Leseprobe Aufbruch zum Leben 2013 Spirituelles Lesebuch für die Fasten- und Osterzeit 160 Seiten, 10 x 16 cm, Gebunden ISBN 9783746234182 Mehr Informationen finden Sie unter st-benno.de Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen. © St. Benno-Verlag GmbH, Leipzig 2012 A u f b ru ch zum Leben Spirituelles Lesebuch für die Fasten- und Osterzeit 2013 5 Inhaltsverzeichnis HINFÜHRUNG Bettine Reichelt: … Weit wie der Himmel, tiefer als das Meer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Besuchen Sie uns im Internet: www.st-benno.de Gern informieren wir Sie unverbindlich und aktuell auch in unserem Newsletter zum Verlagsprogramm, zu Neuerscheinungen und Aktionen. Einfach anmelden unter www.st-benno.de (newsletter@st-benno.de). ISBN 978-3-7462-3418-2 St. Benno-Verlag GmbH, Leipzig Zusammengestellt von Bettine Reichelt, Leipzig Umschlaggestaltung: Ulrike Vetter, Leipzig Umschlagabbildung: © foryouinf/Fotolia Gesamtherstellung: Kontext, Lemsel ASCHERMITTWOCH Fabian Conrad: Im Auf und Ab das rechte Maß finden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1. FASTENWOCHE: NEUE PERSPEKTIVEN Andreas Knapp: glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Lukas 4,1-13: In jener Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Benedikt XVI.: Der Weg durch die Fastenzeit . . . . . . . . . . 16 Alfred Delp: Führe uns nicht in Versuchung . . . . . . . . . . 19 Marie Noël: In meiner Müdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Franz von Sales: Im Alltag bestehen . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Gisela Baltes: Risikobereitschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2. FASTENWOCHE: VORBILDERN FOLGEN Toni Guggenbichler: Du hebst mich auf . . . . . . . . . . . . . . 26 Philipper 3,17–4,1: In der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . 27 Kirsten Fehrs: Nicht fertig werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Anton Rotzetter: Bitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 André Frossard: Gott existiert. Ich bin ihm begegnet . . . 31 Heiko Merkelbach: Hoch hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Meister Eckhart: Vollendung der Seele . . . . . . . . . . . . . . . 35 3. FASTENWOCHE: GOTTES LIED IM KLANG DER WELT Pierre Stutz: Leidenschaftlich leben . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Exodus 3,1-8a.13-15: Ich bin da . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Jörg Sieger: Zum Glauben finden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Robert Leicht: Anfang und Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 6 Inhalt Reinhard Körner: Ein Lied in allen Dingen . . . . . . . . . . . 49 Theresia Hauser: Gottesgeschmack . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Richard Rohr: Worum es letzten Endes geht . . . . . . . . . .52 4. FASTENWOCHE: MEHR ALS ZWEI SCHMETTERLINGE Charles Péguy: Das Mysterium der Hoffnung . . . . . . . . . 54 Lukas 15,1-3.11-32: Verlieren und wiederfinden . . . . . . . 55 Christian Hermanns: Mitten im Leben . . . . . . . . . . . . . . . 57 Paul Imhof: Vom Sinn der Tränen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Charles Péguy: Rückkehr zum Vater . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Jean Greisch: Der Heimkehrer und der Zurückgebliene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Bettine Reichelt: Kelchgebet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 5. FASTENWOCHE: DAS HERZ ÖFFNEN Dag Hammarskjöld: Gebet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Jesaja 43,16–21: Neues beginnt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Joachim Pfützner: Die Perle der Nacht . . . . . . . . . . . . . . . 76 Bettine Reichelt: Bitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Christian de Chergé: Kreuzweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Leo Schwarz: Eintauchen in das Geheimnis . . . . . . . . . . 