor allem aber einen Staat einrichtet, der dafür sorgt, dass die Leichenberge an den europäischen Außengrenzen immer größer werden. Dies ist ein Beispiel dafür, wie sich der abstrakte, unpersönliche Zwang des Kapitalismus in direkter Gewalt manifestiert. Da wir uns auch gegen falsche Erklärungsmuster des Bestehenden stellen, kritisieren wir Antisemitismus auch in seiner islamistischen Gestalt. Dieser tritt in Europa verstärkt seit dem letzten Sommer gewaltsam und organisiert auf die Straße, unter freundlicher Nichtbeachtung Linker - im schlimmsten Fall noch unter Beifall derselben. Solche Zustände wollen wir mit dem bundesweiten Schall & Wahn-Bündnis bekämpfen, indem wir im Juli gegen den antisemitischen Al-Quds Marsch demonstrieren. Denn mit Reaktionären jeder Couleur ist eine befreite Gesellschaft nicht zu denken. Kontak Kont akt kt An A Anti nti tiffa fasc fasc sch hist hi sti tis isch che he Gr Grup Grup ppe p Bra Bra raun unsc un sch sc hwei hw eig ig E-Ma Mail il:l: aggb@ b@maill36 36.n nett www ww w.ffa face face cebbo book k.com com om/ /antif /a ifas fasch chis his isti tisc ti sch sc hegr hegr he g up ppe p bs bs 21 G e m e i n s a m f ü r e i n a n t i ra s s i st i s c h e s Bra un s c hwe i g 22 Dass das unmittelbare Gewaltpotenzial in einem Fußballstadion deutlich höher ist, als in anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen, ist den meisten Menschen wohl bekannt. Anhänger*innen von verfeindeten Vereinen provozieren sich in den Fanblöcken und Hooligans schlagen sich bei verabredeten Prügeleien die Köpfe ein. Immer häufiger kommt es aber auch zu Auseinandersetzungen zwischen Fans des gleichen Klubs. Grund dafür ist vielerorts das wieder erstarkte, aggressive Auftreten rechter Hooligans mit dem klaren Ziel antirassistische und antifaschistische Bestrebungen zurückzudrängen. In zahlreichen Stadien blieb es jahrelang unkommentiert, dass (rechte) Hooligans in den Fankurven stehen, die mit ihrer physischen Gewalt, aber auch mit rassistischen, sexistischen, homophoben und antisemitischen Beleidigungen oft eine Drohkulisse gegenüber denjenigen Menschen schaffen, die ihre Weltanschauung offen ablehnen. Auch in Braunschweig kommt es seit mehreren Jahren zu Auseinandersetzungen zwischen rechten Hooligans bzw. Fans und unserer Gruppe. Statt sich hinter die antirassistischen Ultras zu stellen, versäumen die Vereine und Fanprojekte vielerorts, sich nachhaltig und effektiv gegen Diskriminierung sowie die dahinterstehenden Strukturen zu positionieren und stellen (lieber) die antirassistischen Gruppierungen als Schuldige für die aufkeimende Konfliktlage in den Vordergrund. So ist es auch in Braunschweig dazu gekommen, dass die Vereinsführung letztlich gegen unsere Gruppe ein Auftrittsverbot im Stadion aussprach, um damit die Situation vermeintlich zu beruhigen. Auch in diesem Jahr bleibt es weiterhin unser Ziel, uns für eine nazifreie Fankurve im Eintracht-Stadion einzusetzen, um es allen Menschen zu ermöglichen, fernab von Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt, die Spiele des BTSV zu verfolgen. Um diese Ziele in die Tat umsetzen, werden wir weiterhin die positiven Entwicklungen, im Bezug auf antirassistische Arbeit im Eintracht-Stadion, unterstützen und uns parallel für die Aufhebung des Gruppenauftrittsverbotes einsetzen. Wir erachten es weiterhin als notwendig, sich Nazis und rechtsoffenen Menschen direkt an den Orten in den Weg zu stellen, an denen sie versuchen ihre menschenverachtenden Ideologien zu platzieren. Darüber hinaus werden wir daran festhalten, auch außerhalb des Stadions auf unsere politischen Ziele aufmerksam zu machen, sei es durch Vorträge, Konzerte oder Infomaterial. Aber auch gesamtgesellschaftlich wollen wir weiter für ein offenes, buntes und vor allem antirassistisches Braunschweig eintreten. Für ein Braunschweig ohne BRAGIDA, Nazis und sonstige Rechtspopulist*innen. Dafür wollen wir weiter an einer Vernetzung der antirassistischen Gruppen in Braunschweig arbeiten. Hierzu dient seit mehreren Jahren das „Kei- Wir geh Wi hen am 1. Maii auff di die Straß ße, ne Eintracht mit Nazis“–Fußballturnier, welches auch dieses Jahr, am 20.06.2015, (wieder) in Braunschweig stattfindet. Hierzu sind alle herzlich eingeladen vorbeizuschauen! Denn nur, wenn sich ein entschlossenes und engagiertes Bündnis den rechten Tendenzen in unserer Stadt und unserer Gesellschaft in den Weg stellt, können wir etwas erreichen. Deshalb engagieren wir uns seit längerer Zeit im Bündnis gegen Rechts sowie dem Jugendbündnis zum 1. Mai. „„…um aan n di dies esem em T Tag agg zzus usam amme men n mi mit it an and deren dere n Men Mensch sc hen fü hen fürr un unse sere re Zi Ziel iele le ei einzu inzutr tret eten en,, zu di disk isku kuti tier ieren en und un d un unss zu ver ver erne netz ne tzen tz en.. Wi en Wirr fo ford rder der ern n al all lle le M Men ensc en sch sc hen hen he dazu auf dazu da uf, f, nich cht ht nu nurr di die Au die Ausw swir sw irk ir kunggen kung ku en,, sond nder der ern n auch h diee Ur di Ursa sach sa chen ch en zzu u hi hint nter nt erfr er frag fr aggen en,, um gem emei eins ei nsam ns am eein inen in en Teil daz Teil Te daz azu u be beiz bei izut utra tra rage gen ge n, ei ein ine so ine soli lid li dari da risc isc sch he Ges he Gesel ell lls lsch haft ft zu erkämpfen..“ Kont Ko ntak nt aktt ak E-Ma Mail il:l: in info inf fo@u fo@ @ub0 @ub b01.d b01 1.de de (PG PGP P-Ke Key au Key auff An Anfr Anf fragge)) frag www ww w.ffa face face cebbo book k.com com om/U / lt /U ltas ltas asC CurvaN Curv Cu aNor Nor ordB dBS dB S www ww w.ub w. ub01 b01.d .de de 23 J u s o s : l i n k s u n d f re i ! Wir JungsozialistInnen in Braunschweig (kurz: Jusos) sind mehr als eine reine Parteijugend der SPD. Wir sehen uns als eigenständigen, sozialistischen, feministischen und internationalistischen Richtungsverband, der sowohl in die Gesellschaft als auch in die SPD mit progressiven Inhalten hineinwirkt. Dazu beschäftigen wir uns auf unseren wöchentlichen Sitzungen mit unterschiedlichsten Themen: Von praxisbezogener Bildungs-, Umwelt- und Kommunalpolitik bis hin zu theoretischen Inhalten, wie Gesellschaftskritik und Arbeitsethik. 24 Inhaltliche Arbeit Wir legen sehr großen Wert darauf, dass alle Aktiven bei uns eigenständig inhaltliche Schwerpunktthemen mit einbringen können. Einige dieser Inhalte werden bei uns langfristig in sogenannten „Projekten“ behandelt. Derzeit haben wir die Projekte „Arbeit & Wirtschaft“, „Bedarfsgerechter Wohnraum“, „Kapitalismuskritik“, „Internationales“, „Entwicklungspolitik“, „Jugendforderungen an die Kommunalpolitik“ und die „Juso-SchülerInnengruppe“. Darüber hinaus bieten wir kostenfreie Wochenendseminare mit anderen Juso-Gruppen im Großraum Braunschweig an, auf denen wir unsere inhaltliche Arbeit vertiefen können. Natürlich beziehen wir auch zur aktuellen Tagespo- litik kritisch Stellung. So haben wir uns zur unwürdigen Asyl- und Flüchtlingspolitik der EU positioniert. Unter anderem fordern wir Jusos ein Grundrecht auf Asyl, die Abschaffung der Grenzschutzagentur Frontex, ein dauerhaftes Bleiberecht für Asylsuchende, einen bedingungslosen Nachzug von Angehörigen Geflüchteter, ein Recht auf Arbeit und Bildung für Flüchtlinge sowie die Abschaffung der Residenzpflicht und des Asylbewerberleistungsgesetzes, um Flüchtlingen die reguläre Versorgung entsprechend der für StaatsbürgerInnen geltenden Sozialgesetzgebung zu eröffnen. Denn wir kämpfen für eine solidarische Gesellschaft, in der alle Menschen frei, gleich und solidarisch miteinander leben können - unabhängig von Herkunft, Religion oder Geschlecht. Aktionsorientierte Arbeit Wir Jusos schmoren nicht im eigenen Saft! Uns ist es wichtig, die inhaltliche Arbeit auch nach außen zu tragen und mit Aktionen einen Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Aufklärung zu leisten. So richten wir jedes Jahr zahlreiche Aktionen aus, wie das Juso-Fußballturnier oder die 24-Stunden-Aktion, bei der wir 24 Stunden lang durchgängig in der Braunschweiger Innenstadt direkte Aufklärung vor Ort betreiben und mit Menschen ins Gespräch kommen, die sich sonst nicht unbedingt mit unserer politischen Arbeit beschäftigen. Darüber hinaus beteiligen wir uns auch an Aktionen und Demonstrationen von anderen linken Organisationen. So sind wir seit Beginn der naziunterlaufenden Demonstrationen des Braunschweiger PEGIDA-Ablegers BRAGIDA wöchentlich auf den Gegendemonstrationen sichtbar. Vor allem der Arbeit im Braunschweiger Jugendbündnis zum 1. Mai sehen wir, wie in jedem Jahr, mit großer Freude entgegen. Durch diese Arbeit gelingt es allen linken Jugendorganisationen, geschlossen für eine bessere Welt jenseits der kapitalistischen Gesellschaftsordnung einzutreten. Deshalb: Reih‘ auch Du Dich beim 1. Mai in den Braunschweiger Jugendblock mit ein! Freizeit-Events Politik soll natürlich auch Spaß machen. Wir bieten allen Aktiven jedes Jahr zahlreiche Freizeitaktionen an. So gehen wir im Sommer gemeinsam in Parks grillen, veranstalten Partys oder gehen gemeinsam auf Festivals unserer weltweiten Schwesterorganisationen. Sei dabei! Gestalte die Welt mit uns! Wir freuen uns auf Dich! Kont Ko ntak nt aktt ak Juso Ju soss Br Brau Brau auns nsch chwe hwe weiig ig Schloß Schl Sc ßst stra tra raß ße 8 ße 3 10 38 100 0 Br Brau Brau auns nsch chwe hwe weiig ig E-Mail: e.hennig@jusos-braunschweig.com www.jusos-bs.de www.facebook.com/JusosBraunschweig „„IIch geh ehee am 1. 