AUS DER PRAXIS AURIKULOMEDIZIN Beate Strittmatter WAS IST CHINESISCH AN DER OHRAKUPUNKTUR? WHAT IS CHINESE IN EAR ACUPUNCTURE? Zusammenfassung Summary Chinesische Ohrkarten weichen in einigen wesentlichen Reflexzonen von der originalen französischen Ohrkarte ab. Es wird aufgezeigt, dass diese Karten sich aus den französischen Karten ableiten und nicht aus China selbst stammen. An Beispielen wird gezeigt, woher Unterschiede resultieren. Die meisten sind über die bekannten französisch-deutschen Lokalisationen erklärbar. Chinese ear maps are in several ways different to the original French maps. This article demonstrates that the Chinese maps are basically based on the French ear maps which came to China and were there used by barefoot-healers. Coming back to Europe they were falsely regarded as Chinese. Differences between reflex localizations in the Chinese and European maps are discussed. Schlüsselwörter Keywords Ohrakupunktur, Chinesische Ohrakupunktur, antike Ohrakupunktur Ear acupuncture, chinese ear acupuncture, antique ear acupuncture A ls ich vor 15 Jahren zum ersten internationalen USamerikanischen Kongress über Ohrakupunktur in Las Vegas eingeladen war (ACI, Auricular Certifikation Institute, Los Angeles) und dort Vorträge und einen Workshop halten durfte, wurde ich erstmals damit konfrontiert, dass in den USA (und wie ich später erfahren sollte in der ganzen Welt außer in Europa) zwei verschiedene Systeme in der Ohrakupunktur gelehrt werden: das Europäische und das „Chinesische“ System. Und dass die armen Studenten beide Systeme parallel lernen müssen. Viele Punkte sind hier gleich, einige aber doch sehr anders bzw. an anderen Orten der Ohrmuschel. Ich begann, mich mit den Unterschieden zu befassen und fand dabei heraus, dass man in vieler Hinsicht gar nicht so weit auseinander liegt. Bevor ich zwei Beispiele erwähne stellt sich generell die Frage: wie chinesisch ist die „chinesische“ Ohrakupunktur? Auch als vor einigen Jahrzehnten die ersten Berichte über Anästhesie/Analgesie bei Operationen bekannt wurden, hieß es häufig, es sei eine „chinesische Methode“. Es lohnt hier ein Blick in die Geschichte der Ohrakupunktur. ZAA 02-2014 Wann und wo erstmals die Ohrmuscheln therapeutisch genutzt wurden, ist nicht überliefert. Der älteste Bericht stammt von dem 460 vor Chr. auf der griechischen Insel Kos geborenen Griechen Hippokrates. Nach seiner Ausbildung, die ihn u.a. auch nach Ägypten führte, übte er seine Kunst auf der Wanderschaft durch Griechenland aus und gründete später auf Kos eine medizinische Akademie. So hatte er beispielsweise während seiner Lehrzeit in Ägypten Aderlässe an den Ohrvenen kennen gelernt. Für diese Behandlung gab es viele Indikationen, z.B. soll auch Unfruchtbarkeit bei Männern und Frauen damit behandelt worden sein.Wir gehen davon aus, dass die therapeutische Wirkung durch die Einstiche am Ohr erfolgt ist und weniger durch das Blutenlassen. Der Wissensstand zur gleichen Zeit in China: Etwa aus der gleichen Zeit stammt das „Nei-King“, das erste in der Medizingeschichte bekannt gewordene und sehr ausführlich gehaltene chinesische Lehrbuch der Medizin. Nach ihm werden die Grundlagen der energetischen Akupunktur, Behandlungsanweisungen, Meridianverläufe und Punktlokalisationen beschrieben. Allerdings enthält es 11 AUS DER PRAXIS nur 2 Akupunkturpunkte in Ohrnähe. Es sind die Endpunkte des Dreifachen-Erwärmers und des Dünndarm-Meridians. Von einer „chinesischen Ohrakupunktur“, wie sie fälschlicherweise oft angenommen wird, kann zu damaliger Zeit somit keine Rede sein. Begründer der modernen Aurikulotherapie ist Dr. Paul Nogier, praktischer Arzt in Lyon mit einer Ausbildung in klassischer chinesischer Akupunktur. Um 1950 waren ihm auf den Ohrmuscheln seiner Patienten Narben aufgefallen. Die Befragung