Gerber Druck A G, Steffisburg

2013
Jahresbericht Schloss Thun
2013
© Stiftung Schlossmuseum Thun 2014
Titelbild: Schlosstor, um 1960. Lavierte Tuschzeichnung von
Jules Unternährer (1894–1986). Inv. Nr. 10374–05
Inhaltsverzeichnis
Jahresbericht der Museumsleitung
4
Bildung und Vermittlung
10
Jahresbericht der Stiftung Schloss Thun
13
Das Schlossareal im Umbruch – bauliche Arbeiten für das Museumsschloss 2013 / 2014
16
Zur Erneuerung der Dauerausstellungen im Schloss Thun
19
Jahresrechnung der Stiftung
21
Die Sammlung des Schlossmuseums
23
Eine grosszügige Schenkung: Die Majolika-Sammlung von Alfred Amstutz
28
Jahresbericht des Fördervereins
31
Ausflug des Fördervereins nach Rapperswil-Jona
34
Jahresrechnung des Fördervereins
35
Gerichtsort Steffisburg
37
Erfolgreiche Kriminalistik in Thun… einst
51
Auf den Spuren von Arnold Itten in Thun
53
Pyrorama übernimmt die Schlossbergspritze
65
Flugzeuge «made in Thun»
68
Jahresbericht der Museumsleitung
Lilian Raselli-Nydegger
Schon wieder ist ein Jahr vergangen. In dieser Zeit hat sich im Museum
vieles verändert. Wir stehen mitten in der Umsetzungsphase. Diese wird
uns alle noch eine geraume Zeit beschäftigen und fordern. Permanent
bleiben die Bedenken wegen der engen finanziellen Situation. Dies hält
uns aber nicht davon ab, vorwärts zu schauen und weiter zu gehen.
FINANZIELLE UNTERSTÜTZUNGEN VON DRITTEN
Eine erste Hürde für die Realisierung des Umbauprojekts war im Mai mit
der Zustimmung des Thuner Stadtrats für den Umbaukredit von Fr. 650‘000
genommen worden. Im Juni stimmte der Förderverein des Schlossmu­
seums Thun dann einstimmig für einen Beitrag von Fr. 145‘000 als Unterstützung für die Realisierung der neuen Dauerausstellung. Der Verband
Thuner Amtsanzeiger zeigte sich sehr grosszügig mit einem Beitrag von
Fr. 40‘000. Im Dezember zog die Burgergemeinde Thun mit einem Beitrag
von Fr. 46‘000 für das Stadtmodell in der neuen Dauerausstellung nach.
Die Regionale Kulturkonferenz (RKK) hat schliesslich an die neue Besucherführung einen Beitrag von Fr. 7’000.– geleistet. All diesen Institutionen
möchte ich ganz herzlich für ihre grosse Unterstützung danken.
STUDIENAUFTRAGSVERFAHREN FÜR DIE NEUE
AUSSTELLUNGSSZENOGRAFIE
Der Studienauftrag für die szenografische Umsetzung der neuen Dauer­
ausstellung wurde von H. Kasimir Lohner geleitet. Mich hat sein zielgerichtetes und sachliches Vorgehen beeindruckt. Dass wir am Schluss einen für alle eindeutigen und klaren Entscheid fällen konnten, ist auch ein
Resultat seiner Leitung. Ich möchte ihm an dieser Stelle meinen Dank
ausdrücken. Er berichtet nachfolgend in diesem Jahresbericht genauer
über das Vorgehen und das für die Szenografie ausgewählte Büro Atelier
Oï aus La Neuveville.
Mit den Projektverantwortlichen des Ateliers Oï hat gegen Ende des Jahres ein immer stärkerer, anregender Ideenaustausch über die Inhalte
der Ausstellung, insbesondere der ersten Etappe, stattgefunden. Bei der
Festlegung der Ausstellungsinhalte bin ich zeitlich gefordert, verfügt das
Museum doch über keine finanziellen Mittel für die Bezahlung einer wissenschaftlichen Assistenz.
4
UMBAU IM DONJON UND im NEUEN SCHLOSS
Bevor der erste Teil der neuen Ausstellung eingerichtet werden kann,
mussten wir das unterste Stockwerk – den «Keller» – räumen. Zu den Umbaumassnahmen gehören auch Instandhaltungsarbeiten an Boden und
Wänden und der Einbau einer neuen Lüftung. So zerlegten wir im Herbst
die nostalgische Töpfereiausstellung mit Brennofen und Töpferwerkstatt,
die 1958 zum ersten Mal gezeigt worden war. Im ersten Quartal 2014 werden in diesem Bereich die notwendigen Bauarbeiten durchgeführt. Dabei
wird auch die neue Besucherführung installiert samt Inszenierung der
Treppe (ehemaligen Notausgang), die durch die vier Meter dicken Grundmauern des Donjons führt.
Beat Gassner leitet als ausführender Architekt das Projekt mit grosser
Umsicht. Er berichtet weiter hinten in diesem Jahresbericht über die Bauarbeiten im Donjon, aber auch über die Bauarbeiten in den zukünftigen
Museumsräumen des Neuen Schlosses.
ZUM THEMENWEG «BAUEN IM MITTELALTER»
Durch weitere finanzielle Beiträge unseres zukünftigen Nachbarbetriebs,
der Firma Schlossberg Thun AG, und des Fördervereins Schlossmuseum
Thun sind in Zusammenhang mit dem Bau zwei Projekte realisiert worden.
Das erste Projekt war die Realisierung eines bedruckten Gerüstnetzes mit
der Darstellung einer mittelalterlichen Baustelle entlang der hofseitigen
Gefängnismauer. Dieses sollte den Eingangsbereich des Schlossmu­seums
aufwerten und den Weg zum Museumsbereich und zur Kasse kenntlich
machen. Der Hersteller des Netzes, die Loyal Trade GmbH, kam uns mit
einem Sachsponsoring entgegen, welches die Bedruckung des gesamten grossflächigen Netzes möglich machte. Die Darstellung auf dem Netz
war vom bekannten Illustratoren und Künstler Jörg Müller nicht nur zur
Verfügung gestellt, sondern von ihm auch gleich entsprechend grafisch
aufbereitet worden. Die Darstellung wurde von den Besuchern durchwegs
positiv aufgenommen, oft fotografiert und bei den Kassenfrauen lobend
erwähnt. Der Loyal Trade GmbH und Jörg Müller gebührt auch für ihren
schnellen und unkonventionellen Einsatz mein besonderer Dank.
Die finanziellen Beiträge machten auch die Realisierung eines kleinen
Themenwegs beim Aufstieg zum rückwärtigen Eingang zum Schloss möglich. Dieser wurde zur Sicherheit der Gäste zum Haupteingang umfunktioniert. Auf fünf Tafeln erstellte die Illustratorin Claudine Etter wunderbare
Zeichnungen zum Bauen im Mittelalter. Die historischen Recherchen und
5
Texte für die Inhalte waren mein Part. Die Tafeln wurden neben einem Zeitungsartikel in mehreren Leserbriefen explizit besprochen und sehr lobend erwähnt. In der Hochsaison traf ich beim Gang von meinem Büro in
der Oberen Hauptgasse hinauf zum Schloss oft viele Leute vor den einzelnen Tafeln lesend vor. Der Aufwand hat sich gelohnt und die positive Aufnahme freut mich sehr. Ich danke Claudine Etter ganz herzlich für ­ihren
grossen Einsatz und Arbeit.
Ich möchte an dieser Stelle der Firma Schlossberg Thun AG und dem Förderverein des Schlossmuseums ganz herzlich für ihre Unterstützung danken, ohne welche die Umsetzung der beiden Projekte nicht hätte realisiert
werden können.
ANLÄSSE
Im Herbst fand wiederum die Thuner Kulturnacht statt. Dieses Jahr begann
sie schon am Nachmittag mit einem rege besuchten Kinderprogramm. Am
Abend wurden die Besuchenden mit einem bunten Programmmix verwöhnt. Mit von der Partie waren Stefan Heimoz, Recha-Maria mit Band und
Julian Sartorius. Sie bekamen regen Applaus von den circa 700 Besucher­
innen und Besuchern.
Von den Bauarbeiten nicht abhalten liessen sich die Organisatorinnen
und Organisatoren der verschiedenen grösseren Musikanlässe, welche
wiederum wunderbare Konzerte in den Rittersaal brachten. Dazu gehören die Schlosskonzerte Thun, das Gaia-Kammermusikfestival und die
Bachwochen.
BETRIEB
Die laufenden Umbauarbeiten in der Umgebung des Donjons hatten einen grossen Einfluss auf unsere Betriebssituation. Von Seiten des Teams
war dabei grosse Flexibilität gefragt. Oberstes Ziel war stets, Gäste und
Schulklassen sicher durch die Baustelle zu führen. Unser Schlosswart
Florian Arm hatte die Situation stets voll im Griff, so dass Besucherinnen
und Besucher immer den Weg zum Schloss fanden. Durch seinen grossen
Einsatz und sein vorausschauendes Denken sind uns bisher in Zusammenhang mit der Baustelle viele Probleme erspart geblieben!
Die Kassenfrauen Lotti Bugmann, Erika Eschle, Anna Lore Hebler und
Therese Zurbrügg harrten trotz Lärm und Staub das ganze Jahr tapfer
im Kassenhäuschen aus. Sie freuen sich, zukünftig in einem adäquaten
6
Umfeld arbeiten zu dürfen. Im Juli waren sie zusätzlich durch den Umstand gefordert, dass wir in diesem Sommer Zielpunkt eines Postenlaufs
waren, welche die Espace Media Gruppe in ihren Zeitungen Thuner und
Oberländer Tagblatt, Berner Zeitung u.a. lanciert und kommuniziert hatte.
Dies brachte trotz der Baustelle aber erfreulich viele Familien aufs Areal,
welche den Weg zum Schloss sonst nicht gemacht hätten. Bei uns durften die erfolgreichen Absolventen der Schnitzeljagd kleine Geschenklein
aus einer Schatztruhe entnehmen, welche von den Kassendamen immer
zuverlässig aufgefüllt wurde. Zudem agierten wir als Anlaufstelle bei Problemen oder Fragen.
Seit letztem Jahr bin ich in meiner Funktion als Museumsleiterin Mitglied
in der Projektleitungsgruppe für die Feier zu den 750 Jahren Thuner Stadtrechten. Das Dokument der Thuner Handfeste von 1264, auf welche sich
die Feiern beziehen, wurde von Frau Dr. Anne Marie Dubler im Jahresbericht von 2012 bereits eingehend diskutiert. Im Rahmen der Feierlichkeiten
zu dieser Stadtfeier wird das Schloss einen zentralen Platz einnehmen,
wie unten aus dem Programm 2014 ersichtlich wird. Die Sonderausstellung und das grosse Mittelalterfest, welche unserem Museum hoffentlich
zahlreiche Besucher bringen werden, werden unter meiner Leitung ge­
plant und durchgeführt.
Besucherzahlen 2013
Monat
Erwach-
sene1 Kinder2 Gratis3
Gruppen4 Anlässe5
Anzahl Personen Anzahl Personen
Bildung &
Vermittl.
Total
362
Januar
251
41
7
1
63
0
0
0
Februar
438
97
54
3
46
0
0
0
635
März
1104
393
164
3
50
1
951
184
2846
April
1882
537
278
3
56
0
0
46
2799
Mai
2475
640
360
7
107
3
280
196
4058
Juni
2627
821
400
12
131
6
1001
365
5345
Juli
3463
941
392
3
40
1
849
87
5772
August
3954
1022
309
12
148
5
480
93
6006
September
2631
335
316
14
235
3
257
42
3816
Oktober
2200
454
496
10
203
3
919
16
4288
November
211
74
54
3
58
1
880
103
1380
Dezember
520
181
44
2
39
0
0
83
867
21756
5536
2874
73
1176
23
5617
1215
38174
Total
1
3
4
5
2
Eintritte normal, ermässigt, Familien (2 Erw.), Museumspass, Reka, Swiss Travel, Raiffeisen, Pfadi
Eintritte normal, Familien (2 K.), Pfadi
Gratis Erwachsene, Kinder, Kinder Museumspass, Kinder Raiffeisen
Gruppen TTO, Führungen Schloss
Schlosskonzerte, Welcome Rekruten, Kulturnacht, div. Konzerte, div. Anlässe
7
Der Einsatz des Teams hat sich in Bezug auf die Besucherzahlen gelohnt.
Obwohl wir entscheidend weniger öffentliche Anlässe durchführen konnten, fanden trotz Baustelle doch über 38‘000 Gästen den Weg ins Schloss.
DANK AN DAS TEAM
Aufgrund der dichten Aufgabenmenge nehme ich derzeit meine eigentlichen Pflichten als Leiterin oft nicht in dem Masse wahr, wie ich es mir
wünschte. So bin ich bin sehr froh, so gut auf das Museumsteam zählen zu können. Ohne sie wäre der Betrieb unter diesen Umständen nicht
reibungslos möglich gewesen. Dazu zählt neben den Kassenfrauen, dem
Schlosswart auch Heidi Frenzer, die mir zunehmend administrative Auf­
gaben abnimmt und mich sehr entlastet.
Der Dank gebührt an erster Stelle unserem ganzen Team. Sein grosser
Einsatz hat es möglich gemacht, dass die Besucher trotz aller Umtriebe
meist zufrieden weiterzogen. Herzlichen Dank für Eure Geduld, Ausdauer
und grossen Einsatz!
Im Team ergeben sich im Jahr 2014 einige Änderungen. Im April geht Therese Zurbrügg in den verdienten Ruhestand. Ich danke ihr schon jetzt für
ihren unermüdlichen Einsatz und die schöne Zusammenarbeit in all diesen Jahren.
Ende Februar 2014 beendet Monika Loosli ihre Arbeit für unser Mu­se­um.
Sie hat nun viele Jahre unzählige Schulklassen mit grossem Einsatz und
Können durchs Schloss geführt. Die Umsetzung des immer noch weiter
geführten Rittertrails für Kinder lag grösstenteils in ihrer Verantwortung.
Auch bei anderen Aktivitäten konnte ich immer auf die Kreativität und Einsatzbereitschaft von Monika Loosli zählen. So lassen wir Monika zwar nur
ungern ziehen, aber wünschen ihr dennoch alles Gute für ihren weiteren
Weg! Wir danken ihr ganz herzlich für ihren grossartigen Einsatz, ihre Energie und ihren Humor!
…UND ZULETZT
möchte ich es nicht versäumen, noch einmal einen grossen Dank auszusprechen. Dank gilt all den Sponsoren und Geldgebern, ohne die all
die oben beschriebenen Unternehmungen und Aktivitäten nicht möglich gewesen wären. Der Stadt Thun und hier besonders der Leiterin der
Kulturabteilung Marianne Flubacher für ihren grossen Einsatz für das
Schlossmuseum. Der Stiftung Schlossmuseum Thun für ihre strategische
Unterstützung.
8
Ebenso möchte ich an dieser Stelle all den Thunerinnen und Thunern
danken, mit denen ich bisher aufgrund der medialen Berichterstattung
über das Projekt oder durch meine Kolumnen anregende Gespräche über
Schloss und Museum führen konnte. Diese Unterstützung und Anteilnahme baut auf und lässt uns in der gleichzeitig angespannten, wie spannenden Situation dennoch positiv in die Zukunft blicken.
MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER
Museumsleitung
Lilian Raselli
seit 2006
Administration
Heidi Frenzer
seit 2009
Schlosswart
Florian Arm
seit Juli 2012
Bildung & Vermittlung Barbara Cadisch
Monika Loosli
seit 2000
Kasse
Erika Eschle
Lotti Bugmann
Therese Zurbrügg
Anne-Lore Hebler
seit 1995
Reinigung
Zeljko Knezevic
seit 2012
seit 2002 bis Ende Februar 2014
seit 2001
seit 2002 bis Ende März 2014
seit 2005
PROGRAMM IM SCHLOSS 2014
25. April 2014
– Grosse Vernissage im Schloss: Eröffnung der neuen Museumsräumlichkeiten im Neuen Schloss. Eröffnung der Dauerausstellung «Burg,
Stadt und Land – 900 Jahre Stadtentwicklung».
– Sonderausstellung «Anno 1264 – Leben zur Zeit der Gräfin Elisabeth
von Kyburg» im Rahmen der Feier zu 750 Jahre Thuner Stadtrechte
(26. April – 31. Oktober 2014).
– Beleuchtung des Schlosses und der Stadt «Rendez-vous Thun» im Rahmen der Feierlichkeiten zu 750 Jahre Thuner Stadtrechte (25. April –­
1. Juni 2014).
21. und 22. Juni 2014
– Mittelalterfest Thun 2014. Schloss und Stadt bieten Handfestes und
werden zur Bühne!
9
Bildung und Vermittlung
Barbara Cadisch
Klassen
Schülerinnen
Schüler
Betreuer/
innen
Ferienpass,
Kinderclub
Total
0
Januar
0
0
0
0
Februar
0
0
0
0
0
März
8
147
17
20
184
April
2
41
5
0
46
Mai
6
175
21
0
196
Juni
17
325
40
0
365
Juli
1
20
3
64
87
August
4
83
10
0
93
September
2
39
3
0
42
Oktober
1
13
3
0
16
November
4
75
6
22
103
Dezember
Total
4
75
8
0
83
49
993
116
84
1215
Das Jahr 2013 war für uns ein besonderes Jahr.
Denn vom April an begannen rund um unseren
Donjon intensive Abbruch- und Bauarbeiten. So
mussten wir einerseits schauen, dass wir uns einen Weg durch die Schuttmulden und Werkzeuge
im Schlosshof bahnen und den Lärm der Baumaschinen übertönen konnten; andererseits bot
die Baustelle aber die Gelegenheit, das Thema
­«Bauen im Mittelalter» neu in unsere Führungen
aufzunehmen und direkt mit heute zu vergleichen.
Die Schüler und Schülerinnen mussten zum Beispiel auf der Baustelle Bauhelme anziehen und
konnten an einem dafür aufgestellten Nachbau
eines mittelalterlichen Krans ausprobieren, wie
viel Muskelkraft es braucht, um Steine mit Hilfe
einer Seilwinde hochzuziehen.
In diesem Jahr machten weniger Schulklassen von unseren Angeboten
Gebrauch. Die grosse Baustelle hielt wahrscheinlich einige Lehrerinnen
und Lehrer davon ab, unser Schloss zu besuchen. Ein anderer Grund
könnte sein, dass das Schloss Spiez den Bereich «Bildung und Vermittlung» ausbaute und so mehr Schulklassen Spiez besuchten.
10
Von Januar bis Dezember führten wir 49 Schulklassen mit 993 Schulkindern und 116 Begleitpersonen durchs Schloss.
Erfreulich war, viele bekannte Gesichter wieder begrüssen zu können.
Dies zeigt uns, dass für viele Lehrpersonen der Schlossbesuch zu einem
festen Bestandteil ihrer Schulplanung geworden ist.
FERIENPASS
Im Juli veranstalteten wir einen Anlass im Rahmen des Thuner Ferienpass-Programms. Unter dem Motto «Eine abenteuerliche Reise durch das
Schloss Thun» waren die Kinder in der Rolle von Mittelalterspionen unterwegs, entdeckten die hintersten Ecken und Geheimnisse unseres Schlosses, ertasteten Gegenstände und bastelten ein kleines Thuner Schloss.
KiTS – DER KINDERCLUB THUNERSEE SCHLÖSSER
Auch dieses Jahr fanden für KiTS zwei Anlässe im Schloss Thun statt.
Im März suchten wir mit einer grossen Kinderschar einen vergessenen
Schatz im Schloss Thun und fanden diesen in einem Schlossturm.
Im November waren zahlreichen Kindern abends im finsteren Schloss
­unterwegs. Auf der Suche nach Gespenstern erkundeten sie das Schloss,
erfuhren viel Spannendes über diese Wesen und hörten Geschichten. Mit
einem kleinen Imbiss beendeten wir diesen gelungenen Abend.
KULTURNACHT
An der Kulturnacht hatten unsere jungen Besucher die Möglichkeit verschiedene, schon im Mittelalter bekannte Gewürze und Kräuter zu riechen
und so ihren Geruchsinn zu testen.
Sie konnten sich auch über deren Gebrauch und Wirkung informieren.
VON SCHLOSS ZU SCHLOSS ZUM RITTERSCHLAG
Auch dieses Angebot erfreute sich grosser Beliebtheit. Wiederum machten viele Kinder von der Möglichkeit Gebrauch, sich zu Ritterinnen und
Rittern auszubilden.
Pagen, Knappen und Ritter entdeckten unser Schloss und lösten die ihnen
gestellten Aufgaben.
11
PERSONELLE VERÄNDERUNGEN
Nach langjähriger Mitarbeit hat Monika Loosli Ende Februar 2014 ihre Tätigkeit im Schloss Thun beendet. In den vergangenen 12 Jahren hat sie engagiert mitgeholfen, den Bereich «Bildung und Vermittlung» auszu­bauen.
So plante und verwirklichte sie für das Schloss Thun den Schlosstrail «Von
Schloss zu Schloss zum Ritterschlag» und half beim Erstellen des Kinderstadtplans mit.
Mit ihrer mitreissenden Art und ihrem pädagogischen Geschick wusste sie
Geschichte kindergerecht und mit Spass zu vermitteln.
Wir wünschen ihr auf ihrem neuen beruflichen Werdegang alles Gute und
danken ihr herzlich für die tolle Zusammenarbeit und ihren Einsatz.
12
Jahresbericht der Stiftung Schloss Thun
Hans Kelterborn, Präsident
Die Stiftung Schlossmuseum Thun hat ihren Namen in Stiftung Schloss
Thun – das Museumsschloss geändert. Ursprünglich hiess unsere Institution «Historische Sammlung im Schloss». Mit der Zeit ist daraus das
«Historische Museum im Schloss Thun» geworden. Nach dem 100-JahrJubiläum von 1988 hiess es dann «Schloss Thun – Historisches Museum».
1993 schliesslich ist der Begriff «Schlossmuseum Thun» entstanden.
Schloss Thun ist jedoch weit mehr als ein Museum. Die mittelalterliche
Burg ist zwar auch Ausstellungsort, aber viel mehr selbst ein erstrangiges Ausstellungsobjekt. Überdies ist sie ein Veranstaltungsort (Konzerte,
­Theater, militärische und private Anlässe im Rittersaal).
Gleichzeitig mit dem neuen Namen hat sich die Stiftung auch ein neues
grafisches Erscheinungsbild zugelegt. Es besteht in einem einheitlichen
Schriftzug Schloss Thun – Das Museumsschloss und dem Logo, gebildet
aus dem Grossbuchstaben S und den zwei kleinen Turmspitzen.