1 Ma Maii au auff di diee St Stra raße ße,, we weil il die diese serr Ta Tagg meh me hr istt al hr als ls ei ein in bl bloß loßer ßer Fei Feie iert rtag tag der der Arbbei eit it. D Der er 1. 1 Mai Mai istt ei is ein n in inte tern te rnat rn atio at iona io nale na lerr Ka le Kamp mpfta mp ftagg, an fta an de dem m si sich ch Men Men ensch sc hen we hen welt ltwe lt weit it geggen Unt nter terd drück drü ückung kungg, Disk kriimiini nie ierung ru ngg und d Arm Armutt sch haff affen ffen end de St de Str truk ukt ktu ture ture ren n ei eins inset etze tze zen n. n. Desh De hal alb lb: b: M Mac ach h mi mit it un und d re reih ih di dich ich in in den den Juggen endb dbllo db lock k auff de au der De der Demo Demo mons nsttr ns trat ati tio ion in ion in Bra Bra raun unsc un sch sc hwei hw eig ig ei ein in, n, um um im im Anschl hluss mit uns gemeinsam einen freud digen und d informativen Tag auf der Braunschweiger Jugendmeile im Bürgerpark zu haben.“ Enrico Hennig. Vorsitzender der Jusos Braunschweig 25 „ Ex kl u s i ve Ko n str ukt e, wie da s de r N a ti on , m ü s s en über w unde n werd e n.“ 26 Was uns gerade bewegt Die AfD hat es geschafft, mit ihrem pseudoprofessoralen Getue rechtspopulistisches, reaktionäres und rechtsextremes Gedankengut wieder salonfähig zu machen. Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und viele weitere Formen von Diskriminierung und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit waren zwar auch vorher schon in der Breite präsent und wirksam, hatten aber nicht in dem Maße eine öffentliche Plattform. Das ist vermutlich einer der maßgeblichen Faktoren, die zu der Entwicklung beigetragen haben, die jetzt zu sehen ist – nämlich dem Entstehen und Erstarken zahlreicher rechter Bewegungen: von HoGeSa, wo vor allem bekannte Neonazis und rechte Hooligans zu finden waren, über PEGIDA, dem Schulterschluss der extremen Rechten mit dem*der deutschnationalen Normalrassist*in, bis zu „Friedens“-Mahnwachen von völkisch-antisemitischen Verschwörungstheoretiker*innen. Auch die selbsternannte „Demo für Alle“, wo erzkonservative Reaktionäre gegen sexuelle Vielfalt hetzen, ist hier einzuordnen. Dass gleichzeitig die Zahl der Angriffe und Anschläge auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte dramatisch gestiegen ist, macht deutlich, wie gefährlich diese Entwicklung ist. Auch die jüngere Vergangenheit lehrt, dass rechte Propaganda nicht unwidersprochen bleiben darf, wie das Beispiel von Rostock-Lichten- hagen und als Folge der rassistische Asylkompromiss zeigen. Deswegen besteht unsere Hauptbeschäftigung aktuell darin, uns den Rechten lautstark entgegenzustellen, egal ob das ein AfD-Parteitag in Bremen, HoGeSa in Hannover, Geschichtsrevisionismus in Magdeburg oder die wöchentlichen Naziaufmärsche namens BRAGIDA hier vor der Haustür sind. Wenn dann noch Zeit bleibt, kümmern wir uns um alle weiteren Projekte, wie die Aktion zur Eröffnung von PRIMARK, die Vorbereitung des BgR-Fests zum Tag der Befreiung oder unsere Seminare und Bildungsveranstaltungen. Warum uns der 1. Mai und das Jugendbündnis wichtig sind Die beim Jugendbündnis vertretenen Gruppen mögen sich in vielen Bereichen unterscheiden, aber mindestens so viel haben wir auch gemein. Und wenn wir progressive linke Ideen voranbringen wollen, geht das nur gemeinsam. Deshalb ist das Jugendbündnis, bei aller berechtigter Kritik am 1. Mai, eine gute Gelegenheit dafür, genau diese Ideen hör- und sichtbar zu machen. Gerade feiern einige den mit Ausnahmen durchsetzten Mindestlohn als großartige linke Errungenschaft. Aber Teilhabe und Emanzipation sind nicht mit Lohnabhängigkeit bei 8,50€ erreicht. So, wie die ökonomischen Zwänge, die den Mindestlohn als Ge- genmaßnahme überhaupt erst notwendig machen, auch nicht naturgegeben sind, sondern menschengemacht. Deshalb muss statt der Frage, ob der Mindestlohn 8,50€ oder 10€ betragen soll, viel eher die Systemfrage auf die Tagesordnung. Und genau das können wir als Jugendbündnis am 1. Mai erreichen. Was eine solidarische Gesellschaft für uns bedeutet Zunächst der Versuch einer Arbeitsdefinition: Eine solidarische Gesellschaft achtet jedes Individuum als gleichwertig. Mit der GRÜNEN JUGEND verbinden viele Themen wie Umwelt- und Klimaschutz. Näher betrachtet sind diese aber kein Selbstzweck, sondern folgen im Kern einem solidarischen Gedanken: nämlich dem Versuch, die Folgen der eigenen Handlungen für das Leben und die Freiheit anderer Menschen zu bedenken, egal, wie weit diese räumlich und zeitlich entfernt sind. Ab irgendeinem Punkt die Folgen des eigenen Handelns auszublenden, bedeutet, diejenigen Menschen abzuwerten, die dadurch nicht mehr berücksichtigt werden. Unter Einbeziehung komplexerer Phänomene, wie des Klimawandels, kann deshalb für uns eine solidarische Gesellschaft nur global funktionieren. Exklusive Konstrukte, wie das der Nation, müssen überwunden werden. 27 „ D i e V i e l f ä l t i g ke i t i n n e r h a l b u n s e r e s Ve r ba n d e s f ü h r t z u ei ne r Vi e l za hl an A r b e i t s fe l d e r n “ Der Jugendring Braunschweig e.V., Dachverband von 33 Kinder- und Jugendverbänden sowie Jugendgruppen, unterstützt diese in ihrer Arbeit, ist deren Sprachrohr bei jugendpolitischen Themen und fördert die kritische Auseinandersetzung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit sozialen, politischen, ökologischen und kulturellen Fragen. Die Vielfältigkeit innerhalb unseres Verbandes führt zu einer Vielzahl an Arbeitsfeldern, in denen wir uns betätigen, und einer Vielfalt gesellschaftlich relevanter Fragen, mit denen wir uns beschäftigen. 28 T-Shirt für 2,50 Euro oder 40 Euro – was heißt nachhaltig? Im Jugendring Braunschweig hat sich eine AG Nachhaltigkeit aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen gebildet. Die Textilindustrie steht aktuell im Fokus ihrer Arbeit. Die schlechten Arbeitsbedingungen bis hin zur körperlichen Ausbeutung der dort arbeitenden Menschen sollen stärker in den gesellschaftlichen Diskurs in Braunschweig gerückt und Konsument*innen zum kritischen Nachdenken über ihr Kaufverhalten anregt werden. Woher kommt meine Kleidung? Wie werden 2 Euro teure T-Shirts produziert? Warum hetze ich jedem Trend hinterher? Benötige ich tatsächlich jeden Monat neue Kleidung? Werden „Billig-Shirts“ und teure Markenshirts unter anderen Umständen produziert? Ist vielleicht doch nur das Firmenlabel ausschlaggebend für die immensen Preisunterschiede? Fragen, über die wir nicht immer nachdenken, wenn wir vollgepackt im noch anhaltenden Kaufrausch an den Kassen von Primark, H&M, Esprit und Co. stehen. Unsere AG bietet eine Plattform für eine kritische Auseinandersetzung mit diesem und weiteren Themen. Tickets: Kostenlos oder nicht kostenlos? – das ist die Frage Regional vor Ort diskutieren wir gemeinsam mit Schüler*innen und Vertreter*innen der Stadt, der Braunschweiger Verkehrs GmbH und des Schulamtes über kostenlose Bus- und Bahntickets für alle Schüler*innen. Die bisherigen Regelungen scheinen zum Teil recht willkürlich: Warum bekommen Schüler*innen ab dem 11. Jahrgang keine kostenlose Fahrkarte? Warum bekommt Max, der 1,9 km von der Schule entfernt wohnt, keine Fahrkarte und Sophie, die 2,1 km von der Schule entfernt wohnt, schon? Wieso wird nicht allen jungen Menschen eine kostenfreie, ganzjährige Mobilität ermöglicht? Diese Fragen bewegen Jugendliche in Braunschweig, wir unterstützen sie in diesem Diskussionsprozess und setzen uns für kostenlose Bus- und Bahntickets für alle Schüler*innen ein. Für Demokratie & Diversity Rechtsextremismus, Rechtspopulismus, rechtes Gedankengut, Alltagsrassismus – ein täglicher Bestandteil unseres Lebens, dem wir gemeinsam entgegentreten müssen. Vor diesem Hintergrund richten wir 2015 die AG gegen Rechts ein und koordinieren im Rahmen des Projektes „Demokratie leben! - Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ - eine offene Arbeitsgruppe für Jugendliche und junge Erwachsene, in der Aktionen und Projekte organisiert werden sollen. Alle jungen Menschen sind herzlichst eingeladen daran teilzunehmen! Wirr ge Wi g he hen n am 1. 1 Ma Maii au auff di diee St Stra raße ße ,„…wei wei eill wi wirr un unss fü fürr ko kost sten st enlo en lose lo se B Bus us- un us und d Ba Bahn hnti hn tick ti cket ck etss et fürr al fü all lle le Sch chül hül üler er*i *iinn nnen en ei einse insettzen tzen.