Das Magazin 18 vom 2. Mai 2015

N ° 18 — 2. M A I 2015
DAS VÖLKERRECHT –
EINE SCHWEIZER
ERFINDUNG, S. 30
WIR MÜSSEN REDEN:
EIN GESPR ÄCH ÜBER
DIE EIFERSUCHT, S. 20
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DA S M AGA Z I N 18/201 5 — I L LU S T R AT ION C OV E R : A N DR E A S GE F E; BI L D E DI T OR I A L: S C H W E I Z E R I S C H E S RO T E S K R E U Z
EDITOR IAL/INHALT
Wechselkursgeschäfte sind für den
Laien schwer durchschaubare Transaktionen mit hohem Risiko, die von
Profis diskret mit ein paar Mausklicks
abgewickelt werden. Das Ziel solcher
Geschäfte ist es, Währungen zum
richtigen Zeitpunkt günstig einzukaufen, um sie dann möglichst gewinnbringend wieder abzustossen. Das wollte
unser Autor Maurus Federspiel auch
mal ausprobieren, allerdings auf eher
unorthodoxe Art. Mit einem Bauchbeutel voller Bargeld flog er von Zürich
nach Buenos Aires, um von den höhe­ren Wechselkursen zu profitieren, die
der dortige Schwarzmarkt bietet.
Noch einmal, sagte er nach seiner Rückkehr, werde er das bestimmt nicht
machen und die internationalen Währungsdeals in Zukunft wieder den
Profis überlassen.
Der weltweite Geldmarkt gehorcht
wie der Handel oder Teile des Mili­
tärwesens Regeln, denen sich die Staaten zum gegenseitigen Vorteil unter-
worfen haben.
Dabei kann es vorkommen, dass
solche supranatio­
nalen Normen
Gesetzen in einzelnen Mitglieds­
S. 30
staaten widersprechen. Die Initia­tive «Schweizer
Recht statt fremde Richter» möchte
das nicht. Aus diesem Anlass erinnert
Oliver Diggelmann, Professor für
Völkerrecht, an eine Zeit, da es noch
keine internationalen Verträge gab
und Meinungsver­schiedenheiten prinzipiell auf dem Schlachtfeld ausge­
tragen wurden. Der Schweizer Henry
Dunant wollte sich das nicht länger
ansehen und vollbrachte das Wunder,
die führenden Nationen an einem
Tisch zusammen­zubringen. Die erste
Genfer Konvention brachte die Staaten
zu der Einsicht, dass es besser sei,
sich auf gemeinsame Standards zu einigen, statt einander die Köpfe einzuschlagen. Sven Behrisch
S. 10
Die argentinische Geldvermehrung Von Maurus Federspiel
S. 20
In der Eifersuchtssprechstunde Von Sacha Batthyany
S. 30
Unser Fackelträger des Völkerrechts Von Oliver Diggelmann
S. 38Die Visitenkarte Von Hannes Grassegger
„Die Warmherzige ...“
...ein ganz individueller Charakter –
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3
KOMMENTAR
UND DIE HUMANITÄRE
TRADITION?
greifend Hohn und Spott. CVP-Nationalrat Gerhard Pfister – von Nächstenliebe-Bigotterie offenbar unbelastet –
bezeichnete das Vorhaben als «Akt des
kompletten Unsinns». Natürlich kann
die Schweiz die Probleme dieser Welt
nicht im Alleingang lösen. Natürlich stellt
sich die Frage, ob ein kleines Land zu
solch einem humanitären Grosseinsatz
überhaupt in der Lage wäre, besonders
vor dem Hintergrund der skandalösen
europäischen Passivität. Prüfen lässt sich
diese Frage jedoch nur im Rückgang auf
historische Erfahrungen. Und da zeigt
sich: Einen so einzigartigen Kraftakt
würden 50 000 Kriegsflüchtlinge gar
nicht darstellen.