Der Stiftungsrat trat 2013 zu fünf Sitzungen zusammen (9.1.; 7.3.; 23.5.;
5.9.; 25.11.), die Betriebskommission, gebildet aus dem Präsidenten, dem
Vizepräsidenten und der Museumsleiterin, hat die anfallenden Geschäfte
in monatlichen Abständen behandelt.
Hauptthemen der ersten Jahreshälfte waren einerseits die Finanzierung
der Investitionen im neuen Schloss (Neuer Eingang, Kasse, Garderobe und
Toilette, Ausstellungsraum, Büro) und andererseits die Szenografie für die
Ausstellungserneuerung im Donjon.
Die neue Eingangssituation verlangt nach einer neuen Besucherführung
und einer entsprechenden Zutrittskontrolle im Schlosshof. Künftig werden
die Besucherinnen und Besucher ihr Ticket im neuen Schloss kaufen, anschliessend durch den neuen Ausstellungsraum gehen und schliesslich
direkt beim ehemaligen Kelleraufgang durch eine elektronische Zutrittskontrolle in den Keller und damit in den ersten Raum der neuen Ausstellung gelangen.
Im Mai hat der Thuner Stadtrat einen Kredit von 650‘000 Franken für den
Ausbau des Neuen Schlosses bewilligt und der Projektleitung durch Beat
Gassner zugestimmt. Die Räume im Neuen Schloss werden durch die Einwohnergemeinde von der Schlossberg AG gemietet und nach dem Ausbau
durch die Stadt der Stiftung Schloss Thun untervermietet.
13
Im September hat das im Studienauftragsverfahren siegreiche Atelier «oï»
dem Stiftungsrat sein Projekt vorgestellt.
Aufgrund der verschiedenen Konkretisierungen musste der Stiftungsrat
die langfristigen Investitions- und Betriebsbudgets (Businessplan 2013–
2021) immer wieder anpassen und schliesslich der Einwohnergemeinde
ein Gesuch um Erhöhung der jährlichen Betriebsbeiträge einreichen.
Die Stiftung Schloss Thun ist Beat Gassner für die umsichtige Projektleitung bei den Umbauten der neuen Betriebsräume und H. Kasimir Lohner
für gute Vorbereitung und Begleitung des Szenografiewettbewerbs dankbar.
Mit Philipp Stämpfli verliert der Stiftungsrat einen kritischen Begleiter
des Schlossmuseums, einen gefragten Ratgeber und eine wichtige Verbindung zur Burgergemeinde Bern.
Anstelle von Denkmalpfleger Michael Gerber, dessen tatkräftige Mitarbeit
wir vor allem im Workshopverfahren (s. JB 2012) sehr geschätzt haben,
hat der Regierungsrat nun Katharina Pfanner vom Amt für Kultur in den
Stiftungsrat delegiert.
Der Förderverein hat als neuen Stiftungsrat Simon Schweizer, Historiker
im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Mitglied des Thuner Stadtrates gewählt. Wir begrüssen beide Stiftungsratsmitglieder herzlich.
Ein ganz besonderer Dank geht an die Stadt Thun für den Ausbau unserer
künftigen Räume im Neuen Schloss, an die Burgergemeinde Thun für die
Finanzierung eines Stadtmodells, der RKK für den ausserordentlichen
Beitrag an die neue Besucherführung und Familie Burger für den Zustupf
an die Neugestaltung der Ausstellung.
14
STIFTUNGSRAT
Präsident
Hans Kelterborn, Vogelsangweg 4, 3600 Thun*
Vizepräsident
Beat Gassner, Marienstrasse 1A, 3600 Thun*
Kassier
Roger Hunziker, Weieneggstrasse 11A, 3612 Steffisburg
Kantonsvertretung
Michael Gerber, kant. Denkmalpfleger,
Münstergasse 32, 3011 Bern (bis 31. Dezember 2013)
Katharina Pfanner, Amt für Kultur,
Sulgeneckstrasse 7, 3005 Bern (ab 1. Januar 2014)
Stadtvertretung
Marianne Flubacher, Amt für Kultur, 3602 Thun
Vertretung Förderverein
Daniel Bähler, Talackerstrasse 43 i, 3604 Thun
Vertretung Regionsgemeinden
Matthias Krähenbühl, Kreuzweg, 3614 Unterlangenegg
Mitglieder
H. Kasimir Lohner, Obere Hauptgasse 58, 3600 Thun
Simon Schweizer, Scherzligweg 6, 3600 Thun (ab 1. Januar 2014)
Philipp Stämpfli, Gryphenhübeliweg 40, 3006 Bern (bis 31. Dezember 2013)
Kontrollstelle
Dr. oec. Hans Peter Bieri,
Steuer-, Finanz- und Wirtschaftsberatung AG Thun
*
Mitglieder der Betriebskommission
Vorschau auf den Jahresbericht 2014
Im Jahresbericht 2014 (erscheint im April 2015) wird unter dem Titel
«Ein internationaler Land- und Wasserflughafen in Thun?» der in den
1920-er-Jahren im Dürrenast geplante schweizerische Zentralflughafen
behandelt. Der Bericht war ursprünglich im Rahmen von «Flugzeuge
made in Thun» geplant, fand jedoch leider keinen Platz mehr.
15
Das Schlossareal im Umbruch –
bauliche Arbeiten für das Museumsschloss 2013 / 2014
Beat Gassner
Seit Monaten zeigt sich die Baustelle auf dem Thuner Schlossberg in Form
von abgedeckten Dächern und einem Kran, der das Wahrzeichen der Stadt
überragt. Die jüngeren Bauten – das Neue Schloss (früher Gerichtsgebäude),
das ehemalige Gefängnis und das ehemalige Statthalteramt – werden vor
allem im Innern einer umfassenden Verjüngungskur unterzogen. Bauherrschaft sind hier die Schlossberg Thun AG und die Schloss Hotel Thun AG.
Das ehemalige Statthalteramt wurde im Jahr 2013 umgebaut und renoviert, mit einer Kinderkrippe im Erdgeschoss und mit je einer Wohnung im
Obergeschoss und unter dem mächtigen Walmdach.
Das alte Gefängnis – ursprünglich ein Bau von 1885/86 – wurde komplett
ausgehöhlt, eine neue Tragstruktur eingebaut und das Dach um ein Geschoss angehoben. Hier entsteht ein Hotel mit 18 Zimmern. Diese Zimmer,
in der Grösse von zwei ehemaligen Gefängniszellen, sind mit ihren modernen Glas-Erkern auf den Schlosshof ausgerichtet. Im Neuen Schloss entstehen im Südteil des Erdgeschosses ein Restaurant und ein Schlosscafé
entlang dem Schlosshof. Anschliessend gegen Norden sind gemeinsame
WC-Anlagen für Restaurant und Museum vorgesehen (die Damen werden
beim Händewaschen den Ausblick auf die Stadt geniessen können!).
16
In den Obergeschossen und unter dem Dach des Neuen Schlosses gibt es
ein sogenanntes KMU-Forum mit Plenarsaal, Gruppenarbeitsräumen und
Büros, wobei hier vor allem die Mobiliar-Versicherung in Zusammenarbeit
mit Universitäten spezielle Kurse und Workshops durchführen will.
Der neue Zugang zum Museum liegt im
Schlosshof versteckt in einem Rücksprung
der Schlosshof-Fassade. Da wird es ein
deutliches Hinweisschild in Form einer Stele brauchen, damit die vielen Besucher den
Eingang finden (siehe Plan). Ein Knackpunkt
in der Planung war denn auch die neue Besucherführung: Zukünftig werden die Besucher den Donjon nur betreten können,
wenn sie vorgängig an der Kasse im Neuen
Schloss ein Ticket gelöst haben. Als Zutrittskontrolle braucht es Drehsperren beim Zugang zum Keller des Donjons und auf dem
Zwischenpodest der Treppe zum Rittersaal.
Damit erhält das Museum endlich eine
adä­quate Empfangssituation mit der Kasse und dem Museums-Shop. Dazu wurden
im Neuen Schloss im ersten Raum jüngere
Zwischenwände entfernt und die ursprüngliche, grosszügige Raumeinteilung wiederhergestellt (Abb. 1).
Abb 1: Kasse/Shop (Baustelle Februar 2014).
Der zweite Raum mit der hölzernen Kassettendecke ist ein ehemaliger Gerichtssaal.
Hier bleibt die Ausstattung aus den 1930er
Jahren mit dem zugehörige Riemenboden
erhalten, allerdings wird der «hölzige» Charakter durch überstreichen der Täferpartien
an Wänden und Decken zurückgenommen
(Abb. 2). Der Raum ist für temporäre Ausstellungen vorgesehen, diese brauchen eine
möglichst neutrale Raumhülle. Es ist ein
altes Anliegen des Museums, einen ganzjährig nutzbaren Raum für solche Ausstellungen zu haben. Früher stand dafür nur
der Dachstock des Donjons – praktisch mit
Aussen­klima – zur Verfügung.
Abb 2: Zukünftiger Ausstellungsraum
(Baustelle Februar 2014).
17
Daneben erhält die Museumsleiterin ganz im Norden ein helles Büro, zwar
nicht sehr gross, jedoch funktional eingerichtet und ein wesentlicher Fortschritt gegenüber dem ungedämmten düsteren Raum im sogenannten
Chalet (altes Kassengebäude; Abb. 3). Es gibt auch Nebenräume für das
Archiv mit einem Nebenarbeitsplatz, für die Gebäudetechnik und einen
Putzraum.
Was immer noch fehlt, ist zusätzlicher Lagerraum. Das Chalet ist zur Zeit
bis in den hintersten Winkel mit Akten und Materialien gefüllt. Eigentlich
sollte dieser unschöne Anbau an den Donjon, erbaut Mitte des 20. Jahrhunderts – auch nach Meinung der Denkmalpflege – zum Teil rückgebaut
werden. Dort könnte eine attraktive Terrasse entstehen, es ist die sonnigste Ecke im ganzen Schlosshof. Ob da die Stadt eines Tages mithilft
und gleichzeitig auch die grossflächige Rampe im Schlosshof (s. Abb. 3)
besucherfreundlicher – und bei Nässe und Schnee sicherer – umgestalten
wird, z.B. mit Sitzstufen und Terrassen?
Abb 3: Das «Chalet».
Nachdem die Bauarbeiten im Museumsteil letzten Herbst / Winter witterungsbedingt und wegen den massiven Eingriffen
im Dach sowie den vielen Leitungen für
die oberen Stockwerken nur schleppend
vorankamen, sind sie jetzt, im Februar
2014 voll im Gang (Abb. 1 und 2). Der mieterseitige Ausbau der Räume wird Anfang
April abgeschlossen sein; die museumsspezifischen Einrichtungen und Ausstattungen sind per Ende April pünktlich zur
geplanten Eröffnung auch soweit.
Finanziert wird der mieterseitige Ausbau durch einen Kredit der Stadt
Thun, alle Betriebseinrichtungen für das Museum und die Möblierung sowie alle Aufwendungen für die neue Besucherführung gehen zu Lasten
des Museums.
18
Zur Erneuerung der Dauerausstellungen
im Schloss Thun
Heinrich Kasimir Lohner
Bereits vor vier Jahren hat die Stiftung Schlossmuseum Thun ihre neue
Strategie «Museumsschloss» erarbeitet: Die Burg soll als Identifikationsmerkmal von Stadt und Region sowie als Erlebnisort und Ausstellungs­
objekt Nummer eins verstärkt inszeniert werden. Mit dem vor zwei Jahren
verabschiedeten neuen Betriebskonzept wird diese Strategie nun umgesetzt.
Der neue Eingang und die neuen Räume im ehemaligen Gerichtsgebäude
erlauben eine neue Besucherführung: Die Dauerausstellungen im Donjon
werden als aufsteigender Rundgang von unten nach oben erschlossen und
– in derselben Logik – auch schrittweise erneuert.
Anfang 2013 hat die Stiftung einen Studienauftrag – ein wettbewerbsähnliches Verfahren – unter drei spezialisierten Szenografieateliers durchgeführt: atelier oï-sa aus La Neuveville, Holzer Kobler Architekturen GmbH
aus Zürich und Fabritastika Gestaltungsatelier AG aus Brüttisellen. Der
Auftrag musste auf zwei verschiedenen «Flughöhen» erfüllt werden:
– 1. Erarbeiten eines Szenografiekonzepts für den gesamten Donjon, d.h.
für die Erneuerung aller Dauerausstellungen in fünf Etappen,
– 2. Entwerfen der Szenografie für die erste Etappe – Darstellung der
Stadtentwicklung im «Keller» des Donjons.
Nach Auffassung der Jury – Vertreterinnen und Vertreter der Stiftung,
verstärkt durch auswärtige Fachleute – ist das Konzept des atelier oï der
Aufgabenstellung und der Idee «Museumsschloss» am besten gerecht
worden: Durch die Konzentration der Exponate in begehbaren «Laternen»
jeweils in der Mitte der Museumsräume und die Projektion von Schattenspielen auf die freigehaltenen Wände, soll ein stimmungsvoller Dialog zwischen dem Schloss und seiner Geschichte entstehen.
Das 1991 gegründete, auch national und international renommierte Team
aus La Neuveville steht für atmosphärisch innovative Architektur, Produkte- und Ausstellungsgestaltung.
Im Mai 2013 hat der Stiftungsrat das atelier oï mit der Ausarbeitung des
Projekts für die 1. Etappe beauftragt und im September sind das Ausführungsprojekt und der Kostenvoranschlag genehmigt worden: Blickfang
wird ein Modell der noch vollständig ummauerten Stadt des 18. Jahrhun19
derts sein. Mit einer Lichtprojektion werden die Entwicklungsphasen seit
dem 12. Jahrhundert – zähringisch, kiburgisch, bernisch – nacheinander
sichtbar gemacht.1 Die Darstellung der rasanten Stadtentwicklung der
letzten 200 Jahre erfolgt mittels einer kartografischen Zeitreise auf einem
interaktiven Bildschirm. Bis heute noch nie ausgestellte Gegenstände erzählen Geschichten aus hunderten von Jahren Stadtgeschichte.
Das Ringen um die Finanzierung des Projekts, die Formulierung der Inhalte und die Einhaltung des sehr sportlichen Zeitplans für die Realisierung beschäftigen unsere Museumsleiterin und den Stiftungsrat bis zur
Eröffnung in diesem Frühjahr. Das Ziel unserer Strategie wird jedoch erst
mit der Erneuerung der Dauerausstellungen auf allen Geschossen des
«Museumsschlosses» in einigen Jahren erfüllt sein.
3D-Visualisierung der «Laterne» im Kellergschoss des Donjons. Im Hintergrund das Altstadtmodell
(atelier oï-sa).
Die Grundlage dazu bildet: Heinrich Kasimir Lohner: Thuner Stadtentwicklungsgeschichten, zum
Stand der Forschung über die Gründung und räumliche Entwicklung der Stadt Thun vom 12. bis
in das 18. Jahrhundert; Typoscript, Thun, März 2013, download auf: http://www.lohnerpartner.ch/
Stadtforschung.php (vgl. auch Jahresbericht 2012 Schlossmuseum Thun S. 54 ff.)
1
20
Jahresrechnung der Stiftung
Bilanzen per 31. Dezember
Flüssige Mittel
Forderungen
Vorräte
Aktive Rechnungsabgrenzungen
Total Umlaufsvermögen
Finanzanlagen
Museumsgüter
Sachanlagen
Projektkosten
Total Anlagevermögen
Total Aktiven
2013 / Fr.
766’901.28
27'394.15
0.00
813.15
795'108.58
76'425.90
5.00
37'449.00
82'372.00
196'251.90
991‘360.48
2012 / Fr.
756‘597.50
22‘114.05
1‘000.00
1‘407.60
781‘119.15
147‘231.95
5.00
50‘557.00
23‘918.00
221‘711.95
1‘002‘831.10
Total Fremdkapital
41'102.30
Gründungsbeiträge/Stiftungskapital
– Verein Schlossmuseum Thun
100‘002.00
200‘000.00
– Kanton Bern
– Stadt Thun
100‘000.00
– Einmalige Zuwendungen Dritter
509‘305.00
– Fonds für Spezialfinanzierungen (SF)
339‘569.55
-264'231.20
– Verlustvortrag
– Jahresverlust
-34'387.17
Total Eigenkapital
950'258.18
Total Passiven
991'360.48
70‘185.75
100‘002.00
200‘000.00
100‘000.00
509‘305.00
287‘569.55
-188‘826.65
-75‘404.55
932‘645.35
1‘002‘831.10
21
Erfolgsrechnungen 1.1. – 31.12.
Betriebsertrag
Personalaufwand
Übriger Betriebsaufwand
Total Betriebsverlust Museum
Betriebsbeiträge und Spenden
Finanzerfolg
Total Ausserbetrieblicher Gewinn
Total Jahresverlust
2013 / Fr.
202'939.60
-278'974.30
-243'139.56
-319'174.26
281'558.65
3'228.44
284'787.09
-34'387.17
2012 / Fr.
209‘795.60
-274‘361.80
-218‘268.26
-282‘834.46
202‘059.35
5‘370.56
207‘429.91
- 75‘404.55
S P EZ I AL FI NANZ IER U NG EN (S F ) Ausstellungserneuerung
Anfangsbestand 1.1.
Bildung SF für Ausstellungserneuerung
Belastung SF Ausstellungserneuerung
Schlussbestand 31.12.
Total Veränderung SF
22
287‘569.55
52‘000.00
0.00
339‘569.55
52‘000.00
287'569.55
0.00
0.00
287‘569.55
0.00
Die Sammlung des Schlossmuseums
Hans Kelterborn
Ende 2013 umfasste die Datenbank 18'807 Objekte [Ende 2012: 18'520 Objekte]. Von 14'413 Objekten ist der Standort bekannt [2012: 14'130]. 13'777
Objekte sind fotografiert [2012: 13'487].
Jede digitale Abbildung ist mit dem entsprechenden Datensatz im Inventar
verknüpft.
Bereits in der Zeit von 1865–1869 sind im Hinblick auf ein künftiges historisches Museum in Thun einige Gegenstände in die Sammlung gelangt,
in den ersten Jahren nach der Museumsgründung, also von 1887–1889
waren es bereits über 600.
Die folgende Tabelle zeigt Zugänge und Abgänge des Sammelguts. Dass
das daraus resultierende Soll (16‘528) nicht mit der Zahl der tatsächlich
vorhandenen Objekte (18‘807) übereinstimmt, lässt sich wie folgt erklären:
1. Dubletten: Das gleiche Objekt wurde in verschiedenen Inventaren verschieden erfasst, so dass es nicht als das identische Objekt erkannt
werden kann. Werden solche Dubletten nachträglich als solche erkannt, werden sie eliminiert.
2. Verluste: Vermisste Objekte (gestohlen, beseitigt) ohne entsprechenden
Vermerk im Inventar.
ZugangsperiodeZugängeAbgänge
ohne Datum
«Altbestand»
1865–1869
1887–1889
1890–1899
1900–1909
1910–1919
1920–1929
1930–1939
1940–1949
1950–1959
1960–1969
1970–1979
1980–1989
1990–1999
2000–2009
2010–2013
Total
5'432
1'161
8
602
345
602
1'479
1'956
902
379
165
621
1'520
877
904
904
950
18'807
142
0
0
3
3
3
16
8
33
24
6
4
6
6
1'827
144
2'225
Soll
5'290
6'451
6'459
7'061
7'403
8'002
9'478
11'418
12'312
12'658
12'799
13'414
14'930
15'801
16'699
15'776
16'582
16'582
«Altbestand»:
Der Begriff wird häufig in Inventar 2
(1913–1947) ohne nähere Datumsangabe verwendet.
Abgänge:
Beseitigt, Dauerleihgaben, gestohlen,
getauscht, verkauft, verschenkt,
weiterverwendet, zurück.
Mit entsprechendem Eintrag
im Inventar.
23
NEUZUGÄNGE 2013
Von folgenden Personen und Institutionen durften wir Geschenke in die
Sammlung aufnehmen:
Alfred Amstutz, Binningen; Louis Hänni, Thun; Rosmarie Krähenbühl,
Steffisburg; Andreas Laubacher, Baden; Magdalena Kratzer, Thun;­
H. Kasimir Lohner, Thun; NN; Familie Reinmann Thun; Jürg Schweizer,
Bern; Rudolf Schär, Thun; Hanspeter Wüthrich, Thun; Damenturnverein
Thun; Genossenschaft Vaporama; Schweizerisches Gastronomiemuseum;
Kunstmuseum Thun.
Apparate + Uhren
Reisebügeleisen (Inv. 12147)
Bauteile und Stein
Erinnerungstafel C.F.L. Lohner (Inv. 12154)
Inv. 12154: Vorderseite.
Rückseite.
Bilder, Drucke
Zeichnung Ferienhaus Seehalde (Inv. 12145)
Bücher
Handfeuerwaffen System Vetterli (Inv. 12165)
Dokumente
Kleinplakat Lac de Thoune (Inv. 12149);
Vergissmeinnicht-Album (Inv. 12152)
Fahnen
Fahne mit Zubehör Damenturnverein Thun (Inv. 12169)
Foto
Fotoalbum Bühlmann (Inv. 12151); Foto Stadtmusik Thun (Inv. 12167);
Foto Musikgesellschaft Harmonie Wattenwil (Inv. 12179);
Luftaufnahme von Thun (Inv. 12189); Foto Stadtturnverein Thun (Inv. 12199;
24
Keramik
Deckelvase (Inv. 12185), Henkelvase (Inv. 12186)
Sammlung Alfred Amstutz (Inv. 12201–12419), s. auch S. 28–30
35
Becher, Dosen, Schalen
43
Cachepôts, Jardinièren, Vasen
26
Dekorteller und -platten
14
Diverse
9
Figuren
26
Kannen und Krüge
10
Tassen (z.T. mit Untertassen)
56
Vedutenteller
Küche
Thuner Täfeli (Inv. 12153)
Landwirtschaft
Bänne (Handwagen; Inv. 12190)
Mass und Gewicht
Briefwaage (Inv. 12146)
Möbel und Wohnen
Ledertapete aus der Schadau (Inv. 12148);
Velourstapete aus der Schadau (Inv. 12150)
Musik
Kadettenpauke (Inv. 12168)
Postkarten
Thun-Rathausplatz und Rathaus (Inv. 12180); Thun (Inv. 12181); Bächimatt
(Inv. 12182); Thun und Berner Alpen (Inv. 12 183); Thun-Kasernen (Inv. 12184)
Silber, Zinn
Zinnteller Friedrich der Grosse (Inv. 12195)
Tabak
Aschenbecher Schloss Thun (Inv. 12166)
Textilien
Menukarte aus Stoff (Inv. 12198)
Trophäen
5 Wimpel (Inv. 12170–12172, 12175, 12178);
4 Schleifen (12173, 12174, 12176, 12177)
Uniformen
Uniform Stadtpolizei Thun (Inv. 12159)
25
ANKÄUFE 2013
Foto
Innere und äussere Aare (Inv. 12162);
DS Blümlisalp (Inv. 12161)
Keramik
Wandteller (Inv. 12197), Ziervase (Inv. 12419)
Küche
3 Kaffeemühlen (Inv. 12155–12157); Kaffeelöffel KABA Thun
(Inv. 12188); Besteck KABA Thun (Inv. 12187)
Inv. 12187.