“ Kai Fr Kai Ka Fric Fri icke ick ke fü für ür den den Jug Juggen end drin dri dr ing ing Kont Ko ntak nt aktt ak Juge Ju gend ge ndri nd ring ri ng Bra Bra raun unsc un schw sc hwei hw eigg e.V ei V. An der An der Neu Neust stad adtm dtmüh ühl hle le 3 3810 38 100 10 0 Brau Brauns nsch chwe hweiig ig E-ma mail il:: Ju il Jurb rb@j b@jjur urbb.d de de Tel.: Tel Te l.: 05 0531 31 1121 216 21 6911 6911 69 29 Te x t e zum inhaltlichen S c hwe rp u n kt 3 0 -SSt u n d e n -W Woche b ei vol l em Lohnausgleich Für mehr Möglichkeiten der Persönlichkeitsentfaltung außerhalb des Arbeitsprozesses Text der ver.di Jugend Braunschweig / Wolfsburg „Seit die Arbeiter Arbeit fordern statt so wenig Arbeit wie möglich, blieb ihre Kritik systemimmanent und damit in einem befreienden Sinne wirkungslos.“ Das Känguru1 32 Dieses Zitat aus dem Buch „Das Känguru-Manifest“ ist symptomatisch für die aktuelle Lage in Deutschland. Die Gewerkschaften sind fast nur noch damit beschäftigt, die von den Unternehmen erhobenen Forderungen nach Arbeitszeitverlängerungen ohne Lohnausgleich oder auch schlichte Lohnkürzungen zur angeblichen Beschäftigungssicherung abzuwehren. Gleichzeitig haben die Arbeiter*innen Angst, durch Arbeitsplatzverlust aus dem gesellschaftlichen Leben vertrieben zu werden2. Die Furcht vor der Arbeitslosigkeit stärkt die Unternehmen und diszipliniert die abhängig beschäftigten Arbeiter*innen. Der Handlungsspielraum der Gewerkschaften wird kleiner und führt zu immer wei1 M.-U. Kling, Das Känguru-Manifest, Ullstein Taschenbuch, 2 2011. O. Negt, Arbeit und menschliche Würde, Göttingen: Steidl Verlag, 2002. tergehenden Zugeständnissen an Arbeit, Arbeitszeit und ihrer Bezahlung3. Nur die politische Durchsetzung einer Arbeitszeitverkürzung, über die Köpfe der Unternehmer*innen hinweg, kann die Arbeitsbelastung abbauen, die Lebensqualität der Arbeiter*innen erhöhen und nachhaltig für mehr Arbeitsplätze sorgen. Gegen die Vormachtstellung Vormachtstellung der der Unternehmer*innen Unternehmer*in- und nen undStärkung für die Stärkung der Arbeiter*innen für die der Arbeiter*innen Das kapitalistische System ist dadurch gekennzeichnet, dass es nicht für alle arbeitsuchenden Menschen einen Arbeitsplatz bereitstellt. Die Massenarbeitslosigkeit ist demnach gewollt und wird von Unternehmen unterstützt, um Personalkosten zu senken und die Gewinne zu erhöhen. Oft wird hierbei der Wettbewerb als Ausrede genutzt, um die Lohnkosten niedrig zu halten und prekäre Beschäftigung durchzusetzen. Währenddessen werden die Arbeitslosen durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, unsinnige Weiterbildungen und Kurzarbeit mit sogenannten Arbeitsmarktreformen aus der Arbeitslosenstatistik gedrängt. Ihnen wird eingeredet, selbst schuld an ihrer Arbeitslosigkeit zu sein. Aus Angst vor Kürzung der Sozialleistungen sind deswegen viele bereit, trotz unsicherer Zukunftsperspektiven, solche Jobs mit schlechter Bezahlung und schlechten Arbeitsbe3 F. Deppe, Gewerkschaften unter Druck. Autonomie und außerparlamentarische Bewegung, Hamburg: Supplement der Zeitschrift Sozialismus, Heft 9, 2003. Arbeitszeitverkürzung nur bei vollem Lohnausgleich dingungen anzunehmen. Eine steigende Anzahl von Zeitarbeitsverträgen, Leiharbeit und Minijobs ist die Konsequenz. Ausschließlich durch die Schaffung von Vollzeitstellen mit auskömmlichen Einkommen kann die zwangsläufig in Altersarmut mündende Zukunft vieler Menschen abgewendet und die (Über-)Macht der Unternehmen bekämpft werden. Mehr Freizeit für eine Verteilung der Arbeit Mehr Freizeit fürgerechtere eine gerechtere Verteilung der Ar Der Überbelastung eines Teils der Bevölkerung steht der Ausschluss eines anderen gegenüber. Während die Arbeiter*innen mit immer mehr Arbeitsprozessen belastet werden, haben die Arbeitslosen immer weniger Chancen auf neue Stellen. Automation und Produktivitätsfortschritt sorgen dafür, dass das Arbeitsvolumen in Deutschland weiter sinkt und viele Arbeitsplätze überflüssig werden. Zusätzliche Arbeit kann wirkungsvoll nur durch die Senkung der Arbeitsstunden aller Beschäftigten erreicht werden. Berechnungen der „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaft“ zu Folge würde eine Senkung der wöchentlichen Arbeitszeit aller Arbeiter*innen auf knapp 30 Stunden ausreichen, um allen Arbeitslosen einen Arbeitsplatz zu ermöglichen. Solch eine gerechte Umverteilung der Arbeit würde nicht bloß für mehr Freizeit zur individuellen Persönlichkeitsentfaltung sorgen. Es könnte für viele Menschen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bedeuten und mehr Teilzeitbeschäftigten die Aufnahme einer Vollbeschäftigung ermöglichen. Arbeitszeitverkürzung nur bei vollem Lohnausgleich Eine Arbeitszeitverkürzung für alle kann einzig und allein durch den Kampf der Arbeiter*innen durchgesetzt werden. Denn es liegt nicht im Interesse der Unternehmen, die Gewinne aus den Produktivitätssteigerungen mit den Beschäftigten zu teilen oder die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen und ihre eigene Machtposition dadurch zu schwächen. Doch Berufskrankheiten wie Burnout zeigen, dass es an der Zeit ist für eine Entlastung einzustehen. Viele Beschäftigte befürchten jedoch eine Lohnkürzung durch Arbeitszeitverkürzung, wodurch die Gewerkschaftsarbeit erschwert wird. Dabei wären Lohnerhöhungen viel leichter durchzusetzen, wenn die Position der Gewerkschaften gestärkt und die Massenarbeitslosigkeit abgebaut ist. Außerdem bringt die Vollbeschäftigung alle Arbeitslosen in Lohn und Brot, ohne dass die abhängig Beschäftigten, die in Arbeit sind, sich an der Finanzierung beteiligen müssten. Auf diese Weise können sowohl die Gesellschaft als auch der Staat entlastet werden, was wiederum zu einer Senkung der Lohnnebenkosten führen muss. Deswegen gehen wir am 1. Mai in Braunschweig auf die Straße, um lautstark „so wenig Arbeit wie möglich“ ohne Lohnkürzungen zu fordern. Wir kämpfen für die Abschaffung von prekären Arbeitsverhältnissen und die Schaffung von kurzen Vollzeitstellen durch Arbeitszeitverkürzung für alle. Für eine solidarische Gesellschaft, in der die Arbeit „fair-teilt“ ist. 33 D a s T re f fe n d e r G 7 – o d e r : W i e h ä l t st d u e s m i t d e m S t a a t ? Wir nehmen den G7 Gipfel und die Proteste dagegen zum Anlass, um uns anzuschauen, was ein eigentlich Staat ist und was seine Funktionen sind. Eine Staatskritik halten wir für die Grundlage einer Diskussion über Staatlichkeit und über Forderungen, die an den Staat gestellt werden. Text von Franzi, Nele und Malte 34 Auch in diesem Jahr findet das Gipfeltreffen der sieben größten Industriestaaten wieder statt, diesmal ist Deutschland Gastgeberland. Im beschaulichen Bayern auf Schloss Elmau werden am 7. und 8. Juni 2015 die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Japan, USA, Italien und Kanada ein Wochenende lang über die Probleme dieser Welt diskutieren. Noch im letzten Jahr hieß das Treffen G8-Gipfel, da neben den großen Industriestaaten auch Russland mitmischen durfte. Nach der Krimkrise wurde Russland samt Putin allerdings ausgeschlossen und die Gipfelstaaten kehrten zum G7-Format zurück. Rund um das Gipfeltreffen gibt es große Proteste, meist von Seiten globalisierungskritischer Bewegungen und diverser „linker Gruppen“. Diese sehen in dem Treffen die Schaltzentrale des Kapitalismus, begreifen die Gruppe der Sieben als Spinne im Netz oder hängen sich am Begriff „Club der Mächtigen“ auf, um den G7 als elitär, exklusiv und undemokra- tisch zu entlarven. Es werden Demos, Blockaden, Camps, Veranstaltungen und Alternativgipfel organisiert, um mit allen Mitteln des Protests den G7 zu stören oder zu verhindern. Der G7-Gipfel wird als eine Veranstaltung begriffen, die außerhalb von demokratischen Prinzipien stattfindet und in seinen Entscheidungsprozessen vollkommen undemokratisch handelt. Verkannt wird dabei jedoch, dass die Staats- und Regierungschefs von dem jeweiligen Volkssouverän gewählt wurden, also demokratisch legitimiert sind. Außerdem müssen Staaten immer innerhalb von bestimmten Zwängen Entscheidungen treffen und haben eben nicht die freie Entscheidungsgewalt. Selbst wenn das Treffen „demokratischer“ wäre, würde das wenig verändern. Bei einer Argumentation mit dem Demokratieprinzip wird davon ausgegangen, dass Politik die Verhältnisse schafft, anstatt sie nur zu verwalten und am Leben zu erhalten. Das Gipfeltreffen muss als Form auf einer abstrakten Ebene betrachtet werden. Es ist offensichtlich, dass viele Widersprüche, die die Gesellschaft durchziehen, an diesem Treffen sichtbar werden. Die indische Aktivistin Vandana Shiva bringt es auf den Punkt: „Menschen, um deren Geld es geht, haben mehr Rechte und Berechtigungen als Menschen, um deren Leben es geht.