Als im November 1956 die Sowjetarmee den Ungarnaufstand niederwalzte, flohen innert weniger Wochen rund
200 000 ungarische Staatsbürger nach
Westeuropa. Die Schweizer Bevölkerung
mobilisierte sich kompromisslos für die
freiheitsliebenden Magyaren. Insgesamt
wurden 14 000 Flüchtlinge aufgenommen. Eine starke Solidaritätswelle entstand auch, als die Sowjetunion dem
Prager Frühling ein militärisches Ende
bereitete. Aus der Tschechoslowakei kamen 12 000 Flüchtlinge in unser Land.
Waren dies «Akte des kompletten Unsinns» oder historische Momente der
kollektiven Besinnung auf urhelvetische Rechts-und Wertvorstellungen?
Sicherlich: 50 000 sind nicht gleichzusetzen mit 14 000 Flüchtlingen. Allerdings sollte man solche Zahlen nicht absolut betrachten, sondern muss sie ins
Verhältnis zur damaligen und zur heutigen Wirtschaftsleistung setzen. Das reale BIP der Schweiz ist heute etwa 3,5mal so gross wie 1956, entsprechend
würde es heute eine mit der Ungarnhilfe vergleichbare wirtschaftliche Belas-
tung darstellen, wenn das Land 3,5-mal
mehr Flüchtlinge aufnähme, also ziemlich genau 50 000. Im Jahr 1999, auf dem
Höhepunkt des Kosovo-Konflikts, nahm
die Schweiz dann tatsächlich vorübergehend 53 000 Kosovaren auf. Grunders
Vorschlag ist alles andere als eine exzentrische Utopie, sondern eine humanitäre Leistung, von der die Schweiz in
ihren besten Stunden bewiesen hat, dass
sie zu erbringen ist.
Dennoch scheint es schwer vorstellbar, dass sich das Land heute ebenso
grosszügig zeigt. Der Grund liegt jedoch
nicht darin, dass die wirtschaftlichen und
logistischen Herausforderungen nicht
zu bewältigen wären, sondern darin, dass
ein solcher Einsatz für Freiheits-, Asylund Völkerrecht heute politisch kaum
denkbar erscheint. Das Klima hat sich
verändert. Der konsequente Einsatz für
Menschenrechte wird nicht mehr als prinzipienfest, sondern als realitätsfremd
betrachtet. Die Presse und die Parteien
denken nicht im Traum daran, mit Entschlossenheit voranzugehen. Viel zu sehr
ist man damit beschäftigt, «die Ängste
der Bevölkerung ernst zu nehmen».
Zu den prägenden Erfahrungen meiner politischen Sozialisation gehörten
Erzählungen meiner Eltern über die Ungarnhilfe. Über Autokonvois, beherbergte Studenten, Freundschaften, die die
Jahre überdauerten. Dieses Engagement
für die Freiheitsrechte verfolgter Menschen gehörte einst zum selbstverständlichen Erbteil der bürgerlichen Schweiz.
Was ist daraus geworden?
DA N I EL BI N S WA NGER ist Redaktor bei «Das Magazin».
4
Orange
heisst jetzt
Salt.
DA S M AGA Z I N 18/201 5 Von DANIEL BINSWANGER
Nein, ein Ruhmesblatt ist es nicht, wie
die Öffentlichkeit in der Schweiz (und
Europa) mit der Flüchtlingskatastrophe
im Mittelmeer umgeht. Oh ja, es herrscht
Betroffenheit. Oh ja, es ertönt der Ruf
nach Sofortmassnahmen. Im Grunde
aber dominiert der Tenor, dass das
ethisch Wünschbare mit dem migrationspolitisch Realistischen leider in unlösbarem Widerspruch stehe. Dass zwar
etwas Soforthilfe und vielleicht auch etwas erhöhte Flüchtlingskontingente gesprochen werden müssen, eine Kurskorrektur in der Asylpolitik aber weder umsetzbar noch zu vermitteln sei, scheint
helvetischer Konsens zu sein – egal wie
sich die Notlage in Syrien, Libyen oder
Eritrea auch entwickeln mag.