Postkarten
Hauptgasse (Inv. 12134), Katholische Kirche (Inv. 12138), Landgasthof zum
Bärnerhus (Inv. 12139), Strasse in Thun (Inv. 12131), Thun (Inv. 12132), Thunersee und Niesen (Inv. 12133), Schlosshotel Freienhof (Inv. 12135), ThunKursaal (Inv. 12136), Hotel Bellevue (Inv. 12137)
Silber, Zinn
Zinnteller KABA Thun (Inv. 12196)
AUSLEIHEN 2013
Fotos
Fotodokumentation über den Aufenthalt der italienischen Kronprinzessin
Maria-José und ihrer Kinder während des 2. Weltkrieges in Oberhofen.
Keramik
2 Eierbecher aus dem ehemaligen Hotel Thunerhof (Inv. 7013)
Schuhe
Bergschuhe der italienische Kronprinzessin Maria-José (Inv. 8171)
ABGÄNGE 2013
Landwirtschaft
Hühnerkäfig (Inv. 10393)
Möbel + Wohnen
Schrank (Inv. 1758); Tisch (Inv. 7876); Tisch (Inv. 7890); Wandkästchen (Inv.
7924); Buffet (Inv. 7914); Tisch (Inv. 8301); Kastenbett (Inv. 8319); Kas­
tenbett (Inv. 8323); Bank (Inv. 8696); Jägerschäftli (Inv. 8710); Truhe (Inv.
10248); Bauerntisch (Inv. 10396); Tischvasen (Paar). Geschenk an Schweiz.
26
Gastronomiemuseum (Inv. 10457); Waschkommode (Inv. 11085); Doppelbett (Inv. 11086); Bauerntisch (Inv. 11335)
Staat + Recht
Schöpfspritze von 1761, sog. Schlossbergspritze (Inv. 12191).
Erworben im Dezember 1904. Geschenk an Pyrorama (s. S. 65–67)
LAGER ALLMENDSTRASSE
Im Lager an der Allmendstrasse konnten dank geschenkter Gestelle rund
60 Laufmeter neuer Platz gewonnen werden. Die Räumung der MajolikaAusstellung im Kellergeschoss des Schlosses bescherte dem Lager einige
hundert Objekte, die in früheren Inventaren nur zum Teil erfasst worden
sind und nun zum Teil noch erfasst und allesamt fotografiert und einge­
lagert werden müssen.
LAGER BERNSTRASSE
Im Lager an der Bernstrasse wurden einige Möbelstücke, die entweder
stark beschädigt waren oder nicht der Sammlungsstrategie entsprachen,
ausgesondert, um für wertvollere Objekte aus dem Kellergeschoss Platz
zu schaffen (s. oben Abgänge 2013). Dank einem Grosseinsatz des Arbeitseinsatzes und unseres Schlosswartes konnte das Lagerabteil gegenüber
dem Rest der unterirdischen Halle einigermassen Luftdicht abgetrennt
werden, so dass die Luftfeuchtigkeit nun auf max. 52% gehalten werden
kann. Dank einer Eigenentwicklung von Paletten auf Rollen können die
einzelnen, zum Teil sehr schweren, Objekte ohne weitere Hilfsmittel von
Hand verschoben werden, so dass der vorhandene Platz noch besser ausgenützt werden kann.
27
Eine grosszügige Schenkung:
Die Majolika-Sammlung von Alfred Amstutz
Hans Kelterborn
Am 22. Mai 2013 konnten die Museumsleiterin und der
Stiftungspräsident in Binningen die ausserordentliche
Majolika-Sammlung von Alfred Amstutz entgegennehmen. Der Sammler hat über mehrere Jahrzehnte hinweg
eine phantastische Sammlung von mehr als 200 Objekten
zusammengetragen und sie nun dem Schlossmuseum
geschenkt.
Inzwischen haben wir die Sammlung vollständig erfasst, fotografiert und
im Dépôt eingelagert. Die Objekte stammen aus der Zeit zwischen 1880
und 1930 und wurden seinerzeit in Thun, Steffisburg und Heimberg von
den bekannten Töpferwerkstätten fabriziert.
Wir zeigen hier hier eine kleine Auswahl aus der Sammlung:
Inv. 12382
Einer von 56 Vedutentellern. Bild bezeichnet
«Hilterfingen».
35.5 cm Durchmesser.
Marke: Thoune
Inv. 12299
Rechteckige Servierplatte mit Schuppenmuster. 30.5 x 22 cm.
Marke: JW (Johann
Wanzenried)
Inv. 12247
Langhalsvase, aussen
unglasiert. 18.5 cm
hoch. Marke JW
Inv. 12346
Milchkrug.
11.7 cm hoch.
Aus der Werkstatt
Loder-Eyer
Inv. 12217
Schale auf drei
Holzfüssen (Brienzer
Schnitzerei).
14 cm Durchmesser
Inv. 12233
Giessfass.
30 cm hoch.
Inv. 12208
Deckelschale.
14.5 cm Durchmesser
Inv. 12326
Kanne auf drei Füssen,
mit Eulenkopf als
Ausguss und Zapfendeckel. 17 cm hoch.
Marke: H (?)
28
Inv. 12305
Wandapplike mit
Jungfrau-Vedute. Bild
bezeichnet «Jungfrau».
24 cm hoch. Marke und
Pressstempel: MC
Inv. 12314
Tintenzeuggarnitur. Tintenfass und Sandstreuer
mit Deckelchen. Grauer
Hund als Dekoration.
21 x 10.7 x 15 cm
Inv. 12205
Deckelterrine.
10 cm Durchmesser.
Marke (Stempel): MC
Inv. 12258
Vierfachvase.
8.5 cm hoch.
Marke: JW
Inv. 12351
Viereckige Tasse mit
Stielgriff und acht­
eckige Untertasse.
T 5.3 cm hoch.
UT 12.5 cm Durchmesser. Marke: Thoune
Inv. 12231
Ziergefäss in Form
eines eingerollten
Blattes. 7.2 cm hoch
Inv. 12312
Körbchenschale,
unglasiert.
14 cm hoch.
Marke: JW Thoune
Inv. 12328
Kanne (blaue Katze).
Kopf als Deckel,
Pfote als Ausguss.
17.5 cm hoch.
Marke: Thun
Inv. 12219
Dreibeintopf mit
Deckel.
18 cm hoch.
Marke: JW Thoune
Inv. 12273
Blumenampel.
Drei Aufhängelöcher.
29 cm Durchmesser.
Marke: JW Thoune
Inv. 12313
Hutnadelschale.
12 cm Durchmesser
Inv. 12321
Sparschwein.
8.5 x 5.1 cm.
Marke: H (?)
Inv. 12234
Topf mit sichelförmigen
Griffen.
28 cm hoch.
Marke: JW Thoune
Inv. 12324
Ringkrug.
24.5 cm hoch.
Marke: SL (SchochLäderach)
Inf. 12220
Konfektschale.
20.5 cm Durchmesser.
Marke: JW Thoune
29
Inv. 12318
Eule.
18.5 cm hoch
Inv. 12237
Vase in orientalischer
Form.
36 cm hoch.
Marke: JW Thoune
Inv. 12338
Teekanne.
13 cm hoch.
Marke: Thoune
Inv. 12240
Trinkgefäss/Kugelvase?
Malerin: Erna Gross.
16.5 cm hoch.
Marke: JW Thoune
Inv. 12250
Wand-Vase in Tütenform. 21.5 cm hoch.
Marke MC Thun 594
Inv. 12275
Gefäss auf drei
Bocksbeinen.
41 cm hoch.
Marke: GT (Gottfried
Tschanz)
30
Inv. 12266
Vase mit breiten
Bandhenkeln.
15 cm hoch.
Marke: JW Thoune
Inv. 12334
JugendstilKaffeekanne.
20 cm hoch.
Marke: JW Thoune
Inv. 12232
Abwasserkübel mit
Traggriff aus Holz und
Weidenruten.
33.5 cm hoch.
Marke: WT Thoune
(Wanzenried)
Inv. 12327
Kanne mit Löwengriff.
23 cm hoch
Inv. 12236
Wand-Vase. 36.5 cm
hoch. Press-Marke: GT
(Gottfried Tschanz)
Jahresbericht des Fördervereins
Daniel Bähler, Präsident
Das Jahr 2013 stand auch für den Förderverein ganz im Zeichen des grossen Umbaus auf dem Schlossberg. Durch den Einsatz eines wesentlichen
Teils seines Vermögens ermöglicht es der Förderverein, die Neugestaltung
des Museums unter der Strategie «Museumsschloss» in Angriff zu nehmen.
Der Vorstand des Fördervereins traf sich im Berichtsjahr zu vier Sitzungen. Er befasste sich mit der Neugestaltung des Museums, der Erneuerung des Stiftungsrates für das Jahr 2014 und Gesuchen der Stiftung um
Beiträge. Ines Attinger, bisherige Geschäftsführerin der Schlosskonzerte,
trat wegen beruflicher Veränderung auf die Mitgliederversammlung hin
aus dem Vorstand zurück. Ihre Nachfolgerin bei den Schlosskonzerten, Gisela Trost, konnte auch für die Nachfolge im Vorstand gewonnen werden,
womit die Kontinuität gewahrt bleibt. Als Wahlorgan für den Stiftungsrat
wählte der Vorstand in der Dezembersitzung Simon Schweizer, Historiker
und Mitglied des Thuner Stadtrates, in dieses Gremium. Der Stiftung wurden Mittel für Sonderausstellungen (Jean Moeglé, Canton Oberland und
Dendrochronologie), die Realisierung eines Erlebnispfads im Zusammenhang mit dem Umbau und den Ankauf einer Vase aus der Majolika-Sammlung Alfred Amstutz zur Verfügung gestellt. Mit dem Ankauf der Vase kam
die gesamte wertvolle Sammlung in den Besitz des Schlossmuseums. Im
Weiteren beschloss der Vorstand den Ankauf eines bisher als Leihgabe
ausgestellten prächtigen Wandtellers. Dieser wird im Jahr 2014 definitiv
zur Sammlung stossen.
An der sehr gut besuchten Mitgliederversammlung vom 17. Juni 2013 ging
es um die Neugestaltung des Museums. Stiftungsratsmitglied H. Kasimir
Lohner präsentierte die Ergebnisse des durchgeführten Studienauftrags
für die Szenografie und informierte über die geplante Umsetzung der Resultate. In Etappen soll die Ausstellung so umgestaltet werden, dass das
Schloss als historisches Bauwerk im Zentrum steht. Mit modernsten Mitteln werden verschiedene Themengebiete präsentiert werden. Im Keller
als erster Etappe geht es darum, die Stadtentwicklung darzustellen. Der
Antrag des Vorstands, dafür aus dem Vereinsvermögen einen Betrag von
125‘000 Franken zur Verfügung zu stellen, wurde von der Versammlung
ohne Gegenstimme gutgeheissen. Damit schrumpft das Vereinsvermögen
auf rund die Hälfte. Die Mitglieder anerkannten, dass der Zweck des Vereins darin besteht, zur Entwicklung des Museums beizutragen und nicht
Vermögen zu horten. Weiter orientierte Susanne Kiener von der Schlossberg Thun AG die Mitglieder aus erster Hand über die Vorhaben im Neuen
31
Schloss und im früheren Gefängnis. Im Anschluss an die Versammlung
wurden die Anwesenden durch die Baustelle geführt und erhielten so
­einen einmaligen Einblick in die Substanz des historischen Gebäudes.
Am Grossmärit vom 8. Juni 2013 war der Förderverein mit einem Stand
auf dem Rathausplatz präsent. Es wurden Majolika-Objekte aus der
Sammlung gezeigt, was beim Publikum auf reges Interesse stiess.
Der bereits für 2012 vorgesehene, vom Vorstandsmitglied Magdalena
Kratzer-Boksberger organisierte Ausflug nach Rapperswil SG konnte am
19. Oktober 2013 durchgeführt werden. Die Teilnehmenden gelangten in
den Genuss einer eindrücklichen Präsentation der Tätigkeit des Restaurierungsateliers Fontana in verschiedenen Sparten. Am Nachmittag wurden sie durch den historischen Stadtkern geführt und besuchten das vor
wenigen Jahren modern umgestaltete Stadtmuseum Rapperswil-Jona.
Für den Vortrag vom 13. November 2013 konnte mit Stiftungsratspräsident Hans Kelterborn ein kompetenter Referent aus den eigenen Reihen
gewonnen werden. Das Thema «Flugzeuge made in Thun» lockte viele Interessierte an, die in den Genuss eines reich bebilderten Referats kamen,
in dem die gesamte Geschichte der Schweizer Militärfliegerei bis zum
Zweiten Weltkrieg zur Sprache kam. Eine Kollekte erbrachte eine Summe
von rund 1000 Franken, die den Opfern der Flutkatastrophe auf den Philippinen gespendet wurde.
VORSTAND DES FÖRDERVEREINS SCHLOSS(MUSEUM) THUN
Präsident
Daniel Bähler, Talackerstrasse 43 i, 3604 Thun
Vizepräsidentin
Barbara Cadisch-Wolf, Schlossberg 5, 3600 Thun
Kassier
Roger Hunziker, Weieneggstrasse 11A, 3612 Steffisburg
Sekretärin
Barbara Lehmann Rickli, Blümlimattweg 1, 3600 Thun
Weitere Vorstandsmitglieder
Ines Attinger, Schadaustrasse 21, 3604 Thun (bis 17. Juni 2013)
Gisela Trost, c/o Schlosskonzerte, Bahnhofstr. 1, 3600 Thun (ab 17. Juni 2013)
Georg Frank, Lauenenweg 12, 3600 Thun
Christoph Im Obersteg, Steinackerweg 1, 4105 Biel-Benken BL
Magdalena Kratzer-Boksberger, Rufeli 7, 3626 Hünibach
32
Revisoren
Ruedi Keller, Dorfhalde 36, 3612 Steffisburg
Christian Fröhlich, Hünibachstrasse 4, 3652 Hilterfingen
Diese Institutionen und Personen haben das Schlossmuseum
im vergangenen Jahr besonders grosszügig unterstützt:
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Sibylle Andres, 3800 Interlaken
Rosmarie Baumann-Lanzrein, 3626 Hünibach
Fritz Baumgartner, 3052 Zollikofen
Martin und Christine Burger, 3600 Thun
Annerose Friedli, 3627 Heimberg
Heini Gysel, 3006 Bern
Emil Hollenweger, 3626 Hünibach
Verena Holzherr, 3612 Steffisburg
Peter Hutzli, 3713 Reichenbach i.K.
Achilles und Marianne Koller-Messerli, 3654 Gunten
Franziska Küng, 3123 Belp
Beatrice Luder, 3703 Aeschi b. Spiez
Robert Meier-Odermatt, 6045 Meggen
Denise Moser, 4054 Basel
Susi Nell-Thomi, 6300 Zug
Peter Schafroth, 3600 Thun
Gustav und Lore Schelling, 3600 Thun
Andreas und Francisca Schwarzenbach-Saegesser, 3604 Thun
Stauffer Metallbau, 3645 Gwatt
Mathias und Elisabeth Tellenbach-Sommer, 3612 Steffisburg
Erwin Thomi, 3600 Thun
Anton Wenger-Thomet, 3612 Steffisburg
33
Ausflug des Fördervereins nach Rapperswil-Jona
Magdalena Kratzer
Bei schönen Wetterbedingungen starteten die Teilnehmer des diesjährigen
Ausfluges am Bahnhof Thun nach Rapperswil-Jona am Zürichsee. Dank
hervorragender Leistung der älteren Generation mit einem Spurt zu den
Geleisen im Untergrund des Bahnhofs Zürich, erreichten wir das Städtchen Rapperswil trotzdem noch rechtzeitig. Bereits am Bahnhof wurden wir
herzlich von Herrn Claudio Fontana der Firma Fontana & Fontana AG empfangen. Mit dem Bus führte uns Herr Fontana zu seiner Firma nach Jona.
Schon beim Betreten des Gebäudes spürten wir
viel guten Geschmack an Kunst und Architektur.
Bei feinem Kaffee und einer grossen Auswahl an
herrlichem Morgengebäck erläuterte uns Herr
Fontana die Geschichte des Familienbetriebes. Die
Firma wird bereits in vierter Generation geführt
und hat sich durch bemerkenswerte Restaurierungen an wertvollen Gebäuden, Innenräumen,
Kunstgegenständen sowie altem Kirchenschmuck
weit über die Schweizer Grenze einen Namen gemacht. Die junge Generation der Familie Fontana vermittelte uns einen
Einblick in das Handwerk des Restaurierens.
Schliesslich wurden wir von der Firma Fontana zu einem Apero ins Res­
taurant Rathaus in Rapperswil eingeladen. Nach einem feinen Mittag­
essen mit einem guten Tropfen Wein aus der Umgebung waren wir gestärkt und bereit für einen Spaziergang durch die Altstadt von Rapperswil.
Herr Hansulrich Baumgartner, Lokalhistoriker von Rapperswil, zeigte uns
fachkundig die wichtigsten historischen Häuser und Gassen, verbunden
mit der Geschichte von Rapperswil.
Zum Abschluss führte uns der Leiter des Stadtmuseums Rapperswil-Jo­
na, Norbert Lehmann, durch seine neu gestaltete Ausstellung. Da wir uns
bei unserem Museum ja gleichfalls mit neuen Strukturen auseinandersetzen, fanden wir es spannend, einen anderen, ebenfalls umstrukturierten
Bau zu besichtigen. Die Bauherrschaft verband das Breny-Haus aus dem
16. Jahrhundert durch einen kühnen Neubau mit dem Stadtturm.
Einmal mehr erlebten die Beteiligten einen wunderschönen, erlebnisreichen Tag. Müde aber glücklich kehrten wir beim Einnachten zufrieden
wieder nach Thun zurück.
34
Jahresrechnung des Fördervereins
Bilanzen per 31. Dezember
Flüssige Mittel
Forderungen
Total Umlaufsvermögen
Finanzanlagen
Total Anlagevermögen
Total Aktiven
2013 / Fr.
136'602.40
1'029.85
137'632.25
201'776.50
201'776.50
339'408.75
2012 / Fr.
201'878.66
1'391.35
203'270.01
151'900.55
151'900.55
355'170.56
Guthaben der Stiftung
Anfangsbestand 1.1.
Zuweisung aus Jahresrechnung
Beiträge an Stiftung
Schlussbestand 31.12.
Total Fremdkapital
Vereinskapital 1.1.
Jahresgewinn
Eigenkapital 31.12.
Total Eigenkapital
Total Passiven
72'444.45
20'000.00
- 37'295.85
55'148.60
55'148.60
282'726.11
1'534.04
284'260.15
284'260.15
339'408.75
52'444.45
20'000.00
0.00
72'444.45
72'444.45
280'379.78
2'346.33
282'726.11
282'726.11
355'170.56
35
Erfolgsrechnungen 1.1. – 31.12.
Mitgliederbeiträge
Spenden
Gönnerbeiträge (Mailing)
Finanzerträge
Total Ertrag
Porti Versand an Mitglieder
Post- und Bankspesen
übriger Verwaltungsaufwand
Total Verwaltungsaufwand
Dienstleistungen QDM AG Mailing
sonstiger Werbeaufwand
Büromaterial
Porti Mailing an Gönner
Total Werbeaufwand
Mitgliederversammlung
Anlässe/Ausflüge
Total übriger Betriebsaufwand
Zuwendung an Stiftung Schlossmuseum
(Rückstellung)
Total Zuwendungen an Stiftung
Debitorenverluste
Total Debitorenverluste
Total Aufwand
Jahresgewinn
36
2013/Fr.
15'100.00
1'580.00
17'875.94
3'099.12
37'655.06
2012/Fr.
15'140.00
1'030.00
19'025.25
3'567.00
38'762.25
343.65
419.27
1'330.30
2'093.22
1'283.65
1'455.90
5'203.40
2'376.00
10'318.95
1'425.70
1'543.15
2'968.85
584.20
520.87
1'329.50
2'434.57
1'565.40
1'492.55
5'168.15
2'991.60
11'217.70
795.90
1'307.75
2'103.65
20'000.00
20'000.00
740.00
740.00
36'121.02
1'534.04
20'000.00
20'000.00
660.00
660.00
36'415.92
2'346.33
Gerichtsort Steffisburg
Georg Frank
ZUR GESCHICHTE DER DINGSTATT, DES GERICHTSHAUSES
UND DER FREISTÄTTE FÜR TOTSCHLÄGER
Bereits im 13. Jahrhundert, als sich im Raum zwischen Berner Oberland
und Jura rechts der Aare die Landgrafschaft Burgund herausbildete, war
Steffisburg Gerichtsort.
Der folgende Beitrag befasst sich mit drei Aspekten der Steffisburger
Rechtsgeschichte: mit dem Standort der Steffisburger Dingstatt bzw. des
Landgerichtsplatzes, damit in direktem Zusammenhang mit dem Bau des
Gerichtshauses (Landhaus) und schliesslich mit der Frage, warum die
Freistätte für Totschläger in Steffisburg Wolfstube genannt wurde. Zeitlich
beschränken sich die Ausführungen im Wesentlichen auf das späte Mittelalter und die frühe Neuzeit.
Die Landgrafschaft Burgund gliederte sich im Hochmittelalter in fünf Gerichtsbezirke: in die Landgerichte Ranflüh (Emmental), Konolfingen, Zollikofen und Murgeten (Murgenthal) sowie das so genannte Äussere Amt mit
Zentrum Steffisburg. Der Umfang des Äusseren Amts lässt sich anhand
der Schriftquellen nur ungefähr bestimmen; indes gehörten die Hochwälder Grüsisberg und ein Teil des Heimbergs dazu, im Norden bildeten die
Wälder von Röthenbach, Kapfern und Honegg die Grenze.1
In den Blutgerichtsbezirken übte anfänglich der Landgraf die hohe Gerichtsbarkeit aus; er hatte somit u.a. auch das Recht, als Strafe für schwere Verbrechen (u.a. Raub, Mord, Totschlag, Notzucht, Brandstiftung) die
Todesstrafe zu verhängen (Blutgericht).