“1 1 http://www.akweb.de/ak_s/ak516/05.htm Bei dem Gipfeltreffen spielt wahrscheinlich das Geld von Menschen tatsächlich eine größere Rolle als deren Leben, wie Shiva argumentieren würde. Allerdings ist das nichts Außergewöhnliches, sondern kapitalistischer Alltag. Diese Gesellschaft ist nicht nach den Bedürfnissen der Menschen organisiert, sondern danach, Kapital zu verwerten, also die Kapitalzirkulation am Leben zu erhalten. Die in den globalisierungskritischen Gruppen vorhandenen Erklärungsmuster für diesen Widerspruch reichen von einer unterstellten moralischen Schwäche der Staats- und Regierungschefs bis hin zu der Vorstellung, so ein Treffen müsse einfach demokratischer sein, dann würde das Problem schon gelöst. Diesen Erklärungsmustern liegt der Eindruck zugrunde, dass die Welt an diesem Wochenende hinter verschlossener Tür zugunsten eines „entfesselten Kapitalismus“ strukturiert und gelenkt wird. Dies impliziert nicht nur die Vorstellung eines Kapitalismus, der vermeintlich richtig angewendet die Probleme dieser Welt lösen würde, sondern auch von Staaten, welche - wenn von den richtigen Menschen oder demokratischer organisiert - für die Interessen aller eingesetzt werden könnten. Dabei wird jedoch ausgeblendet, dass diese Regierungen auch nur Repräsentant*innen der jeweiligen Staaten sind, welche in internationaler Konkurrenz zueinander stehen und als Staaten im Kapitalismus handeln. Außerdem wird eine Reformierbarkeit des Kapitalismus unterstellt, die diesen Widerspruch auflösen würde. Die Kritik bewegt sich also immer innerhalb vom bürgerlichen Staatensystem und dem Kapitalismus. Demnach sind Demos, Blockaden und Randale am Tag des Gipfeltreffens eine politische Praxis, die nicht über solche Systeme hinaus gehen. Das Gipfeltreffen muss als Form und Teil von kapitalistischen Verhältnissen betrachtet werden. Eine vollständige Kritik muss immer eine Staats- und Kapitalismuskritik sein, denn nur so kann dieser Widerspruch verstanden und zerlegt werden. „Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los”2 Um also das Treffen der G7 richtig zu verstehen, müssen wir uns erst einmal anschauen, welches Verhältnis zwischen Staat bzw. Politik und den wirtschaftlichen Verhältnissen besteht. Wenn wir von Staat sprechen, dann sprechen wir vom bürgerlichen Staat. Wir denken, dass Staaten, bevor es eine Verallgemeinerung des Wertes und Tausches sowie der kapitalistischen Produktion gab, anders funktioniert haben. Die moderne Form des bürgerlichen Staates hat sich aus den früheren Formen von Staatlichkeit heraus historisch entwickelt. Diese historische Herleitung soll hier aber nicht Gegenstand sein, sondern nur der Staat in seiner bürgerlichen Form und dessen Verhältnis zur kapitalistischen Ökonomie. Dass beides miteinander zu tun hat, ist ziemlich offensichtlich. Schließlich sprechen führende Politiker*innen ständig davon, dass es „dem 2 Goethe, 1827: “Der Zauberlehrling” 35 36 Land gut geht, wenn es der Wirtschaft gut geht“ oder „politische Handlungsfähigkeit abhängig vom Wirtschaftswachstum“ sei. Da stellt sich natürlich die Frage, was eigentlich ein Staat ist und welche Funktionen er hat. Erst einmal ist der Staat keine einzelne Person, sondern eine Institution, die aus vielen verschiedenen Personen besteht, zum Beispiel der Bundeskanzlerin, der Bürokratie, der Polizei oder dem Parlament. Außerdem sind alle Bürger*innen in einem Land auch mehr oder weniger so etwas wie ein Teil des Staates, weil sie die Regierung wählen können. Das würde nahelegen, dass die Aufgabe des Staates darin besteht, unsere Interessen zu vertreten. Schließlich könnten wir ja, sobald uns eine Regierung nicht gefällt, einfach die Opposition wählen und es schiene, als hätten wir so einen Einfluss auf staatliches Handeln. Grundlegend ändert allerdings ein Regierungswechsel an der Politik des Staates wenig. So hat etwa die SPD mit der Agenda 2010 den größten Sozialabbau der letzten Jahrzehnte beschlossen - obwohl sie wegen ihres sozialdemokratischen Parteiprogramms gewählt wurde. Das liegt daran, dass staatliche Politik sich nur in einem sehr kleinen Handlungsrahmen bewegt, denn die Institution Staat hat ein Eigeninteresse: weiterbestehen und sich in der Konkurrenz mit anderen Staaten behaupten. Die Frage ist nun, wie ein Konstrukt wie der Staat ein Eigeninteresse haben kann. Das liegt daran, dass der Staat sich gegen die Menschen verselbstständigt. Was das bedeutet, hat Goethe sehr bildlich in seinem Gedicht „der Zauberlehrling“ formuliert. Dort verhext ein Zauberlehrling einen Besen, der ihm Wasser holen soll. Das macht dieser dann auch, doch hört er nicht mehr auf und das Bad, welches der Besen füllen soll, läuft über. Der Zauberlehrling hat die Kontrolle über „die Geister, die er rief“ verloren und der Besen, welcher vorher nur ein Werkzeug war, ist quasi zu eigenem Leben erweckt worden. Genauso verhält es sich auch mit dem Staat. Die Menschen haben in Revolutionen dafür gekämpft, einen bürgerlichen Staat aufzubauen, weil sie gehofft hatten, dass dieser Staat ihnen als Werkzeug für ein besseres Leben dient. Wie sich allerdings herausstellt, vertritt der Staat eben nicht die Interessen der Menschen. Außerdem haben die Menschen quasi vergessen, dass sie selber einmal diese Geister hervorge- Außerdem haben die Menschen rufen haben, also einen quasi vergessen, dass sie selber einStaat erschaffen haben. mal diese Geister hervorgerufen Das ist, als würde je- haben, also einen Staat erschaffen mand auf einen Zettel haben. schreiben: „Trink ein Glas Wasser“ und diesen Zettel auf einen Tisch legen und weggehen. Nun vergisst der Mensch, dass er diesen Zettel geschrie- ben hat und beim nächsten Mal, wenn er an dem Tisch vorbei geht, findet er diesen Zettel und liest: „Trink ein Glas Wasser“ und fragt sich, ob er jetzt wirklich ein Glas Wasser trinken muss. Vielleicht fragt er noch einen anderen Menschen, ob er wirklich ein Glas Wasser trinken müsse. Dieser liest dann den Zettel und sagt: „Wenn das hier steht, musst du wohl ein Glas Wasser trinken.“ Und nun trinkt der Mensch immer ein Glas Wasser, wenn er an dem Tisch vorbei geht - bis er Bauchschmerzen hat3. Genauso wie der Mensch in dieser Geschichte selbst den Zettel geschrieben hat, haben die Menschen selbst einmal den Staat erfunden und sorgen jeden Tag wieder dafür, dass er weiter besteht und gegen die anderen Staaten konkurrieren kann. Das haben sie allerdings „vergessen“. Der Staat sieht selber so aus und tritt so auf, als sei er immer schon so gewesen. Er scheint natürlich, als müsste es genauso sein, wie es ist und als könne man es nicht verändern. Es wirkt, als würde der Staat selbstständig handeln - deswegen sehen die Menschen ihr eigenes Handeln nicht, welches den Staat überhaupt erst herstellt. Bini Adamzcak verbildlicht in ihrem Buch diesen Effekt mit dem Gläserrücken. Dabei legen mehrere Leute ihr Finger auf ein Glas. Alle bewegen sich ein wenig und dadurch wird das Glas verschoben - es sieht aber so aus, als würde es dies von alleine tun. Die Handlung, die das Glas bewegt, ist eigentlich die der Menschen, wird aber zu einer Eigenschaft des Dinges - in diesem Fall des Glases - gemacht. Dieses Phänomen nennt sich auch „Verdinglichung gesellschaftlicher Verhältnisse“. Die Menschen schreiben so dem Staat ein Eigenleben zu und tun das, wovon sie glauben, dass der Staat es von ihnen verlangt. Durch dieses Handeln bekommt der Staat tatsächlich ein Eigenleben - eben weil alle Menschen daran glauben und danach handeln. Dieses „fetischistische Bewusstsein“, wie Marx das nennt, gibt es nicht nur dem Staat ge„Die Menschen schreiben so dem genüber, sondern Staat ein Eigenleben zu und tun das, den gesellschaftliwovon sie glauben, dass der Staat es chen Verhältnissen von ihnen verlangt.“ als Ganzem. Wenn man sich etwa die Wirtschaft anschaut, kann man genauso feststellen, wie die Menschen die Kontrolle über die Gesellschaft verloren haben. Der Staat handelt (bzw. lässt die Menschen handeln) in einer eigenen Logik, die sich eben gegen die Menschen verselbstständigt hat. In dieser Logik geht es nur noch darum, in der Konkurrenz mit anderen Staaten zu bestehen - und dafür benötigt der Staat Geld. Dieses Geld bekommt der Staat (theoretisch) nur über Steuergelder. Durch die Abhängigkeit von den Steuern, die auf dem eigenen Staatsgebiet eingetrieben werden können, gibt es immer eine direkte Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Situation im Staatsgebiet. Auch der Staat unterliegt also der „stummen Gewalt der ökonomischen Verhältnisse“4. Es ist folglich egal, welche Partei gerade an der Re- 3 Vgl. Bini Adamczak, 2010: „Kommunismus. Kleine Geschichte wie alles anders wird“ 4 MEW 23, S. 765 37 gierung ist und mit welchem politischen Programm sie gewählt wurde; die Regierung ist immer darauf angewiesen, dass es viel Wirtschaftswachstum gibt – und vor allem mehr Wachstum als in den Ländern, mit denen der Staat konkurriert. Der Staat ist dafür da, die Rahmenbedingungen sicherzustellen, damit die Wirtschaft weiter läuft. Das heißt: Im Kapitalismus hat der Staat eine ganz bestimmte Aufgabe – die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Besitz- und Produktionsverhältnisse. Später schauen wir uns an, wie genau er das eigentlich macht, indem wir zwei wichtige Funktionen des Staates betrachten: den Rechtsstaat und den Sozialstaat. 