(Selbst-)kompetent bilden – Kinder nachhaltig stärken Vorstellung

7. Bundestagung Netzwerk
Fortbildung: Kinder bis drei
22.04.- 24.04.2015
Robert Schuman Haus, Trier
Haltung: Mythos oder Kern
pädagogischer Arbeit?
Zur Bedeutung einer professionellen
pädagogischen Haltung für die
Begabungs- und
Selbstkompetenzförderung von
jungen Kindern
Referentin:
Dr. Christina Schwer
Forschungsstelle Begabungsförderung, nifbe
Leitung der Forschungsstelle:
Prof. Dr. Claudia Solzbacher (Pädagogik)
Prof. Dr. Julius Kuhl (Psychologie)
Trier, 23.04.2015
1
Inhalte des Vortrages …
1. Selbstkompetenz- und Begabungsförderung für
Kinder im Alter bis 3?
2. Was brauchen Kinder dafür von Erwachsenen?
Blick auf „Haltung“ und „professionelle Kompetenzen“
von frühpädagogischen Fachkräften
3. Vorschlag für eine Definition von „Haltung“ auf
Grundlage der Theorie der Persönlichkeits-SystemInteraktionen (PSI) von Julius Kuhl (2001)
4. Einige Annahmen aus der PSI-Theorie
5. Vorhandene Möglichkeiten der empirischen Erfassung von „Haltung“
(Entwicklungsorientierte Systemdiagnostik, EOS)
6. Vorsichtige Schlussfolgerungen für die Aus- und Fortbildung von
frühpädagogischen Fachkräften
2
Begabungsförderung für Kinder im Alter
bis 3?
 Es braucht bereits im Alter bis 3 Vieles, damit Kinder ihre Begabungen entfalten
können: Z.B. frühe Selbstkompetenzförderung als Grundlage für spätere
Selbststeuerungsfähigkeiten
(Heller, Perleth 2007)
3
Wissenschaftlicher Hintergrund für Begabungs-,
Selbstkompetenzförderung und Haltung
Die Theorie der PersönlichkeitsSystem-Interaktionen (PSI) von Julius
Kuhl (2001)
integriert…



verschiedene Persönlichkeitstheorien
empirische Befunde aus PersönlichkeitsMotivations- und Kognitionspsychologie
auf Basis der modernen Hirnforschung
zu einer umfassenden Theorie der
willentlichen Handlungssteuerung
(Selbststeuerung).
* Kuhl, J. (2001)
4
Was steckt in der PSI-Theorie?
7 Funktionsebenen
4 Psychische Teilsysteme
7 Modulationsannahmen
(Annahmen über die Dynamik im
System)
5
Zuordnung einiger persönlichkeitspsychologischer Ansätze zu den 7 Funktionsebenen
7
Volition (Wille), Zielverfolgung,
Selbstwahrnehmung, Selbstverwirklichung,
Selbstbestimmung(voll funktionsfähige
Persönlichkeit)
Ach, Maslov, Rogers, Deci
6
Kognition: Unterscheidung von Denken,
Fühlen, Intuieren, Empfinden
Jung
5
Emotionen, Motive, Anschluss-Erkenntnis,
Macht-Leistung
Lewin, Murray, Atkinson
4
Autonomie: Progression-Regression:
Unreife vs. Reife Persönlichkeit
Freud
3
Anreizmotivation: Lustorientierung,
Belohnungsbindung, Konditionierbarkeit
Freud, Lewin, Pavlov
2
Temperament: Sensorische Erregung,
motorische Aktiviertheit (Impulsivität)
Eysenck, Pavlov
1
Lernen: assoziativ und prozedural
Skinner, Pavlov, Bandura
Angaben auszugsweise aus Kuhl 2001, S. 90, 97
6
Frühkindliche (und lebenslange !)
Entwicklungsaufgabe: Stimmungsmanagement
Sachlicher
Affekt: A(+)
Negativer Affekt: Angst,
Schmerz, A –
Ruhig,
entspannt: A (-)
Positiver Affekt: Freude,
Lust: A+
7
Erste Annäherung an die theoretischen
Grundlagen von Haltung …
Situationsbezogene Stimmungen und überdauernde
Stimmungslagen bestimmen Haltung mit …
Figuren aus: Storch & Kuhl 2011, S. 46
8
Entwicklung von Selbstkompetenz im
Baby- und Kleinkindalter…
Wie entwickeln sich emotionale Selbstkompetenzen, wie die Fähigkeit zur
Selbstberuhigung?