Die Stahlhelmfraktion der Schweizer Patrioten behauptet derweil komplexfrei, wahre Humanität könne nur
darin bestehen, die Festung Europa gänzlich abzuschotten und «keine falschen
Anreize» zu schaffen. Die Fakten beweisen zwar das Gegenteil – die Seenotrettung wurde von der EU im letzten Jahr
massiv heruntergefahren, trotzdem hat
die Zahl der Boatpeople stark zugenommen –, doch das ficht die Demagogen
der Menschenverachtung nicht an. Dass
ihr Argument letztlich besagt, es müssten nun möglichst viele Männer, Frauen
und Kinder ertrinken, um die Abschreckung gegen künftige Flüchtlingswellen
möglichst effizient werden zu lassen,
scheint nicht einmal der Rede wert zu
sein. Nur nicht sentimental werden, wo
überlegene Geister doch wissen, dass
Realpolitik gefordert ist!
Entsprechend erntete der Vorschlag
Hans Grunders, in einer aussergewöhnlichen Hilfsaktion 50 000 Kontingentsflüchtlinge aufzunehmen, parteienüber-
salt.ch/new
DA S M AGA Z I N 18/201 5 DR AUSSEN SEIN MIT: MAIKE CRUSE
Die Direktorin der zwei grossen Berliner Kunstmessen erzählt, warum in
ihrer Familie bald alle Arbeitsverbot haben – ausser ihr selbst.
Von MICHAEL HUGENTOBLER
Sie atmet flach, hält sich mit der linken Hand den Bauch und
zieht mit der rechten Hand die schwere Holztür auf. Vor uns
brummt die Potsdamer Strasse. An der Tür klebt ein Zettel –
dieses Haus sei denkmalgeschützt, videoüberwacht und alarmgesichert. Gleich neben die Tür hat jemand Andy Warhols Banane an die Wand gesprüht.
Was soll die Banane, Frau Cruse?
«Das ist ein Projekt: Dieser Künstler markiert weltweit
Galerien mit Bananen. Seit den Achtzigern tut er das.»
Ist das nicht ein Problem?
«Was?»
Dass einer ein denkmalgeschütztes Haus anmalt.
«Ach so. Das ist ja das Schöne an Berlin: dass die Polizei
immer sehr spät kommt.»
Die Verspätung der Polizei ist auch einer der Gründe,
warum Maike Cruse ihr Büro hinter dieser schweren Holztür
hat und nun Direktorin der zwei grossen Berliner Kunstmessen ist, des Gallery Weekend im Frühling und der ABC im
Herbst. Nach ihrem Kunststudium betrieb sie eine illegale Bar
in Kreuzberg, und wenn Freunde aus New York zu Besuch waren, sagten die, bei ihnen zu Hause dauere so etwas zwei Stunden und dann stehe die Polizei vor der Tür. In Berlin kam die
Polizei nicht und The Forgotten Bar Project wurde zur Legende. Der Raum war zehn Quadratmeter gross, und jeden Tag
wurde eine neue Ausstellung eröffnet. Anfangs war noch genug Platz für Besucher, aber dann standen tausend Leute auf
der Strasse und wollten auch rein. Einen Sommer lang ging
das so, und als die Tage kürzer und kühler wurden, schloss
Cruse an einem Samstag die Tür der Bar, reiste an einem Sonntag in die Schweiz und begann an einem Montag ihren neuen
Job als Kommunikationsleiterin der Art Basel. Drei Jahre später erwartete sie ihr erstes Kind und zog zurück nach Berlin,
um den heimischen Kunstmarkt aufzufrischen.