38 Weil Dinge produziert werden, die eigentlich kein Mensch braucht, während es gleichzeitig Menschen am Nötigsten fehlt. Diese gesellschaftlichen Verhältnisse produzieren einen riesigen Reichtum, aber in einer Form, welche eben jene Menschen, die diesen Reichtum produzieren, von ihm ausschließt. Und das alles kann nur passieren, weil der Staat die Rahmenbedingungen dafür sicherstellt. Man kann also nicht davon sprechen, dass der Staat für die Durchsetzung unserer Interessen da ist. Es gibt viele Leute, denen auch schon aufgefallen ist, dass ihre Interessen nicht vom Staat vertreten werden. Dies ist zum Beispiel bei den G7-Protesten der Fall. Diesen Umstand, führen sie allerdings darauf “Wieso? Weshalb? Warum? - Wer nicht fragt bleibt zurück, dass der Staat von den falschen Leuten kondumm”5 trolliert, bzw. nicht demokratisch genug regiert wird. Das schließt an alte marxistisch-leninistische VorZur Funktion des Staates im Kapitalismus stellungen vom Staat als Werkzeug der herrschenden Nun ist die Aufrechterhaltung dieser gesellschaftli- Klasse an. In dieser Vorstellung ist der Staat nur dafür da, die Interessen der Unterchen Verhältnisse ganz bestimmt nicht das, was wir wollen, weil Zudem muss der Staat auch gele- nehmer*innen, oder wie Marx diese Verhältnisse auf der einen gentlich Entscheidungen treffen, sagen würde: der Kapitalist*inSeite täglich Hunger und Armut die den einzelnen Kapitalist*innen nen, zu vertreten. Er sei also so etwas wie ein Werkzeug für die produzieren und auf der ande- gar nicht passen. herrschende Klasse, um die Arren Seite unglaublichen Reichbeiter*innen zu unterdrücken tum. Weil die einen 60 Stunden die Woche arbeiten müssen und die anderen keine und dafür zu sorgen, dass sie weiter für die KapitaArbeit finden, unter prekären Verhältnissen leben list*innen arbeiten und produzieren. Nun dürfen in müssen oder einfach gar nicht überleben können. demokratischen Ländern sowohl Arbeiter*innen als auch Kapitalist*innen wählen gehen und auch Lob5 Die Sesamstraße, “Der, Die, Das” byarbeit machen. Gewerkschaften versuchen genau „Lieber Staat, jetzt mal echt, du bist absolut gerecht”6 so wie Unternehmerverbände Einfluss auf die Politik zu nehmen. Zudem muss der Staat auch gelegentlich Entscheidungen treffen, die den einzelnen Kapitalist*innen gar nicht passen. Ein aktuelles Beispiel ist etwa der Mindestlohn, der seit Anfang des Jahres in Kraft getreten ist. Der ist ganz und gar nicht im Interesse vieler Kapitalist*innen, weil sie ihren Arbeiter*innen mehr Lohn zahlen müssen und deshalb die Profite der Unternehmen kleiner werden. Aber der Staat hat trotzdem entschieden, den Mindestlohn umzusetzen, weil er denkt, dass das gut für die Wirtschaft als Ganzes ist (u.a. wegen steigender Kaufkraft der Arbeiter*innen, die die Wirtschaft ankurbeln sollen oder aber, um einer Verelendung der Arbeiter*innen entgegenzuwirken, die dem Staat schaden könnte). Außerdem wird damit den Arbeiter*innen ein Grund genommen, zu protestieren, zu streiken oder vielleicht sogar die öffentliche Ordnung zu gefährden. Eugen Paschukanis, ein marxistischer Rechtsphilosoph, fragt sich anschließend an diese Feststellung: „Warum wird der Apparat des staatlichen Zwanges nicht als privater Apparat der herrschenden Klasse geschaffen, warum spaltet er sich von der letzteren ab und nimmt die Form eines unpersönlichen, von der Gesellschaft losgelösten Apparats der öffentlichen Macht an?“7 Damit stellt er die bürgerliche Vorstellung von Recht als Ganzes in Frage. Diese Vorstellung, dass alle Menschen gleich sind und ein freien Willen haben, existierte vor dem Kapitalismus nicht. In der Feudalgesellschaft gab es zum Beispiel nur Vorformen von Recht und keine allgemeinen Rechtsnormen. Für den Kapitalismus ist es notwendig, dass sich die Menschen als freie und gleiche Warenbesitzende gegenüberstehen, denn Grundlage des Kapitalismus ist der Äquivalenztausch - das bedeutet, dass bei Tauschgeschäften niemand „über den Tisch gezogen“ wird - nur Waren von gleichem Wert können gegeneinander getauscht werden und niemand wird dabei benachteiligt oder begünstigt. Egal wer mit wem welche Waren tauscht. Der Staat ist deswegen eben nicht Instrument der herrschenden Klasse, sondern tritt als neutrale regu6 Farin Urlaub, “Lieber Staat” 7 Paschukanis 1969: S. 120 39 lierende Instanz auf. Er muss eine Rechtssicherheit gewährleisten und dafür sorgen, dass alle Menschen sich an die Verträge, die sie schließen, auch halten. Die VertragspartDie Aufgabe des Staates besteht da- ner*innen brauchen rin, diese Selbstzerstörung zu ver- einen neutralen hindern und den Schutz und die Dritten, also einen weitere Konkurrenzfähigkeit der Schiedsrichter, da Arbeitskraft sicherzustellen. sie aus ihren sich widersprechenden Eigeninteressen heraus mit „unfairen Mitteln“ kämpfen würden und ein Vertrag gar nicht erst zustande käme. Nicht nur in der Frage des Austausches von Waren (Zirkulationssphäre), sondern auch in der Frage der 40 Produktionssphäre und des Klassenverhältnisses ist eine Regulierung des Staates - in seinen Funktionen als Rechtsstaat und als Sozialstaat - notwendig. Der Rechtsstaat schützt seine Bürger*innen vor personeller Herrschaft, sodass niemand Sklave oder Lehensdiener ist. Jede*r Bürger*in ist formal frei. Der Staat verteidigt auch das Recht auf Besitz bzw. Privateigentum, was zu einer von Marx als zynisch bezeichneten „doppelten Freiheit“8 führt. Frei von direkter Herrschaft und frei von Produktionsmitteln, sodass jede Person, die kein Kapital, bzw. keine Produktionsmittel besitzt, genötigt ist die eigene Arbeitskraft zu vermarkten, um Überleben und/oder Wohlstand zu sichern. Außerdem sorgt er für eine formale Gleichheit: Vor 8 Vgl. MEW 23, S. 183 dem Staat sind - rechtlich gesehen - alle Menschen gleich. Die Menschen sind aber - materiell betrachtet - ungleich. Auf der einen Seite gibt es Menschen, die Kapital besitzen, die Kapitalist*innen (der Begriff enthält für Marx keine moralische Wertung), und auf der anderen Seite gibt es Menschen, die (fast) nichts besitzen und nur ihre Arbeitskraft dem Markt zu Verfügung stellen können, also die Arbeiter*innen. Kapital und Arbeiter stehen sich in ihren Interessen unversöhnlich gegenüber, denn das Interesse der Kapitalist*innen ist es, möglichst viel Profit zu machen und das der Arbeiter*innen, möglichst wenig davon abzugeben. Die Arbeiter*innen möchten ein schönes und sicheres Leben haben und um das zu erreichen, sind sie auf einen möglichst hohen Lohn angewiesen. Allerdings handeln die Kapitalist*innen nicht aus einer moralischen Schwäche heraus, sondern müssen zwangsläufig so handeln, um in der Konkurrenz zu bestehen. Auch die Arbeiter*innen müssen untereinander konkurrieren, um ihre Ware Arbeitskraft an die Kapitalseite zu bringen. Dies führt zu schlechten Arbeitsbedingungen, sinkenden Löhnen und Verschleiß der Arbeiter*innen durch zu viel Arbeit, sodass sich die Arbeitskraft selbst zerreiben würde. Hier tritt der Sozialstaat auf den Plan. Dieser sorgt dafür, dass Arbeiter*innen nicht mehr als x Stunden in der Woche arbeiten dürfen, eine Gesundheitsversorgung gewährleistet ist und vieles mehr. Durch die Konkurrenzverhältnisse neigt der Kapitalismus immanent dazu, seine eigene Grundlage zu zerstören. Das betrifft neben der Zerstörung von Arbeitskraft beispielsweise auch die Zerstörung natürlicher Ressourcen. Die Aufgabe des Staates besteht darin, diese Selbstzerstörung zu verhindern und den Schutz und die weitere Konkurrenzfähigkeit der Arbeitskraft sicherzustellen. Zynischerweise könnte man sagen: Egal welche Position jemand im Kapitalismus einnimmt - Staat, Arbeiter*in, Kapitalist*in - sie alle reproduzieren den Kapitalismus Tag für Tag in ihren jeweiligen Rollen. „Als wir uns schließlich selbst erkannten und alles ziemlich scheiße fanden, da hatten wir das Wichtigste kapiert“9 Die Feststellung, dass der Staat kein Instrument der herrschenden Klasse ist, bedeutet ebenso, dass der Staat im Allgemeinen nicht als Instrument gebraucht werden kann - auch nicht als Instrument zur Befreiung. Bei der Umsetzung der staatlichen Ziele gibt es 9 Antilopen Gang, “Anti Alles Aktion” gewisse Spielräume, die innerstaatlich teilweise das Erkämpfen einer sozialverträglicheren Verwaltung der Verhältnisse ermöglicht - wie etwa mit dem Mindestlohn. Der bürgerliche Staat ist jedoch seiner Form nach kapitalistisch - das heißt ohne ihn nicht denkbar. Genauso ist ein bürgerlicher Staat und die bürgerliche Rechtsform notwendig, um die Kapitalakkumulation zu ermöglichen und am Laufen zu halten. Der Staat ist dabei nicht autonom handelnd und kann dabei vor allem seine eigene Grundlage (den Kapitalismus) nicht abschaffen. Ebenso wenig kann er die Widersprüche, die dem Kapitalismus immanent sind, reformieren. Eine politische Praxis, die auf eine Kritik des G7-Treffens abzielt, muss sich immer über die beschränkten Handlungsfähigkeiten innerhalb des Staates im Klaren sein. Eine Staats- und Kapitalismuskritik muss die Grundlage für eine strategische Auslotung von politischen Handlungsmöglichkeiten sein. Das gilt genauso für die Auseinandersetzung mit dem G7-Gipfel. 