Markt Samstag, 2. Mai 2015 / Nr. 101 NEUE LUZERNER ZEITUNG NEUE ZUGER ZEITUNG NEUE NIDWALDNER ZEITUNG NEUE OBWALDNER ZEITUNG NEUE URNER ZEITUNG 13 BOTE DER URSCHWEIZ Der Siegeszug der Kaffeekapseln KONSUM Immer mehr Schweizer entscheiden sich für Kaffee aus Kapseln. Damit nimmt auch der Abfall immer weiter zu. Beim Recycling stossen Hersteller aber schon jetzt an ihre Grenzen. BERNARD MARKS wirtschaft@luzernerzeitung.ch Sein Geschmack weckt müde Geister. Sein Duft sorgt für Behaglichkeit in der Stube. Kaffee soll laut Studien sogar vor Krebs, Alzheimer und vor Parkinson schützen. Als Café crème, Cappuccino oder einfach nur ganz schwarz: Kaum ein Getränk ist so populär wie Kaffee. Eine immer populärere Methode, Kaf fee zu machen, ist das Kapselsystem. Die kleinen bunten Kaffeehülsen haben es innerhalb kurzer Zeit geschafft, den weltweiten Kaffeemarkt auf den Kopf zu stellen. Der weltweite Umsatz mit Kaf feekapseln ist seit 2008 von 2,4 Milliar den auf über 8 Milliarden Euro gestie gen. Den grössten Marktanteil hat Nes presso. Die Nestlé-Tochter setzt mit Kaffeekapseln mittlerweile geschätzte 5 Milliarden Franken um. Mit einem Anteil von 38 Prozent ist der Kaffee aus Kapseln auch in der Schweiz die beliebteste Art, einen Kaffee zuzubereiten (siehe Grafik). Ob Nespres so, Migros, Coop, Denner, Tschibo, Aldi und Lidl, immer mehr Anbieter wollen im lukrativen Markt mit ihren Kapseln mitmischen. «Das Wachstum ist im zweistelligen Prozentbereich», sagt Coop-Sprecher Urs Meier. Coop allein verkaufe in der Schweiz mittlerweile zu 80 Prozent Portionenkaffeemaschinen, die mit Nespresso kompatibel sind und Delizio-Systemen (Migros). 1 Kilo Kaffee für 80 Franken kaffee umsteigen würde», sagt Yeretzian. Auch das Schweizer Forschungsinstitut Empa kommt in einer Studie zum Schluss: Kaffeekapseln, egal welcher Art, belegen immer die hinteren Plätze in Sachen Umweltverträglichkeit. Ganz vorne landet ein alter Bekannter: der ganz normale Filterkaffee. Dieser lässt sich einfach in der Grüntonne entsorgen. ergibt dies ein Gesamtgewicht von 11 300 Tonnen. Zum Vergleich: Das Stahlgerüst des Eiffelturms besteht aus rund 7300 Tonnen Stahl und wiegt damit er heblich weniger. Hinzu kommt, dass bei der Herstellung von Kaf feekapseln in erhebli chem Masse wertvolle Ressourcen verschwen det werden, was der Umwelt schadet. Um aus dem Ausgangsstoff Bauxit 1 Kilogramm Aluminium für Kaffeekap seln zu gewinnen, wer den mindestens 14 Kilo wattstunden elektrische Energie benötigt. Dabei werden durchschnittlich 8,4 Kilo Kohlendioxid pro Kilo Aluminium freigesetzt. Für eine 1 Tonne Primär aluminium werden 57 Kubik meter Wasser verbraucht. Neue Ansätze gesucht Yeretzian räumt ein: «Aus der Sicht der Um weltverträglichkeit soll te man idealerweise Lösun gen für Verpackun gen von Kapseln finden aus nach wachsenden Roh stoffen, welche zu sätzlich biologisch abbaubar sind.» Aus der Sicht der Quali tät sollte dieses Ma terial allerdings die Qualität des Kaffees Allein die Nestlé-Tochter ebenso gut wie eine Nespresso setzt mit Aluminiumverpackung Kaffeekapseln pro Jahr erhalten. «Das ist keine einfache Aufgabe», so der geschätzte 5 Milliarden Experte. Franken um. Der Weg geht aktuell in Bild Nadia Schärli die Richtung kompostierba rer Kapseln. Hier gibt es bereits einige Anbieter im Markt wie die Ethical