Unter den Kiburgern (ab 1218) wurde das Äussere Amt von einem Amtmann verwaltet. Um 1323 war dies Werner Katterli bzw. Kätterli, weshalb
das Äussere Amt zuweilen auch unter dem Namen Katterlis- bzw. Kätterlisamt in den Urkunden erscheint. Der Berner Karl Ludwig Stettler
(1773–1858) überliefert in seiner Historischen Topographie des Kantons
Bern (1839ff.), dass sich Katterlis Burg der Volkssage nach im Gebiet der
Kirche bzw. des Pfarrhauses befunden habe, wo «vor einiger Zeit altes
Gemäuer unter dem Boden entdekt worden seyn soll.»2
1
Zur territorialen und rechtlichen Verfassung der Landgrafschaft Burgund:
Dubler, Region Thun, S. 161 ff.
Stettler, Band 2, S. 69.
2
37
DIE DINGSTATT – TAGUNGSORT DES LANDGERICHTS
Der Ort, wo sich in regelmässigen Abständen die volljährige männliche
Bevölkerung zum Landtag versammelte, um Gericht zu halten, wurde
Dingstatt genannt. Mit dem Begriff Ding (ahd. thing, ding) bezeichneten
bereits die Germanen die Volks- und Gerichtsversammlung, die immer
unter freiem Himmel und nur bei Tage stattfand.3 Synonyme für Dingstatt
sind die Begriffe Walstatt, Mahel- bzw. Malstatt und mallus (mlat.).4
Die Landgerichtsplätze befanden sich häufig im Schutz grosser Bäume
(z.B. Linden, Eichen oder Sarbäume/Schwarzpappeln) oder Befestigungen,
an öffentlichen Strassen, auf Kreuzungen oder auf Plätzen, aber auch an
Flussübergängen.5 Die Öffentlichkeit sowohl des Landgerichtsplatzes als
auch der Gerichtsverhandlungen war wichtiger Garant für die Rechtmässigkeit der Rechtsprechung. Sie wurde in den Urkunden denn auch ausdrücklich erwähnt. 1394 hält z.B. der Steffisburger Statthalter Heinrich in
Zullhalten im Protokoll fest, dass «ich [...] ze Stefensburg an den lantgericht offenlich zu gerichte sass»6, oder Berchtold Vogt, der Schultheiss von
Thun, schreibt 1576, dass er in Thun «offentlich under ploßem himel und
ann offner, fryer lantstraß z˚
u rächt saß».7
Auf dem Landgerichtsplatz stand der sogenannte Landstuhl, d.h. der Sitz,
auf dem der Landrichter während der Verhandlung sass. In der Regel war
der Landstuhl in leicht erhöhter Lage aufgestellt, damit die Umstehenden
den Richter gut sehen konnten. Nicht selten waren die Landstühle fest
montiert.
Das Verfahren an bernischen Landtagen folgte einer genau festgelegten
Ordnung, an die sich alle Beteiligten zu halten hatten.8 Zu beiden Seiten
des Landstuhls waren die Gerichtsbänke im Halbkreis aufgestellt, auf denen die Gerichtssässen – in der Regel waren es zwölf – Platz nahmen.
Der Kläger hatte sich rechts, der Beklagte links vom Richter aufzustellen.
Während der Richter und die Gerichtssässen ihre Köpfe bedeckt hatten,
mussten die Parteien mit ihren Beiständen barhäuptig erscheinen.
Bayer, S. 99f. und Kluge, S. 133. Zum Landtagsverfahren vgl. z.B.: Rennefahrt, Bd. 3, S. 145ff.;
Welti, S. 227ff.; SSRQ BE I/7, S. 403ff.
3
4
Idiotikon, 11/1753.
5
Dubler, Gerichtswesen.
6
SSRQ BE II/11, S. 490, Nr. 236.
7
SSRQ BE II/11, S. 260, Nr. 126; auch Huber, D 172, S. 500.
8
Rennefahrt, Band 3, S. 146 ff.
38
Die zur Teilnahme am Landtag verpflichteten Personen hatten ihren Platz
ausserhalb der Einfriedung, von wo aus sie die Verhandlungen schweigend verfolgten.
Die Gerichtslinde von Mülhausen.
Die Miniatur aus der Diebold-Schilling-Chronik von 1513 stellt den Abschluss des Bündnisses
­zwischen den Bürgern von Mülhausen und der Stadt Basel im Jahr 1506 dar. Der Vertrag wurde
unter der ummauerten Linde vor den Toren der Stadt Mülhausen geschlossen, am Ort, wo in der
Regel das Landgericht tagte.
Diebold-Schilling-Chronik 1513, Fol. 213r (431). Eigentum der Korporation Luzern.
Die Gerichtsstätte, d.h. der Landgerichtsplatz, ist nicht zu verwechseln mit
der Richtstätte, wo die Todesurteile vollstreckt wurden. Dieser Ort wurde
in Steffisburg mit Richtstatt (1604: der acher stoßt an die Richtstatt) oder
Hochgericht (1615: under dem Hochgericht) bezeichnet und befand sich
im Gebiet Glockenthal an erhöhter und somit gut sichtbarer Lage unweit
der Landstrasse oberhalb der Dorfhalde, wo die Flurnamen Galgenrain
(1692: by dem Galgenrein) und Galgenhubel (1833: Galgen Hubel) an die
Richtstätte erinnern.9
Für die Einzelnachweise der im Text kursiv gesetzten Ortsnamen vgl.: Frank, Ortsnamen.
9
39
Die Dingstatt des Äusseren Amts und später des Freigerichts befand sich
in Steffisburg an der Stelle, wo 1543 das Landhaus gebaut wurde, also im
Oberdorf.
Bezüglich des Standorts wird in der Steffisburger Geschichtsliteratur seit
bald hundert Jahren ein Irrtum tradiert, der sich in Christian Schiffmanns
Buch «Steffisburg» (1916) eingeschlichen hat und seither immer wieder
in allen einschlägigen Publikationen kolportiert worden ist. Schiffmann,
der sich um die Steffisburger Geschichtsschreibung äusserst verdient gemacht hat, schreibt, dass sich eine Dingstatt «nach einem alten Verzeichnis auch zu Steffisburg auf der von Kien Hofstatt (befand). Diese Hofstatt
ist vor dem Höchhaus zu suchen, indem die von Kien dort ihren Wohnsitz
hatten. Hier wurde also über schwere Verbrechen gerichtet.»10
Die Lokalisierung dieser Hofstatt im Gebiet Höchhus – mit Hofstatt wird
die Hausstelle, im weiteren Sinne auch ein Platz bezeichnet, auf welchem
ein Landhof nebst Garten steht, gestand hat oder von Rechts wegen stehen darf11 – ist falsch, wie im Folgenden zu zeigen sein wird.
Zweifellos spielten die Freiherren von Kien im Hochmittelalter in der Region eine bedeutende Rolle. Um 1200 besassen sie u.a. Güter im Berner
Oberland, vor allem im Frutigtal. Ein Zweig der von Kien erbte in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts die Herrschaft Worb, ein anderer hatte
im 14. Jahrhundert in Thun wichtige Positionen inne. Der Niedergang des
Freiherrengeschlechts gegen Ende des 14. Jahrhunderts dürfte in Zusammenhang mit der zunehmenden Verschuldung stehen.12 Die Freiherren
von Kien verfügten auch in Steffisburg über einen ausgedehnten Grund­
besitz, der ihre Bedeutung für das Dorf umrisshaft erkennen lässt.
Bereits vor Schiffmann hatten sich drei andere Historiker mit der Frage nach
dem Standort der Steffisburger Dingstatt befasst: Der Thuner C.F.L. Lohner
ging 1849 davon aus, dass der Landstuhl «in der Mitte des Dorfes Steffisburg» gestanden habe. Allerdings begründet er seine Annahme nicht.13
Albert Jahn merkte 1850 in seiner Beschreibung von Steffisburg lediglich
an: «Übrigens befand sich zu Steffisburg ein Mallus ‚uff der von Kien Hoffstatt’».14 Karl Ludwig Stettler schliesslich gab in seiner Topographie der
Schiffmann, S. 22.
10
Idiotikon, 11/1729.
11
Hälg-Steffen, Kien.
12
Lohner, Chronik, Bd. 1, S. 136.
13
Jahn, S. 409.
14
40
Vermutung Ausdruck, dass «diese Gerichtsstätte wohl in dem auf dem
rechten Ufer der Zull gelegenen [...] Theil des Dorfes» liege und dass «hier
[...] auch wohl der sogenannte Landstuhl (stand)».15 Wie Lohner blieb auch
Stettler eine Begründung schuldig.
Beim «alten Verzeichnis», das Schiffmann erwähnt, handelt es sich mit
grösster Wahrscheinlichkeit um den undatierten Eintrag aus dem 15.
Jahrhundert im Berner Stadtbuch, wo zu lesen ist: «Dis sint die dingstet
der lantgerichten, als si von alter har sint komen vnd als erberen lút vff
dem lant darumb lutrung geben hant: [...] «ze Stefensburg im dorf vff der
von Kien hofstat».16 Der Zusatz im dorf, der bei Schiffmann fehlt, lässt aufhorchen: Wie nämlich die Ortsnamenforschung zeigt, wird das Gebiet, wo
sich das Höchhus befindet, zu keiner Zeit mit Dorf bezeichnet. Dorf meint
in den Quellen immer das Gebiet zwischen Kirche und Dorfbrücke, also
das heutige Oberdorf rechts der Zulg und damit das eigentliche mittelalterliche Siedlungszentrum auf dem Schüttungskegel des Dorfbachs, niemals aber das heutige Gebiet Höchhus, welches sich in leicht peripherer
Lage einige Hundert Meter in südöstlicher Richtung auf der gegenüberliegenden Seite der Zulg befindet. Die im Jahr 1308 bezeugte Mühle in unmittelbarer Nähe zum Höchhus liegt am Zulla. Östlich schliessen sich das
Mättenfeld (1317), die Zelg (1483) und etwas weiter südöstlich und über
dem Talboden der Zulg die Erlen (1260) an. Die Bezeichnung Dorf suchen
wir hier vergeblich.
Zwar besassen die Freiherren von Kien im genannten Gebiet verschiedene
Güter – unter anderem gehörten ihnen ein Teil der Oberen Mühle und die
Säge17 – gleichzeitig verfügten sie aber auch über einen umfangreichen
Besitz im heutigen Oberdorf, wie sich aus verschiedenen Güterverzeichnissen schliessen lässt.18
Ob sich das Höchhus bzw. seine Vorgängerbauten jemals im Besitz der
Freiherren von Kien befanden, lässt sich anhand der Schriftquellen nicht
belegen. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass die Häuser zur
Erbmasse gehörten, welche von Mechtild von Kien über Petermann von
Stettler, S. 69f.. Der Beitrag zu Steffisburg stammt vermutlich aus dem Jahr 1857.
15
Schiffmann macht keine Quellenangaben. Im vorliegenden Fall kann aufgrund des Wortlauts auf
die benutzte Quelle geschlossen werden: SSRQ BE I/1 und 2, Stadtrechte, S. 445.
Lohner liefert bereits für das Jahr 1409 einen Nachweis für die «Dingstatt der Landtage im
oberen Theil der Landgrafschaft Burgund oder des Landgerichts Konolfingen auf der Hofstatt
der Herren von Kiehn» in Steffisburg. Lohner, Bd. 1, S. 432; ohne Quellenangabe.
16
Frank, Gewerbefleiss, Bd. 2, S. 130 und S. 215.
17
StAB C II a Thun 19 (Thun Urbar Nr. 19).
18
41
Krauchthal und Johannes von Muleren an Vinzenz Matter kam.19 Zusammen mit der Oberen Mühle und der Säge im Unterdorf könnten sie das
Zentrum einer Grundherrschaft gebildet haben.
Dass sich der von Kien hofstat im Oberdorf befand, entnehmen wir einer
Urkunde von 1398, in der die Grenzen eines Gartens in Steffisburg mit
­«einendhalb an der scheitgasse, anderhalb an der von Kien hofstat» angegeben sind.20 Dank der Nennung der Scheidgasse lässt sich diese Hofstatt
zweifelsfrei im Gebiet Oberdorf lokalisieren.
Über den genauen Standort der Dingstatt gibt schliesslich eine Urkunde aus dem Jahr 1581 Aufschluss, in der Schultheiss und Rat der Stadt
Bern den Steffisburgern die Verlegung der Freistätte für Totschläger gestatten: «Demnach unnsere lieben getrüwen der kilchhöri und gmeind z˚
u
Stävisburg vonn ir besseren gelägenheit und gemeinen nutzes wegenn uff
dem platz, da hievor der landtst˚
ul gstanden und der thodschlegerenn fryheit gewäsen, ein grichthus gebuwen und den landtst˚
ul an ein ander ort
verruckt, und unns hieruf durch ire erbaren gsandten pittlich ans˚
uchen
lassenn, inen zevergünstigen, das sy nun die vorberue rte fryheit in dem vorgemeltenn nüw erbuwnen hus gehaben mögind. [...].»21
Aus der Textstelle geht klar hervor, dass sich der Landstuhl und damit auch die Dingstatt an dem Ort befunden hatten, wo in der Mitte des­­
16. Jahrhundert das grichthus, d.h. das Landhaus bzw. dessen Vorgängerbau gebaut wurde, also an der Ecke Oberdorfstrasse/Schulgässli, direkt
gegenüber dem Dorfplatz, der 1588 erstmals urkundlich erwähnt wird (uf
dem platz).
Über den Ort, wo nach dem Bau des Landhauses der Landtag zusammentrat, finden sich in den Quellen keine Hinweise. Allerdings liegt die
Vermutung nahe, dass die Versammlungen auf dem Dorfplatz stattfanden.
Die Auswertung der Quellen zeigt, dass die Steffisburger Dingstatt von
Schiffmann irrtümlich mit dem Höchhus in Verbindung gebracht wurde
und dass dieses somit – man ist versucht zu sagen: leider – nicht in Anspruch nehmen kann, jemals Ort der Dingstatt bzw. Sitz des Landgerichts
gewesen zu sein.
Schiffmann, S. 100f.
19
Huber, S. 112.
20
SSRQ BE II/11, S. 584, Nr. 294.
21
42
Lage der Steffisburger Dingstatt.
Das Landhaus wurde 1543 an dem Ort gebaut, wo bis dahin der Landstuhl gestanden hatte.
Kartenausschnitt aus dem Topographischen Atlas der Schweiz, Blatt 353 Thun, 1876.
DER BAU DES LANDHAUSES
Bis in die frühe Neuzeit fanden die Landtage in Steffisburg nach altem
Herkommen unter freiem Himmel statt. Weil die Gerichtsorganisation –
nicht zuletzt wegen der demografischen Entwicklung – nicht mehr genügte, beschlossen Schultheiss und Rat von Bern im Jahr 1471, das Freigericht aufzuteilen und neu die beiden Gerichte Steffisburg und Sigriswil
zu schaffen. Gleichzeitig hob man die Gerichtsstätte an der Lauenen in
Thun auf. 1473 wurde die neue Gerichtsorganisation definitiv eingeführt
und deren Verfassung den Orten Sigriswil und Steffisburg auf ihr Ansuchen hin bestätigt, «damit si des sicher sin, ir geschefft darnäch handlen
und ettlich sachen darz˚
u notdurftig, namlichen húser darzue buwen, tafernen bestellen und anders, des stattlicher fúrnemen mogen.»22 Sigriswil
und Steffisburg erhielten also u.a. das Recht, ein Gerichtshaus zu bauen
und künftig wenigstens einen Teil der Rechtsgeschäfte unter dessen Dach,
vor Wind und Wetter geschützt, abzuwickeln.
Die Verlegung der Gerichtsverhandlung von den Landgerichtsplätzen in
Gerichtshäuser spiegelt die Entwicklung der Rechtsprechung in der frühen Neuzeit: Die Urteilsfindung erfolgte nicht mehr länger ausschliesslich
SSRQ BE II/11, S. 515f., Nr. 250b.
22
43
im Beisein des versammelten Landtags, sondern wurde einer gewählten
Gerichtsbehörde übertragen, nicht zuletzt auch deshalb, weil die zu behandelnden Rechtsgeschäfte im Laufe der Zeit immer mehr zunahmen. In
der Zeit des Ancien Régimes tagte das Gericht, dem zwölf Gerichtssässen
und der Gerichtsweibel angehörten, regelmässig im Landhaus unter dem
Vorsitz des Statthalters, welcher den Schultheissen vertrat.23
Nicht nur in Steffisburg, sondern auch andernorts war man bestrebt, das
Gericht nicht weiter im Freien abzuhalten. Schultheiss und Rat in Bern
gestanden z.B. um 1521 den Lenzburgern zu, «so dise z˚
u zittenn wätters
unnd annder unkumlichkeit halb under dem Sarboum nach alter gewanheit das Rächt nit mogent usfürenn aldann solchs dasselbs In der Statt
Länzburg bruchen unnd z˚
u uerttigenn (fertigen; d.V.)», ohne dass der Stadt
daraus ein Nachteil erwachsen solle.24
Vom Bau des Gerichtshauses in Steffisburg vernehmen wir erst in den
Jahren 1543/44, also siebzig Jahr nach Erteilung der Baubewilligung. Warum bis zum Bau so viel Zeit verstrich, darüber geben die Quellen keine
Hinweise. Einem Eintrag im Berner Ratsmanual ist zu entnehmen, dass
die Obrigkeit «Denen von Stävisburg ein venster und 100 Pfund an iren
buw des Grychtshus» bewilligte.25 1544 schenkte die Stadt Thun «in das
neu erbauene Wirthshaus zu Steffisburg ein Fenster mit dem Wappen.»26
In diesem Gebäude, das 1549 in einer Urkunde erstmals als «wihrts- oder
landhaus» erscheint,27 tagte künftig unter der Leitung des Statthalters das
Gericht. Gleichzeitig diente es als Gastwirtschaft. Daneben befanden sich
im Erdgeschoss Stallungen zum Einstellen der Pferde und der Pfandstall,
in den Tiere verbracht wurden, die unberechtigterweise auf der Allmend
weideten. Mitte des 17. Jahrhunderts befand sich auch die «Kefi» (das
­Gefängnis) im Landhaus.28
Die Gründe, die dazu führten, dass das Landgericht schon im Jahr 1549
das Landhaus an den Steffisburger Batt Surer verkaufte, kennen wir nicht.
Im Kaufvertrag sicherte Surer den Verkäufern zu, dass das «obgemelt verkaufft hauß und hofstatt einer gantzen gemeind des freyen gerichts Stef SSRQ BE II/11, S. 1092 (Regionenbuch 1783/84).
23
StAB A I 329, S. 307.
24
StAB A II 155, Band 285: 21.5.–22.9.1543, S. 311. Vgl. auch: Haller, Band 3, S. 172.
25
Thuner Seckelamtsrechnung. In: Lohner, Band 1, S. 793.
26
SSRQ BE II/11, S. 570, Nr. 284.
27
KGAS 3, 2.8.1663.
28
44
fisburg, es sig zu landtagen, gmeinden, z˚
u gricht und recht, sprüchen, tädingen und allen anderen geschäfften, so ein g’meind antrifft, frey, offenn
hauß seyn soll, z˚
u welchen zeiten mann des bedarff und notwendig seyn
wird.» Weiter räumte Surer der Gemeinde das Recht ein, falls er «einer
gmeind thäte, das unzimlich wäre», [...] «einen anderen wirt nebenst mir
z˚
u setzen». Zudem sollten im Freigericht Sesshafte das Recht haben, ihre
Pferde im Stall einzustellen, sofern dieser nicht mit «gastroß» belegt war.
Die Gemeinde behielt sich das Vorkaufsrecht vor.29 Von diesem machte sie
denn auch schon 1564 Gebrauch, kaufte das Landhaus zurück und gab es
in Pacht.30
Das Landhaus Steffisburg, vor 1913.
Das 1543 erbaute Landhaus wurde im Laufe der Zeit mehrmals umgebaut: Das geknickte Walmdach stammt aus dem ausgehenden 17., die Fassade datieren aus dem frühen 19. Jahrhundert. Der
Saal (links) wurde 1876 angebaut.31
Postkartensammlung Einwohnergemeinde Steffisburg.
Die Bestätigung des Wirts und eines Nebenwirts im grichtshuß Steffisburg fiel in die Kompetenz des Thuner Schultheissen. Dieser hatte auch
über die Einhaltung der obrigkeitlichen Ordnung zu wachen.32 Ende des
17. Jahrhunderts war «das landthauß, alda gricht gehalten wird», in Stef SSRQ BE II/11, S. 570, Nr. 284.
29
Kasser, S. 173.
30
Bauinventar, S. 155.
31
SSRQ BE II/11, S. 570/34, Nr. 284.
32
45
fisburg das einzige Wirtshaus.33 Daneben gab es im heutigen Gemeindegebiet noch sechs Pintenschenken, wo aber nur Wein aus dem Dorf sowie
Brot und Käse den Gästen serviert werden durften.34
Erst 1872, als die Landschaftsbehörde ihre Tätigkeit einstellte, verlor das
Landhaus endgültig seine Funktion im Dienste der Verwaltung und Rechtsprechung.35
DIE FREISTÄTTE, WOLFSTUBE GENANNT
Jeder Gerichtsbezirk verfügte über eine so genannte Freistätte (auch:
Freistatt, Freiheit, Friung, Frihof u.ä.36), einen geschützten Raum, wo Totschläger, die nicht die Flucht ergriffen, vorübergehend Asyl fanden. Die
Freistätten befanden sich an ganz unterschiedlichen Orten, z.B. in Kirchen, Burgen oder den Häusern der Gerichtssässen. In der Stadt Thun
z.B. war die Freistätte im Freienhof an der Aare.