„… indem Kinder im Kontext emotional bedeutsamer
Beziehungen an gut regulierten Interaktionen teilhaben…“
Fremd-Regulation
Kind
wird beruhigt
Kind
wird getröstet
Kind
wird ermutigt
Selbst-Regulation
Kind kann sich
selber beruhigen
Kind kann sich
selber trösten
Kind kann sich
selber ermutigen
Folie: Dr. Susanne Völker
9
Entwicklung von Selbstkompetenz im
Baby- und Kleinkindalter…
Wie entwickelt sich Handlungskompetenz?
Fremd-Regulation
Ziele des Kindes
erkennen
Ziele des Kindes
unterstützen
Ziele des Kindes
integrieren
SelbstRegulation
Kind erkennt
seine Ziele
Kind setzt seine
Ziele um
Kind integriert
sein Handeln
Folie: Dr. Susanne Völker
10
Kinder bis 3 im KITA-Alltag
Ein Videobeispiel
11
Video
Wir bedanken uns sehr herzlich
bei den Erzieherinnen, Kindern und Eltern
der Uni-Kita "Kleine Strolche"
in Osnabrück,
die uns die Videoaufnahmen
aus dem Kita-Alltag
ermöglicht haben.
12
Forschung der AG von Grazyna Kochanska zur
frühen Selbstkompetenzentwicklung
Selbststeuerungsfähigkeit
 „Effortful Control“ (EC)
Empirisch erfassbar als:
Fähigkeit, eine dominante Reaktionstendenz zu
unterdrücken und eine weniger dominante
Reaktion zu initiieren (Definition)
Längsschnittstudien zeigen, dass diese Fähigkeit zur Selbststeuerung
 zwischen 22 und 33 Monaten deutlich wächst3 (2 Messzeitpunkte)
 von 22 Monaten (frühester Messzeitpunkt) bis ins Schulalter (5 ½ J.)
interindividuelle Stabilität aufweist2
 bei Mädchen ausgeprägter ist als bei Jungen 2,3
 zeitgleich und längsschnittlich mit der Internalisierung von Regeln und
Werten und damit mit der Gewissensentwicklung zusammenhängt2
Folie: Dr. Susanne Völker
13
Was ist eine Haltung?
Glaubenssätze?
Überzeugungen?
Einstellungen?
Was ist Haltung? Was ist eine professionelle pädagogische
Meinungen?
Haltung?
Pädagogische
Ziele?
Subjektive
Professionelles
Theorien?
Selbst?
Ethos?
Normatives?
Habitus?
14
Was ist eine „professionelle
pädagogische Haltung“?
Eine Haltung ist …
 ...ein hoch individualisiertes (d.h. ein individuelles,
idiosynkratisches) Muster von Einstellungen, Werten und
Überzeugungen…
…das durch einen authentischen Selbstbezug und objektive
Selbstkompetenzen zustande kommt und …
… wie ein innerer Kompass die Stabilität, Nachhaltigkeit und
Kontextsensibilität des Urteilens und Handelns ermöglicht, so dass
das Entscheiden und Handeln eines Menschen einerseits eine hohe
situationsübergreifende Kohärenz und Nachvollziehbarkeit und
andererseits eine hohe situationsspezifische Sensibilität für die
Möglichkeiten, Bedürfnisse und Fähigkeiten der beteiligten Personen
aufweist.
(Aus: Kuhl, Schwer & Solzbacher 2014 b, 107ff).
15
Mit der PSI-Theorie (von J. Kuhl 2001)
als theoretischer Grundlage für Haltung
richtet sich der Blick auf
Selbstkompetenzen.
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Welche psychischen Systeme braucht es, damit
Haltung wirklich umsetzbar ist?