ergab, dass es sich um Spuren einer - von Heilkundigen durchgeführten – Ischiasbehandlung handelte. Eine bestimmt Stelle der Ohrmuschel war mit einem glühenden Eisenstab gebrannt (kauterisiert) worden. Übereinstimmend wurde ihm berichtet, dass die Beschwerden in kürzester Zeit – oftmals schon während der Behandlung – nachgelassen hätten. Und genau an dieser Stelle darf man dankbar ein wenig innehalten: denn allein Nogiers Unvoreingenommenheit und Neugier einer „Barfußtherapie“ gegenüber ist es zu Abb. 1: Kauterisationstelle bei Ischias, Punkt L5/S1 am Ohr 12 AURIKULOMEDIZIN verdanken, dass damals der Grundstein für die Entdeckung und systematische Entwicklung dieser inzwischen weltweit verbreiteten, effizienten und dennoch leicht erlernbaren Methode gelegt werden konnte. In seinem Buch „Lehrbuch der Auriculotherapie“ von 1969 schildert er seine Entdeckung: „Etwa im Jahre 1950 entdeckte ich in der Gegend von Lyon, wo ich meine Praxis habe, in der Ohrmuschel einiger Patienten eine seltsame Narbe, die meine Neugierde erweckte. Ich erkundigte mich genauer danach und erfuhr, dass es sich hier um eine besondere Behandlungsart des Ischias handelte. Man hatte den oberen Teil sowie den Rand der Anthelix auf der gleichen Seite, auf der man die Neuralgie festgestellt hatte, kauterisiert. Erst sehr viel später erfuhr ich, dass man seit dem Altertum die Ohrmuschel reizte, um bestimmte Funktionen zu beeinflussen und bestimmten Störungen entgegenzuwirken. Da ich damals nichts von den Erfahrungen, die man im Altertum gesammelt hatte, wusste, dachte ich, es handle sich um etwas Neues, und ich untersuchte das Ganze als etwas Neues und beobachtete unvoreingenommen die Reaktionen derjenigen, die auf diese Weise behandelt worden waren. Fast einstimmig sagten die von mir befragten Kranken, dass die Schmerzen sehr schnell (innerhalb von einigen Stunden, manchmal Minuten) nachgelassen hatten, so dass man an dem Zusammenhang zwischen der Kauterisation und der Schmerzlinderung nicht zweifeln konnte. Außerdem, und dies überraschte noch mehr, handelte es sich oft um Kranke, die vorher nach den verschiedensten bewährten Verfahren behandelt worden waren, was vermuten ließ, dass es sich um besonders schwer zu heilende Fälle handelte. Ich nahm daraufhin selbst einige Kauterisationen vor, die sich als erfolgreich erwiesen, anschließend erprobte ich andere weniger barbarische Verfahren. Das einfache trockene Stechen mit einer Näh- oder Stecknadel zeigte bei Ischiasfällen eine positive Wirkung, wenn man am gleichen oberen Teil der Anthelix und an den Punkten, die in diesem Bereich druckempfindlich waren, stach. Plötzlich erkannte ich, dass diese kauterisierte Stelle vielleicht der Articulatio lumbosacralis entspricht und dass in diesem Fall die ganze Anthelix die Wirbelsäule darstellt, aber auf den Kopf gestellt, und dass der Antitragus dem Kopf entspricht; so konnte das Ohr im großen und ganzen als das Abbild eines Embryos in utero erscheinen.“ Nogier durchforschte die Literatur der Vergangenheit. Neben den Berichten des Hippokrates fand er weitere frühere Arbeiten: • Dr. Zacatus Lusitanus, portugiesischer Arzt, beschreibt 1637 die Behandlung von Lumbalgien und Ischialgien durch Kauterisation der Ohrmuschel. ZAA 02-2014 AURIKULOMEDIZIN • 1717 berichtet der italienische Arzt Dr. Valsalva über die erfolgreiche Kauterisation der Ohrmuschel bei Zahnschmerzen. Es handelte sich hierbei um neue Areale, die sich von den zu dieser Zeit bereits bekannten Stellen der Ohrmuschel unterschieden, die für eine Behandlung von Ischialgien empfohlen wurden. In seiner Schrift „De Aure Humana Tractatus“ gab er als Anweisung zur Unterdrückung von Zahnschmerzen an „ ...der Chirurg muss hinter dem Antitragus und quer zum Ohr einen erhitzten Eisenstab ansetzen... “ – an der uns bekannten