München hat BMW oder Allianz, Berlin ist pleite. Die
Künstler lieben die Stadt, und an internationalen Messen ist
nur New York besser vertreten als Berlin. Verkauft wurde hier
in der Vergangenheit aber kaum, da das Geld fehlte. Cruses
Ziel ist, Sammler aus São Paulo, Paris und Hongkong hierherzulocken. Und die reichen Berliner zu Sammlern zu machen.
Der Kunstmarkt sei zwar noch schwach hier, sagt sie, aber seit
einigen Jahren tue sich was. Sammler hätten Zweitwohnungen in der Stadt, junge Leute fingen an zu kaufen.
Wir biegen in die Pohlstrasse ein, Cruse hat die Hände auf
dem Rücken verschränkt und den Schal um den Bauch gewickelt. Sie geht langsam. Es dauert noch zwei Monate, bis ihr
zweites Kind zur Welt kommt.
Den Sommer wird das Baby mit ihr im Büro an der Potsdamer Strasse verbringen, und es wird den Weg, den wir jetzt laufen, etliche Male im Kinderwagen zurücklegen, die Pohlstrasse
hinunter, durch den Park am Gleisdreieck, dann zum Messegelände der ABC auf der anderen Seite des Parks. Eine längere Babypause wird Maike Cruse nicht einlegen. Damit das funktioniert, hat sie in ihrer Familie ein Arbeitsverbot ausgesprochen,
zudem werden ihre Eltern für einige Monate bei ihr einziehen.
Wir erreichen den Park, wo Kinder auf Skateboards herumflitzen und Eltern auf dem Rasen sitzen und Sandwiches essen.
Es gibt Naturspielplätze und Ökowiesen. Riesige Rosenblüten
aus Styropor stehen zwischen japanischen Kirschbäumen, und
das Rattern der U-Bahn auf der stählernen Brücke ist zu hören.
Der Park diente noch vor einigen Jahren als Parkplatz für
Bagger und Walzen der nahen Baustelle am Potsdamer Platz.
Damals war dies eine verruchte Gegend, und noch heute liegt
der Strassenstrich nur ein paar Strassen weiter. Aber nun ziehen viele Galeristen in dieses Quartier. Alle paar Meter steht
eine Galerie, oder eine neue wird gerade eröffnet, zwischen
urologischer Praxis, Bestattungsinstitut und arabischem Lebensmittelladen. Hier spazieren am ersten Maiwochenende
die Kunstsammler durch. Das Gallery Weekend ist eigentlich
eine Messe, die über die ganze Stadt verteilt ist. «Den Leuten
macht das wahnsinnig viel Spass, und sie kommen immer
wieder zurück, seit elf Jahren schon», sagt Cruse.
Wir kommen am Mercure Hotel vorbei, dessen Seitenwand mit einer nackten Pocahontas bemalt ist, mit einem Arm
wie ein Baumstrunk, und rundherum sind Leoparden und Papageien und Tukane zu sehen. Hinter einem Schlagbaum glitzert das Dach des ehemaligen Postbahnhofs, wo früher die
Züge hineinfuhren und entladen wurden. Heute hängen teure
Lautsprecher von der Decke und Lüftungsrohre schlängeln
sich durch die Stahlträger. Hier wird im Herbst die ABC stattfinden, und das Baby wird seine erste Kunstmesse erleben.
Können Sie Ihr Baby eigentlich überallhin mitnehmen?
«Das ist die Schönheit in Berlin: dass man hier so frei ist.
Niemand guckt schief, wenn man viel arbeitet und trotzdem
Kinder hat.»
Wie war das früher?
«Bis in die Siebzigerjahre brauchte man von seinem Mann
eine Unterschrift, dass man arbeiten gehen durfte.»
Wirklich?
«Dass die Frau von den Haushaltspflichten befreit wurde
– durch ihren Mann! Unvorstellbar.»
