Tarifeinheitsgesetz: Ein Genickbruch für die Gewerkschaftsfreiheit

Tarifeinheitsgesetz
Ein Genickbruch für die Gewerkschaftsfreiheit
Die Planung einer gesetzlichen Regelung zum Thema Tarifeinheit rückt näher.
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat bereits Ende Oktober letzten Jahres den
Referentenentwurf der Bundesregierung vorgelegt und somit bei verschiedenen Parteien
und Gewerkschaften für einigen Unmut gesorgt. Innerhalb des DGB ist man sich bezüglich
der anstehenden Reform uneinig. Es herrschen Meinungsverschiedenheiten darüber, in
welcher Form oder ob generell eine gesetzliche Regelung zur Tarifeinheit notwendig ist.
Doch die Schwesterngewerkschaften ver.di, NGG und GEW sind sich einig und gehen mit
der Initiative „Tarifeinheit: JA! Einschränkung des Streikrechts: Nein!“ entschlossen voran.
Mit dieser Aktion wird die Bundesregierung aufgefordert, von einer gesetzlichen Regelung
der Tarifeinheit abzusehen.
Ist das Streikrecht in Gefahr? Wird die Tarifautonomie angegriffen? Hierzu einige Fragen
an David Lehmann (ver.di)
Frage: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde vorgelegt. Welche Befürchtungen gehen damit einher?
David Lehmann: Der uns vorgelegte Gesetzesentwurf ist ein Genickbruch für die
Gewerkschaftsfreiheit und zeigt auf, dass den Gewerkschaften durch die angestrebte
Gesetzgebung einen Pflock ins Herz der grundgesetzlich geschützten Tarifautonomie
geschlagen wird. Es ist ein gewaltiger Eingriff in unsere Kernbereiche. Fest steht auch,
dass es hier zu einer gezielten Untergrabung des Streikrechts kommt und den Menschen
das Recht auf ihre Koalitionsfreiheit in einem nicht quantifizierbaren Umfang geraubt
werden soll. Zusätzlich ist zu erwarten, dass die erhoffte Reduktion der innerbetrieblichen
Konflikte ins Gegenteil umschwenkt. Grund dafür ist, dass den sogenannten
„Minderheitsgewerkschaften“ lediglich ein Nachzeichnungsrecht bleibt und diese sich im
Bezug auf Tarifverträge an die Fersen der „mächtigeren“ Gewerkschaft hängen müssen.
So sind die innerbetrieblichen Differenzen vorprogrammiert und die Gefahr der
Entsolidarisierung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besteht.
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Frage: In wie weit wäre das Streikrecht in Gefahr, sollte das Tarifeinheitsgesetz so
beschlossen werden?
David Lehmann: Die neue Gesetzgebung sieht im „ersten Augenblick“ kein direktes
Streikverbot für Gewerkschaften vor. Allerdings ist dieses Gesetz auch sehr trickreich
formuliert, sodass uns mit Sicherheit ein indirektes Streikverbot auferlegt werden kann.
Denn im „Besonderen Teil“ der Begründung steht klar geschrieben, dass Arbeitskämpfe,
mit denen ein kollidierender Tarifvertrag erwirkt werden soll, einer Verhältnismäßigkeit
unterliegen müssen.Sprich, es wird hier ein Tor geöffnet, um der vorhandenen
Minderheitsgewerkschaft ohne Probleme ein Streikverbot zu erteilen. Somit ist das im
Grundgesetz garantierte Streikrecht als Teil der Koalitionsfreiheit in Gefahr und dadurch
eine niedergeschriebene Unterdrückung per Gesetz. Dies erstreckt sich über einen so
großen Umfang, dass die CSU bereits mit den Hufen scharrend vor der Türe steht und
einen Beschluss mit der Forderung gefasst hat, dass bei Bestreikung von Einrichtungen der
öffentlichen Daseinsvorsorge künftig obligatorische Schlichtungsverfahren eingeleitet
werden, dass Gewerkschaften Streikfahrpläne dem Arbeitgeber vorab offen legen und
diese dann einer Ankündigungsfrist von 4 Tagen unterliegen sollen. Dies ist ein massiver
Angriff auf Gewerkschaften, welcher mit Vorsicht zu genießen ist.
Frage: Wer würde durch diese gesetzliche Regelung profitieren und wer benachteiligt
werden?
David Lehmann: Für Gewerkschaften besteht die Befürchtung, dass auf Seiten des
Arbeitgebers mit den Vorteilen dieser Regelung jongliert wird. Im Streitfall um
kollidierende Tarifverträge wären Gewerkschaften gezwungen ihre Mitgliederzahlen offen
zu legen. Diese Offenlegung verschafft dem Arbeitgeber die Möglichkeit rechtzeitig
gezielte Gegenmaßnahmen einzuleiten und uns entschieden in der Tarifautonomie
einzuschränken. Nachdem die Mitgliederzahlen festgestellt sind und das
„Mehrheitsprinzip“ Geltung findet, wird der Minderheitsgewerkschaft lediglich das
Angebot gemacht, sich dem abgeschlossen Tarifvertrag ohne „wenn und aber“ mit einer
„Nachzeichnung“ anzuhängen. Diese Nachzeichnung bringt das gesamte
Gewerkschaftssystem ins schwanken und etabliert ein Zwei-Klassen-System bei denen sich
die zahlenmäßig schwächere Gewerkschaft der zahlenmäßig stärkere Gewerkschaft unterordnen muss. Selbst kommunale Arbeitgeber, wie der Kölner OB Jürgen Roters, sehen den
Gesetzesentwurf als Problematisch an. „Bestehende Sozialpartnerschaften sollten nicht
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aufs Spiel gesetzt werden“, so Roters . Der Kölner Oberbürgermeister ist Dienstherr von
über 19.000 Beschäftigten für die Stadt Köln.
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Quelle: Behörden Spiegel / April 2015
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Frage: Wie sehen jetzt die nächsten Schritte aus und worauf sollte geachtet werden?
David Lehmann: Es ist notwendig, weiter auf den Streitpunkt der gesetzlichen Gestaltung
der Tarifeinheit aufmerksam zu machen, Aktionen zu starten und Initiativen ins Leben zu
rufen. Eine gemeinsame Initiative von ver.di, NGG und GEW mit dem Titel „Tarifeinheit:
JA! Einschränkung des Streikrechts: Nein!“ sucht im Internet weiter nach Unterstützung.
Das klare Ziel dabei ist, die Bundesregierung aufzufordern, von der gesetzlichen Regelung
der Tarifeinheit abzusehen. Was wir jetzt brauchen, sind Zusammenhalt und Unterstützung, denn dieses Thema hat bereits innergewerkschaftlich für viel Zündstoff und
Diskrepanzen gesorgt. Das Problem ist bekannt, davor brauchen wir nicht die Augen
verschließen. Wir müssen nun dafür sorgen, dass Gewerkschaften an einem Strang ziehen
und der bevorstehenden Einschränkung entgegenwirken.
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