82 KARWOCHE: ÜBER DAS LEID HINAUS Charles Péguy: Die kleine Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Jesaja 50,4-9: Er weicht nicht zurück . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Christoph Levin: Hiobs Botschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Patrick Klein: Karfreitag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Franz Ferstl: Kreuzweg. Meditationen . . . . . . . . . . . . . . . 91 OSTERN: ZEICHEN NEUEN LEBENS Unbekannt: Gottes schönstes Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Lukas 24,1-12: Botschaft der Engel . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Benedikt XVI.: Das Wunder der Nacht . . . . . . . . . . . . . . 105 Almut Haneberg: Ostergelächter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Inhalt 7 Manfred Brüning: Fest der Überraschungen . . . . . . . . . . 111 Angelus Silesius: Osterjubel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Alois Gómez de Segura: Aufstand gegen jede Art von Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Petra Ng’uni: mutquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Markus Bolowich: Wer den ganzen Laden zusammenhält . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Dorothea Römischer: Ostersonne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 CHRISTI HIMMELFAHRT: GEHEIMNIS DES GLAUBENS Aurelius Augustinus: Du Wahrheit und meines Herzens Licht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Epheser 1,17–23: Ihm zu Füßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Markus Bolowich: Bei uns alle Tage . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Monika Schwinge: Gottes Freundlichkeit allezeit . . . . . 128 Alfred Delp: Bereitung des Herzens . . . . . . . . . . . . . . . . 132 PFINGSTEN: LEBEN AUS EINEM NEUEN GEIST Peter Härtling: … wenn jeder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Römer 8,8-17: Gottes Söhne und Töchter . . . . . . . . . . . . 137 Franz-Josef Overbeck: Schon heute . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Augustinus von Hippo: Gott lieben . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Uwe Wolff: Setze ein Zeichen! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Irenäus von Lyon: Gottes Geist im Leben des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 8 Weit wie der Himmel, tiefer als das Meer Hinführung andere Lösung. In schweren Zeiten kommt es darauf an, gerade diese Auswege weiter zu entdecken, sich neben allem und trotz allem den Blick für das zu bewahren, was möglich bleibt. Und über all das hinaus stellt sich dennoch die Frage nach dem, was bleibt, was unzerstörbar ist, was der Hoffnung Raum gibt. Nie wird man eine letzte Antwort finden. Und alle unsere Versuche bleiben zerbrechlich. Und dennoch kommt es darauf an, es wenigstens wieder und wieder zu versuchen. Nicht aufzugeben, einer Hoffnung zu trauen, die den Ostermorgen noch in der dunkelsten Zeit für möglich hält. Dazu lädt die Fastenzeit auch in diesem Jahr wieder ein: Sich einzustimmen auf eine Hoffnung, die ihre Wurzeln weit über meine Möglichkeiten in die Tiefe des Lebens wachsen lässt und die ihre Zweige einem neuen Himmel und einer neuen Erde entgegenstreckt. Weit wie der Himmel, tiefer als das Meer Kein Leben bleibt von Verletzungen verschont. Kein Leben ohne Brüche, ohne Risse. Gern würde man dem ausweichen, gern einen anderen Weg einschlagen. Manchmal mag das möglich sein. Oft genug aber gerät man in eine Situation, in der man nicht mehr ausweichen kann, in der das Leiden unvermeidbar wird. Ob und wie weit eine solche Lage belastet und in die Verzweiflung treibt oder nicht, hängt von vielen Faktoren ab. Auch davon, wie gut wir auf eine solche Situation vorbereitet sind. Fastenzeit in diesem Sinne ist auch Vorbereitungszeit. Vorbereitung auf die Zeiten des Lebens, von denen man sagen wird: „Sie gefallen mir nicht“. Vorbereitung auf ein Leben, in dem es nicht nur glatt läuft, wie wünschenswert dies auch immer ist. Fastenzeit in diesem Sinne ist aber ebenso Schulung der Wahrnehmung. Nur ausgesprochen selten wird mir alles genommen sein, alles zerbrechen. Fast immer bleibt ein Fenster zum Himmel offen, eine Tür zur Welt, ein Ausblick auf eine Bettine Reichelt 9 10 Im Auf und Ab das rechte maß finden Aschermittwoch Menschen hätten das lieber anders: „Was muss ich denn tun, wenn ich mein Heil sicher haben will?