Wir spazieren den kurzen Weg zurück durch den Park zur
Pohlstrasse. Normalerweise würde Maike Cruse nun um die
Ecke biegen, bei Warhols Banane die schwere Holztür aufstossen und die Treppe hoch ins Büro gehen. Doch heute entscheidet sie sich anders. Sie erholt sich gerade von einer Erkältung und will heim. Sie verabschiedet sich vor einem ausgehöhlten Haus, durch das die U-Bahn hindurchfährt und wo im
oberen Stock frisch gewaschene Wäsche aus dem Fenster
hängt. Sie duckt sich in einen alten Saab, und dann ist sie weg.
Maike Cruse und die Frühlingssonne in Kreuzberg.
Bild DEBOR A M I T T EL S TA EDT
7
HAZEL BRUGGER
FETTE VIECHER
Angeblich sind 15 Prozent aller Schweizer Haustiere adipös. Ja. Ein regelrechter
Brummer, diese Zahl, und trotzdem hat
man so gar keine Ahnung, was man jetzt
damit anfangen soll. «Schwere Knochen!», wird vielleicht so mancher Tierbesitzer jetzt rufen, «Sibe chugelrundi
Söi» singen und hinterherfeuern: «Lieber was zum Anfassen als so einen Hungerhaken von einem Hund! So ein
Mannequin ohne Sexap­peal! Ein
zynischer Whippet! Wer will denn
schon ein kynologisches Xylofon
streicheln!»
Als Kind durfte ich manchmal
mit einem benachbarten Norwich
Terrier spazieren gehen. Theoretisch zumindest, denn wirklich
spaziert sind wir eigentlich nie,
wir sassen immer nur rum, blinzelten in die Sonne und dachten
nach. Ich über die Schule, er über
Essen. Ein äusserst liebenswürdiges Tier, aber vom Betteln verwöhnt und in seiner RattenfängerBegabung verkannt. Er war ein
klassischer unheilbar üppiger Vertreter der Klopsfront. Jeden Frühling wurde sein Fell von einem
Profi getrimmt, und unter dem
struppigen Kopf zeichnete sich
der weiche Körper eines Michelin-Rüden ab. Seine Bewegungen
wurden immer minimalistischer und
sein Atmen flacher. Dieser Hund war wie
ein sehr haariger Kalender – mit jedem
Jahr kam zuverlässig eine weitere Fettwurst dazu. Zuerst nur im Nacken, später dann über die ganze Wirbelsäule
verteilt bis hin zum Rutenansatz.
Achtundneunzig, neunundneunzig,
Millennium. Irgendwann sah er dann
aus wie ein fleischerner Karteikasten,
dessen Fächer man mit einem feuchten
Baumwolltuch vor Ekzemen bewahrte.
Ich kenne auch viel zu viele kastrierte
Kater, die sich den ganzen Tag lang wie
aufgedunsene Knödelsultane auf dem
Perser fläzen und denen nach der Beschnippelung ein formloser Hautsack
aus der traurigen Bauchregion wächst:
riesige Fettschürzen, die bei jedem
Schritt wippen und geschmeidige Wel-
len schlagen. Als hätte der Katerkörper
einen Weg finden müssen, seine verkümmerte Libido nach aussen zu tragen.
Um sein Herrchen Tag für Tag daran zu
erinnern, dass dieser ihn seines natürlichen Auftrags als Jäger und Besamer beraubt hat. Wenn ich schon nicht bumsen
soll, dann werde ich halt fressen! Meine
Liebe und den Stolz im Cholesterin ertränken! Sahnetorten beim Kaffeeplausch mit den Ladys, Alaska- Seelachs
im Garten der weichherzigen Nachbarin, Sheba Gold in der Küche, Brekkies
at Tiffany’s.
Und von den vereinsamten Nageund anderen Tieren würde ich am liebsten gar nicht erst anfangen. All die depressiven Meersäue, denen die Partner
weggestorben sind und die sich jetzt von
Körnersnack zu Körnersnack fiepsend
durch den Tag angeln. All die
Schnecken, die vor Speckigkeit
nicht mehr in ihre Häuser passen.