Zweck der Freistätte war, den Täter vor der Blutrache zu schützen, damit
er sich entweder mit der Familie des Opfers vergleichen oder sich einem
öffentlichen Gerichtsverfahren stellen konnte. Letzteres machte für den
Täter nur Sinn, wenn er annehmen durfte, freigesprochen zu werden.37
In Steffisburg wurde 1543 das Landhaus «uff dem platz, da hievor [...] der
thodschlegerenn fryheit gewäsen», gebaut.38 Wegen des Neubaus wurde
die Freistätte aber offenbar verlegt. Wir wissen allerdings nicht, wo sie
sich zwischen 1543 und 1581 befand. 1581 erhielten die «lieben getrüwen
der kilchhöri und gmeind z˚
u Stävisburg» auf ihr Ansuchen von Schultheiss
und Rat in Bern das Recht, die Freistätte ins Gerichtshaus zu verlegen. Im
Rahmen der Bewilligung wurde sehr genau festgelegt, welcher Teil des
Hauses zur Freistätte diente: «Das wir [...] hiemit vorberue rte fryheit inn die
stuben vorgemelts grichtshuß, die Wollffstubenn genampt, und inn dz gadenn oder gemach, so darob gelägen, welche ein viertheil diß huß und uff
der stägen sind, trannsferiert und dieselbenn beyde obvermeltenn gmach
zur fryheit erwölt, geordnet und bestimpt [...].»39
SSRQ BE II/11, S. 607.
33
Schiffmann, S. 133 und S. 165.
35
Schiffmann, S. 40.
36
Idiotikon, 1/1265.
37
Rennefahrt, Band 3, S. 42, Anm. 4; Band 3, S. 88f.
38
SSRQ BE II/11, S. 584, Nr. 294.
39
SSRQ BE II/11, S. 584, Nr. 294.
34
46
Dass die Freistätte Wolfstube genannt wurde (sie taucht auch im ausgehenden 17. Jahrhundert noch unter diesem Namen im Chorgerichtsmanual auf40), mag rätselhaft erscheinen. Die Forschung hat es bisher denn
auch vermieden, den Namen zu deuten.
Sowohl der Personen- als auch der Familienname Wolf ist in der Region
bereits in der frühen Neuzeit verbreitet und mehrfach bezeugt.41 Denkbar
wäre somit die Benennung z.B. nach dem Besitzer oder Bewohner der
Liegenschaft, nach einem Gerichtsherrn, Statthalter oder Gerichtssässen.
Allerdings lässt sich zwischen dem Namen und der Freistätte kein Bezug
herstellen.
Ein Zusammenhang mit Wolf (canis lupus) ist kaum wahrscheinlich. Zwar
war der Wolf auch in unserer Gegend heimisch und wurde gejagt. Davon
zeugt u.a. der Flurname Wolfgrube (1357: under der Wolfgruben), der auf
eine (Fall-)Grube zurückzuführen ist, in der Wölfe gefangen wurden. Ein
Bezug zur Freistätte lässt sich aber auch hier nicht erkennen.
Viel wahrscheinlicher ist eine Deutung im Zusammenhang
mit dem Heiligen Wolfgang42: Wolfgang von Regensburg
(924–994), der aus dem süddeutschen Raum stammte, hielt
sich u.a. auch im Gebiet der heutigen Schweiz auf, wo er im
Benediktinerkloster Einsiedeln sein Gelübde ablegte. Im
Jahr 972 wurde er von Kaiser Otto II. zum Bischof von Regensburg ernannt, wo er während 22 Jahren wirkte. Wolfgang, der im Jahr 1052 von Papst Leo IX. heilig gesprochen
wurde, gehörte zu den volkstümlichen Heiligen und wurde
nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz verehrt, in unserer Gegend zum Beispiel im Kirchlein Würzbrunnen ob Röthenbach, wohin in vorreformatorischer Zeit
aus der Region Thun/Steffisburg regelmässig Wallfahrten
stattfanden.43 In Thun war die Kapelle zu St. Wolfgang beim
elenden Kreuz dem Heiligen geweiht. Diese Kapelle, die sich
vor der Stadt «an der Allmend» befand, wurde nach der Reformation 1531 abgebrochen.44
Der heilige Wolfgang mit
seinen Attributen:
Bischofsstab, Beil und
Kirchenmodell. Marke
der Deutschen Post, 1994
herausgegeben zum 1000.
Todestag des Heiligen.
Wikipedia.
KGAS 5, S. 25, 1678.
40
Huber, S. 697 und SSRQ BE II/11, S. 1152.
41
Zum Leben und Wirken des heiligen Wolfgang: vgl. Schauber/Schindler, S. 559f.
42
Lohner, Kirchen: S. 126. Guggisberg, S. 18 und S. 31. Heim, S. 3.
43
Lohner, Chronik, Bd. 1, S. 481 und S. 757.
44
47
Kirche Würzbrunnen.
Foto: Verkehrsverein Röthenbach.
Der heilige Wolfgang wurde z.B. bei Lähmungen, Augenkrankheiten,
Fuss­leiden, Ruhr, Hautentzündungen (Wolf), Missgeburten und bei Viehkrankheiten angerufen. Zudem ist er der Schutzheilige u.a. der Hirten,
Schiffer, Holzfäller und der unschuldig Gefangenen – womit der direkte
Bezug zur Freistätte gegeben ist: Wer in der Wolfgangsstube (kurz: Wolfstube) Zuflucht suchte, war in gewissem Sinne ein Gefangener, hielt sich
aber für unschuldig und begab sich mit dem Aufsuchen der Freistätte in
den Schutz des heiligen Wolfgang. Der Name Wolfstube erweist sich linguistisch somit als Klammerform, welche die zweite Silbe des Personennamens aus sprachökonomischen Gründen ausfallen lässt.
Dass über sechzig Jahre nach der bernischen Reformation (1528) die Freistätte noch immer den Namen eines Heiligen trug, ist durchaus denkbar:
Der alte Glaube liess sich nicht einfach per Mandat von einem Tag auf den
anderen beseitigen, besonders nicht im Berner Oberland, wo die Reformation auf starken Widerstand gestossen war und alte Gewohnheiten und Zustände z.T. noch weiter bestehen blieben.45 So wurden z.B. im bernischen
Staatsgebiet nach der Reformation anfänglich noch 26 Feiertage beibehalten und im Brauchtum lebten verschiedene Heiligentage noch lange
weiter, nicht zuletzt wegen ihrer Rolle bei der Wettervorhersage und als
Zinstermine.46 So dürfte denn auch der heilige Wolfgang in unserer Region
noch längere Zeit im Volksglauben eine Rolle gespielt haben. Während der
Heilige in Laufe der Zeit zunehmend an Bedeutung verlor und in Vergessenheit geriet, überdauerte sein Name in der Benennung der Freistätte.
Schiffmann, S. 197.
45
Guggisberg, S. 125f.
46
48
Quellen- und Literaturverzeichnis
Literatur
Bayer, Erich: Wörterbuch zur Geschichte. Stuttgart 31974.
Brandstetter, Josef Leopold: Beiträge zur schweizerischen Ortsnamenkunde. Dingstätten des
Mittelalters. In: Der Geschichtsfreund: Mitteilungen des Historischen Vereins der Zentralschweiz,
Band 51. 1896, S. 293–303.
[Dubler, Burgund] Dubler, Anne-Marie: Burgund. In: Historisches Lexikon der Schweiz. Version vom
29.12.2013. www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D8572.php.
[Dubler, Region Thun] Dubler, Anne-Marie: Die Region Thun-Oberhofen auf ihrem Weg in den
bernischen Staat 1384-1803. In: Dubler, Staatswerdung, S. 158–217.
[Dubler, Staatswerdung] Dubler, Anne-Marie: Staatswerdung und Verwaltung nach dem Muster
von Bern. Wie der Staat vom Mittelalter an entstand und sein Territorium verwaltete – und wie die
Bevölkerung damit lebte. Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern, Band 90. Baden 2013.
[Frank, Gewerbefleiss] Frank, Georg: Dank dem Gewerbefleiss früherer Jahrhunderte. Die Wasserkraftnutzung in der bernischen Gemeinde Steffisburg vom ausgehenden 13. Jahrhundert bis zur
Gegenwart. Dissertation Universität Bern. Thun 2000.
[Frank, Ortsnamen] Frank, Georg: Die Orts-, Flur- und Gewässernamen der Gemeinde Steffisburg.
In Vorbereitung.
Guggisberg, Kurt: Bernische Kirchengeschichte. Bern 1958.
Hälg-Steffen, Franziska: Kien, von. In: HLS; Version vom 29.12.2013. www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/
D19736.php.
Heim, Thomas: Die Strättliger Chronik. Einblicke in das bernische Wallfahrtswesen. In: Berner
Zeitschrift für Geschichte, 71. Jahrgang 2009, Heft 3. Bern 2009, S. 1–56.
Historisches Lexikon der Schweiz. Elektronische Datenbank e-HLS. www.hls-dhs-dss.ch/index.php?lg=d.
Idiotikon: vgl. Schweizerisches Idiotikon.
Jahn, Albert: Der Kanton Bern, deutschen Theils, antiquarisch-topographisch beschrieben, mit Aufzählung der helvetischen und römischen Alterthümer und mit Bezugnahme auf das älteste Ritterund Kirchenwesen, auf die urkundlichen Ortsnamen und Volkssagen. Ein Handbuch für Freunde der
vaterländischen Vorzeit. Bern/Zürich 1850.
Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin/New York 211975.
Lohner, Kirchen: Lohner, Carl Friedrich Ludwig: Die reformirten Kirchen und ihre Vorsteher im
eidgenössischen Freistaate Bern, nebst den vormaligen Klöstern, dargestellt durch Carl Friedrich
Ludwig Lohner, alt-Landamman in Thun. Thun o.J. (1864–1867).
Rennefahrt, Hermann: Grundzüge der bernischen Rechtsgeschichte, I.-IV. Teil. Bern 1928–1936.
Schauber, Vera; Schindler, Hanns Michael: Heilige und Namenspatrone im Jahreslauf. Augsburg 1992.
Schiffmann, Christian: Dorf und Landschaft Steffisburg im Laufe der Jahrhunderte. Bern 1916;
Nachdruck: Steffisburg 1983.
Schild, Wolfgang, Alte Gerichtsbarkeit. Vom Gottesurteil bis zum Beginn der modernen Rechts­
prechung. München 1980.
Schweizerisches Idiotikon. Schweizerdeutsches Wörterbuch. Das Schweizerische Idiotikon digital
(Bd. I–XVI, Grundwörter A – X). www.idiotikon.ch/index.php?option=com_wrapper&view=wrapper&Itemid=195.
Welti, Friedrich Emil: Zwei Landtage zu Ins im XVI. Jahrhundert. In: Neues Berner Taschenbuch,
Band 18. Bern 1912, S. 223–244.
49
Gedruckte Quellen
Bauinventar der Gemeinde Steffisburg, Amtsbezirk Thun. Aufnahme des erhaltenswerten
Baubestandes. Denkmalpflege des Kantons Bern (Hg.). Bern 1995.
Haller, Berchtold: Bern in seinen Rathsmanualen 1465–1565. 3 Bände. Bern 1900, 1901 und 1902.
Huber, Carl (Hg.): Die Urkunden der historischen Abteilung des Stadtarchivs Thun. Thun 1931.
[SSRQ] Schweizerische Rechtsquellen:
– SSRQ BE I/1 und 2. Die Rechtsquellen des Kantons Bern. Erster Teil, Stadtrechte, Band 1 und
2. Das Stadtrecht von Bern I und II, Handfeste, Satzungsbücher, Stadtbuch, Stadtsatzung 1539,
­bearbeitet und herausgegeben von Friedrich Emil Welti, in zweiter Auflage bearbeitet von
­Hermann Rennefahrt unter Mitarbeit von Hermann Specker. Aarau 1971.
– SSRQ BE I/7: Die Rechtsquellen des Kantons Bern. Erster Teil, Stadtrechte, Band 7. Das Stadtrecht von Bern VII: Zivil-, Straf- und Prozessrecht von Hermann Rennefahrt. 1. Hälfte, 1963 (SSRQ
BE I/7.1). 2. Hälfte, 1964 (SSRQ BE I/7.2).
– SSRQ BE II/11. Die Rechtsquellen des Kantons Bern. Zweiter Teil, Rechte der Landschaft, Band
11. Das Recht der Stadt Thun und der Ämter Thun und Oberhofen, bearbeitet von Anne-Marie
Dubler. 2 Halbbände. Basel 2004.
Ungedruckte Quellen
Staatsarchiv des Kantons Bern StAB
StAB A I 329, Band Z. Deutsche Spruchbücher des oberen Gewölbes 1411–1615. Band Z: 1520–1523.
StAB A II 155, Band 285. Ratsmanuale 1465–1600. Band 285: 21.5.1543–22.9.1543.
StAB C II a Thun 19. Urbar über Bodenzinse des Interlakenhauses zu Thun, ca. 1530.
StAB C II a Thun 20. Urbar über Bodenzinse des Interlakenhauses zu Thun, 1604.
Burgerbibliothek Bern BBB
[Stettler] BBB Mss.h.h.XIV 60 und 61: Historische Topographie des Kantons Bern, abgefasst von
K. L. Stettler, 2 Bände, 1839 (Vorrede zum ersten Band). Artikel «Steffisburg» in Band 2, S. 69–71.
Die Datierung einer Miniatur, welche das Höchhus zeigt, legt nahe, dass der Beitrag zu Steffisburg
aus dem Jahr 1857 stammt.
Burgerarchiv Thun BAT
Lohner, Carl Friedrich Ludwig: Chronik der Stadt Thun aus den Quellen gesammelt und zu­
sammengestellt. 2 Bände. Msc. Band I–1550, Band II 1551–1863. SBT VII 8700a1 + a2. Depositum
Stadtbibliothek Thun.
Burgerarchiv Steffisburg BAS
BAS 1 Urbar über Einer Ehrenden Dorffs-Gmeind Steffisburg Brieffschafften und Gewahrsammen,
aufgericht Ao 1727.
Kirchgemeindearchiv Steffisburg KGAS
KGAS 1–16, Chorgerichtsmanuale. 16 Bände. 1605–1852.
Zentralbibliothek Luzern
Diebold-Schilling-Chronik 1513. Depositum Korporation Luzern.
50
Erfolgreiche Kriminalistik in Thun … einst
Jon Keller
MARGINALIE ZU EINEM KRIMINALFALL VON 1851
Die Kriminalistik bedient sich heute verschiedenster Hilfsmittel, um Verbrechen aufzuklären. Einige sind seit Jahrzehnten bekannt, so etwa seit
1901 das Fingerabdruckverfahren, das heisst, die Auswertung der Merkmale der Fingerabdrücke, des Hautleistenreliefs, welche das Eruieren von
Tätern ermöglicht. Seit geraumer Zeit ist die DNA-Analyse unverzichtbares Hilfsmittel der Kriminalistik. Da die Desoxyribonukleinsäure Träger
der genetischen Information und Hauptbestandteil der Chromosomen ist,
kann durch die DNA-Analyse ein Haar oder ein Speicheltropfen beispielsweise zur sensationellen Entlarvung von Tätern führen. Von derartigen
Methoden konnten im 19. Jahrhundert Kriminalisten nur träumen. Aber:
auch im 19. Jahrhundert konnten Erfolge verbucht werden, welche kriminalistischer Scharfsinn möglich machte. Dies zeigt der Fall eines Diebstahls mit Totschlag, der sich 1851 in Thun ereignet hatte.
In der Nacht vom 20. auf den 21. Juli
1851 brach ein Dieb in das Verkaufsgeschäft des Käsehändlers Gerber
an der Thuner Bernstrasse ein, wobei
Gerber, der den Dieb hörte und dingfest machen wollte, im Handgemenge
vom Schelm niedergestochen und getötet wurde. Da der Übeltäter fliehen
konnte, blieb das Verbrechen vorderhand unaufgeklärt und der Mörder
Staatsarchiv Bern Bez Thun B 1713.
konnte nicht verhaftet werden. Im Oktober desselben Jahres indessen wurde in Weggis ein gewisser J. C. Ammann mit einem Kumpanen verhaftet.
Er war 23 Jahre alt, stammte aus Württemberg und war gelernter Schriftgiesser. Bei seiner Festnahme konnten Ammann diverse Diebstähle in den
Kantonen Bern und Zürich nachgewiesen werden. Einen Zusammenhang
mit dem Einbruch bei Käsehändler Gerber in Thun jedoch stritt er vehement ab, ja er behauptete, überhaupt noch nie in Thun gewesen zu sein.
Ammann trug jedoch bei seiner Verhaftung in einer Brieftasche beschriebene Papierblätter mit sich, die in einer nicht verständlichen Geheimsprache beschriftet waren. Die Blätter wurden einem Spezialisten aus Zürich
namens Prof. Frei übergeben, dem es gelang, die Geheimschrift zu entzif51
fern. Und siehe da: die Blätter stellten tagebuchartige Notizen dar. Darin
wurde unter anderem der Diebstahl mit Todesfolge bei Käsehändler Gerber am 20. Juli 1851 vermerkt. Wörtlich stand zu lesen: «Christian Gerber,
Käshändler, Fr.100 auf meine Entdeckung ausgesetzt». Auch das Messer,
mit welchem Gerber durch Ammann tödlich verletzt wurde, konnte gefunden werden, und ein Messerschmied befand, dass die Wunde im Schädel
Gerbers vom Messer Ammanns herrühren würde. Dank dieser eindeutigen Beweislage gestand Ammann seine Tat. Ende Juni 1852 wurde er
dann vor die Assisen in Thun geführt und von den Geschworenen wegen
Totschlages verurteilt. Das Urteil lautete auf 20 Jahre Kettenstrafe, entgegen dem Antrag des Bezirksprokurators, der die Todesstrafe gefordert
hatte. Klärung eines Verbrechens dank damaliger scharfsinniger Kriminalistik … Chapeau!
Quellenhinweise
Staatsarchiv Bern, Thun, Richteramt, Ausgewählte Prozeduren, 1850 – 1860, StAB Bez Thun B 1713.
Staatsarchiv Bern, Thun, Richteramt, Allerlei Register von Verurteilten etc., ca. 1830–1870,
StAB Bez Thun B 1749.
Thuner-Blatt 3. Juli 1852.
Adresse des Verfassers: Dr. Jon Keller, weiland Stadtarchivar, Schönmattweg 20, 3600 Thun,
kellerjon@bluewin.ch.
52
Auf den Spuren von Arnold Itten in Thun
Guntram Knauer
Arnold Jakob Itten wurde am 27. Januar 1900 in Thun geboren. Er «studiert von 1918–1923 bei Karl Moser an der ETH Zürich Architektur, 1924
eröffnet er mit Otto von Bähler, der sich aber bald wieder zurückzieht, in
Thun ein Architekturbüro. 1924/25 beschäftigt er den holländischen Architekten Mart Stam47. Wieweit Itten von diesem radikalen Vertreter der
Moderne beeinflusst wird, ist nicht geklärt.»48 Nach seinem frühen Tod
am 11. November 1953 übernimmt sein Sohn Jakob Itten (1930–1988) das
Büro und führt es bis zum Zusammenschluss mit Otto Brechbühl 1957
zum Architekturbüro «Itten und Brechbühl» selbständig weiter.» Seine
Enkelin Corinne Itten gründete zusammen mit Daniel Messerli 1992 ein
Architekturbüro in Bern (heute GIM Gauer Itten Messerli Architekten).
Abbildung 1 (von links nach rechts): Tochter Maja, Annie Smits (2. Ehefrau) mit Tochter Franziska,
Arnold Itten, Sohn Jakob (Köbi).
In seinem Lebenslauf49 hält er fest, dass er an 20 Wettbewerben 17 Mal mit
einem Preis ausgezeichnet wurde. Stolz schreibt er: «Mein bisher grösstes
Werk war der Bau der Kantonal-Bernischen Ausstellung Thun 1949, den
ich restlos selbständig projektierte und leitete.»
Mart Stam, Eine Reise in die Schweiz. Die Zeit bei Arnold Itten.1923–1925,
hsg von Werner Oechslin, gta Zürich.
47
Ursula Maurer: Lebenslauf und Werkauswahl, Beitrag für das Architektenlexikon der Schweiz
19./20. Jahrhundert, Hg Isabella Rucki / Dorothée Huber, Basel 1998.
48
Lebenslauf, Beilage zu einer Bewerbung um Aufträge bei der Stadt Thun, dat. 27. Februar 1950.
49
53
Abbildung 2: Das 1930 entstandene Eigenheim «Am Rank» in Hünibach.
«Itten gehört zu den frühen und wichtigen Pionieren der Moderne in der
Schweiz. Die meisten seiner Bauten errichtet er im Raum Thun/Berner
Oberland. Mit dem Doppelhotel Alpina/Edelweiss in Mürren macht er
schon 1927 weit über die Schweizergrenzen hinaus auf sich aufmerksam:
Wie Bauklötze komponiert er die Hoteltrakte nebeneinander; lang gezogene, stützenfreie Balkone gliedern den Bau horizontal, das Flachdach
dient als Sonnenterrasse. Die Konstruktionsweise – ein Eisenbetonskelett hinter verputztem Mauerwerk – ist für den damaligen Hotelbau in der
Schweiz ein Novum. Zum modernen Konzept gehören die Typisierung und
Standardisierung von Innenraumstruktur und Einrichtung. Die schlichten,
serienmässig produzierten Holzmöbel sind ebenfalls ein Entwurf Ittens.
1927/28 zeichnet Itten die ersten Pläne für das später von Emil Fahrenkamp, Düsseldorf, in modifizierter Form realisierte Hotel Monte Verità in
Ascona.»50
Thun, EIDGENÖSSISCHE STADT
Gibt man im elektronischen Telephonbuch von Thun «eidgenössisch» ein,
bekommt man eine Reihe von Treffern. Sie erinnern daran, dass Thun
nicht einfach ein regionales Zentrum im Übergang zwischen Mittelland
und Berner Oberland ist, sondern eine eidgenössische Stadt. Aus der
ganzen Schweiz kamen die Kader und Angestellten des Waffenplatzes und
Ursula Maurer: Lebenslauf und Werkauswahl, Beitrag für das Architektenlexikon der Schweiz
19./20. Jahrhundert, Hg Isabella Rucki / Dorothée Huber, Basel 1998.
50
54
der Eidgenössischen Betriebe. So kennt Thun eine «paroisse francaise»,
Katholische Ost- und Innerschweizer führten die Fas(t)nacht wieder ein.
Pensionierte Instruktoren aus allen Landesteilen engagieren sich ehrenamtlich in verschiedenen Organisationen.
Abbildung 3: Dufourkaserne Hofseite, 2012.
Waffenplatz und Eidgenössische Betriebe gehören zu den Arealen, die
Thun prägen. Sie sind neben der Altstadt und Seevorstadt (Seefeld) der
einzige Teil, der systematisch angelegt wurde, geometrisch, mit der Allmendstrasse als Ausfallstrasse und ordnender Achse. Im Gegensatz zum
Selve-Areal, das nach der industriellen Nutzung brach liegt und heute
neu bebaut ist, wird auf der Kleinen Allmend die Koexistenz vorgelebt.