41 D e r D o p p e l c h a ra k t e r d e r Gewe r ks c h af te n Text von Timo Reuter (Studierender und Mitglied des OJA-/ Für mehr Möglichkeiten der Persönlichkeitsentfaltung BJA-Leitungskollektivs der IG Metall Jugend Braunschweig) außerhalb des Arbeitsprozesses und Marvin Hopp (Vorsitzender der JAV VW Braunschweig und JuTextMitglied des OJA-/BJA-Leitungskollektivs sowie desvon gendausschusses beim Vorstand der IG Metall) 42 Die Notwendigkeit der Existenz von Gewerkschaften im Kapitalismus ist, ausgenommen in der Vorstellung von Faschisten und der einiger neoliberaler Ideolog*innen, unbestritten. Ohne das regulierende Eingreifen der Gewerkschaften und deren Betriebsräten, würde die kapitalistische Fortentwicklung der Produktionsverhältnisse immer versuchen, unsere Erfolge der Arbeiter*innenbewegung (weniger Arbeitszeit, steigende Löhne, mehr Urlaub, etc.) zu revidieren. Gleichzeitig würde es dazu führen, dass die technologischen Entwicklungen – z.B. die Vorstellung einiger Arbeitergeber*innen im Rahmen der Debatte um die Gestaltung von „Industrie 4.0“ - zu einer noch stärkeren Entmenschlichung der Arbeit führen. Noch immer gilt es daher grundsätzlich festzustellen: „Wenn der einzelne Arbeiter mit dem Kapitalisten handelseins zu werden versucht, wird er leicht geschlagen und muss sich ihm auf Gnade und Ungnade ergeben. Wenn aber die Arbeiter eines ganzen Gewerbes eine mächtige Organisation bilden, unter sich einen Fonds sammeln, um imstande zu sein, den Unternehmern nötigenfalls die Stirn zu bieten und sich dadurch in die Lage versetzen, als eine Macht mit den Unternehmen zu verhandeln, dann, und nur dann, haben die Arbeiter Aussicht, wenigstens das bisschen zu erhalten, das bei der ökonomischen Struktur der gegenwärtigen Gesellschaft als ein gerechter Tageslohn für ein gerechtes Tagewerk bezeichnet werden kann.“1 Dies schrieb bereits Friedrich Engels in seinem Essay über das Lohnsystem (im Jahr 1881). Die Feststellung, dass alle lohnabhängig Beschäftigten sich nur durch den gemeinsamen Zusammenschluss zur Wehr setzen können, besitzt auch 134 Jahre später noch immer Aktualität und wird insbesondere bei den unterschiedlichen Arbeitsbedingungen sichtbar, z.B. zwischen tarifgebundenen und ungebundenen Betrieben. An dieser Notwendigkeit wird sich so schnell auch nichts ändern, sofern wir in einer warenproduzierenden Gesellschaft leben, die über den Markt kommuniziert und als oberstes Ziel nicht die Befriedigung der Bedürfnisse von Menschen hat, sondern die Kapitalverwertung, bzw. Profitmaximierung. Der dauerhafte Krisenzustand des Kapitalismus verlangt von uns als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter - allein schon aus humanitären Gründen eine Strategie zu entwickeln, die über das Handeln als „Gestaltungsmacht“ innerhalb der bestehenden Verhältnisse hinausgeht. „Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen 1 Marx, MEW Bd. 19, S. 253 die Gewalttaten des Kapitals. Sie verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie von ihrer Macht einen unsachgemäßen Gebrauch machen. Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als einen Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, das heißt zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems.“2 Gewerkschaften haben nach dieser Vorstellung nicht nur die Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb der bestehenden Verhältnisse reaktionäre Entwicklungen abzufedern und in andere Bahnen zu lenken. Sie besitzen vor allem auch die Möglichkeit und die gleichzeitig damit verbundene Verpflichtung „Gegenmacht“ auszuüben. Ihr Wesen ist somit ein Doppelcharakter. Der Doppelcharakter der Gewerkschaften Auch zukünftig müssen die Gewerkschaften als Sammelpunkt all derer fungieren, die gegen die Angriffe des Kapitals auf uns und unsere Errungenschaften kämpfen wollen. Gewerkschaften sind weiterhin einer der wichtigsten Regulationskräfte, die zur Verlangsamung der Ökonomisierung unserer Gesellschaft beitragen. Geht man davon aus, dass die Ökonomisierung aller Gesellschaftsbereiche (kapitalistische Vergesellschaftung) weiterhin nicht aufgehalten und gleichzeitig die Zerstörung der ökologi2 Marx, Lohn, Preis und Profit, MEW Bd. 16, S. 152 schen Ressourcen unseres Planeten fortgesetzt wird wie bisher, müssen wir feststellen, dass der Kapitalismus die Tendenz aufweist, seine eigene Grundlage und damit auch die Grundlage menschlichen Lebens auf dieser Erde zu zerstören. Daher sollte uns bewusst sein, dass eine ausschließlich systemimmanente Gewerkschaftspolitik als Ordnung-/Gestaltungsmacht, ihren Zweck verfehlt. Die Gewerkschaftsbewegung „(...) sollte [daher] nicht vergessen, dass sie gegen Wirkungen kämpft, nicht aber gegen die Ursachen dieser Wirkungen; dass sie zwar die Abwärtsbewegung verlangsamt, nicht aber ihre Richtung ändert; dass sie Beruhigungsmittel anwendet, die das Übel nicht kurieren. Sie sollte daher nicht ausschließlich in diesem unvermeidlichen Kleinkrieg aufgehen, der aus den nie enden wollenden Gewalttaten des Kapitals oder aus den Marktschwankungen unaufhörlich hervorgeht. (...) statt des konservativen Mottos: ‚Ein guter Lohn für gute Arbeit!‘ sollte sie auf ihr Banner die revolutionäre Losung schreiben: ‚Nieder mit dem Lohnsystem!‘“3 „Nieder mit dem Lohnsystem!“ Aktuell „werden [Gewerkschaften] als potenzielle Träger alternativer Gesellschaftskonzeptionen [...] kaum wahrgenommen“4. Zur Änderung dieses Umstandes bedarf es einer zu3 4 Marx, Lohn, Preis und Profit, MEW Bd. 16, S. 151 Prof. Dr. Dörre, System permanenter Bewährungsproben, Mitbestimmung 01 & 02/2013 43 44 kunftsorientierten Gewerkschaftspraxis, die dem derzeit dominierenden Abwehrkampf und der defensiven Haltung der Gewerkschaften ein Ende setzen möchte. Hierfür muss die Losung „Nieder mit den Lohnsystem!“ wieder zum Gegenstand gewerkschaftlicher und linker Debatten, sowie deren Bildungsarbeit, werden. Mit dem Aufbau von Gegenmacht meinen wir allerdings nicht nur, die Konfrontation mit dem Kapital zu suchen. Mit dem Aufbau von Gegenmacht, ist das Entwickeln alternativer Gesellschaftskonzeptionen gemeint, welche das Ziel haben, die Herrschaft der Waren über die Menschen abzuschaffen und die Bedürfnisse der Menschen als oberste Maxime ökonomischen Handelns zu verstehen. Hierfür müssen Räume geschaffen, offene Diskussionen geführt und die zerstörerische Tendenz des Kapitalismus auch in unserer alltäglichen Politik immer wieder benannt, bzw. sichtbar gemacht werden. Gleichzeitig darf aber auch der Kampf innerhalb des Lohnsystems nicht vergessen werden. Der Mensch wird nicht über eine solidarische Gesellschaft nachdenken, wenn es ihm nur schlecht genug geht. Es ist daher wichtig, weiterhin Rahmenbedingungen zu schaffen, die Diskussionen um Alternativen überhaupt ermöglichen. Denn „Angst lähmt die Menschen, mindert ihre Kreativität und Leistungsfähigkeit und treibt sie zum Verzicht auf erworbene Rechte in der bloßen Hoffnung, so ihren Arbeitsplatz sichern zu können.“5. Im aktuellen Zustand der Angst, des Verlustes der 5 Prof. Dr. Bontrup, Prof. Dr. Massarrat, Manifest zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit, 2011 existenziellen Grundlage, durch Arbeitslosigkeit oder die zunehmenden Prekarisierung der Arbeit, gibt es für viele Menschen kaum die Möglichkeit, über solche Fragen zu diskutieren. Gewerkschaftsjugend in Bewegung Eine Initiatorin zur Wiederbelebung von Debatten über Systemalternativen, kann die Gewerkschaftsjugend sein, indem sie diese immer wieder einklagt und die Notwendigkeit der Überwindung kapitalistischer Verhältnisse fortwährend benennt. Eine Plattform hierfür bietet uns der 1. Mai und das Jugendbündnis in Braunschweig, welches dieses Jahr bereits zum fünftenMal dafür steht, dass der Anspruch der Jugend gehört wird, über eine Alternative zum Kapitalismus zu diskutieren, sich auszutauschen und gemeinsame Strategien zu entwickeln. Hierzu bietet uns das Jugendbündnis die Möglichkeiten. Hier können wir neben dem Kampf im Lohnsystem, auch über den Kampf gegen das Lohnsystem diskutieren und Standpunkte unter jungen Menschen und ihren politischen Organisation austauschen. Am 1. Mai feiern wir die Erfolge der Gewerkschaftsbewegung, denn es ist wichtig uns daran zu erinnern, was wir erkämpft haben. Wir kämpfen aber auch um bessere Lebens- und Rahmenbedingungen für morgen und wir streiten und diskutieren für eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus. Deswegen gehen wir am 1. Mai auf die Straße. 