“ Und da sind wir mitten im Problem: Der Glaube ist nicht der kleinkarierte Weg desjenigen, der alles allein machen und bestimmen will, sondern die großherzige Hoffnung des Glaubenden, dass dieser Gott derjenige ist, von dem Joel sagt: „Denn er ist gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Güte“ (Joel 2,13b). Diese Zusagen – und das steckt in unserer Natur – überlesen oder überhören wir leicht. Es hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass sie im Angesicht der Welt nicht einfach zu glauben sind, nicht damals, zur Zeit des Propheten, und auch heute nicht. Joel sah die Verwüstung des Landes und wollte seine Leute aufrütteln, aber so richtig. Es ging ihm um alles, um wirklich alles, was durch die eindringlichen Bilder deutlich wird, die er benutzt: „Versammelt das Volk, heiligt die Gemeinde ... die Alten, … die Kinder, … sogar die Säuglinge, den Bräutigam und die Braut“, die an ihrer Hochzeit wirklich anderes zu tun hätten (vgl. Joel 2,16). Nein, alle! – und dieses Detail ist ganz wichtig. Der Prophet Joel ruft ein Fasten aus, und Jesus gibt Anweisungen für ein richtiges Fasten. Und beiden – bei allen Verschiedenheiten – geht es um einen wichtigen Punkt: Das Fasten umgreift Im Auf und Ab das rechte Maß finden Es ist schwerlich zu bestreiten, dass unser gesamtes Leben auf einem Wechsel aufgebaut ist, der uns manchmal in die Höhe hebt, der uns dann wieder niederdrückt, und es gibt die Phasen, in denen wir uns so im Mittelmaß befinden. Manche Schwankungen kommen von ganz allein, andere sind uns vorgegeben, wie die Feste des Kirchenjahres, unsere Geburtstage, unsere Jubiläen. Aber auch der Erfolg eines Kindes in Schule oder Beruf, eine gelungene Partnerschaft sind solche Gründe, uns aus dem Normalen zu erheben. Und wir schnuppern gerne gleich durch bis zum Himmel. Der heutige Tag sieht das etwas anders. Wir beginnen die österliche Bußzeit als Vorbereitungszeit. Es ist eine ernste Zeit. Viele Zeitgenossen stören sich an Texten, die zu sehr wie Drohungen verstanden werden können. Texte, in denen Gott sich endgültige Antworten nicht abringen lässt. So bei Joel in der ersten Lesung: „Vielleicht kehrt er um, und es reut ihn, und er lässt Segen zurück …“ (Joel 2,14a). Im Klartext sagt der Prophet: „Tut alles, was ihr könnt, und hofft dann auf Gottes Barmherzigkeit.“ Viele 11 12 Aschermittwoch das ganze Leben. Es ist nicht etwas Oberflächliches; es ist im Kern keine Übung, die zeitlich begrenzt ist und wieder ad acta gelegt werden kann. Joel sagt: „Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider …“ Kleider kann man wieder zusammennähen, ersetzen, wenn es sein muss, aber das zerrissene Herz ist ein bleibendes Zeichen für die Zugehörigkeit zu Gott. Und Jesus spricht ausführlicher von dem Gesamt der Umkehr – „nicht zur Schau stellen; Almosen im Verborgenen geben; beten in der Stille und Abgeschiedenheit; sich pflegen und etwaigen Mangel verdecken“ … und dann eine klare Zusage über das Verhalten des Vaters: „Er wird vergelten“ (Mt 6,18d). Das biblische Wort, so meinen viele, ist so weit von uns heute entfernt, dass wir es nicht verstehen können; es hat mit unserem Leben nicht wirklich etwas zu tun. Andere gehen damit ganz unbedarft um und deuten es gerade so, wie sie es brauchen, und was sie nicht brauchen, legen sie beiseite. Wieder andere wollen verstehen und stoßen auf Widersprüche, die sie sich nicht erklären