Oder die unzähligen Hamster, die
aus Langeweile einfach immer
fetter und fetter werden. Bis sie
schliesslich aussehen wie Mädchen. Also so wie kleine Maden.
Klar also, dass ich jetzt plane,
aus dieser Marktlücke Profit zu
schlagen. Ein Abspeckzentrum für
fettleibige Hunde, Katzen und andere zu eröffnen. Eine Art Arche
Noah mit Sportangebot und ohne
göttlich auferlegten Zwang zum
ungeschützten Sex. Armeen von
Cockerspaniels beim Zumba,
Chinchillas beim Bodypump und
Siamkatzen, die im Vibrato Akte
der «Aida» auf dem Power Plate
miauen.
Es wäre herrlich und ich ohne
Zweifel das neue Covergirl der
«Tierwelt». Die Herzen aller
Landmaschinenexperten wären mir
endlich sicher und mit ihnen der Traum
vom grindigen Gehöft im Wallis, Aargau,
Glarnerland.
Also. Füttern wir die 15 Prozent ruhig
noch ein bisschen weiter. Irgendwann
werden mein Landmaschinenmann und
ich die ganze Mastarbeit zu schätzen wissen.
Die Slampoetin H A Z EL BRUG GER schreibt hier im Wechsel mit Katja Früh.
Bild LU K A S WA S SM A N N
DA S M AGA Z I N 18/201 5 M A X KÜNG
LACHEN MIT XENIA
Dass das Internet ein Seich ist, mit dem man Stunden, Tage,
Wochen seiner Lebenszeit vergeudet, und das Handy ein ständig im Hosensack herumgetragenes Gift für Geist und Seele,
dass Facebook das Langweiligste auf der Welt ist und Twitter
der Megakäse – all dies und ein paar andere Dinge mehr habe
ich so langsam begriffen. Und so langsam – so langsam, wie
man etwa mit dem Velo im ligurischen Hinterland die vielen,
vielen Kehren des Passo Cento Croci hochfährt – wird mir klar,
dass auch Instagram Schwachsinn ist.
Xenia Tchoumitcheva wurde – aus mir auch heute noch
unerklärlichen Gründen – im Jahr 2006 bei den Wahlen zur
Miss Schweiz nur Zweitplatzierte. Es gewann damals Christa
Rigozzi. Xenia Tchoumitcheva wurde 1987 im Südural geboren,
in der Stadt Magnitogorsk, gemäss einer Studie eine der dreckigsten Städte der Welt, wegen von Schwerindustrie verpesteter Luft, verseuchten Grundwassers und vergifteten Bodens.
Nach dem zweiten Platz an den Miss-Schweiz-Wahlen blieb
Xenia Tchoumitcheva medial präsent, ist oder war als Werbegesicht für Visilab tätig, für Burger King und neuerdings auch
für eine Psycho-Selbstoptimierung namens Energy1. Sie war
eine Weile die Freundin des ehemals erfolgreichen Formel-1Rennfahrers Fernando Alonso (der «Blick» schrieb: «Alonso
fährt auf scharfe Kurven ab – auch abseits der Rennstrecke»).
Vor zwei Jahren versuchte sie es auch als Sängerin mit einer
Single, der Text ging so: «Sexy people look at me, beauty is my
therapy. These playboys look cute like money. These playgirls
look cute like cash. Mirror mirror on the wall, who’s the hottest of them all?»