45 „ I n d e r D ä m m e r u n g f a l l e n i h r e M a s ke n “ Von Wah n , Vi s i on & I de nt itä t Ein Erklärungsversuch reaktionärer Krisenbewältigungsideologien wie Pegida und Islamismus Text der Antifaschistischen Gruppe Braunschweig 46 Im Oktober 2014 fand sich in Dresden eine Bewegung zusammen, die unter dem Namen „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA) gegen eine angebliche Islamisierung und gegen angebliche Wirtschaftsflüchtlinge protestiert. Die Veranstalter*innen geben sich alle Mühe das bürgerliche Image dieser Protestbewegung aufrecht zu erhalten, doch es kristallisiert sich immer mehr heraus, dass die Inhalte eine Schnittmenge mit rechtem Gedankengut bilden. Die PEGIDA-Bewegung expandierte schnell deutschlandweit und führt aktuell in leicht sinkender Tendenz in verschiedenen Städten jede Woche Demonstrationen mit den immer gleichen rassistischen Forderungen durch. Braunschweig bildet hierbei leider keine Ausnahme, zur Freude der ortsansässigen Neonaziszene. So begrüßt die Partei „Die Rechte Braunschweiger Land“ die Proteste und mobilisiert zu der Veranstaltung von „BRAGIDA“ (Braunschweig gegen die Islamisierung des Abendlandes). Da sich auf den PEGIDA-Märschen neben den Bürgern*innen eben auch bekannte Neonazis herum- treiben, lohnt ein Blick auf den Rassismus, den diese Bewegung verbreitet, denn dieser ist differenziert zu betrachten. Die meisten Neonazis gehen von einem biologisierten Rassismus aus, Menschen werden also aufgrund ihres Aussehens, ihrer Hautfarbe, Haarfarbe oder Kopfform einer „Rasse“ zugeordnet, der dann die als „typisch“ geltenden und vor allem „natürlich angeborenen“ Verhaltensmuster zugeschrieben werden. Diese Form des Rassismus begründet sich auf der Rassentheorie, welche insbesondere im 19. und 20. Jahrhundert von Anthropologen vermeintlich wissenschaftlich begründet wurde, meist zu dem Zweck Herrschaftsverhältnisse zu rechtfertigen und Menschen für politische Ziele zu mobilisieren. Auch heutzutage wird versucht eine Aufteilung in Ethnien, also Rassen, genetisch zu begründen. Die Rassentheorie ist wissenschaftlich widerlegt und man könnte sagen, dass der biologistische Rassismus mittlerweile in der breiten Bevölkerung aus der Mode gekommen ist. Das bedeutet keineswegs, dass dieser gänzlich verschwunden ist, was am Beispiel dieser Neonazis deutlich wird. Aber der Rassismus, welcher sich in der heutigen Gesellschaft eingerichtet hat, ist ein anderer. Der Rassismus der „patriotischen Europäer“ funktioniert auch ohne eine biologisierende Konstruktion von Rasse. Die Herstellung eines Eigen- und Fremdkollektivs läuft hier über das Ticket Kultur. Die Menschen scheinen hier nur als Träger*innen der Kultur und nicht, wie im biologisierten Rassismus mit ihr verwachsen. Demnach ist der Kulturbegriff anders konstruiert als der Rassebegriff, meint aber im Grunde ähnliches. Es scheint zumindest theoretisch im Bereich des Möglichen zu liegen, seine Kultur abzulegen und eine Fremde aufzunehmen, das wird dann Integration genannt. Allerdings kann hier auch keine allzu scharfe Trennlinie gezogen werden, da es wiederum andere Rassist*innen gibt die sagen, es sei eben nicht möglich seine Kultur abzulegen, weil diese mit dem Menschen verwachsen sein, wie im biologischen Rassismus. Kultur ist für PEGIDA-Rassist*innen ein abgeschlossenes System, welches historisch gewachsen und mit anderen Kultursystemen nicht kompatibel ist. Je nachdem welche Spielart des Rassismus betrachtet wird, besteht für Menschen die Möglichkeit, von der einen Kultur in die andere überzugehen oder eben nicht. Die Konsequenz aus letzterer Spinnerei ist meist, dass die „fremde Kultur“ eine Gefahr für die eigene Kultur und die eigenen Werte darstellt und hier schlicht nicht existieren darf. Deutlich wird dies in den absurden Bedenken von PEGIDA-Rassist*innen, dass „in 20 Jahren Deutschland so unterwandert ist, dass wir zu Weihnachten in irgendeine Moschee rennen müssen“1 und gipfelt dann in den Parolen wie „Deutschland den Deutschen - Ausländer raus!“. Deutlich wird dieser kulturelle Rassismus auch in den immer laufenden Integrationsdebatten. Dort wird behauptet, dass „die Ausländer sich nicht integrieren wollen“. Das impliziert einerseits die Vorstel1 lung von dem guten, integrierten Ausländer, der es geschafft hat seine Kultur vollständig abzulegen und eine fremde, in diesem Fall die „deutsche“ Kultur zu verinnerlichen und andererseits die Vorstellung der schlechten, integrationsunwilligen Ausländerin, die nicht mal versucht hat deutsch zu lernen. Der Schein wird aufrechterhalten, dass die Schuld in jedem Fall bei „den Ausländern*innen“, die sich nicht genug angestrengt haben, liegen muss. Grundlage dieses Denkens ist die Idee, dass die deutsche Kultur ein homogenes und eindeutig bestimmbares System von Werten und Normen ist. Dass es mit der Integration eben nicht so „simpel“ abläuft, zeigt die Tatsache, dass selbst die dritte Generation einer Einwandererfamilie, die keinen Bezug mehr zu dem Leben ihrer Großeltern und deren vermeintlicher Kultur hat, noch als „Ausländer“ gelten, weil sie eben nicht „deutsch“ aussehen oder sich so verhalten - was auch immer das heißen soll. Flüchtlinge, Menschen mit einer Migrationsgeschichte in einem arabischen Land und „nicht deutsch Aussehende“ werden von PEGIDA fälschlicherweise den Salafisten und Islamisten zugeschrieben. Genau da zeigt sich sehr deutlich, dass diese weit verbreitet Vorstellung von Kultur, die PEGIDA vertritt, auch nichts anderes ist als das, was der alte Begriff der „Rasse“ meinte. Tatsächlich haben fast alle jihadistischen Salafisten, die aus Deutschland kommen, eine deutsche Staatsbürgerschaft und sind „religiöse Analphabeten“2. „Kontaktversuch: ‚Lügenpresse‘ trifft Pegida | Panorama | NDR“ https://www.youtube.com/watch?v=DDkB09hxG2w 2 Wie Claudia Dantschke herausfand. http://www.bpb.de/ veranstaltungen/dokumentation/186663/die-szene-indeutschland^ 47 Dies zeigt, dass der Vorwurf des Islamismus an muslimische Gemeinden in Deutschland an den Haaren herbei gezogen ist. Diejenigen, die sich tatsächlich zum jihadistischen Salafismus entscheiden, haben häufig nichts mit den muslimischen Gemeinden zu tun, waren vor ihrer Radikalisierung nicht einmal religiös, geschweige denn vertraut mit islamischen Schriften. Dennoch werden diese Gemeinden oder Menschen, die vermeintlich Muslime sind, für den Jihadismus verantwortlich gemacht. Es scheint egal zu sein, wie aufgeklärt Muslime sind oder wie sehr sich Migrant*innen integrieren und ihre Kultur ablegen - der Vorwurf des Jihadismus und des „Ausländers“ lässt sich, wie im biologischen Rassismus, nicht von diesen Personen lösen. 48 Dazu kommen nun noch Diskurse über die ökonomische Verwertbarkeit (für den Arbeitsmarkt brauchbar) von Migrant*innen und Asylbewerber*innen, die sich an Widerlichkeit nur gegenseitig übertreffen. Die Migrant*innen werden offen nach kapitalistischer Logik in die „guten“ arbeitenden, die brav ihre Steuern zahlen und die schlechten arbeitslosen, die ja sowieso alle kriminell sind, kategorisiert. Die Gründe für eine Arbeitslosigkeit werden dabei allerdings nicht hinterfragt. Beispielsweise lehnen viele Unternehmen eine Bewerbung von einem Menschen mit einem vermeintlich ausländisch klingenden Namen schon im Vorhinein ab. Zudem ist es Flüchtlingen in den ersten Monaten generell untersagt zu arbeiten. Und auch danach ist dies nur nach einer Vorrangprüfung für deutsche und EU-Bewerber*innen möglich. Mit dieser Auffassung von Kultur aber steht PEGIDA den Islamisten, die sie vorgeben zu bekämpfen, näher als sie denken. Ihr auserkorenes Feindbild, der Islam, stellt den fremden Kulturkreis dar, der mit der angeblichen westlichen, eigenen Kultur unvereinbar sei. Diesem islamischen Kulturkreis zugerechnet werden auf der einen Seite islamistische Bewegungen wie die Salafisten sowie auf der anderen Seite jede Moschee und jede arabisch klingende Shishabar. Zwangsverschleierung oder Unterdrückung der Frau und der Aufbau einer autoritären Gesellschaftsform - Ziele von islamistischen Bewegungen - werden zur Eigenschaft aller Muslime gemacht, egal wie aufgeklärt deren Weltbild ist. Widerstand gegen patriarchale Strukturen, der auch unter Muslima stattfindet, wird dabei unter den Teppich gekehrt. Denn das Bild der sich gegen Unterdrückung wehrenden muslimischen Frau passt natürlich nicht in das rassistische Weltbild von PEGIDA-Demonstrant*innen. Sie denken, dass alle Muslime die Unterdrückung der Frau gutheißen. Absurderweise halten sie den „Westen“ für eine absolut emanzipierte Gesellschaft und nehmen dabei Unterdrückung, Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen, Homosexuelle, Inter- und Transpersonen in ihrem „christlichen Abendland“ nicht wahr. Obwohl qualitative und strukturelle Unterschiede dabei zu beachten sind. Gewalterfahrungen sind für Frauen auch in Europa Realität und auch dort gibt es flächendeckende Unterdrückung von Männern gegenüber Frauen. Wir leben also ebenfalls in einer sexistisch strukturierten Gesellschaft, in der anscheinend ein großer Teil der Männer denkt, Frauen nicht als gleichberechtigte Subjekte anerkennen zu müssen. In der Vorstellung, die PEGIDA von „dem Westen“ hat, wird das einfach ausgeblendet und sich ein Bild des Westens als Hort der Emanzipation gemalt. Dem gegenüber wird eine islamische Kultur imaginiert, die das genaue Negativ dazu beinhaltet. Frauen, die gegen die Unterdrückung durch die islamistische Ideologie (die oft auch von Frauen durchgesetzt