Linkshemisphärisch, Selbstkontrolle
Rechtshemisphärisch, Selbstregulation
Intentionsgedächtnis (IG)
Verstand, sequenzielles
Denken,
gedämpft positiver Affekt
Objekterkennung (OES)
Fehler-Zoom, Einzelheiten
Angst, Schmerz, negativer
Affekt
Extensionsgedächtnis (EG)
Selbst, Überblick über
Erfahrungen, Emotionen,
Schmerzbewältigung,
gedämpft negativer Affekt
Intuitive
Verhaltenssteuerung (IVS)
Freude, positiver Affekt…
Aus: Kuhl et al. 2014 a in Anlehnung an die PSI-Theorie
17
Was alles in Haltung „reinspielt“ …
Zunehmende Komplexität
7
6
5
Selbststeuerung (d.h. selbstgesteuerte
emotionale und kognitive Dialektik)
Willensbildung, Zielverfolgung,
Selbstwahrnehmung und -verwirklichung
Denken
Fühlen
Progression – Regression
3
Temperament
Sensorische Erregung, Motorische Aktivierung
Empfinden
Bewältigungsformen über
elementare oder
hochinferente Systeme
Lernen und Bewältigung
Belohnung/ Bestrafung,
Konditionierung
Affekt
(negativ, positiv)
1
Hochinferente
Makrosysteme
Motive: Anschluss, Leistung, Macht (Autonomie) Bedürfnisse/
Umsetzungsstile
4
2
Zweitreaktion (als
„Gegenregulation zur
spontanen, sog.
Erstreaktion“)
Intuieren
Energie
Elementare Makrosysteme
Die 7 Systemebenen aus der PSI-Theorie (Kuhl 2001)
18
Wie können die Selbstkompetenzen, die
Haltung konfundieren, gemessen werden?
 Mit Hilfe der Entwicklungsorientierten Systemdiagnostik (EOS)
können inzwischen ca. 100 verschiedene Selbstkompetenzen, die
für Haltung relevant sind, gemessen werden.
 Dazu gehören:
o
Kognitive Faktoren (Flexibler Einsatz von Denken und Verhalten)
o
Affektive Faktoren (Stimmungsmanagement)
o
Motivationale Faktoren: Beziehung, Leistung, Macht: Freiheit
(implizite und explizite Motive)
o
Persönlichkeitsstile (Genauigkeit, Liebenswürdigkeit etc.)
o
Selbststeuerungskompetenzen (Entscheidungsfähigkeit, Zielbildung,
Zielabschirmung gegen innere und äußere Widerstände, Koordination von
Faktoren auf den anderen 6 Ebenen)
http://www.impart.de
19
Vorsichtige Schlussfolgerungen für die
Professionalisierung von
frühpädagogischen Fachkräften
20
Bedeutsam für Haltung ist
die Stärkung des Selbst
 Für eine stabile und verlässliche
pädagogische Haltung ist vor allem ein
»integrationsstarkes Selbst« nötig.
 Der Stärkung des Selbst (als Teil des
Extensionsgedächtnisses) im Rahmen
von Aus- und Fortbildung von
Pädagoginnen und Pädagogen kommt
hierbei eine besondere Bedeutung zu.
21
Bedeutsam für Haltung ist die eigene
emotionale und kognitive Dialektik
 Für eine authentische, stabile
kontextsensible und selbstkongruente
Haltung werden die verschiedenen
Funktionen aller 4 Teilsysteme benötigt.
 Ihre situationsadäquate Nutzung ist
entscheidend.
 Ein selbstgesteuerter und situationsadäquater
Wechsel zwischen den Systemen, den wir auch
»emotionale und kognitive Dialektik« nennen, bringt
(diese) mentale »Beweglichkeit«.
22
Gefahren für die Authentizität von Haltung:
Stress und die Festlegung auf Stimmungen
 Stress kann den Selbstzugang reduzieren.
 Die Festlegung auf einzelne Stimmungen
birgt die Gefahr, dass wir darin verharren
(z.B. als notorische Kritiker (A-), Impressionisten
(A+), Selbstzufriedene (A(-)) oder kühle
Strategen A(+)).
 Liegt eine Dominanz eines Systems vor, dann sind pädagogische
Fachkräfte den diversen alltäglichen Anforderungen in der Kita nicht
umfassend gewachsen!
 Aus- und Fortbildungen für frühpädagogische Fachkräfte sollten
das Erlernen einer selbstbestimmten emotionalen und kognitiven
Dialektik (d.h. von Selbstkompetenzen) unterstützen.
