HISTORIE Ihr Ansprechpartner Nico Wendt Tel. 03421 721052 nico.wendt@haus-der-presse.de DONNERSTAG, 30. APRIL 2015 | SEITE 16 Heftiger Geschützdonner „Heraus zum 1. Mai!“ Angriff auf Eilenburg war von weither zu beobachten Viele Bürger freuten sich einfach nur über einen freien Tag Dieses Bild stammt aus den 50er/60er-Jahren und wurde in der Ernst-Thälmann-Straße in Beilrode aufgenommen. Pioniere zeigen ein Programm. TORGAU. Ohne die vielen Schalmeienzüge und andere Musikformationen wären die Maidemonstrationen auch in unserem Altkreis Torgau nicht möglich gewesen. Betriebe und Einrichtungen hatten mit den Musikgruppen Patenschaftsverträge abgeschlossen, so zum Beispiel der VEB Landmaschinenbau Torgau mit dem Spielmannszug Zinna/Welsau. Am 1. Mai 1890 wurde in Chicago ein Streik amerikanischer Arbeiter blutig niedergeschlagen. In Deutschland legten am gleichen Tag 100 000 Arbeiter die Arbeit nieder. Sie kämpften für den Achtstundentag. Zehntausende zogen mit ihren Familien hinaus in die Natur, wo sie Maifeiern veranstalteten. Demonstranten und Ausflügler wurden von der kaiserlichen Polizei scharf überwacht. Auch in anderen Ländern demonstrierten am 1. Mai 1890 Hundertausende für den Achtstundentag. Sie folgten damit einem Aufrauf des Gründungskongresses der II. Internationale vom Jahre 1889, am 1. Mai Umzug in Großtreben. Foto: privat „eine große internationale Manifestation (Kundgebung) zu organisieren.“ „Das war die Geburtsstunde des 1. Mai als Kampf und Feiertag der Arbeiterklasse der ganzen Welt“, wie man im Geschichtsbuch des FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) nachlesen kann. Während man in den Anfangsjahren der DDR noch einfallsreich mit geschmückten Aufmarsch in Beilrode. Wagen der Betriebe demonstrierte, nahm der Aufwand gegen Ende der DDR immer mehr ab. Viele Bürger unseres Kreises freuten sich jedoch einfach über den freien Tag (auch heute noch) und wollten sich diesen nicht durch eine verordnete Siegerpose verderben lassen. Ein Transparent oder eine Fahne tragen wollten die wenigsten. Deshalb musste man dazu Fotos: Archiv Fritz Martin (†) übergehen, den Träger mit 5 bis 30 Mark der DDR zu belohnen. Auf den Transparenten konnte man viele Losungen lesen, zum Beispiel von 1954: „Die Mitglieder unserer Brigade des VEB Flachglaskombinates verpflichten sich, nicht mehr den RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) zu hören!“ 1981: „Wer den Frieden will erhalten, der muss kämpfen gegen imperialistische Gewalten!“. Diese Losung soll 1970 an der Strafvollzugsanstalt gestanden haben: „Heraus zu neuen Taten!“. Und an der Schnapsfabrik stand: „Alles zum Wohle des Volkes!“. Die Mainelke durfte nicht fehlen, entweder wurde sie mit einem kleinen Fähnchen auf der Maidemonstation geschwenkt oder im Knopfloch getragen. Auf jeden Fall wurde der 1. Mai nach der Demo in einer Gaststätte weitergefeiert. An vielen markanten Stellen hatten die Handelsorganisation und der Konsum Bratwurst- und Getränkestände aufgebaut. Günther Fiege TORGAU. Von Eilenburg her war noch andauernder Geschützdonner zu hören. Das fand ich interessant. Von unserem Gehöft, waren es nur wenige Meter bis zum westlichen Dorfausgang, ich also raus auf eine große Wiese rechts der B 87, die freie Sicht Richtung Eilenburg bot. Der Horizont war eine riesige grauschwarze Wolke, aus der es fortwährend donnerte. Und dann verstummte schlagartig der Geschützdonner: Eilenburg hatte sich ergeben (nach einer Woche zerstörerischer Belagerung). Das muss so um 11 Uhr gewesen sein. Ich wieder zurück ins Dorf. Rechtzeitig, um zu sehen, wie couragierte Bauern fanatische Hitlerjungen mit ihren Panzerfäusten aus Kellerlöchern holten und verprügelten. Und da kamen auch schon die ersten amerikanischen