Die Bauten weisen zwei Hausnummern auf, eine weisse militärische und
eine blaue zivile. Die «verbotene» Stadt öffnet sich für zivile Unternehmen, die militärische Nutzung bleibt präsent. Während die neuen Bauten
in der Stadt Thun eher der Tradition verpflichtet sind, wird im Militärareal
modern in Eisenbeton gebaut. Der künstliche Stein «Beton» revolutioniert
die Architektur. Beton ist beliebig formbar, kann mit verschiedenen Oberflächen geschalt, sogar eingefärbt werden. Beton wird als langlebig angesehen. Einen besonderen Reiz übt der ausdruckstarke Sichtbeton aus.
Ausgewiesene Architekten wie Peter Lanzrein und Arnold Itten entwerfen
mehrere Militärbauten, die so zu qualitativ hoch stehenden Zeugen moderner Architektur in Thun werden.
Die Dufourkaserne wurde 1938/39 für die Panzertruppen errichtet. Der
im Grundriss U-förmige Komplex setzt sich aus dem fünfgeschossigen
Hauptbau der einbündig organisierten Mannschaftskaserne und zwei
rechtwinklig dazu angeordnete Nebenbauten zusammen, dem zweigeschossigen Bau mit Verwaltung und Offizierskaserne und der eingeschossigen Geschützhalle. Die Fassaden des Hauptbaus sind nach den Vor55
Abbildung 4: Dufourkaserne, Allmendstrasse, 2012.
stellungen der Moderne gestaltet. In einem strengen Raster angeordnete
breite, liegende Fenster bilden die dem Kasernenhof zugewandte Fassade. An der Allmendstrasse ist der Bau durch Treppen und Sanitärtürme
plastisch gegliedert. Ein schwach geneigtes Walmdach schliesst den Bau
ab. Die strassenseitige Eingangspartie ist mit einem 1949 hinzugefügten
Wandgemälde von Jean-Pierre Eichenberger geschmückt. Zwischen 2010
und 2012 sanierten die HMS Architekten Spiez die Kaserne und bauten das
zentrale Verpflegungszentrum für den Waffenplatz ein.
«Ein grosser Wurf gelingt Itten 1941/42 mit der Geschützmontagehalle
/ Versuchswerkstatt».51 Die Hauptfront dieses Sichtbetonbaus ist durch
elegante Pfeiler und grosse Fenster mit Betonsprossen klar gegliedert.
Bahnseitig ist ein niedriger Handwerkertrakt vorgelagert. Das flache Dach
kragt nur wenig aus. Das Innere der Halle ist original erhalten: spezielle
Fensteröffner für die Lüftungsflügel, eigens konstruierte Lampen, grazile
Metallrahmen für die einfach verglasten Fenster.
Abbildung 5: Nordwestfassade 2012.
Ursula Maurer: Lebenslauf und Werkauswahl.
51
56
Abbildung 6: Handskizze Treppenturm.
Abbildung 7: Handwerkertrakt, bahnseitige Fassade, 2012.
Abbildung 8: Inneres der Halle, 2012.
Abbildung 9: Lampe, 2012.
WOHNHÄUSER
«Neben den in moderner Grundhaltung erstellten Bauten gibt es von Itten im Raum Thun eine grosse Anzahl von eher biederen Ein- und Mehr­
familienhäusern in Anlehnung an den Berner Landhaus-, bzw. den späten
Heimatstil.»52 Im städtischen Bauinventar ist das Haus Jungfraustrasse 9 erwähnt, ein im Berner Landhausstil 1926 errichteter wohlpropor­
tionierter kubischer Putzbau unter Walmdach. Sein schlichtes Äusseres
zeigt typische Art-Deco-Motive am Eingangsportikus und an den Fensterverdachungen aus Kunststein. Renovation und Umbau erfolgten durch den
Thuner Architekten Christian Breitenstein.
Ursula Maurer: Lebenslauf und Werkauswahl.
52
57
Abbildung 10: Situationsplan J.V. Widmannstrasse 10.
Abbildung 11: Südfassade, 2012.
Zwischen 1926 und 1930 entstanden am Brahmsweg und Scheffelweg
mehrere Einfamilienhäuser. An der J. V. Widmannstrasse 10 baute Itten
1932 ein Dreifamilienhaus.
Eines der grössten Bauvorhaben Ittens ist eine zwischen 1931 und 1953
erstellte Blockrandbebauung am Eigerplatz (Waisenhausstrasse 2, 4, 6
und 8). Die schlichten, in Eisenbeton und Mauerwerk aufgeführten Miethäuser unter Satteldach zeichnen sich durch klar gegliederte Hauptfassaden und individuell gestaltete Eingänge aus.
Abbildung 12: Waisenhausstrasse 8, 6, 4 und 2, vom Eigerplatz aus gesehen.
58
Abbildungen 13–15: Verschiedene Eingänge.
LADENEINBAUTEN
«Seine zahlreichen Umbauten und Erweiterungen – insbesondere von
­Läden, Restaurants und Hotels – sind meist in einer historisierenden Stilmischung ausgeführt, doch gibt es darunter auch so hervorragende wie
den 1936 ausgeführten Ladeneinbau der Berntor-Apotheke»53 an der Unteren Hauptgasse 31 und den schönen Ladeneinbau für Rudolf Heiniger,
Elektriker (Bälliz 18).
Abbildung 16: Untere Hauptgasse 31.
Ursula Maurer: Lebenslauf und Werkauswahl.
53
59
VON DER KABA ZUM SPORTSTADION LACHEN
Am 16. Oktober 1946 stellte Arnold Itten, Architekt BSA, an der Delegiertenversammlung des kantonalbernischen Gewerbeverbandes in Burgdorf
die Kandidatur von Thun vor. Erst vierzehn Tage vorher war er angefragt
worden. Sein Konzept überzeugte. Die Ausstellung wurde nach Thun
vergeben. Als Chefarchitekt war er für den Bau der gesamten Ausstellung verantwortlich. Er entwarf auch die Mehrzahl der Restaurants. Architekt Livio Colombi entwarf den Kindergarten. Diejenigen Thunerinnen
und Thuner, die an der Ausstellung waren, erzählen noch heute von ihren
Erlebnissen. Die KABA war für sie das Ereignis. Obwohl die KABA eine
temporäre Ausstellung war, wurde darauf geachtet, dass möglichst viel
Arbeiten auch der anschliessenden Entwicklung dienten. So bildeten die
Aufschüttungen und Planierungen die Grundlage für das Stadion Lachen.
Eine Ausstellungshalle steht noch. In ihr sind heute das Partylokal Wendelsee und der FC Dürrenast beheimatet.
Die Bauten im Lachen zeigen, wie Itten mit einfachen baulichen Mitteln
hervorragend gestaltete. Von den Kassahäuschen der KABA sind noch einige in Betrieb. Das plumpe heutige Welleternitdach lässt fast vergessen,
was für ein gut gestalteter kleiner Zweckbau darunter erhalten geblieben
ist. Was für ein Unterschied zu den daneben stehenden umgenutzten BauContainern!
Abbildung 17: Partylokal Wendelsee.
60
Abbildung 18 (links oben):
KABA Plakat.
Abbildung 19 (rechts oben):
Flugaufnahme 1949.
Abbildung 20 (rechts):
Kassahäuschen.
Die Tribüne des Stadions, eine sparsame, karge Sichtbetonkonstruktion,
bildet axialsymmetrisch mit dem Olympiator eine Einheit. Die Symmetrie
ist durch den Umbau des Geräteraums heute gestört. Einzelne Details der
Fenster stammen noch aus der Bauzeit.
Das 1954 fertiggestellte Garderobengebäude ist ein langgezogener niedriger Pavillon unter zwei gegenständigen Pultdächern. Die zurückhaltende
zeittypische Detailgestaltung ist noch weitgehend erhalten. Mit seiner klaren Linie im Aufriss stellt dieser Bau ein gutes Beispiel einer wenig beachteten Zweckarchitektur dar. Das Garderobegebäude, das heute noch rege
benutzt wird, lässt seine ursprüngliche Schönheit noch erahnen. Begibt
man sich in das Innere des Gebäudes, erkennt man das zum Teil verkleidete, zum Teil erblindete Oberlicht. Wie würde der Gang wirken, wenn ihn
das Tageslicht wieder ungehindert von oben erhellte!
61
Abbildung 21:
Garderobegebäude, Situation.
Abbildungen 22, 23 und 24:
Eingang, Gang, Nordfassade.
Neben diesem einfachen Zweckbau fällt das Olympiator auf. Dieser Wettkämpferportalbau enthält verschiedene Nebenräume, u. a. waren darin
lange Zeit die Speakerkabine und das öffentliche WC untergebracht. Er ist
ein typologisch einzigartiger Bau, stellt er doch einen Portalbau ganz im
Geist der architektonischen Moderne dar. Einzelne Details sind noch original, wie das runde Fenster, eine Eingangstüre, ein Teil der Verglasung. Das
Gebäude schmücken das Thuner Wappen und die olympischen Ringe, die
in der Zeit kurz nach dem zweiten Weltkrieg symbolisch auf Frieden und
Völkerverständigung hinweisen.
62
Abbildung 25: Olympiator.
Abbildung 26: Entwurf für ein Volkshaus
in Thun, 1924.
DANK
Für wertvolle Hinweise über Leben und Werk von Arnold Itten danke ich
Franziska Itten, Corinne Itten und Daniel Weiss vom Institut für Geschichte
und Theorie der Architektur (gta) an der ETH Zürich.
IN THUN ERSTELLTE BAUTEN (AUSWAHL)
Die mit * gekennzeichneten Objekte sind im städtischen Bauinventar von
1995 näher beschrieben.
Adresse
Objekt
Baubewilligung (*)
oder Fertigstellung
Allmendstrasse AFB 267 Dufourkaserne, zusammen mit Architekt
Peter Lanzrein, Thun*
1939
AFB 619
Apparatewerkstatt
1942
AFB 620
Geschützmontagehalle und Versuchswerkstatt,
zusammen mit Architekt Otto Fahrni, Thun*
1941 / 42
Bälliz 18
Ladeneinbau*
1936
Brahmsweg 3, 9. 10
Einfamilienhäuser 1934–1936*
Eigerplatz (Waisenhausstrasse 2, 4, 6 und 8)
Mehrfamilienhäuser*
Gwattstrasse
Partylokal Wendelsee / Garderobe
1949
Gwattstrasse 19
Garderobentrakt Sportstadion Lachen* 1954
Gwattstrasse 21
Tribünengebäude
1954
Gwattstrasse 21 II
Wettkämpfer-Portalbau («Olympia-Tor»)*
1950*
J.V. Widmannstrasse 10
Dreifamilienhaus
1932*
Jungfraustrasse 9
Villa*
1926
Kasernenstrasse 5
Kinderwagenfabrik «Tivoli» Aufbau 1953,
Um und Anbau 1991 durch SHS Thun
1934
Scheffelweg 5, 6, 7, 10, 11
Einfamilienhäuser
1926–1928*
Untere Hauptgasse 31
Ladeneinbau Berntor-Apotheke
1936
63
Abbildungsverzeichnis
Franziska Itten (Abb. 1 und 2), KABA (Abb. 18 und 19), Mart Stam, Eine Reise in die Schweiz
(Abb. 26), Andrea Zellweger (Abb. 5 und 7), alle übrigen Abbildungen Guntram Knauer 2012,
Pläne in den Archiven des Bauinspektorates Thun und des Instituts für Geschichte und Theorie
der Architektur an der ETH Zürich aufgenommen.
Literaturverzeichnis
Ursula Maurer: Lebenslauf und Werkauswahl, Beitrag für das Architektenlexikon der Schweiz
19./20. Jahrhundert, Hg Isabella Rucki / Dorothée Huber, Basel 1998.
Lebenslauf, Beilage zu einer Bewerbung um Aufträge bei der Stadt Thun, dat. 27. Februar 1950.
Mart Stam, Eine Reise in die Schweiz 1923–1925, Hg von Werner Oechslin, gta Zürich.
Ursula Maurer und Daniel Wolf, Bauinventar der Stadt Thun, Thun 1995.
Siegfried Moeri, Dokumentation zum Inventar der militärischen Hochbauten der Schweiz (HOBIM),
Hg VBS, 2009.
Der Nachlass befindet sich im Archiv des Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur (gta)
an der ETH Zürich.
KABA, hsg. von Kantonal-Bernische Ausstellung 1949, Thun; KABA-Buchverlag 1950.
Auf den Spuren von Arnold Itten, Vorschau auf die Führung im Thuner Tagblatt von
Dienstag, 23. Oktober 2012, Seite 5.
Blick hinter verbotene Mauern, Bericht von Dino Dal Farra über die Führung am Tag des Denkmals
im Thuner Tagblatt vom 10. September 2012, Seite 4.
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Pyrorama übernimmt die Schlossbergspritze
Hans-Ulrich Gerber, Peter Soltermann
Im Januar 1994 gründeten aktive und ehemalige
Thuner Feuerwehrleute den Verein «Pyrorama».
Zweck des Vereins war es, alte und erhaltenswerte Feuerwehrfahrzeuge
und Gerätschaften zu erhalten und zu pflegen. Solche Fahrnisse und Gegenstände landeten bis zu diesem Zeitpunkt auf dem Schrottplatz. Das
Pyrorama zeigt die Entwicklung des Feuerwehrwesens rückblickend bis
in das 17. Jahrhundert, im Wesentlichen aber ab der Motorisierung und
Mechanisierung (ab ca. 1900 bis in die Gegenwart). Es verdeutlicht den
Fortschritt in der Beziehung zwischen dem Element Feuer, dem Feuerwehrmann und seinen Mitteln in der entsprechenden Epoche.
Im Weiteren sammelt der Verein auch Utensilien der Feuerwehr wie
­Leder­helme, Löscheimer, Laternen und Gaslampen, Signalhörner, Uniformen, Helme und viele weitere Kuriositäten.
Fahrzeuge jeder Art und Grösse (alle strassentauglich), Handdruckspritzen, Motorspritzen, Hand- und Anhängeleitern sowie Schlauch- und Kombiwagen werden in der ehemaligen Militärbaracke im Hüniboden zwischen
Goldiwil und Heiligenschwendi gelagert.
Die restlichen Materialien (Helme, Uniformen, Bildmaterial usw.) sind in
einem Zivilschutzraum in der Gemeinde Thun gelagert.
Bereits im Januar 1994 konnte der Verein als erstes Geschenk eine
Schenk-Motorspritze aus dem Jahre 1941 von der Hoffmann AG entgegennehmen.
Seither hat der Verein viele weitere «Schmuckstücke» geschenkt erhalten. Als letzte Schenkung durfte der Verein im vergangenen Jahr die sogenannte «Schlossbergspritze» aus dem Jahr 1761 vom Schlossmuseum
entgegennehmen (siehe Bildergalerie auf den kommenden Seiten).
Im Namen der Mitglieder des «Pyrorama» Thun bedanken wir uns herzlich für diese Schenkung.
Im Mai 2007 wurde der Verein Pyrorama als Beobachter in den Verband
der Museen der Schweiz (VMS) aufgenommen. Ein eigenes Museum konnte bisher aus finanziellen Gründen nicht realisiert werden.
Für weitere Auskunft sowie Besichtigung der Materialien wenden sie sich
bitte an die Kontaktadresse: Feuerwehr Thun, Pyrorama, Frohsinnweg 5,
3600 Thun oder www.feuerwehr-thun.ch.
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FAHRZEUGE
Das Tanklöschfahrzeug Mercedes-Benz LAF
312 war von 1958–1995 beim Löschzug Thun
im Einsatz. 1980 wurde es zum Ölwehrfahrzeug umgebaut.
Das Motorspritzenfahrzeug Haflinger Steyr
703 AP war bei der Feuerwehr Thun in der
Kp 2 Goldiwil von 1970–2003 im Einsatz.
Das Schlauchtransport- und Zugfahrzeug
Dodge WC war bei der Armee von 1944–1964
und danach bis 1995 beim Löschzug Thun
im Einsatz.
Das Material- und Zugfahrzeug Mowag GW
3500 war bei der Armee von 1955–1982 und
danach bis 1998 bei der Feuerwehr Thun
im Einsatz.
SPRITZEN
Die Motorspritze Ferdinand Schenk Worblaufen Typ SF10 2A war von 1933–2002 bei der
Feuerwehr Horrenbach-Buchen im Einsatz.
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Die Motorspritze Ferdinand Schenk Worblaufen Typ 1 Nr. 8 war von 1941–1993 bei der BFW
Hoffmann in Thun im Einsatz.
Schlauchwagen ca. 1890, «Hohle Mäz Wägeli».
Löschzug Thun No. 1, wurde im Schlossberg
eingesetzt.
Schlossbergspritze von 1761.
LEITERN
MATERIAL
Lederhelm.
Atemschutzgerät.
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Flugzeuge «made in Thun»
Hans Kelterborn
Die Eidgenössische Konstruktionswerkstätte (K+W Thun) wurde 1863
im Hinblick auf eine einheitliche Waffenherstellung gegründet. Zwischen 1916 und 1940 wurden in der K+W Thun, teils in Eigenentwicklung, teils in Lizenz, auch Flugzeuge gebaut.
Orville (Pilot) und Wilbur Wright am 17.12.1903 bei Kitty Hawk, North Carolina.
Am Anfang der Fliegerei standen einzelne ausländische Flugpioniere. In
den USA ist am 17. Dezember 1903 den Gebrüdern Wilbur und Orville
Wright der erste erfolgreiche Motorflug gelungen. Der Franzose Louis
Blériot flog 1909 in seinem von ihm ent­wickelten Eindecker über den Ärmelkanal, und in der Schweiz absolvierte am 10. Mai 1910 das von René
Grandjean in Lausanne entwickelte Flugzeug L-1 seinen Erstflug.
Und nur einen Monat später war das Flugzeug auch in Thun angekommen.
Das Tagblatt der Stadt Thun vermeldete am 29. Juni 1910, dass der Monoplan der société jurassienne d’aviation bei Flugversuchen auf der Allmend
abgestürzt und beschädigt worden sei. Der Pilot sei jedoch unverletzt geblieben.
Mit der Eröffnung des ersten Schweizer Flugplatzes am 8. Oktober 1910
wurde Dübendorf zur eigentlichen Geburtsstätte der schweizerischen Aviatik. Ein grosses Schaufliegen auf dem neueröffneten «Aerodrom» vom 22.–
26. Oktober 1910 soll jeden Tag bis zu 30‘000 Zuschauer angezogen haben.
Obwohl die Gebrüder Wright seit 1903 zahlreiche weitere Wright Flyers
verkaufen konnten, versuchten viele Flugbegeisterte ihr Glück mit einem
Eigenbau, so auch Erwin Schwarz aus Bern, über dessen Versuchsflüge
auf der Thuner Allmend einige Zeitungsberichte aus der Zeit existieren:
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Geschäftsblatt vom 15.5.1912: Die Flugversuche von Herrn Schwarz auf der Allmend haben bis jetzt keinen
grossen Erfolg. Dem Flieger-Aspiranten gelangen zwar kleine Hüpfer, aber mit rührender Anhänglichkeit kehrte
die Flugmaschine immer wieder schleunigst auf den sicheren Boden zurück. Zu bewundern waren die nicht
gerade zahlreichen Zuschauer, die bei brütender Hitze stundenlang warteten.
Geschäftsblatt vom 11.9.1912: Als der bernische Flieger Erwin Schwarz am Abend um 20 Uhr erneut mit seinem
Flieger in die Luft stieg und eine Kurve zu eng flog, stürzte er mit lautem Krachen aus 15 bis 20 Metern Höhe
zu Boden. Die Flugmaschine wurde vollständig zerstört, Schwarz blieb jedoch unverletzt. Während dem Sturz
konnte er noch die Zündung ausschalten und die Benzinzufuhr unterbrechen.
Im März 1913 erlitt Erwin Schwarz einen weiteren Absturz, konnte jedoch
sein Fluggerät wieder reparieren. Im Oktober 1913 gibt Schwarz nach
einem Motorschaden die Versuche auf. Zusammengebaut hatte er seinen
Flugapparat an der Rütlistrasse, just an dem Ort, an dem 1918 die Militärhangars zu stehen kamen.
FLUGZEUGE FÜRS MILITÄR?
Nur Tage nachdem Grandjean im Mai 1910 seinen Erstflug absolviert hatte, konnten die Gebrüder Armand und Henri Dufaux aus Genf der schweizerischen Militärkommission ihren Einplätzer Dufaux 4 vorführen; aus der
Erprobung ergab sich jedoch die Unzweckmässigkeit für militärische Aufgaben, die damals ausschliesslich in der Beobachtung aus der Luft bestand.
Immerhin gelang es Armand Dufaux schon zwei Monate später, mit dem
Dufaux 4 den Genfersee der Länge nach zu überfliegen (66 km in 56 Min.).
Anfang September 1911 charterte die Armee für Aufklärungsflüge während der
Herbstmanöver des 1. Armeekorps eine
verbesserte Dufaux 5 (Zweiplätzer). Trotz
Bruchlandung waren die Militärs nun von
der Nützlichkeit des Flugzeugs für militärische Zwecke überzeugt, schliesslich hatten alle Nachbarländer bereits Flugzeuge
in ihren Armeen. Schon 1912 konnte FranDufaux 5. Militärischer Erfolg trotz Bruchlandung.
kreich 450 Piloten und 500 Flugzeuge mobilisieren. Vor diesem Hintergrund lancierte die Schweizerische Offiziersgesellschaft Ende 1912 eine nationale Sammlung für eine schweizerische
Militäraviatik, die in unzähligen lokalen und regionalen Flugtagen die Summe von 1.7 Millionen Franken erbrachte. ­Oskar Bider (1891–1919), der im
Januar 1913 mit seinem sensationellen Flug von Südfrankreich über die
Pyrenäen nach Madrid Schlagzeilen gemacht hatte, trug mit seinen Werbeflügen durch die ganze Schweiz wesentlich zu diesem Erfolg bei.
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Im Dezember 1913 und im Januar 1914 machte die schweizerische Kommission für Militäraviatik Studienreisen zu den grossen Flugzeugherstellern in München, Wien, Paris, Mülhausen, Leipzig und Berlin. Bei Farman
in Paris lernte man den Schweizer Chefkonstrukteur August Haefeli und
bei Aviatik in Mülhausen (damals zu Deutschland gehörend) den Schweizer Chefkonstrukteur Robert Wild kennen.