Reflexzone für die Zähne! Dieser Punkt wurde akupressiert oder kauterisiert. Er wurde dann in der späteren Literatur unter dem Begriff „Point H. Calmant L’Odontalgie“ beschrieben. • Um 1850 gab es in Frankreich ganze Serien von Publikationen zu diesem Thema. Für etwa 10 Jahre scheint eine Ohr-Euphorie zu bestehen. Zumindest spricht die Vielzahl der in dieser Zeit veröffentlichen Arbeiten dafür. Während der Zeit von 1850-1900 ließen manche Patienten nicht nur bei Zahnschmerzen Ohrkauterisationen durchführen, manchmal versuchte man auf diese Weise sogar eine Extraktion zu vermeiden. Behandlungen von Dentalneuralgien durch Kauterisationen und Einschneiden der Helix folgten. Auch Fazialisstörungen wurden im 19. Jahrhundert durch Reizungen an der Ohrmuschel behandelt. Dennoch geriet diese Behandlungsform nach verhältnismäßig kurzer Zeit wieder in Vergessenheit. Scheinbar war die wissenschaftliche Unerklärbarkeit Grund für die Ablehnung der Methode. Die auch damals von den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen geprägte Medizin hatte keinen Platz für eine Erfahrungsheilkunde, die nicht in wissenschaftliche Denkmuster einzuordnen war. Somit blieb die Ohrmuschelreizung wieder einzelnen Volksheilkundigen vorbehalten. Nogiers Entdeckung, dass „aktive“ Reflexzonen, also solche, die zu einer Pathologie des Körpers gehören, auch drucksensibel sind, führte dazu, dass in der Folge zu Pathologien des Körpers gehörige Reflexpunkte leicht am Ohr aufzufinden waren. Beschreibungen von Reflexpunkten gelangen somit immer präziser. Später entdeckte er dann, dass aktive Ohrpunkte auch elektrisch verändert sind: Dies ermöglichte die präzise elektrische Messung bzw. Detektion aktiver Ohrpunkte, wie wir sie noch heute mittels Punktsuchgerät (PSG) durchführen. Allerdings scheiterten zunächst seine Versuche, diese Beobachtungen der Kollegenschaft mitzuteilen. Kaum jemand interessierte sich dafür. ZAA 02-2014 AUS DER PRAXIS Abb. 2: Schematische Darstellung des Ohres/Die Ähnlichkeit seiner Korrespondenzpunkte mit der Fötuslage, nach Nogier, P., aus „Lehrbuch der Auriculotherapie“, Maisonneuve, 1973 Abb. 3: Urkunde Valsalva – aus:Valsalva „De Aure Humana Tractatus“ • 1955: Nogier spricht Dr. Niboyet an, der bereits zu diesem Zeitpunkt als unumstrittener Meister der Akupunktur in Frankreich gilt. Dr. Niboyet ist von der Arbeit Nogiers angetan und besteht darauf, dass dieser seine Erkenntnisse den französischen ärztlichen Akupunkteuren zugänglich macht. • 1956: Nogier berichtet über seine Therapie auf dem 1. Kongress französischer Akupunkteure. Sein Vor13 AUS DER PRAXIS trag wird von Dr. Bachmann, dem damaligen Herausgeber der „Deutschen Zeitschrift für Akupunktur“ übernommen und so erstmals deutschen ärztlichen Akupunkteuren zugänglich gemacht. • 1957: Der russische Professor Wrogralik zitiert Nogiers Aufsatz in seiner Forschungsarbeit über die Grundlagen der Akupunktur in der UdSSR. • 1958: der chinesische Arzt Dr. Haiao Lin berichtet in der „Shanghaier Zeitschrift für chinesische Me- AURIKULOMEDIZIN dizin“ über die Arbeit Nogiers. Dieser Bericht ist Anstoß zur Gründung einer Arbeitsgemeinschaft für Ohrakupunktur in Shanghai. In dieser Arbeitsgemeinschaft sind 9 Ärzte der Stadt tätig. Sie bestätigen die Beobachtungen Nogiers und fügen ihre eigenen Erfahrungen hinzu. • 1959: Es erscheint ein Artikel über die französische Ohrakupunktur in der chinesischen Zeitschrift für „Populäre Medizin“ (Ta-chung-i-hsüeh). Nogier wird als Entdecker der Methode anerkannt. Die Erfolge waren auch in China beeindruckend und darüber hinaus mit so geringem Aufwand zu erzielen, dass diese Methode auch den chinesischen „Barfußärzten“ vermittelt wurde. Die sog. Barfußärzte waren Sanitäter mit nur minimaler Ausbildung. Die Bezeichnung entstand während der Kulturrevolution, einer