Coffee Company mit Sitz in Freiburg. Sie setzt seit einigen Jahren auf eine Kapsel aus Cellulose, die nach 60 Monaten abgebaut ist. In die Grüntonne darf die Kapsel daher nicht geworfen werden. Für die Behör den baut sich die Kapsel zu langsam ab. Für Yeretzian ist diese Technik auch im Hinblick auf die Frischhalteeigen schaften noch nicht ausgereift. «Viele Firmen arbeiten daher fieberhaft an neuen Lösungen», sagt er. Einer davon ist der asiatische Designer Eason Chow. Er hat mit «Droops» Kaffee kapseln entwickelt, die sich in Wasser auflösen. Dabei werden die Kaffeegranu late mit Milchpulver überzogen und dann in Zucker getaucht. Das Produkt befindet sich noch im Entwicklungsstadium. Und ob die Kaffeequalität in einer solchen Kapsel erhalten bleibt, ist offen. «Wenn die Qualität des Produktes nicht stimmt, Vollso ist wohl auch die beste Verpackungs automat lösung nicht viel wert», sagt Yeretzian. 26% Schweiz hat Vorreiterrolle Auch das Recycling von Alumi niumkapseln verbraucht Energie. Doch wie viele Kapseln recycelt und wie vie le weggeschmissen werden, ist für den europäischen Raum noch gänzlich un bekannt. Ob in Deutschland, Frankreich oder in Italien, sicher ist, dass nur die wenigsten Alukapseln den Weg in den Wertstoffkreislauf zurückfinden. Allein für den deutschen Markt dürfte dies eine gigantische Zahl sein, immerhin werden im nördlichen Nachbarland pro Jahr 2 Milliarden Kapseln verkauft. Und ein Ende des Kapselbooms ist nicht in Sicht. Erst 16 Prozent aller deutschen Konsumenten bevorzugen Kapselkaffee. In der Schweiz ist man punkto Recy cling von Aluminiumkapseln einen gros sen Schritt weiter. Immer mehr Gemein den stellen hierzulande einen Container für die Sammlung von Kapseln aus Aluminium zur Verfügung. Die Kapseln können zudem in den Nespresso-Bou tiquen oder deren Partnergeschäften abgegeben werden. Ausserdem gibt es für gewisse Städte Nespresso-Recyclingtaschen, die man dem Pöstler bei der Bestellungsausliefe rung mitgeben kann. Der Grund für den rasanten Siegeszug der Kaffeekapseln ist schnell erklärt: «Der Konsument kann dabei nichts falsch machen und bekommt einen hochwer tigen Kaffee», sagt Kaffee-Experte Chahan Yeretzian. «Die Zubereitung ist schnell und einfach, die Sortenauswahl ist gross, und die Anschaffungskosten einer Kap selmaschine sind tief», sagt er. Nicht einmal um die richtige Dosierung muss man sich kümmern, die Kapselmaschine nimmt einem alles ab. Yeretzian, der früher in den Diensten von Nestlé die ersten Kapselsysteme technisch weiter entwickelt hat, unter richtet heute an der Zürcher Hochschule für angewandte Wis senschaften als Pro fessor für Kaffeefor schung. Für ihn ist der Kaffee aus der Kapsel nicht nur eine prakti Zweifel an sche Sache, sondern Nespresso-Zielen eine «Errungen schaft» der heutigen Trotzdem liegt der Anteil an recyclierten Zeit. Der vergleichs weise hohe Preis – bei Alukapseln in der Nespresso liegt dieser Schweiz erst bei immerhin bei rund 50 Prozent. Nespres «Nicht auszudenken, 50 Rappen pro Tasse, so hat zwar selbst was passieren würde, angekündigt, diesen was bei 6 Gramm wenn jeder Anteil auf 75 Prozent Kapselinhalt einem zu steigern. «Das Kilopreis von über auf Kapselkaffee wird Nespresso wohl 80 Franken ent umsteigen würde.» spricht – spielt für nicht so bald schaf CHAHAN YERETZIAN, fen», meint