Jeeps (an schwere Kampftechnik kann ich mich nicht erinnern). Für uns war der Krieg zu Ende. Wir blieben den Tag und die folgende Nacht auf dem Bauerngehöft. Ich erinnere mich heute noch lustvoll an die dicken weichen Federbetten. Am nächsten Morgen (26. April) hielt „Onkel Willi“ nichts mehr in Doberschütz. Zurück nach Torgau, wo wir am frühen Nachmittag ankamen. Erster enttäuschender Einruck: amerikanische Soldaten (weiße wie schwarze) standen im Bereich der katholischen Kirche und forderten von uns Armbanduhren und Schmuck. Von den Russen hätten wir das erwartet, aber nicht von den „reichen“ Amis. Doch nun schnell ins Haus und das schwere Hoftor verriegelt. Wir Kinder wurden angehalten, weder auf die Straße zu gehen, noch uns an den Fenstern blicken zu lassen. So bezogen wir eben Beobachtungsposten an den kleinen senkrechten Fenstern des Dachbodens. Von daher eine amüsante Erinnerung: Russen bekleidet mit gestreiften Schlafanzügen, Zylinderhüte auf dem Kopf, versuchten sich im Fahrradfahren. Es waren wohl erst zwei Tage seit unserer Rückkehr vergangen, als der sowjetische Kommandant bei „Onkel Willi“ vorsprach, nach Vorrat an Mehl und Kohle fragte und ihn beauftragte, für die in Torgau stationierten sowjetischen Einheiten Brot zu backen. Für unsere Familien und für uns Kinder war das ein wahrer Segen. Wir halfen gern beim Brotverladen, merkten bald, dass heruntergefallenes Brot nicht genommen wurde. So ließen wir „unabsichtlich“ immer einmal wieder ein Brot fallen und hatten so in dieser schweren Zeit keinen Hunger. Eine weitere Nahrungsquelle hatten die jungen Frauen der Familie schnell erschlossen. Das Heeres-Versorgungslager in den Kasernen in der Zinnaer Straße war zur „Plünderung“ freigegeben. Mit einem Rollwagen, eine Art überdimensionierter Handwagen mit Ladeplattform, zogen die Frauen mehrfach los und schleppten etliche Doppelzentner-Säcke mit Zucker und sogenannten „Knackmandeln“, das heißt Mandeln in ihrer harten Schale, ins Haus. Besonders begehrt bei uns Kindern waren die runden Pappschachteln mit „Fliegerschokolade“. Eine zwar bittere und mit Aufputschmitteln versetzte Schokolade, aber sie hat uns geschmeckt und nicht geschadet. Wenige Tage, nachdem wir „Kommandantur-Bäckerei“ geworden waren, fuhr ein mit Nazi-Standarten beladener amerikanischer Jeep rückwärts durch unser stabiles Hoftor. Die amerikanischen Soldaten durchsuchten das ganze Haus. „Onkel Willi“ beschwerte sich über diesen Vorfall beim sowjetischen Kommandanten und wir erhielten einen bewaffneten Hausposten. Iwan, ein großer blonder Ukrainer Anfang 20 war ein Gemütsmensch und schnell der Liebling von uns Kindern, indem er aus den Tiefen seiner Hosentaschen händeweise Sonnenblumenkerne holte und uns das sachgerechte Knabbern beibrachte. So lebten wir in diesen unruhigen und für viele Menschen notbeladenen Nachkriegszeiten, zumindest aus unserer Kindersicht, sicher und frei von Hunger. Fortsetzung folgt Friedrich-Wilhelm Giesel, Templin Mit Luftschüssen machten russische Soldaten ihrer Freude Luft Einmarsch der russischen Truppen in Neußen / Frauen und Mädchen mussten sich verstecken NEUSSEN. Beim Einmarsch der russischen Truppen kam es auch in Neußen zu unerfreulichen Übergriffen. So wurden in einigen Fällen Frauen vergewaltigt. Wenn russische Soldaten in Sicht kamen, mussten sich die Frauen und Mädchen verstecken. In den Gehöften hatte man sich Verstecke eingerichtet. Nach dem Durchzug der Fronttruppen verbesserte sich die Situation wieder. Im Wohnhaus meiner Eltern wurde die „gute Stube“ von den Russen beschlagnahmt und ein verwundeter hoher Offizier “ untergebracht. Außerdem belegten sie noch ein Zimmer, wo sich mehrere Sanitäterinnen einquartierten. Hier konnten wir auch ihre guten