können. Zugegeben, es ist schwierig, mit unseren technisierten Köpfen diese Bildersprache zu fassen. Wir dürfen nie denken, dass der einmal gesprochene Satz zwingend der einzige zu diesem Thema sein kann. Die biblischen Autoren haben so nicht gedacht. Sie schreiben in Im Auf und Ab das rechte maß finden 13 ihrer Zeit und gebrauchen Bilder, die wir in unsere Zeit heben müssen. […] Fastenzeit ist die Gelegenheit, sich zu einer umfassenden Umkehr aufzumachen. da geht es um alle Bereiche des Lebens – geistig, körperlich, spirituell. Ein Neuer, eine Neue sollen werden. So ist der Anspruch, und im Bild des „zerrissenen Herzens“ kommt das ganz deutlich zum Ausdruck. […] Sollen wir jetzt in ein „ewiges Fasten“ eintreten? Nein, aber eine Kopfwäsche oder Seelenwäsche tut uns manchmal gut. Gehen wir mit ihm in die Wüste, um mit ihm dann auch wieder die Berge des Lebens zu erklimmen. Lassen wir den Gedanken vom „zerrissenen Herzen“ nicht fallen; es ist kein Riss, der tötet; es ist ein Riss, der heilt. Fabian Conrad 14 Neue perspektiven 1. Fastenwoche Neue Perspektiven In jener Zeit glauben glaube und du wirst mehr sehen als den augenschein der blumenstrauß für dich ist mehr als bloße floristik höre mein lied für dich zwischen den tönen schwingt unaussprechliches mehr als nur akkustik schaue mir tiefer in die augen dich selbst vergessend siehst du endlich mehr als nur dein spiegelbild glaube deinem eigenen herzen dann wird dir in allen dingen das geheimnisvoll mehr geschenkt Andreas Knapp 15 In jener Zeit verließ Jesus, erfüllt vom Heiligen Geist, die Jordangegend. Darauf führte ihn der Geist vierzig Tage lang in der Wüste umher, und dabei wurde Jesus vom Teufel in Versuchung geführt. Die ganze Zeit über aß er nichts; als aber die vierzig Tage vorüber waren, hatte er Hunger. Da sagte der Teufel zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl diesem Stein, zu Brot zu werden. Jesus antwortete ihm: In der Schrift heißt es: Der Mensch lebt nicht nur von Brot. Da führte ihn der Teufel auf einen Berg hinauf und zeigte ihm in einem einzigen Augenblick alle Reiche der Erde. Und er sagte zu ihm: All die Macht und Herrlichkeit dieser Reiche will ich dir geben; denn sie sind mir überlassen, und ich gebe sie, wem ich will. Wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest, wird dir alles gehören. Jesus antwortete ihm: In der Schrift steht: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen. Darauf führte ihn der Teufel nach Jerusalem, stellte ihn oben auf den Tempel und sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so stürz dich von hier hinab; denn es heißt in der Schrift: Seinen 16 1. Fastenwoche Engeln befiehlt er, dich zu behüten; und: Sie werden dich auf ihren Händen tragen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt. Da antwortete ihm Jesus: Die Schrift sagt: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen. Nach diesen Versuchungen ließ der Teufel für eine gewisse Zeit von ihm ab. Lukas 4,1-13 Der Weg durch die Fastenzeit Was heißt es, den Weg der Fastenzeit zu gehen? Eine Erläuterung hierzu gibt uns das Evangelium vom heutigen ersten Fastensonntag mit dem Bericht über die Versuchungen Jesu in der Wüste. Der heilige Evangelist Lukas erzählt, dass Jesus, nachdem er von Johannes getauft worden war, „erfüllt vom Heiligen Geist, die Jordangegend [verließ]. Darauf führte ihn der Geist vierzig Tage lang in der Wüste umher, und dabei wurde Jesus vom Teufel in Versuchung geführt“ (Lk 4,1-2). Es wird deutlich hervorgehoben, dass es sich bei den Versuchungen nicht um einen gewöhnlichen Zwischenfall handelte, sondern um die Folge der Entscheidung Jesu, der ihm vom Vater übertra- Neue perspektiven 17 genen Sendung zu folgen, bis zum Äußersten seine Wirklichkeit als geliebter Sohn zu leben, der sich ganz ihm anvertraut. Christus ist in die Welt gekommen, um uns von der Sünde und von der zweifelhaften Faszination