Kürzlich traf ich eine Bekannte, wir redeten, was man so
redet, und irgendwann erwähnte sie, dass sie Xenia Tchoumitcheva auf Instagram folge und so an deren recht glamourösem
Leben teilhabe, und ich sagte: «Ich auch.» Es kann sein, dass
ich dabei rot geworden bin. Ich weiss nicht mehr, wann, irgendwann fing ich an mit Instagram, es kam mir vor, als blätterte man durch ein buntes Heftli: Viele Bilder, wenig Worte –
so mag ich es. Nach und nach aber wurde mir klar, dass auch
Instagram nur eine Werbeplattform ist. Firmen machen Werbung für ihre Produkte. Menschen machen Werbung für sich
selbst. Warum ich damit begann, Xenia Tchoumitcheva zu
folgen, weiss ich nicht mehr, aber ich folge ihr, so wie ich auch
Cristiano Ronaldo folge, SISI *, Whatsupnails und ein paar
Freunden. Xenia Tchoumitcheva jedoch löste eine spezielle
Faszination aus, einerseits wegen ihrer pathologisch extremen Form der fotografischen Selbstdarstellung, wie sie mit
einer Kokosnuss und im Bikini von Victoria’s Secret in Miami
mit der Sonne um die Wette strahlt (Kommentar: «This is heaven. I’m in heaven»), wie sie in einem Matthew-WilliamsonCocktaildress an einem Pool in Marokko steht oder mit der
Sonnenbrille von Avrone vor ihren uralblauen Augen vor dem
Mailänder Dom herumhüpft («Milano it’s been great»). Andererseits postet Xenia Tchoumitcheva auch reine Textbeiträge, kurze philosophische Gedanken, und jedes Mal, wenn
ich einen davon lese, denke ich: Man möchte ihn sich gleich
tätowieren lassen. Meine Güte, so viel Haut hat nicht einmal
der dickste Mensch der Welt, um sich all die Weisheiten in die
Haut stechen zu lassen: «Either I will find a way or I will make
one.» «If you could go anywhere in the world right now would
it be to a ‹where› or to a ‹who›?» Oder das wohl tollste Motto,
welches meine Augen je haben lesen dürfen: «I just wanna
spend the rest of my life laughing.»
«Ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha,
ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha»: bis das gelbe Wägeli kommt.
*S ISI ist nicht zu verwechseln mit ISIS. Letzteres steht für
«Islamischer Staat im Iran und in Syrien», Ersteres für
«Sports Illustrated Swimsuit Issue».
M A X K Ü NG ist Reporter bei «Das Magazin».
9
K ANN HIER JEMAND
WECHSELN?
Unser Autor hat den perfekten Plan fürs schnelle Geld:
Nach Argentinien fliegen und dort mit dem letzten
Ersparten Pesos kaufen. Die muss er dann nur noch mit
Gewinn gegen Franken tauschen, theoretisch.
Von Maurus Federspiel
Illustrationen Andreas Gefe
12
die Nachfrage gestillt: Ursprung des Blaumarkts,
mercado blue.
So weit die Fakten. Die Frage ist nun: Wie müss­
te ich vorgehen, damit eine Transaktion auf dem
Schattenmarkt zu meinem Vorteil ausgeht? Ich las­
se es mir von der Freundin aus Amerika also noch
einmal erklären: Man fliegt mit seinem Ersparten
nach Buenos Aires, tauscht es dort blau gegen Pesos,
deren Gegenwert um die Hälfte über dem nominel­
len Wert liegt, kommt schnell heim, ehe die Inflati­
on den Gewinn auffrisst, und tauscht die Pesos wie­
derum gegen gute Schweizer Franken zum offiziel­
len Wechselkurs. Voilà, die Geldvermehrung. Okay,
kapiert. Genau das Richtige für den notorisch abge­
brannten Schriftsteller. Obwohl – ungewohnt das
Gefühl, ein gewiefter Händler zu sein, da werde ich
misstrauisch mir selbst gegenüber; in der Regel bin
ich nicht Subjekt der Schläue, sondern ihr verdatter­
tes Objekt. Und ein wenig irritiert es mich schon, dass
sich dieses flotte Geschäftsmodell noch nicht herum­
gesprochen hat. Andererseits, es sind doch schliess­
lich immer solche Nischen, in denen jeder erfolgrei­
che Businessman anfängt. Zwölf jährliche Trips nach
Südamerika, und man lebt gar nicht so schlecht …
Präludium vor dem Start: Das Ticket ist gekauft,
es geht an den Goldschalter an der Bahnhofstrasse,
wo ich meinen letzten Goldbarren versilbere (der
Goldschalter: beliebter Treffpunkt von HartgeldParanoikern – beim Anstehen wird mir diesmal ver­
sichert, es dauere nicht mehr lange, bis wir alle einen
Chip in den Hals eingepflanzt bekämen, wie die Hun­
de bei uns). Mit dem Bargeld gehts wieder auf mei­
ne Bank. Zuerst Einzahlung aufs Konto, dann Bitte
um zehntausend Dollar. Der Schalterangestellte lä­
chelt plötzlich und sagt milde, das hätte ich ja schön
ausgerechnet, jetzt seien noch genau drei Franken
Tür zu, Tür auf. Tür zu, Tür auf.