Seiten erleben. Wenn sie abends ihr warmes Essen bekamen, gaben sie bereitwillig auch uns davon zu essen. In der Wirtschaft der Eltern wurde uns kein Vieh durch die Besatzungsmacht weggenommen. Nach ihrem Einmarsch errichteten die Russen in Belgern eine Kommandantur. Einer der ersten Befehle der Besatzungsmacht war, daß alle Waffen und Radiogeräte beim Bürgermeister abzuliefern sind. Aus Angst vor Kontrollen, bei Nichtablie- ferung von Waffen wurde mit dem Tode gedroht, wurde der Ablieferung auch Folge geleistet. Wir waren dadurch von der Weltöffentlichkeit abgeschottet. Wir erfuhren nicht, wie der weitere Kriegsverlauf war. So erfuhren wir nichts vom Fall von Berlin und Hitlers Ende. Die Energielieferung war auch völlig unterbrochen. Zum Glück war es zu dieser Zeit lange hell, sodass die Energiesperre nicht so sehr fühlbar wurde. In den Wirtschaften musste sowieso alles in Handarbeit verrichtet werden. Ein besonderer Tag war die Kapitulation am 8. Mai. Mit Rufen „Hitler kaputt“ und Luftschüssen brachten die russischen Soldaten ihre Freude über das Kriegsende zum Ausdruck. Erst durch den Freudentaumel der Soldaten erfuhren wir vom Ende des Krieges. Mit dem Zusammenbruch des deutschen Reiches war für die deutsche Bevölkerung eine Welt zusammengebrochen. Es musste wieder bei der Stunde Null begonnen werden. Vor jedem Menschen stand die Frage: „Wie geht es weiter?“ Walter Winkler Das zerstörte Eilenburg. Foto: Quelle LVZ „Um Mitternacht soll endlich Waffenruhe eintreten“ Auszüge aus der Schulchronik Langenreichenbach beschreiben die Lage im Frühjahr 1945 / Es gibt Plünderungen und fürchterliche Übergriffe LANGENREICHENBACH. Sonntag früh rückten die Russen überstürzt an. Ließen bei uns sogar Essenvorräte zurück, die sie sich für den Sonntag besorgt hatten. Dafür hatten Funker und Melder meinen Wäscheschrank geplündert, der im Flur stand. Von den Kisten und Paketen (28 Stück), die ich im Unterdorf untergestellt hatte, waren die meisten aufgebrochen und geplündert. Eine große Betten- und Wäschekiste meiner Schwiegereltern in Berlin (125 kg) war auch erbrochen. Welchem Zweck diese Sachen dienen sollten, wusste sie nicht. Sonst verlief der Sonntag ruhig. Nur einzelne Russenwagen kamen durchs Dorf. Trecks aus Dörfern jenseits der Elbe rückten von Schöna und Strelln an und wollten zurück über die Elbe, da sie über die Mulde nicht kamen. Auch in Schöna und Strelln sollen die Russen übel gehaust haben. 7. Mai, Montag: Eine ruhige Nacht. Alles atmet etwas auf. Nachts zogen aber dauernd Truppen auf der Straße von Mockrehna nach Probsthain. Auch am 6. Mai waren die Straßen westlich und östlich vom Dorf dauernd voll von durchziehenden Truppen. Jetzt ist die abgelegene Lage des Dorfes etwas von Vorteil. Ein herrlicher Maientag. Am Tage plündern Polen. Nachts befürchtet man neue Plünderungen und Ausschreitungen durch die Polen. Das Radio meldet Kapitulation auch gegen Russland. Immer neue Schreckensnachrichten hört man von der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag. Manche Frauen, die geschändet wurden, wollen es nicht sagen. Pfarrer Gebauer aus Klitzschen teilt mit, dass sich die Russen in Historisches Bild von der Begegnung an der Elbe in Torgau. Foto: Archiv Förderverein Europa Begegnungen e.V. Klitzschen besser geführt hätten. In Klitzschen lagen noch die Amerikaner. Vielleicht ließen sie deshalb die Frauen in Ruhe. In Schildau, Probsthain und Beckwitz soll es auch schlimm gewesen sein. Russen und Amerikaner haben Klitzschen geräumt. 8. Mai, Dienstag: Die Nacht verlief ruhig. Das Gerücht, dass die Russen Torgau räumen müssten, bestätigt sich leider nicht. Wunderbares Wetter. Um Mitternacht soll Waffenruhe eintreten. Die Polen feiern bei Böttger. Nachts dringen sie in die Häuser. Unsere Sigrid (Hausmädchen) ist mit knapper Not entronnen. Barfuß und im Hemd in die Wiesen. 