zu befreien, unser Leben ohne Gott zu entwerfen. Er hat dies nicht mit hochtrabenden Erklärungen getan, sondern indem er selbst gegen den Versucher gekämpft hat, bis hin ans Kreuz. Dieses Beispiel gilt für alle: Man verbessert die Welt, indem man bei sich selbst anfängt und mit der Gnade Gottes das ändert, was im eigenen Leben nicht in Ordnung ist. Von den drei Versuchungen, mit denen der Teufel Jesus konfrontiert, hat die erste ihren Ursprung im Hunger, das heißt im materiellen Bedürfnis: „Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl diesem Stein, zu Brot zu werden.“ Jesus aber antwortet mit der Heiligen Schrift: „Der Mensch lebt nicht nur von Brot“ (Lk 4,3-4; vgl. Dtn 8,3). Dann zeigt der Teufel Jesus alle Reiche der Erde und sagt: Alles wird dir gehören, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest. Es ist die Täuschung der Macht, die Jesus entlarvt und zurückweist: „Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen“ (vgl. Lk 4,5-8; Dtn 6,13). Keine Anbetung der Macht, sondern allein Anbetung Gottes, der Wahrheit und der Liebe. Schließlich schlägt der Versucher Jesus vor, ein aufsehenerregendes 18 1. Fastenwoche Wunder zu wirken: Er soll sich von den hohen Mauern des Tempels stürzen und sich von den Engeln retten lassen, so dass alle an ihn glauben. Doch Jesus antwortet, dass Gott nie auf die Probe gestellt werden darf (vgl. Dtn 6,16). Wir dürfen „kein Experiment unternehmen“, in dem Gott eine Antwort geben und sich als Gott erweisen soll: Wir müssen an ihn glauben! Wir dürfen Gott nicht zum „Gegenstand“ unseres „Experimentierens“ machen! Mit ständigem Bezug auf die Schrift stellt Jesus den menschlichen Kriterien das einzig wahre Kriterium voran: den Gehorsam, die Übereinstimmung mit dem Willen Gottes, der das Fundament unseres Seins ist. Auch dies ist eine grundlegende Lehre für uns: Wenn wir das Wort Gottes im Geist und im Herzen tragen, wenn dieses Wort in unser Leben eintritt, wenn wir Vertrauen in Gott haben, so können wir jegliche Täuschung durch den Versucher abweisen. Aus der ganzen Erzählung tritt darüber hinaus deutlich das Bild Christi als neuer Adam hervor, des demütigen und dem Vater gehorsamen Sohnes Gottes, im Unterschied zu Adam und Eva, die im Garten Eden den Verführungen des Geistes des Bösen, ohne Gott unsterblich zu sein, nachgegeben hatten. Die Fastenzeit ist wie eine lange Zeit der „Einkehr“, bei der es darum geht, in sich zu gehen Neue perspektiven 19 und die Stimme Gottes zu vernehmen, um die Versuchungen Satans zu besiegen und die Wahrheit unseres Seins zu finden. Eine Zeit, so könnten wir sagen, des geistlichen „Kämpfens“, die es zusammen mit Jesus zu leben gilt, ohne Stolz und Anmaßung, sondern mit den Waffen des Glaubens, das heißt mit dem Gebet, dem Hören des Wortes Gottes und der Buße. Auf diese Weise wird es uns gelingen, Ostern wahrhaftig zu feiern, in der Bereitschaft, unsere Taufversprechen zu erneuern. Benedikt XVI. Führe uns nicht in Versuchung Diese Bitte sollten wir ernsthaft beten. Der Herr weiß, was Anfechtung ist und welcher Zerreißprobe der Mensch in der Anfechtung ausgesetzt werden kann. Und wer ist seiner sicher? In den „schönen Tagen“ überhören wir diese Bitte leicht als für uns nicht aktuell. Bis auf einmal die schönen Tage vorbei sind und man gar nicht mehr weiß, aus wie viel Windrichtungen die Stürme zugleich losgebrochen sind. Der Weg auf meine Klippe hier herauf: durch wie viel Stunden der Schwäche und Not ging er. Stunden der Ohnmacht und des Zweifels und 20 1. Fastenwoche des Nicht-mehr-weiter-Wissens. Oh, wie können die Dinge ihre wahren Umrisse verlieren und plötzlich in anderen Zusammenhängen erscheinen. Und die Stunde der Anfechtung wird niemand geschenkt. Nur in ihr lernt der Mensch sich selbst kennen und ahnt, welche Entscheidungen von ihm erwartet werden. Hoffentlich bleibe ich da oben schwindelfrei und stürze nicht wieder. Ich