Im April 1914 beschloss der Bundesrat auf Grund eines Probefliegens
zwischen französischen, deutschen und österreichischen Flugzeugen den
Ankauf von 6 deutschen LVG-Doppeldeckern für die neu zu schaffende
Fliegertruppe. Die in Deutschland vom Schweizer Ingenieur Franz Schneider konstruierten Flugzeuge wurden bestellt, wegen des kurz danach ausbrechenden Krieges jedoch nicht mehr geliefert.
LVG C-III.
Einzig der vom Chefpiloten der LVG, dem
Hilterfinger Albert Rupp, pilotierte LVG
C-III landete im April 1914 nach einem
Rundflug über den Thunersee auf der
Thuner Allmend. Danach wurde der Vorführapparat an der Landesausstellung in
Bern ausgestellt. Mit dem Ausbruch des
Krieges im Sommer 1914 durfte er nicht
mehr nach Deutschland zurückkehren.
Kurzerhand hat ihn die Eidgenossenschaft
zusammen mit andern ausgestellten
Flugzeugen (einem Aviatik C-1 und einem weiteren LVG C-III) angekauft.
Im Mai 1914 bestimmte die Kommission für Militäraviatik Dübendorf auch
als eidgenössischen Militärflugplatz.
Ende Juli 1914 wurde der Kavallerie-Instruktor und Pilot Theodor Real mit
der Aufstellung einer Fliegertruppe betraut. Die ersten neun Piloten, acht
Romands und der Deutschschweizer Oskar Bider, rückten zum Teil mit ihren eigenen Flugzeugen und Mechanikern auf dem Beundenfeld bei Bern
ein (freies Feld zwischen BEA-Gelände und Schermenweg). Sie bildeten
die neugeschaffene Fliegertruppe. Bider wurde Chefpilot der Fliegertruppen und Cheffluglehrer auf dem Flugplatz Dübendorf.
Aus der Not (keine Flugzeuge im Ausland kaufen zu können) machten die
Militärpiloten eine Tugend und bauten nach Plänen von Militärpilot und
Ingenieur Robert Wild zwei Doppeldecker. Die beiden Flugzeuge vom Typ
WTS wurden 1915 in Seebach konstruiert, in Dübendorf zusammengebaut
und im Juni 1916 an die Fliegerabteilung ausgeliefert. Ingenieur Robert
Wild hatte 1914 bei Aviatik in Mülhausen im Elsass das Flugzeug Aviatik
C-1 entwickelt und an der Landesausstellung in Bern 1914 ausgestellt.
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Das Ausstellungsstück wurde noch im gleichen Jahr ohne Erprobung für
die Fliegerabteilung gekauft. Wild entwickelte das Flugzeug 1916 weiter
zum Trainings- und Aufklärungsflugzeug WT-1, von dem er 6 Stück abliefern konnte. In den Jahren 1917–1926 wurden weitere 21 Flugzeuge der
Typen Wild Spezial, WT (Wild Training) und WTS in der K+W Thun in Lizenz
gebaut. Von nun an bis 1958 (Abbruch des Projekts P 16) galt die nicht
ungeteilte Devise, dass die Eigenentwicklung von Kampfflugzeugen für die
militärische Verteidigung der Schweiz von grösster Bedeutung sei. Und
diese Aufgabe wurde jetzt der K+W Thun übertragen. Eine fast 30-jährige
Epoche des militärischen Flugzeugbaus nahm 1915 in der K+W Thun ihren
Anfang.
Es begann mit einem Beschluss der Eidgenössischen Militärkommission. Mit Schreiben vom 27. April 1915 der Kriegstechnischen
Abteilung (KTA) an das EMD wurden bei der K+W Thun 6 Flugzeuge
System Farman in Auftrag gegeben. Im Schreiben der KTA wird ferner die Anstellung von Oberleutnant und Ingenieur August Haefeli
(1887–1960), derzeit im Aktivdienst bei einer Haubitzen Batterie, als
Chefkonstrukteur der neu aufzubauenden Abteilung Flugzeugbau
angeregt.
Die K+W Thun war insofern für die Herstellung von Flugzeugen prädestiniert, als ihr mit der Allmend ein (Flug)platz für Probe- und
Abnahmeflüge zur Verfügung stand. Der vordere Teil der Allmend
(in Stadtnähe) konnte dank des kiesigen Untergrunds ohne grössere
Planierarbeiten sogar nach lang anhaltenden Regefällen als Flugfeld benutzt werden.
Der junge
August Haefeli.
Obwohl die K+W ein Bundesbetrieb war, wurde die Anstellung Haefelis
durchaus mit privatwirtschaftlichen Elementen ausgestaltet. So betrug sein
fixes Monatsgehalt 600 Franken. Hinzu kamen aber noch 1500 Franken Gratifikation pro abgeliefertes Flugzeug. Andererseits erhielt Haefeli entgegen
seinem Wunsch keine Zusage, während des Krieges beschäftigt zu bleiben.
FLUGZEUGE AUS DER K+W THUN
Bis dahin war die K+W Thun ein gutausgerüsteter Fabrikations- und Reparaturbetrieb für Gebirgsfourgons, Maschinengewehre und Haubitzen.
Ohne jede Erfahrung (mit Ausnahme jener Haefelis) sollten die K+W nun
die leichten und fragilen Flugzeuge der damaligen Zeit bauen.
Ab Juni 1915 entwickelte Haefeli in Thun den Doppeldecker Haefeli DH-1,
einen Zweiplätzer mit offenem Cockpit, einem Doppelrumpf und einem
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Haefeli DH 1.
Druckpropeller (nach hinten wirkend). Das Konzept stammte vom französischen Flugzeugbauer Farman, bei dem Haefeli gearbeitet hatte. Erstflug
war an Sylvester 1915. Im Juni 1916 wurden die ersten 4 Aufklärungsflugzeuge DH-1 zum Überflug nach dem Militärflugplatz Dübendorf bereitgestellt. Offenbar waren die Flug­eigenschaften aber unbefriedigend. Die
Piloten lehnten insbesondere das Konzept des Druckpropellers ab. Zwar
hatten Pilot und Beobachter eine ungestörte Sicht nach vorn, doch war die
Verteidigung gegen hinten im Luftkampf erschwert.
Haefeli DH-2.
Noch im gleichen Jahr folgte DH-2, ein zweisitziger Doppeldecker mit Zugpropeller und
einfachem Rumpf, der ebenfalls als Aufklärer eingesetzt werden konnte. Von den beiden
Flugzeugen DH-1 und DH-2 wurden durch
die K+W in den Räumen der heutigen Ruag
an der Allmendstrasse je 6 Exemplare gebaut. Doch auch der Typ DH-2 entsprach den
Anforderungen der Truppe offenbar nicht.
Diese bevorzugte weiterhin die Flugzeuge
von Wild. Aus der Kritik von Theodor Real
am DH-2 vom 26. September 1916 geht immerhin ein interessantes Detail
hervor. Real bemängelt nämlich den geringen Platz für Flieger & Beobachter im DH-2. Der Beobachter sei nicht imstande, Fotografenapparat,
Signalspiegel, Tauben-Körbe, etc. und Waffen mit Muni­tion unterzubringen & ungehindert zu gebrauchen. Somit wissen wir nun auch, wie die
Beobachter ihre Beobachtungen vor Einführung des Funks aus dem Flug
an den Boden weitergeben konnten: mit Brieftauben!
Schon im September 1915 wird in einem Schreiben Haefelis an die KTA
die Rivalität zwischen Haefeli und Wild offensichtlich: Wild soll offenbar
125 PS Argus-Motoren erhalten, während für Haefeli dann nur die 100 PS
Motoren von Benz übrig blieben. Haefeli ist nicht einverstanden.
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Um dem Wunsch der Flieger zu entsprechen, erhielt die K+W Thun im
Dezember 1916 den Auftrag, 10 Wild-Apparate (WT und WTS) zu bauen.
Damit ist die Rivalität zwischen Wild und Haefeli fürs Erste begraben.
K+W Thun, Schreinerei (Flugzeugbau).
Tragflächen (Halle 603).
Motorenprüfstand.
Lackiererei (Anbau Halle 603).
Im folgenden Jahr (1917) wurden in Frankreich 5 Flugzeuge vom Typ Nieuport 23 Typ C-1 gekauft, während Haefeli in Weiterentwicklung des DH-2
bereits 24 Stück des Typs DH-3 bauen konnte.
Dieser zweisitzige Doppeldecker hatte einen mit Stoff bespannten Gitterrumpf. Die Tragflächen wurden aus Holzspanten hergestellt, die man mit
Stoff bespannte. Die erste Serie umfasste 60 Maschinen mit einem 130-PS
Argus-Motor aus Winterthur. Danach wurde der DH-3 mit einem noch stärkeren Motor, einem Hispano-Suiza von 150 PS, in Lizenz gebaut von der
Schweizerischen Lokomotivfabrik in Winterhur, ausgerüstet. Erst mit dieser
zweiten Serie des DH-3 konnte die K+W einen ersten Erfolg verbuchen.
Der Typ DH-3 wurde noch während des ersten Weltkrieges in zwei Modifikationen hergestellt. Der Typ M IIIa hatte ein stärkeres Triebwerk, hergestellt bei
Hispano-Suiza Motorenbau in Paris. Es handelte sich um einen V8-Motor mit
einer Leistung von 150 PS. Mit einer Maximalgeschwindigkeit von 145 km/h
konnte der M IIIa bereits auf eine Höhe von 4500 m ü. M. klettern. Vom M IIIa
wurden insgesamt 33 Stück gebaut, die bis 1939 ihren Dienst versahen.
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Der Typ M IIIb hatte ein schweizerisches V8-Trieb­werk von der Lokomotivund Maschinenfabrik in Winterthur und eine revolutionäre Bewaffnung,
nämlich 2 fest eingebaute synchronisierte Maschinengewehre sowie ein
Beobachter-Mg. Somit ist aus dem ursprünglichen Aufklärungsflugzeug
ein eigentliches Kampfflugzeug geworden.
Gebaut wurden die Flugzeuge in der K+W (heute Ruag) an der Allmendstrasse, geflogen wurden sie jedoch ennet der Allmendstrasse. So mussten die neu gebauten Flugzeuge angehängt an einen Lastwagen über die
Allmendstrasse zu den Hangars an der Rütlistrasse oder auf den Werkflugplatz westlich des Allmendhofs transportiert werden.
Transport auf das Flugfeld.
Gegen Ende des Krieges wurde Häefeli mit der Entwicklung eines einsitzigen Jägers beauftragt. Der DH-4 (M IV) war damit der erste in der
Schweiz entwickelte Jäger. Die Grundkonstruktion wurde vom DH-3 übernommen. Der im Mai 1918 an die Flugwaffe zur Erprobung übergebene
Prototyp erfüllte jedoch die Anforderungen nicht. Der Widerstand der Fliegertruppe war zu stark. Im August 1918 wurde die Maschine an die K+W in
Thun als untauglich zurückgegeben.
IM HAIFISCHBECKEBN DER KRIEGSMATERIALBESCHAFFUNG
Zwischen der Generalstabsabteilung mit ihrer Kriegstechnischen Abteilung und der K+W einerseits und der Flugplatzdirektion mit den Militärfliegern und der Privatindustrie andererseits gab es andauernde Querelen, was die Planung und Beschaffung von Militärflugzeugen betraf. So
sind auch aus jüngeren Fachpublikationen, die über die schweizerische
Flugzeugproduktion geschrieben worden sind, noch gewisse Vorbehalte
der östlichen Schweiz mit dem Flugplatz Dübendorf und den Herstellern
Wild, Comte, Wagonfabrik Schlieren, Lokomotivfabrik Winterthur gegen
die Zentrale in Bern und ihrer «Monopolwerkstätte» in Thun spürbar.
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Im August 1916 bemängelt der Kommandant der Ballon Pionier Kompanie, Hauptmann Sorg gegenüber dem Chef des Generalstabs in seinem Bericht über den Stand des Flugwesens, über die Verwendung der
Schweizer Flugspende (1.6 Mio) sei nun beinahe vollständig verfügt, ohne
dass es unsern Fliegern möglich wäre, im Kriegsfalle auch nur einen einzigen Luftkampf mit Aussicht auf Erfolg bestehen zu können. Ferner übt
Sorg Kritik an der KTA und an den (von Haefeli gebauten) Flugzeugen. Diese seien zu langsam. Ohne Jäger hätten die Beobachter keinen Schutz.
Theodor Real, der bei Kriegsausbruch 1914 mit
der Bildung einer Fliegerabteilung (innerhalb der
Genietruppen) betraut worden war, hat schon
nach 2 Jahren um Befreiung von dieser Aufgabe ersucht. Er äusserte sich jedoch auch noch
später kritisch zur Militäraviatik, so z.B. in einem
Bericht vom 15. Oktober 1917, nachdem die Fliegertruppen direkt der Generalstabsabteilung unterstellt worden waren. Real bemängelte, dass
die Fliegertruppe auch nach 3 Kriegsjahren noch
nicht kriegsbereit gewesen sei. Die Flugzeuge Theodor Real (1881–1971).
seien alt und oft in Reparatur. Die Fliegerschule
(in Dübendorf) sei ungeeignet. Die Aviatik-Kommission sei eher hemmend
als fördernd. Sein schwerster Vorwurf trifft die KTA, welche das Monopol
im Flugzeugbau habe, nicht mit der Fliegerabteilung zusammenarbeite
und der schweizerischen Flugzeugindustrie systematisch entgegenwirke.
Überdies werde der Flugplatz Dübendorf nur mangelhaft ausgebaut. Am
Schluss seines Berichts fragt Real ganz unverblümt, was eigentlich aus
den 1.7 Millionen der Nationalspende geworden sei.
Die Fronten zwischen staatlicher und privater Rüstung verliefen nicht immer ganz klar. Auch innerhalb der Generalstabsabteilung gab es Kritiker.
Immenhauser, der Chef des Militärflugdienstes versuchte 1922 gegenüber
seinen vorgesetzten Stellen Haefelis militärische Qualifikation in Zweifel
zu ziehen (wie wenn diese für die Eignung als Konstrukteur hätte massgebend sein können).
Eine regelrechte Hetzkampagne gegen Thun führte 1928 nach dem Absturz Cartiers die Zeitung Sport. Der Sport warf der KTA vor, das ExpertenGutachten über den Fall Cartier zu verheimlichen. Zudem ergriff Der Sport
Partei für Alfred Comte, der mit seinem AC-1 gegenüber den DewoitineFlugzeugen aus Thun absichtlich benachteiligt worden sein soll, nachdem
sich sogar EMD-Chef Bundesrat Scheurer persönlich für Comte ausgesprochen hatte.
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ERSTE BEWAFFNUNG
In Deutschland wurde 1912 bereits an der festen Bewaffnung der Flugzeuge gearbeitet. 1913 erhielt der Schweizer Franz Schneider, Technischer
Direktor und Chefkonstrukteur bei der deutschen Luft-Verkehrs-Gesellschaft LVG in Berlin-Johannisthal für seine Erfindung des synchronisierten Maschinengewehrs, das zwischen den laufenden Propellerblättern
hindurch schiessen konnte, das Reichspatent. Ein Jahr später (1914) liess
er seinen drehbaren Maschinengewehrturm patentieren, der sich rasch
bei der Fliegertruppe durchsetzte.
Fliegerpfeile.
Da die schweizerischen Militärflugzeuge ursprünglich reine Beobachtungsaufgaben hatten,
war ihre Bewaffnung anfänglich nur zur Verteidigung gegen Angriffe von feindlichen Jägern
ein Thema. Dies geschah in der Regel mit einem
nach hinten wirkenden Maschinengewehr. Als
erste Offensivwaffe gegen feindliche Bodentruppen wurden 1915 10‘000 Fliegerpfeile beschafft.
Diese rund 15 cm langen und gegen 100 g schweren Stahlpfeile konnten bündelweise abgeworfen
werden und erreichten dank der hohen Fallgeschwindigkeit eine so grosse Energie, dass sie einen Stahlhelm durchschlagen und einen Soldaten hätten töten können.
DIE K+W THUN IN DER ZWISCHENKRIEGSZEIT
Noch in den letzten Kriegsmonaten erhielt die K+W Thun den Auftrag, ein
Beobachtungsflugzeug zu bauen. Im Herbst 1918 entstand in Thun der
DH-5, ausgerüstet mit einem 200 PS Motor der Schweizerischen Lokomotivfabrik Winterthur. Insgesamt 83 Stück verliessen die K+W Thun. Ein
schweizerischer Höhenrekord mit einer Gipfelhöhe von 7250 m, geflogen
am 13. September 1919 von Leutnant Progin mit Haefeli als Passagier,
dokumentiert die guten Flugeigenschaften diese Flugzeugs.
Die K+W Thun hatte aber nicht nur in Wild Dübendorf einen Konkurrenten.
Als das Militärdepartement im September 1918 ein Pflichtenheft für den
Bau eines Militärflugzeuges für die Nahaufklärung und das Flugtraining
vorlegte, gelang den beiden Konstrukteuren der Schweizerischen Wagonfabrik in Schlieren (und ehemaligen K+W-Mitarbeitern!), Adolf Schädler
und August Hug, innerhalb eines halben Jahres der Bau eines Doppel­
decker-Prototyps SWS C-1. Es handelte sich dabei um einen klaren ­Ri­valen
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zum DH-5. Nach einem Absturz im folgenden Jahr wurde
das Projekt allerdings nicht mehr weiterverfolgt.
Die Hoffnungen auf einen langdauernden Frieden in den
ersten Nachkriegsjahren brachten drastische Kürzungen
der Militärbudgets. Die Flugabteilung der K+W Thun entliess zwei Drittel ihrer Belegschaft. Die Verbliebenen überholten und modifizierten die im Krieg requirierten oder
nach dem Krieg zum Teil aus Kriegsbeständen angekauften Flugzeuge (Albatros, de Havilland, Fokker, Halberstadt,
Hanriot, Nieuport, Potez, Rumpler, Sablatnig, SiemensSchuckert, Zepp).
In kleinerem Rahmen konnte die K+W Folgeserien ihrer
Flugzeugtypen bauen, so 1919 eine zweite Serie des DH-3
(M IIIa). Vom Typ DH-3 wurden in den Jahren 1916–1925
insgesamt 109 Flugzeuge in mehreren Serien gebaut. 1924
wurden 12 Wild WT-1 und WTS-1 in Lizenz gebaut.
August Haefeli (links) und Pilot
Léon Progin (rechts) vor DH-5.
Neben der Beschaffung aus schweizerischer Konstruktion kaufte man
immer auch einzelne Flugzeuge im Ausland ein und erprobte sie in der
Schweiz. Nach der Erprobung wurden entweder Lizenzbauten oder aber
eigene Weiterentwicklungen angestrebt. Zudem sind im Verlaufe des
Krieges über ein Dutzend französische und deutsche Flugzeuge in der
Schweiz notgelandet oder zur Landung gezwungen worden. Auch diese
Maschinen konnten teilweise repariert und in Dienst genommen werden.
Dies führte zu einem Flugzeugpark von vielen Einzelstücken. Erst 1938
und 1939 wurden die zahlreichen Exoten in einer grossangelegten Liquidation in Dübendorf und auf der Luzerner Allmend verschrottet.
Im Dezember 1921 wurde von der KTA,
der K+W sowie der Eidgenössischen
Flug­platzdirektion ein Bauprogramm
für ein dreiplätziges schweres Beobachtungsflugzeug MA-6 (Militärapparat 6), einen Jagdeinsitzer MA-7 und einen leichten Beobachtungsdoppelsitzer
MA-8 ausgearbeitet. Die entsprechenden
Vorgaben (Pflichtenhefte) fanden für alle
drei Flugzeuge zusammen auf einer halben Schreibmaschinenseite Platz!
MA-6.
Haefeli baute bis 1923 einen Prototypen des MA-6 in bewährter Doppeldecker-Manier und in Holzbauweise. Als Triebwerk diente ein 450-PS77
Zwölfzylinder von Renault. Nach zahlreichen Motorpannen war der MA-6
erst 1926 flugbereit, doch die Fliegertruppe weigerte sich, den Prototypen
zu erproben. Neben der gescheiterten Entwicklung des MA-6 lief in den
Jahren 1922–1924 in Thun die Produktion von zwei Serien von insgesamt
59 Flugzeugen des Typs DH-5. Der zweisitzige Doppeldecker hatte einen
Holzrumpf, einen Motor mit 180 PS Leistung, konnte 175 km/h schnell
fliegen und bis auf 5000 Meter steigen. Der Beobachter hatte bereits eine
Funkanlage zur Verfügung. Die Schussauslösung des Maschinengewehrs
war mit dem Motor synchronisiert.
Das Pflichtenheft für den Jagdeinsitzer MA-7 forderte eine Maximalgeschwindigkeit von 225 km/h, eine Steigzeit von 15 Minuten auf 6000 m und
eine Nutzlast von 300 kg.
Testpilot Max Cartier vor einem MA-7.
Der Aufbau des Doppeldeckers in Holzbauweise mit Stoffbespannung und
Tragflächenverstrebungen entsprach der aus dem Jahre 1918 stammenden Fokker D.VII. Der Erstflug fand 1925 statt. Dank dem 300 PS starken
Hispano Suiza Achtzylindermotor erreichte das Flugzeug zwar eine Geschwindigkeit von 235 km/h und konnte im April 1925 mit 9‘800 m einen
schweizerischen Höhenrekord aufstellen (Max Cartier), doch die geforderte Steigleistung konnte es bei weitem nicht erbringen. Der Prototyp
wurde von den Fliegertruppen wegen unbefriedigender Flugleistungen
wieder an den Hersteller retourniert. Haefeli antwortete darauf mit dem
Einbau eines 400 PS starken Motors der Lokomotivfabrik Winterthur. Dieser Motor war jedoch zu gross und zu schwer. Daraufhin wurde das gesamte MA-7 Projekt eingestellt. Mitgespielt haben dürfte auch der Wunsch
des Instruktorencorps nach einem Flugzeug in moderner Leichtmetallbauweise. Diesen Vorstellungen entsprachen offenbar die französischen
Dewoitine-Jagdflugzeuge besser.
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Im Juli 1924 konnte der Prototyp des leichten Aufklärers MA-8 seinen
Erstflug absolvieren. Nach zahlreichen Pannen wurde das Flugzeug
schliesslich im Februar 1925 der Fliegertruppe vorgestellt. ein Beschaffungsantrag für 8 Flugzeuge wurde jedoch vom Instruktorencorps wegen
mangelnden Vertrauens abgelehnt. Etwas gar unprofessionell kommt
das Urteil der Flugplatzdirektion in Dübendorf daher: Die Linienführung
ist nicht glücklich gewählt. Man vermisst das elegante Bild des eleganten
(sic!) Jagdeinsitzers. Die Formen ... wirken plump.