Figuren aus: Storch & Kuhl 2011, S. 46
23
Wie kriegen wir die Theorie in die Praxis?
Das Umsetzungsproblem…
• … ist uralt!
• Platon: „Menon Dialog“: Sind Tugenden lehrbar?
Sokrates: Ja, wenn sie sich auf reines Wissen
beschränken. (Tugenden als „göttliche Schickung“)
• Objektive messbare und beobachtbare
Selbstkompetenzen ermöglichen einige Schritte in
Richtung Lehr- und Erlernbarkeit von Haltung (zumindest
in Teilen).
24
Forschungsstelle Begabungsförderung
Forschungsstelle Begabungsförderung
!
25
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Kontakt:
Dr. Christina Schwer (Referentin),
Nifbe, Forschungsstelle Begabungsförderung
Heger-Tor-Wall 19
49078 Osnabrück
Tel.: 0541/97032775
Email: christina.schwer@nifbe.de
26
Begabungsumsetzung durch Selbstkompetenz –
Selbstkompetenzförderung bei Kindern bis 3
Forschungsprojekt der Forschungsstelle Begabungsförderung
zum Bildungsschwerpunkt II des nifbe
27
Forschungsstelle Begabungsförderung
Literatur:
• Heller, K. A.; Perleth, C. (2007): Talentförderung und Hochbegabtenberatung in Deutschland. In: Heller, K. A.; Ziegler, A.
(Eds.): Begabt sein in Deutschland. Berlin: LIT Verlag (Talentförderung, Expertiseentwicklung, Leistungsexzellenz, 1), S.
Forschungsstelle Begabungsförderung
139–170.
• Kuhl, J. (2001). Motivation und Persönlichkeit: Interaktionen psychischer Systeme. Göttingen: Hogrefe Verlag für
Psychologie.
• Kuhl, J., Schwer, C., & Solzbacher, C. (2014a). Professionelle pädagogische Haltung: Persönlichkeitspsychologische
Grundlagen. In C. Schwer & C. Solzbacher (Eds.), Professionelle pädagogische Haltung. Historische, theoretische und
empirische Zugänge zu einem viel strapazierten Begriff (pp. 79–106). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
• Kuhl, J., Schwer, C. & Solzbacher, C. (2014b). Professionelle pädagogische Haltung: Versuch einer Definition des Begriffes
und ausgewählte Konsequenzen für Haltung. In C. Schwer & C. Solzbacher (Eds.), Professionelle pädagogische Haltung.
Historische, theoretische und empirische Zugänge zu einem viel strapazierten Begriff (pp. 107–120). Bad Heilbrunn:
Klinkhardt.
• Platon (1944): Menon oder über die Tugend. Leipzig: Verlag von Felix Meiner.
• Solzbacher (Eds.), Professionelle pädagogische Haltung. Historische, theoretische und empirische Zugänge zu einem viel
strapazierten Begriff (pp. 17–45). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
• Storch, M., & Kuhl, J. (2011). Die Kraft aus dem Selbst: Sieben PsychoGyms für das Unbewusste (1. Aufl.). Bern: Huber.
!
Literatur zur Selbststeuerung und Gewissensentwicklung:
• Kochanska, G., Murray, K., Jacques, T., Koenig, A., & Vandegeest, K. (1996). Inhibitory control in young children and its
role in emerging internalization. Child Development, 67, 490-507.
• Kochanska, G., Murray, K., & Coy, K. (1997). Inhibitory control as a contributor to conscience in childhood: From toddler to
early school age. Child Development, 68 (2), 263-277.
• Kochanska, G., Murray, K., & Harlan, E. (2000). Effortful control in early childhood: Continuity and change, antecedents,
and implications for social development. Developmental Psychology, 36 (2), 220-232.
Zwei Längsschnittstudien zum Einfluss von Selbstkontrolle in der frühen Kindheit auf Gesundheit, Wohlstand und
Überzeugungen zu Kriminalität im späteren Leben:
• Moffitt, T. E.; Arseneault, L.; Belsky, D.; Dickson, N.; Hancox, R. J.; Harrington, H. et al. (2011): A gradient of childhood
self-control predicts health, wealth, and public safety. In: PNAS, Jg. 108, H. 7, S. 2693–2698.
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