fühle mich dem Herrgott ausgeliefert und vertraue auf die Hilfe der Freunde. Die Anfechtung überfällt uns von außen und von innen. Die Macht, die Gewalt, der Schmerz, die erlebte Erniedrigung, das eigene Versagen, der schweigende Gott, die äußerste Hilflosigkeit: das alles kann bittere Entscheidungen fordern. Es kann dann von innen die Angst dazukommen, jenes schleichende Gewürm, das jede Menschensubstanz auffrisst. Es kann die Dämonie von innen losbrechen, die Wildheit, die Empörung, der Zweifel, der Lebenswille, der nicht von sich weg will. Das alles kann bittere Stunden bereiten, und die Welt ist nachher anders, als sie vorher war. Die Haut ist gegerbt, trägt Narben und Wunden. Die einzige Chance, diese Stunden zu bestehen, ist der Herrgott und dass man sich nicht freiwillig in sie begeben hat. Der Herr heißt uns bitten, dass diese Stunden uns erspart bleiben. Ich rate allen, diese Bitte ernst zu nehmen. Was war das Neue perspektiven 21 doch ein Hexenkessel! Und wie es weitergehen wird, wie lange ich hier an der Kante sitze und warte, ob ich springen muss oder nicht. Das weiß ich nicht. Was da noch alles an Gewürm in einem aufwachen kann! Der Mensch muss auf alle falsche Sicherheit verzichten, und er wird der großen Ruhe und Überlegenheit des Herrgotts teilhaftig. Wie ganz anders waren die Stunden vor dem Volksgerichtshof. Obwohl ich vom ersten Wort an wusste, ich falle, habe ich mich keine Minute unterlegen gefühlt. Das war jenseitige Kraft. Dafür hat das Leben dort auch ein Thema bekommen, eindeutig und klar, für das sich zu leben und zu sterben lohnt. Wenn irgendwann, dann gilt es für den Menschen in der Anfechtung: Er allein schafft es nicht. Der Herr bewahre euch und behüte euch und helfe euch bestehen. Alfred Delp In meiner Müdigkeit In meiner Müdigkeit auf kahler Erde, wenn ich zu schwach bin, um Gott oder Menschen zu lieben … Während der Nacht, Herr, wirst du mir treu sein. 22 1. Fastenwoche Neue perspektiven 23 In meiner Erschöpfung, wenn ich nicht mehr klar sehe, wenn mein Herz erkaltet, meine letzte Tugend am Ende meiner Kräfte zusammensinkt und einschläft wie eine alte Frau … Während der Nacht, Herr, wirst du mir treu sein. Du allein, der du bist Ewig du In meiner schwärzesten Nacht, in dem schrecklichen Strudel, da Gott sich abwendet, es keine Spur von Hoffnung mehr gibt, nicht auf Erden, nicht im Himmel … Während der Nacht, Herr, wirst du mir treu sein. Man muss gewiss den schweren Versuchungen mit unüberwindlichem Mut widerstehen, und der errungene Sieg ist ohne Zweifel sehr wertvoll; trotzdem ist es noch nützlicher, die zahlreichen kleinen Versuchungen tapfer zu bekämpfen. Wölfe und Bären sind gewiss gefährlicher als Mücken, sie plagen, ärgern und reizen uns aber bestimmt nicht so zur Ungeduld. Es ist nicht schwer, sich eines Mordes zu enthalten, wohl aber, alle kleinen Zornausbrüche zu unterdrücken, wozu fast jeden Augenblick Gelegenheit ist. Es ist leicht, den Diebstahl zu meiden, schwerer dagegen, fremdes Gut nicht zu begehren; leicht, keinen Meineid zu schwören, aber schwer, in Gesellschaft immer ganz bei der Wahrheit zu bleiben; leicht, dem Nächsten nicht den Tod zu wünschen, schwer, ihm einen Nachteil nicht zu gönnen; leicht, ihn nicht zu verleumden, schwer, ihm keine Geringschätzung zu zeigen. Mit einem Wort: diese kleinen Versuchungen zu Zorn, Argwohn, Eifersucht, Neid, Eitelkeit, Dop- Im Tode, da alles schwindet, in der Nacht des Todes, da die Seele nicht mehr Raum noch Zeit hat, in dem Nichts, wo ich weder mich noch irgendeinen finde … Während der Nacht, Herr, wirst du mir treu sein. In der Finsternis deines Seins, in das ich mich stürzen werde, wo von mir nur das sein wird, was du warst, wo du allein sein wirst, das einzige Sein, das mir bleiben wird … Während der Nacht, Herr, wirst du mir treu sein. Marie Noël Im Alltag bestehen
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