Yeretzian. Yeretzian allerdings KA F F E E - E X P E RT E eine untergeordnete Der Grund: Zu viele Rolle. «Wenn man be Schweizer Konsu denkt, wie viel Arbeit menten werfen ihre in einer Tasse mit gutem Kaffee steckt, gebrauchten Aluminiumkapseln in den ist das sogar noch zu billig», sagt er. Abfall. Kaffeekonzerne verwenden für ihre Kap Zudem verunreinigen oft Kapseln aus selsysteme oft hochwertigen Kaffee. Nicht Kunststoff von anderen Systemen die ohne Grund verkaufen sie ihren Kunden Recyclinggefässe von Nespresso. Trotz einzelne Sorten längst mit ähnlichem dem schwört Kaffeeprofessor Yeretzian Aufwand wie ein Sommelier den Wein. auf die Eigenschaften der Aluminium Nestlé nennt eine Auswahl ihrer Kapseln kapsel. «Hierin bleibt der Kaffee länger in Anlehnung an aussergewöhnliche Wei frisch und die Qualität besser erhalten», ne «Grands Crus», auch die Anbauregion sagt er. Auch nach dem Konsum könn te alles so einfach sein, denn alle Be findet Erwähnung. standteile der Kapsel sind wiederver Abfall, schwerer als der Eiffelturm wertbar, das Aluminium wie auch der Ein gewichtiger Nachteil von Kapsel Kaffeesatz. «Wenn es mit dem Recycling kaffee sei laut Yeretzian aber der dabei besser klappen würde, dann wäre Alu entstehende Abfall. 10 Milliarden Nes- minium wie Glas eine gute Wahl», sagt presso-Kapseln verkauft allein Nestlé Yeretzian. Doch das Gegenteil ist der pro Jahr. Bei einem errechneten Gehalt Fall. «Nicht auszudenken, was passieren von 1,13 Gramm Aluminium pro Kapsel würde, wenn jeder plötzlich auf Kapsel So wird in der Schweiz Kaffee getrunken Kapseln 38% Kaffee-Pad 4% Espressokocher 5% Filter 5% keinen Kaffee 11% Neue Ideen aus Zug Kaffeepulver 11% Umsatz Kapseln Umsatz weltweit in Milliarden Euro 1 Kapsel 8,1 Preis: zwischen 11 und 50 Rp. 6,7 Inhalt: 6 g Kaffee 5,1 Verpackung: 1,13 g Aluminium 3,9 3 Gewinn für Unternehmen: bis zu 50 Prozent 2,4 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Kaffeekonsum in Europa Pro-Kopf-Verbrauch, in kg Rohkaffee 0 kg 5 kg 10 kg Finnland 12 Österreich Schweiz 9,1 7,9 Deutschland Italien 5,6 Frankreich 5,3 EU-Durchschnitt 6,4 4,8 Grafik: Janina Noser Quellen: Coop, statista.com START-UP bm. Einer, der sich dem Anbau exklu siven Kaffees wid met, ist Thomas Schwegler (Bild). Der 40-Jährige will mit einem speziel len Kapselkaffee im Markt Fuss fas sen. Nach vielen Jahren im Kaffee geschäft traf er zusammen mit seiner Frau im Jahr 2011 den Entschluss, selber Kaffee zu produzieren. Er kaufte in Peru eine Farm. Heute bietet das Ehepaar mit seiner Firma Tropical Mountains, die ihren Sitz in Zug hat, unter anderem seinen Kaffee in Nespresso-kompatiblen und biologisch abbaubaren Kapseln an. «Wir stehen erst am Anfang», sagt er. Doch erste Lorbeeren konn te er bereits ernten. Die Tropical Mountains GmbH gewann Anfang April den zweiten Platz des Zuger Jungunternehmerpreises 2015. Auch Franz Stalder stellt fest, dass Kaffeekapseln weiterhin sehr gefragt sind. Doch der Präsident der CityVereinigung Luzern und Inhaber des Stalder-Kaffeemaschinen-Centers registriert auch einen gewissen Trend zur herkömmlichen Kolben maschine, in der der Kaffee unter Druck zubereitet wird. «Die Konsu menten wollen wieder mehr erleben, gerade beim Kaffeezubereiten», sagt Stalder.
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