Zeit, bei der jegliches Wissen als staatsfeindlich verdächtigt wurde. Abb 4: Anweisung von Valsalva zur Akupressur des Ohres während Zahnextraktionen Abb. 5:Veröffentlichung der chinesischen Zeitschrift für „Populäre Medizin“ (Ta-chung-i-hsüeh) 1959. Oben ist die Originalzeichnung Nogiers wiedergegeben, die 1957 von Bachmann, München, aus dem Französischen übersetzt und veröffentlicht wurde. Nogier wird als Entdecker der Methode (4. Zeile oben oben) anerkannt 14 Die Ohrakupunktur half in China, ohne die ohnehin knappen Medikamente verwenden zu müssen, Barfußärzten bei ihrer Arbeit als Ersthelfer. Das chinesische Gesundheitsministerium ließ für deren Ausbildung Anschauungstafeln in stark vereinfachter Darstellung herausgeben. Tafeln, die nach Europa gelangten, wo sie fälschlich als Beweis für die Existenz einer urchinesischen Heilmethode aufgenommen wurden! Die „original chinesische Ohrakupunktur“ wurde bekannt. Mao Tse Tung soll sich in diesem Zusammenhang wie folgt geäußert haben: „Die Vergangenheit soll der Zukunft, und ausländische Dinge sollen China dienen.“ Im Laufe der letzten 30 Jahre gab es im Rahmen der Deutschen Akademie für Akupunktur und Aurikulomedizin und auch durch Schweizer und Österreichische Kollegen wesentliche Weiterentwicklungen des französischen Wissens, die sich in der Praxis erfolgreich etabliert haben: z.B. die Medikamenten-vergleichbaren Punkte, die Achsenprogramme, die „Zangentechnik“, die Bedeutung der Lateralität mit dem Lateralitätssteuerpunkt, die Störherdhinweispunkte, die Meridiane am Ohr, die Schmerzgedächtnispunkte, die energetischen Punkte (alles F. Bahr), neue neurologische Lokalisationen (B.und M. Strittmatter), die verdeckten Zahnherde (B. Strittmatter), die neuen psychisch wirksamen Punkte (F. Bahr), die Trauma-Akupunktur (Ch. Scholtes), die Cerebrale Regenerations-Akupunktur (L. Dorfer), die Meridian-Frequenzen, die Leitlinien am Ohr (M. Reininger) u.a.m. [10, 11, 12, 13, 14]. ZAA 02-2014 AUS DER PRAXIS AURIKULOMEDIZIN Abb. 6: 1 Herz auf französischer/deutscher Karte, 2 Plexus cardiacus, (chin. Herzpunkt) Abb. 7: 1 französischer Reflexpunkt der Niere, 2 Plexus mesentericus inferius, (chin. Punkt der Niere) Die elektrische Messung mit dem Punktsuchgerät (PSG) und auch die Testung mit dem Resonanzphänomen (Nogier-Reflex, syn. RAC,VAS) macht diese Punkte jederzeit objektivierbar [15]. Die Besonderheit der deutschen Schule liegt vor allen Dingen auch in der Störherderkennung und -behandlung, ein Thema, zu dem Nogier den wesentlichen Anstoß gegeben hat [16]. Zurück zur Frage „Was ist chinesisch am „chinesischen System“ der Ohrakupunktur?“ Unbestreitbar wurden zu der französischen Ohrkarte, die vor über 50 Jahren nach China gelangte, empirisch Punkte hinzugefügt. Auf diese Weise ergeben sich Unterschiede zu unserer aktuellen Karte. Ich habe mich, seit ich in den USA und in Kanada unterrichte, bemüht Brücken zu finden, um die Systeme zu adaptieren. In einigen Bereichen ist mir das auf mühelose und erstaunliche Weise gelungen – ich musste einfach nur hinschauen. Zwei Beispiele Herz: Nogier fand den Punkt des Herzens, da es zur quergestreiften Muskulatur gehört, folgerichtig im Bereich des Thorax am linken Ohr, wo das muskuloskelettale System abgebildet ist. Der chinesische Punkt für das Herz liegt im Bereich der unteren Concha. Vergleicht man diese Lokalisation mit unseren bekannten Reflexpunkten der Plexi [4], findet man sehr schnell eine Antwort auf die Frage, warum dieser Punkt auf das Herz wirken soll: Es handelt sich hier um die Lokalisation des Plexus cardiacus! Und natürlich wirkt dieser auf das Herz. ZAA 02-2014 Abb. 8: 1 Punkt Shen men, 2 Punkt der Selbstheilung nach Bahr Niere: Nogier fand den Punkt der Niere unter der aufsteigenden Helix. Die Niere liegt damit, obwohl ein