9. Mai, Mittwoch: Bei uns verlief die Nacht ruhig. Heute wollen die Russen ihre Siegesfeier abhalten. Die armen Dörfer, wo sie in Quartieren liegen. Nun die große Frage, wem das Gebiet zugesprochen wird. Wieder ein Gerücht. Die Franzosen besetzen bis zum Rhein, die Amerikaner bis zur Weser, die Engländer bis zur Elbe, die Russen bis zur Oder. Seit dem 14. April ist nun die Schule geschlossen. Man sitzt tatenlos herum und ist noch wie gelähmt von den furchtbaren Ereignissen. Die Frauen haben ihre Beschäftigung in Haus und Küche. Ich lenke mich mit der Chronik ab, um die Ereignisse für die Nachwelt festzuhalten. Ich fürchte ja, dass dieser Sieg der Gegner ein Sieg des Bolschewismus sein wird. In wenigen Jahren wird wahrscheinlich ganz Europa bolschewistisch sein. Nach Radionachrichten bleiben Schulen und Unterrichtsanstalten bis auf weiteres geschlossen. Den ganzen Tag über Sprengungen im Walde. Am Abend der letzte Wehrmachtsbericht. 10. Mai, Himmelfahrtstag – Der 1. Sommertag: Wieder ein paar Russen aus Wildschütz nachts im Dorf. Der Nachbar weckte uns, da sie in der Pfarre plünderten. Es ist fürchterlich, dass ein ganzes Dorf vor einer Handvoll Russen zittern muss. Schmied Dietze erzählte, dass zwei deutsche Frauen (eine aus dem Dorf und eine aus Aachen) am 5. Mai zu ihm zu den Russen ins Haus gekommen wären. Auch bei Albrechts im Saal war es ähnlich. 11. Mai: Bei Richter und Krause im Oberdorf lagen nachts Russen. Sigrid schläft mit einer Freundin meist im Felde oder auf dem Heuboden. 12. Mai: Die hochsommerliche Hitze hält leider an. Alles dürstet nach Regen. Alle Radioapparate müssen abgeliefert werden. Zwei Flüchtlinge aus Berlin Strausberg erzählen fürchterliche Einzelheiten vom Kampf um Berlin am Nollendorfplatz. Drei Tage saßen sie in der Untergrundbahn. Wird man jemals seine Verwandten und Bekannten wiedersehen!? In der Großstadt muss es jetzt fürchterlich sein. Hier werden augenblicklich Milch, Butter, Eier und andere Lebensmittel verschwendet, dort werden viele Säuglinge und Erwachsene verhungern oder bei der Hitze an Seuchen zugrunde gehen. Russen und Polen plündern. 13. Mai: Viele Torgauer kehren heim. Der Saal bei Albrechts wird leer. In Torgau soll schon wieder Ordnung herrschen. 15. Mai, Dienstag: Die erste politische Versammlung bei Trojan. Krake abgesetzt, dafür Hicke. Vertreter Gust aus dem Wartheland. Die Männer werden zum Arbeitseinsatz aufgerufen. Plünderungen im Unterdorf. Viel Ärger mit einer Kiste von Dr. Schünemann aus Genthin. Man öffnete die Kiste bei Krause und fand darin zwei S.A.-Blusen und zwei Fahnen. Krauses hatten darunter sehr zu leiden. Wir auch. 16. Mai, Mittwoch: Wieder russische Reiter im Dorf. Die Plünderungen nehmen kein Ende. Deutrich kommt aus dem Sudetenland zurück. Er berichtet, dass manche Dörfer kein Pferd und kein Vieh mehr hätten. Manche Orte sind von Einwohnern ganz verlassen. Die Männer bauen im Walde bei Klitzschen Baracken. Erweckt den Anschein von Batteriestellungen. Gegen wen? 17. Mai, Donnerstag: Die Russen requirieren Pferde. Langenreichenbach soll 43 stellen. Bald ist auch Langenreichenbach ohne Gespann. Was soll das werden. Drei Anschläge am Brett. 1. Butter und Milch müssen an die Verteiler Matthes und Richter abgeliefert werden. 2. Alle Personen zwischen Elbe und Mulde müssen in ihre alte Heimat zurückkehren. Haushaltspässe und Lebensmittel wurden gesperrt. 3. Alle Kommunisten und Sozialisten, die nach 1933 nicht der N.S.D.A.P. beigetreten sind, können in die kommunistische Partei aufgenommen werden. Fortsetzung folgt. Aus Schulchronik, notiert von Rektor Willi Stiller/ Quelle: Margret Galisch
© Copyright 2024