wird) kämpfen, hilft es allerdings wenig, wenn diese Unterdrückung zur Eigenschaft ihrer Kultur gemacht und nicht als das kritisiert wird, was sie ist: patriarchale Ideologie, Gewalt und Zwang. Hier liegt genau die Überschneidung von Islamisten und PEGIDA-Teilnehmer*innen, durch die deutlich wird, wie widersprüchlich und inkonsistent der Begriff von Kultur sein kann: Sie sind sich mit den Islamisten einig darüber, dass der Islam nur Unterdrückung und Sharia bedeuten kann. Eine These, der die meisten aufgeklärten Muslime sicherlich widersprechen würden. PEGIDA ist die Reaktion auf ein Deutschland, das immer mehr als ausländerfreundlich und kulturinteressiert in Erscheinung tritt. Es gibt parallele Denkstrukturen zwischen der negativen Bewertung von Kulturen, die von PEGIDA-Rassist*innen vertreten werden und den positiven Bewertungen, die auch von weiten Teilen der sogenannten politischen Linken und Mitte verbreitet werden. Während sich ein Großteil der Menschen auf „Festen der Kulturen“ herumtreibt, entsteht dort auch kein anderes Verständnis von Kultur als bei PEGIDA-Anhänger*innen, es findet nur eine andere Form der Bewertung statt: Die fremde Kultur wird als positives, exotisches Anderes konstruiert, welches aber auch als abgeschlossenes System funktioniert. In diesem positiven Rassismus scheint die andere Kultur nicht nur in das eigene Kultursystem integrierbar, sondern auch eine Bereicherung für die eigene Kultur zu sein. Nach den immer gleichen rassistischen Mustern werden nun den fremden Kulturen positive Stereotypen zugeschrieben, die es dann zu akzeptieren und tolerieren gilt. Salafisten, die in deutschen Innenstädten den Koran verteilen, um Mitglieder zu rekrutieren, werden in dieser Denkweise im schlimmsten Fall als kulturelle Eigenheit des islamischen Kulturkreis verklärt und nicht als das kritisiert, was sie sind: reaktionär und gefährlich. 49 Aufgrund des weit verbreiteten positiven Rassismus ist es nicht überraschend, dass Bewegungen wie PEGIDA schnell „Während sich ein Großteil der ein großen Aufschwung Menschen auf „Festen der Kulturen“ erleben konnten, da die herumtreibt, entsteht dort auch kein Grundstruktur eines ras- anderes Verständnis von Kultur als sistischen Weltbilds in bei PEGIDA-Anhänger*innen“ der breiten Bevölkerung völlig unreflektiert schon vorhanden ist. Es ist nur ein kleiner Schritt, von einer positiven Bewertung des Anderen, hin zu einer negativen. Ohnmächtig stehen sowohl PEGIDA als auch Islamisten der gesellschaftlichen Realität gegenüber und kennen nur einen Ausweg – die erzwungene Homo- genisierung der Gesellschaft und Flucht in die imaginierte Gemeinschaft. Den PEGIDA-Demonstrant*innen wird, wie dem Rest der Bevölkerung, suggeriert an der Politik zu partizipieren (zum Beispiel durch Wahlen), sie fühlen sich aber gerade deshalb ohnmächtig gegenüber den Verhältnissen, weil sie eben durch ihre Stimme nichts verändern. In der Forderung nach gesellschaftlicher Totalität sind PEGIDA und Islamisten letztendlich zwei Seiten der gleichen Medaille. Sie sind Reaktionen auf die Widersprüche dieser Gesellschaft. Wirtschaftliche Krisen werden zum Beispiel nicht durch die kapitalistischen Verhältnissen erklärt, sondern durch falsche Erklärungsmuster, wie Rassismus und Fundamentalismus. 50 Jene Weltanschauung bzw. Ideologie bietet eine psychische Entlastung für den Einzelnen, die diesem Gefühl von Ohnmacht entgegen wirkt. Durch Parolen wie „Wir sind das Volk!“, die auf PEGIDA-Märschen skandiert werden, finden die Menschen in der Konstruktion einer Gemeinschaft ein Gefühl von Stärke und Zugehörigkeit, da dieses Kollektiv größer und wirkmächtiger scheint als sie selbst. PEGIDA ist die irrationale Verarbeitung der eigenen Ohnmacht gegenüber den Verhältnissen in Form der Projektion des Unbehagens in die Figur des muslimischen Fremden. Die rechtsstaatlich kaum mehr vorhandene Asylgesetzgebung, die dank Frontex stetig wachsenden Leichenberge an den europäischen Außengrenzen und die insbesondere seit Anfang 2014 rasant steigende Zahl an rassistisch motivierten Anschlägen und Übergriffen in Deutschland reichen ihnen in ihrem Hass gegen die vermeintlich Anderen nicht aus. In dem menschenverachtenden, rassistischen Wahn, werden Flüchtlinge zum Sündenbock und zum Grund der Leidensgeschichte des Einzelnen in der kapitalistischen Gesellschaft gemacht. Auch der Islamismus bietet die Flucht in das Kollektiv, in dem vermeintlich die Widersprüche des Kapitalismus und die Ohnmacht gegenüber den ökonomischen Verhältnissen aufgehoben sind. Er ist eine Reaktion auf Modernisierungsprozesse und die Auflösung vorbürgerlicher Gesellschafts- und Familienverhältnisse. Der Islamismus ist eine moderne Bewegung, die versucht, die Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft durch Homogenisierung und autoritäre Gewalt, mit der Herstellung eines Zwangskollektivs, zu begegnen. Eine moderne Bewegung deshalb, weil der Islamismus wie wir ihn kennen erst als Reaktion auf die Moderne entstanden ist und es vorher vergleichbare Bewegungen nicht gab. Is„In dem menschenverachtenlamisten behaupten sich auf den, rassistischen Wahn, islamische Traditionen zu werden Flüchtlinge zum Sünbeziehen, was jedoch meist denbock und zum Grund der nicht stimmt. Die Ideen, die Leidensgeschichte des EinIslamisten vertreten, sind zelnen in der kapitalistischen durchaus moderne Ideen, Gesellschaft gemacht.“ beispielsweise jene, wie ein Staat zu funktionieren hat, und werden oft mit vermeintlich religiösen Traditionen untermauert oder angereichert. Das bedeutet nicht, dass Islamisten das Ziel haben einen bürgerlichen Staat zu errichten, jedoch gab es die Idee eines solchen islamistischen Staates in vormodernen Zei- ten noch nicht. Ihre Motivation ist dabei nicht allein durch Interessen ökonomischer und/oder politischer Natur erklärbar. Es ist kein machtpolitischer Anspruch einer Weltreligion oder gar das Aufbegehren der abgehängten Trikont-Massen. Der rationale Gewinn für die Islamisten ist die negative Aufhebung der kapitalistischen Widersprüche durch die Vernichtung des Ungleichen. Das heißt: Sie versuchen mit Zwang und Gewalt alle Widersprüche in der Gesellschaft zu lösen, indem Menschen außerhalb des Kollektivs, die „Ungläubigen“, dafür verantwortlich gemacht werden. Genauso wie in der modernen, kapitalistischen Gesellschaft etwa islamistische Ideen entstehen, in der die Widersprüche mit Gewalt gelöst werden sollen, ist in der modernen, kapitalistischen Gesellschaft auch die Idee einer Welt ohne Zwang, Gewalt und Ausbeutung entstanden. Ideen, die es so in einer vormodernen Gesellschaft auch nicht gab. Dies bedeutet, dass in dieser Gesellschaft beide Tendenzen verankert sind: Die Entstehung der absoluten Barbarei - wie sie die Welt mit dem Nationalsozialismus und der Shoah bereits erlebt hat - aber auch die Befreiung, die auf die Abschaffung aller Verhältnisse, „in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (MEW 1 S.385) abzielt. Für uns bedeutet das alles, in unserer Kritik nicht bei den gegenwärtigen Verhältnissen stehen zu bleiben. Eine emanzipatorische Kritik, die auf PEGIDA und Islamismus zielt, muss immer auch die bürgerliche Gesellschaft im Fokus haben. Diese beiden reaktionären Ideologien sind keine simplen Weltanschauungen, die aus dem Nichts heraus entstehen, sondern stellen Reaktionen der unbewussten, psychischen Verarbeitungen in Verbindung mit falschen Erklärungen der gesellschaftlichen Verhältnisse dar. Weil Ideologien eben keine platten Weltanschauungen sind, ist es wichtig, nicht nur Ideologiekritik, sondern auch Aufklärung gegen die gesellschaftlichen Zustände – die beides zu verantworten haben – zu betreiben. Das heißt für uns, nicht allein den Status quo gegen noch Schlimmeres zu verteidigen, sondern aufzuzeigen, dass dieser Status quo ursächlich für das ist, was gleichzeitig im schlimmsten Fall zu seiner negativen Aufhebung tendiert. Es ist Aufklärung über den positiven Gehalt von Freiheit und Gleichheit als negatives Bild ihrer gegenwärtigen kapitalistischen Form. Es ist der Kampf für Verhältnisse, die keine Unterdrückung produzieren, die entweder nach ihrer Aufhebung in der Vernichtung des Anderen endet oder die die Figur des Fremden erschaffen muss, um darin den Hass auf das was ist zu projizieren. Der Kampf gegen PEGIDA und Islamismus ist demnach der Gleiche. Er muss beide als Feinde der befreiten Gesellschaft benennen und angreifen. Antifaschistische Gruppe Braunschweig im März 2015 51 Unterstützer*innen 10.30 Uhr, Burgplatz Im Anschluss: Jugendmeile im Bürgerpark Das Braunschweiger Jugendbündnis zum 1. Mai schließt sich seit 2011 jedes Jahr zusammen, um die unterschiedlichen gesellschaftlichen Kämpfe von sozialen, gewerkschaftlichen und antifaschistischen Gruppen in Braunschweig zusammenzuführen und darauf aufmerksam zu machen, dass diese über soziale Reformen hinaus gehen müssen. Unser Motto lautet daher: „Gemeinsam für eine solidarische Gesellschaft“.
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