Organ, im Bereich des Mesoderms. Betrachtet man die embryologische Entwicklung des Menschen, dann ist diese Lokalisation logisch, entsteht die Niere doch aus dem Keimblatt, das dem Mesoderm zugeordnet ist. Der chinesische Punkt für die Niere dagegen liegt in der oberen Concha. Auch hier zeigt ein Blick in die Abteilung „Neurologie“ des Taschenatlas Ohrakupunktur den Zusammenhang: Der chinesische Punkt entspricht dem Reflexpunkt des Plexus mesentericus inferior am Ohr (und dieser versorgt die Niere) [5]. Man kann also sagen, dass wir bereits für einige der „chinesischen Punkte“ am Ohr den funktionellen Zusammenhang zum Organ verstanden haben, das sie repräsentieren sollen. Und man muss mit Respekt sagen, dass die Lokalisationen auf den chinesischen Karten sinnvoll sind und treffend beschrieben wurden, schließlich waren den Chinesen damals unsere heutigen Forschungen der neurologischen Reflexzonen am Ohr nicht bekannt [2]. Neueste Arbeiten von der Universität in Paris beweisen mittels funktionellem Kernspin (fMRI), dass es direkte Verbindungen von den Reflexzonen der Ohroberfläche zur Großhirnrinde gibt: die Reizung des (französischen!) Daumenpunktes bewirkte in zehn Probanden eine Aktivierung des Daumenareals im Gyrus postcentralis der Großhirnrinde auf der Gegenseite [1]. Mit diesem Nachweis lassen sich die meisten der bisher anstehenden Fragen 15 AUS DER PRAXIS bezüglich der Ohrakupunktur erklären (z.B. dass die Nadelung eines Organpunkts auf dem linken Ohr tatsächlich dieses Organ der linken Körperseite beeinflusst und umgekehrt und dass z.B. der französische Punkt des Daumens tatsächlich die Daumenzone auf der Grossirnrinde erreicht). Anderseits gibt es bei genauer Betrachtung der chinesischen Karten auch funktionelle Punkte, die wir zur Erweiterung unseres Spektrums nutzen sollten. Beispiel: Der Punkt „Shen men“. Dieser Punkt dient der allgemeinen Schmerzbehandlung, der Entspannung und der Regeneration. Bahr fand vor etwa 5 Jahren heraus, dass der Punkt Shen men ein Achsenpunkt zu seinem „Punkt der Selbstheilung“ ist! Ver- AURIKULOMEDIZIN wendet man beide Punkte zusammen, kann man eine Potenzierung der Selbstheilung erwarten (Abb. 8). Es ist unstreitbar, dass chinesische Beobachtungen und Erfahrungen die Arbeit Nogiers ergänzt haben, aber ohne ihn gäbe es die eigentlichen Ohrkarten nicht. Er hat die Voraussetzungen für einen systematischen diagnostischen und therapeutischen Zugang zum Organismus über die Ohrreflexzonen geschaffen. Wir sind hier auf einem spannenden Weg und es gibt sicher bald wieder Neuigkeiten. Für die Schüler in den USA und in Kanada wäre zu wünschen, dass das chinesische System logisch in das französisch-deutsche Mutter-System integriert werden kann und sie in der Zukunft nicht mehr die Mühe auf sich nehmen müssen, zwei „verschiedene“ Systeme zu erlernen. Literatur [1] Alimi D., Geissmann A., Gardeur D.: Auricular Acupuncture Stimulation measured on functional magnetic resonance imaging, Medical Acupuncture/Vol.13/Nr.2-02 [2] Strittmatter B., Strittmatter M.: Lokalisationen auf der Ohr- [4] Strittmatter B.: Der Störherd und seine Entstörung, Hippokrates Vlg. Stuttgart, 2005 [5] Strittmatter B.: Taschenatlas Ohrakupunktur nach Nogier/ Bahr, 5.Auflage, Hippokrates Verlag, Stuttgart 2008 muschel - zentrales, peripheres und autonomes Nervensystem, Der Akupunkturarzt/Aurikulotherapeut 3/95 [3] Moser M., Dorfer L., Muhry F., Messerschmidt D., Frühwirth M., Bahr F.: Untersuchungen zur Physiologie des NogierReflexes, Der Akupunkturarzt/Aurikulotherapeut 2-98 Dr. med. Beate Strittmatter Ärztin für Allgemeinmedizin, Akupunktur, Naturheilverfahren, Sportmedizin Quellenstr. 19, 66191 Saarbrücken Tel.: +49 681/8304667 E-Mail: Strittmatter@t-online.de 16 ZAA 02-2014
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