Die Schweiz sah sich wieder in
Frankreich um und wurde bei
Emile Dewoitine fündig. Bereits
1925 hatte die Armee eine Dewoitine D-1 und eine Dewoitine
C-1 beschafft, die bis zum Krieg
im Einsatz standen. Während
Haefeli in Thun immer noch weiter Doppeldecker baute, baute
AC-1.
Alfred Comte in Oberrieden 1927
auf eigene Rechnung bereits
den modernen einsitzigen Eindecker AC-1 in Leichtmetallbauweise. Dessen 9-Zylinder Sternmotor brachte eine Leistung von 420 PS und machte
das Flugzeug 250 km/h schnell. Der Pilot hatte einen Fallschirm und eine
Sauerstoff-Maske. Das Maschinengewehr schoss, wie bei Haefeli, motorsynchronisiert durch die Propellerebene. Obwohl der AC-1 der Dewoitine
D-27 ebenbürtig war, zog die KTA den AC-1 nicht in die engere Auswahl.
Vielmehr wurde Comte mit dem Vorwurf des Plagiats konfrontiert, den er
nur mit dem Erwerb einer Nachbaulizenz von Dewoitine abwenden konnte.
Im Januar 1927 war der französische Konstrukteur und Flugzeugbauer
Emile Dewoitine gezwungen, seine Firma zu liquidieren. In dieser Situation konnte er samt einem kleinen Mitarbeiterstab in die K+W Thun verpflichtet werden. 1927/28 entwickelte er hier die Prototypen D.9, D.19 D.27.
Das Ganzmetallflugzeug D.27 wurde im Sommer 1928 eingeflogen. Es besass ein Hispano-Suiza-Triebwerk mit 500 PS Leistung und war 300 km/h
schnell. Schon im März 1928 verliess Dewoitine Thun wieder und machte
sich mit der Société Aéronautique Française – Avions Dewoitine erneut
selbstständig.
Der Lizenz-Bau von 60 Dewoitine D.27 erfolgte in zwei Serien 1931 und
1932 in Thun. Die Hispano-Suiza-Motoren wurden von der Lokomotiv- und
Maschinenfabrik Winterthur in Lizenz gebaut. Schon 1928 bestellte Argentiniens Regierung bei der K+W Thun 7 Jagdeinsitzer vom Typ Dewoitine
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D.21 (gemäss argentinischen Angaben waren es sogar 9), die von 1929 bis
1936 im Einsatz bei den Marinefliegern waren. Auch nach Rumänien sollen einige D.21 aus Thuner Fabrikation geliefert worden sein.
Trotz Projektabbruch versuchte die K+W Thun zwischen der DewoitineProduktion den MA-8 weiterzuentwickeln. 1927 baute man den neuen
490 PS starken V-12 Motor der Lokomotivfabrik Winterthur in das Flugzeug ein. Nun zeigte es sich am Internationalen Alpenrundflug der ausländischen Konkurrenz durchaus ebenbürtig. Doch der Einbau des (zu)
starken Motors in den alten Prototypen erwies sich als verheerend. Am 24.
Januar 1928 stürzte der mit Haefeli befreundete Hauptmann Max Cartier
mit dem MA-8a wegen des Bruchs einer Flügelstrebe in Thun ab und fand
dabei den Tod. Bei den anschliessenden Unfalluntersuchungen konnte der
K+W eine falsche Versuchsanordnung bei den Belastungsversuchen nachgewiesen werden. Haefeli kündigte im September 1928 seine Stelle. Seine
Demission wurde ohne Verdankung der geleisteten Dienste angenommen.
K+W-Direktor Jeannin erhielt einen Verweis und Ingenieur Jenny wurde
disziplinarisch aus dem Bundesdienst entlassen.
Im August 1929 stürzte schliesslich auch noch ein Beobachterflugzeug
DH-5 bei Uebeschi ab, wobei Fliegerleutnant Küpfer den Tod fand. Nun
mussten die Arbeiten an den Holzflugzeugen endgültig eingestellt werden.
In Thun trat Max Buri von der Munitionsfabrik Altdorf als Fabrikationschef
an die Stelle von Haefeli. Ingenieur M. Thouret wurde Chefingenieur.
Seine erste Entwicklung war das zweisitzige Doppeldecker-Mehrzweckflugzeug C-35 mit einem 860 PS starken Hispano-Suiza Motor, das bis 1936 in
einer grossen Stückzahl von 90 Exemplaren gebaut wurde. Die C-35 war eigentlich eine Kopie der 650 PS starken holländischen Fokker C-X, ausgelegt
für Aufklärung sowie Bombenabwurf aus dem Horizontal- und Sturzflug.
C-35.
80
Ende der Dreissigerjahre setzte
in ganz Europa eine stürmische
Aufrüs­tung ein. In der Schweiz war
kein genügendes Know-how mehr
vorhanden und so griff man erneut
zum Lizenzbau. Die Wahl fiel auf den
französischen Ganzmetall-Einsitzer
Morane-Saulnier 405, wohl wissend,
dass die modernsten und neusten
Waffen nicht auf dem Markt erhält- C-36.
lich waren.
In Zusammenarbeit mit der ETH wurde 1938/39 in der K+W Thun das zweisitzige Beobachter- und Mehrzweckflugzeug C-36, ein freitragender Tiefdecker aus Leicht­metall, entwickelt. Mit der C-36 haben die K+W Thun den
ersten modernen Tiefdecker in Ganzmetallbau für die Schweizer Flugwaffe entwickelt. Es handelte sich um ein zweisitziges Aufklärungs- und Erdkampfflugzeug.
Bei einem Versuchsflug des Prototyps C-3601 am 11. August 1939 musste
Oblt. E. Wyss von der KTA das Flugzeug im letzten Moment verlassen, da
Schäden an einer Trimmklappe aufgetreten waren. Das Flugzeug stürzte
nördlich von Herbligen ab.
MILITÄRFLUGPLATZ THUN
Schon vor dem Ersten Krieg stellte die Generalstabsabteilung die Frage
nach einem künftigen Militärflugplatz in Thun. In Aussicht genommen
wurde dafür die Burgerallmend. Die Burgergemeinde verlangte für das
rund 500‘000 m2 haltende Gelände einen Kaufpreis von 1 Franken pro m2
plus eine Entschädigung der zahlreichen Pächter von weiteren 20‘000
Franken. Als die Generalstabsabteilung ob des hohen Kaufpreises zögerte, versuchte die Einwohnergemeinde der Generalstabsabteilung
das Geschäft mit der bereits vorhandenen Infrastruktur (Konstruktionswerkstätte) schmackhaft zu machen. Das Geschäft kam nicht zustande
und so wurden 1916 auf der der Eidgenossenschaft gehörenden grossen Allmend für die Flugzeuge aus der K+W-Produktion zwei Pisten als
Werkflugplatz eingerichtet. Zivil- und Militärfliegerei waren damals noch
nicht strikt voneinander getrennt. Bekanntlich waren nach Ausbruch des
Ersten Weltkrieges die ersten im Militär eingesetzten Flugzeuge private
Flugzeuge. Andererseits wurden nach dem Krieg Schnupperflüge für das
zahlende Publikum auch mit Militärflugzeugen angeboten. Und auf der
Thuner Allmend begegneten sich nebst den Flugzeugen auch noch Kano81
niere, Kühe, Reiter zu Pferd und Spaziergänger. Ein Zeitgenosse beschrieb
1955 die akustische Kulisse folgendermassen: «Der rege Flugbetrieb mit
den brummenden Motoren und das Gedröhn der aufgestellten Batterien
stellten einen ausgezeichneten Zweiklang her, der nur noch den Alten in
der Erinnerung haftet» und «wurde geschossen drehten die Flieger nach
links, sonst wurde Rechtsvolte geflogen».
Das Nebeneinander war nicht immer ganz ungefährlich, wie ein Zwischenfall im August 1919 beweist:
Tagblatt der Stadt Thun vom 25. August 1919: Beim Start des Flugzeugs 528 [ein Haefeli DH-3] auf der Thuner
Allmend rannte eine Kuh auf die Startbahn. Das Flugzeug überschlug sich, die Insassen blieben unverletzt,
doch die Kuh musste abgetan werden.
Das Problem wurde auf unkomplizierte Art mit Fliegerhund Rex gelöst,
der leider nach 3 Jahren Dienst auf tragische Weise ums Leben kam:
Oberländer Tagblatt vom 20. Oktober 1922: Der Thuner Fliegerhund Rex half auf den Ruf hin «es chunt eine»
das Vieh vom Flugplatzgelände wegzutreiben. Rex flog öfters als blinder Passagier selber mit, doch letzthin
wurde er von einem Flugzeugpropeller getötet.
Im Frühling 1918 wurden an der Rütlistrasse vier Holzhangars für die
­Unterbringung der flugbereiten Flugzeuge aufgebaut.
Im gleichen Jahr erbaute die KTA weiter südlich an der Rütlistrasse die
grossen Hangars 20 und 22, in welchen auch Haefelis Konstruktions­büros
82
untergebracht wurden. Die beiden Gebäude wurden 1943 durch einen
Shed-Anbau miteinander verbunden.
Vier Hangars an der Rütlistrasse.
Hangar 20 und 22 (Shed-Zwischenbau 1943).
Im Sommer 1919 bezieht ein erstes Detachement der schweizerischen
Fliegerabteilung ihren Stützpunkt in Thun. Wachtmeister Léon Progin ist
Chef des Detachements. Bei einem Flugzeugabsturz mit seinem privaten
Flugzeug am 21. November 1920 kommt Progin ums Leben.
Tagblatt der Stadt Thun vom 22.11.1920: Flieger Progin ist mit dem Morane-Eindecker, auf welchem
er in Thun zahllose kühne Sturzflüge geflogen hatte, gestern Nachmittag in Freiburg tödlich verunglückt.
Er war 34 Jahre alt, und wohnte an der Mittleren Strasse in Thun.
Das Training des Fliegerdetachements begann 1919 mit vier DH-3. Im darauffolgenden Jahr standen den Thuner Fliegern bereits 7 DH-3 und 2 bei
den Zeppelin-Werken in Lindau gekaufte Zepp LZ C-II zur Verfügung.
Nicht nur die Allmend, auch der Zielhang diente beiden Waffengattungen
als Schiessgelände. Sogar nach der Aufhebung des Militärflugplatzes
diente der Zielhang noch für Schiessversuche mit Düsenflugzeugen aus
dem Flugzeugwerk Emmen.
1922/23 wurde die Flugzeughalle mit dem repräsentativen Kopfbau und dem (später hinzugefügten) Kontrollturm erstellt.
1932 war der Flugplatz zu klein geworden.
Die schwereren Flugzeuge brauchten längere
Pisten. Die Querpiste (N-S) wurde planiert und
verlängert. Nun umfasste der Flugplatz annähernd 500‘000 m2. 1944/45 wurde ein letztes
Mal erweitert und planiert. Der Flugplatz umfasste nun über 600‘000 m2.
Flugzeughalle.
83
Im September 1951 war im Oberländer Tagblatt zu lesen, «Die Bevölkerung
Thuns ist besorgt über diesen Beschluss». Gemeint war der Beschluss des
Nationalrates, den Militärflugplatz Thun zu Gunsten eines Panzerwaffenplatzes aufzuheben. Sofort bildete sich ein Aktionskomitee zur Erhaltung
des Flugplatzes, dem sich u. a. auch Quartierleiste und Wohnbaugenossenschaften anschlossen! Der Bund liess durchblicken, dass eine Beibehaltung des Flugplatzes nur mit einem Ausweichen auf die Burgerallmend
zu erreichen sei. Dagegen sträubte sich die Burgergemeinde. Zudem landeten 1946 und 1948 auch die ersten Vampire-Düsenflugzeuge in Thun. Der
neuartige Lärm, den die Vampire-Flugzeuge verursachten, brachten einen
raschen Stimmungsumschwung. Schon Ende 1952 konnte der Gemeinderat dem EMD mitteilen, dass Thun keinen Ausbau zu einem Trainingsflugplatz für Düsenflugzeuge wünsche. Ein Jahr später fiel die Entscheidung
im EMD, den Militärflugplatz Thun auf Ende 1955 aufzuheben.
Ein Insider liess sich einige Jahre später, nicht ganz frei von Schadenfreude, so vernehmen: Am 12. Dezember verliess um 14.45 Uhr das letzte Militärflugzeug Thun in Richtung Emmen. Der Militärflugplatz wird geschlossen. Damit nahm eine 40-jährige Tradition in Thun ein Ende. Sehr zur
Freude der Lärmgegner! Es gab aber ein böses Erwachen, als die ­Panzer
nach Thun verlegt wurden. Diese lärmten nun Tag und Nacht.
Auf einer Erinnerungstafel an der grossen
Flugzeughalle sind heute noch die Namen
der im Dienste des Fliegerstützpunktes
Thun abgestürzten Wehrmänner und Werkpiloten aufgeführt:
84
Gottfried Guéniat,
Charles Bitterlin
20. Januar 1918
Louis Pagan,
Adolf Schoch
8. März 1918
Léon Progin
21. November 1920
Walter von Tobel,
Hans Hugi
14. Oktober 1927
Max Cartier
24. Januar 1928
Justus Küpfer
27. August 1929
Albert Cuendet
5. Januar 1933
Die Liste ist nach 1933 noch länger geworden:
30.5.1934
Hptm. L. Künzli. Absturz mit einer Dewoitine D-27
aus 1200 Metern Höhe in den Kandergrienwald hinter
dem Zollhaus.
6.4.1935
Lt. A. Berger. Absturz mit einer Fokker D-VII nach
einem Trainingsflug aus geringer Höhe über der
Uetendorf-Allmend.
7.3.1940
Absturz einer Morane wegen Schneesturms auf den
Exerzierplatz der Mot. Art. RS 5. Dabei wurden fünf
Kanoniere getötet. Der Pilot überlebte.
23.6.1940
Lt. A. Magres und Lt. Ch. Huber. Absturz mit einer C-35
beim Schiessen auf der Allmend.
17.12.1941
Lt. G. Staub. Absturz mit einer Morane wegen
Motorenbrands in den Thunersee.
6.6.1942
Jean Roubaty, Werkpilot K+W. Absturz mit C-3603.
10.12.1949
Wm. G. Huot. Absturz mit Bücker Bü-133 Flugplatz Thun.
24.4.1951
Oblt. W. Aebersold. Mustang P-51. Kollision mit Morane
D-3801 über dem Belpberg. Der Morane-Pilot rettete
sich mit dem Fallschirm. Aebersold konnte nach Thun
zurückfliegen, stürzte jedoch beim Landeanflug ab.
FLUGZEUGWERK EMMEN
In Thun machten ab 1938 bei den Mitarbeitern Gerüchte die Runde, dass
ein Teil des Flugzeugbaus von Thun nach Emmen disloziert werden solle.
In einem Brief der K+W Thun vom 10. Juni 1938 an die KTA wird um Auskunft gebeten. Im Dezember 1938 wurden die Pläne bereits konkreter,
indem nun eine neue Montagehalle für die Flugzeugproduktion in Emmen geplant wird. Im Jahr 1939 wird nun offen darüber gesprochen, die
Flugzeugmontage von Thun nach Emmen zu verlegen, wobei der Betrieb
Emmen organisatorisch an Thun anzugliedern sei. Man war sich uneinig,
ob das Konstruktionsbüro und der Prototypenbau vorläufig noch in Thun
verbleiben sollten. Doch in weiser Voraussicht setzte sich die Direktion der
K+W Thun selbst für eine radikale Lösung ein.
In Thun wurden noch die beiden Prototypen C-3601 und C-3602 gebaut,
wegen Unzulänglichkeiten bei der Konstruktion und Ausführung wurde
85
der Bau der Serie aber 1940 in die neue Flugzeugmontagehalle nach Emmen verlegt. Während der beiden Kriegsjahre 1939 und 1940 schwankte
die Zahl der Beschäftigten im Flugzeugbau in Thun zwischen 370 und 380
Mitarbeitern; im Sommer 1941 erreichte die Zahl der Beschäftigten das
Maximum von 480 Beschäftigten.
Ab dem 4. Januar 1943 war das Flugzeugwerk Emmen ein eigenständiger
eidgenössischer Betrieb (F+W Emmen). In Thun wurden fortan nur noch
Einzelteile hergestellt. Der Grossteil der Flugzeugbauer in Thun erhielt im
Dezember 1942 von der KTA eine Verfügung, wonach Emmen als neuer
Dienstort zugewiesen wird. Über Entschädigungen werde in nächster Zeit
Mitteilung gemacht.
Flugzeugbau K+W THUN 1916–1940
Flugzeugentwicklung
Flugzeugbau und -umbau
– davon aus eigener Entwicklung
– Lizenzbauten
20 Flugzeugtypen
600 Flugzeuge
380 Flugzeuge
220 Flugzeuge
Flugzeuge der Luftwaffe 1914–1955
2‘129 Beschaffte Flugzeuge
427 Verluste*
277 Todesopfer*
* 87 Flugzeuge sind erst nach 1955 verloren gegangen (mit 57 Todesopfern).
Fazit: Jedes fünfte zwischen 1910 und 1955 beschaffte Militärflugzeug
ist durch Absturz oder Karambolage verloren gegangen, von den in Thun
­produzierten Haefeli-Apparaten sogar jeder dritte.
86
Quellen
Aeroclub Thun; Festschrift
zum 75-Jahr-Jubiläum,
Thuner Flugtage 2009
Charly Berner: Entstehungsgeschichte unseres Flugplatzes
Aero-Revue, 8/1989
75 Jahre Schweizer Militäraviatik
ASMZ 1986, Nr. 6, S. 347 ff.
Die Eidgenössische Konstruktionswerkstätte Thun (K+W)
Bundesarchiv
E 27 | 1000/721 | 15705 .... 18922
Bürgergemeinde Balsthal
Homepage/download: Flugpionier August Haefeli
Cockpit, 10/1988, S. 38 ff.
Ulrich Haller: Einzelstücke aus Thun
Cockpit, 11/2012, S. 48 ff.
Hans-Heiri Stapfer: Die erfolglose Dewoitine D.27
Dietschi Eugen
Max Cartier. Ein Lebensbild, Basel 1928
Eidgenössisches Militärdepartement
1819–1969; 150 Jahre Waffenplatz Thun und seine Zeit.
Thun 1969
EMD DOK 266 / 1592
Hermann Hofmann: 100 Jahre Eidgenössische Konstruktionswerkstätte und Eidgenössische Munitionsfabrik in Thun, 1963
Konstruktionswerkstätte Thun
Eidg. Konstruktionswerkstätte Thun 1863 – 1963, Thun 1963
125 Jahre Eidgenössische Konstruktionswerkstätte Thun, 1988
Oberländer Tagblatt vom 16.1.1956 Samuel A. Gassner: Als Thun Militärflugplatz war
Gemeindeinformation Hilterfingen- Robert Ganz: 4 Kurzbiografien zur Geschichte Hünibachs
Hünibach; Sonderausgabe
Dezember 2007
Historisches Lexikon der Schweiz
Hervé de Weck: Rüstungsbetriebe
Küng P.
Die Militärfliegerei in Thun 1915–1955
Krebser Markus
Thunersee linke Seite; Thun 1996
NZZ 27.11.2000, S. 18
Alfred Waldis: Ein vergessener Flugzeugkonstrukteur
NZZ 17.10.2011, S. 14
Esther Geiger: Träume vom Fliegen und ihr Preis
Offiziersgesellschaft Thun
Thun und seine Wehrbereitschaft
RUAG
Fotoarchiv
Scherrer Th., Lauber P.
125 Jahre Eidg. Konstruktionswerkstätte Thun
Schürmann Roman
Helvetische Jäger; Dramen und Skandale am Militärhimmel.
Zürich 2009
Siegenthaler Hans
Eidg. Konstruktionswerkstätte Thun 1863–1963
Simons D., Withington Th.
Die Geschichte der Fliegerei
Stadtarchiv Thun
Zeitungsdatenbank
SAT 1-1 MO1 D1 49, SAT 1-6 MO 135, D683, SAT D683 MO 1 1/1
Thuner Tagblatt 17.8.2011
Im Dienst der deutschen Luftwaffe
Unternährer Jules (1894–1986)
Chronologische Aufzeichnungen zum Militärflugplatz Thun.
Maschinenschrift, o.J.
87
Urech Jakob
Die Flugzeuge der schweizerischen Fliegertruppe seit 1914
Verein für wirtschaftliche Studien
Fünf Pioniere des Flugzeugbaus
www.glique.ch
Hans Giger: Die Auswahl der Flugzeuge der Schweizer
Fliegertruppe
www.old.hermannkeist.ch
Gründung der Fliegertruppe
Geschichte der Luftwaffe 1914–1968
Ausgemusterte Mittel der Schweizer Luftwaffe
www.oskar-bider-archiv.ch
www.wikipedia.org
www.wordpress/gletscherflug.ch
www.wrd.ch/Luftwaffe
Walter Düring: Zur Geschichte der schweizerischen Eigenentwicklung von Flugzeugen. Mit einem Anhang und Bildern
Dank
– Walter Akermann, Ruag Land Systems (vorm. K+W)
– Charles Berner, Uetendorf
– Fritz Egger, Ruag Ammotec (vorm. M+F)
– Anita Egli und Maya Hürlimann, Stadtarchiv Thun
– Robert Ganz, Hünibach
– H.-U. Haldimann, Waffenplatzkommando Thun
– Peter Heim, Olten
– Herbert Hunziker, Ruag Thun
– Stefan Keller, Längenbühl
– Arnold Kettiger-Haefeli, Hünibach
– Paul Küng, Thun
– Jürg Reimann, Thun
– Hans Schaffer, Oberdiessbach
– Jürg Stüssi und Cornelia Albert, Bibliothek am Guisanplatz
– Eduard Tschabold, Bern
– Ruth Unternährer, Thun. Die Tochter von Jules Unternährer hat dem
Schlossmuseum Thun im Jahr 2009 neben einer Sammlung von 56
Tuschzeichnungen ihres Vaters mit Motiven aus dem alten Thun (s. Titelbild) eine Dokumentation zum Militärflugplatz Thun geschenkt. Die Aufzeichnungen von Jules Unternährer waren der Ausgangspunkt für diesen
Beitrag.
88
Schlossmuseum Thun
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