Ihre neue Lieblingsbeschäftigung
in langweiligen Meetings.
DA S M AGA Z I N 18/201 5 Auf meiner Bank frage ich, ob man auch Pesos ein­
wechsle, argentinische Pesos. Bestimmt, meint die
freundliche junge Frau, aber sie werde sich sicher­
heitshalber bei ihrer Vorgesetzten erkundigen. Sie
verschwindet, kommt zurück, lächelt: «Kein Pro­
blem.»
Eine amerikanische Freundin hatte mich zuvor
auf eine Option aufmerksam gemacht, mit der ich
meine finanzielle Situation ein wenig aufhellen könn­
te. In Argentinien existiere ein Schwarzmarkt, auf
dem man für den Dollar über fünfzig Prozent mehr
Pesos erhalte als nach dem regulären Wechselkurs.
Das liess sich im Internet leicht überprüfen: Ende
Januar steht der Dollar offiziell bei gut acht Pesos –
auf dem Schwarzmarkt (der dort Blaumarkt heisst)
würden einem aber mehr als dreizehn Pesos dafür
bezahlt. Den Hintergrund konnte man aus den Nach­
richten erfahren: Argentinien durchlebt die wirt­
schaftliche Dauerkrise. Aus dem Ruder laufende
Staatsausgaben, Privatisierungen an ausländische
Firmen, die man auch einen Räumungsausverkauf
nennen könnte, Währungsmanipulationen und -ab­
wertung führten schon 2001 zum Staatsbankrott.
Nach einer kurzen Phase der Erholung betrug die
Inflation letztes Jahr bereits wieder zwischen zwan­
zig und dreissig Prozent (wobei die Regierung be­
schönigend nur zehn Prozent auswies). Der Peso ver­
fällt einem zwischen den Fingern, während man noch
mit der Banknote nach einem Kellner wedelt. Der
Argentinier versucht also, sein Geld in harten Wäh­
rungen anzulegen, um inflationsresistent zu werden.
Weil der Peso durch den Geldwechsel noch weiter
nachgibt, versucht der Staat, seine Bürger daran zu
hindern, indem er den Banken praktisch verboten
hat, Dollar oder Euros zu tauschen. Dadurch wurde
zwar das Angebot an Dollars verknappt, nicht aber
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sich kaum vor dem Bauch. Es sei nicht ganz unge­
fährlich hier, warnte ein Freund, ihm wurde von ei­
nem Motorradfahrer das Smartphone aus der Hand
geschnappt, auch von Raubüberfällen war die Rede.
In der Fussgängerzone werden Koffer, Turnschu­
he und Plastikspielwaren verkauft, alle paar Schritte
stehen Männer an die Wand gelehnt, die Cambio,
cambio, caaambio rufen, abwechselnd wie in der Sing­
vogelschule. Jeder trägt einen kleinen Taschenrech­
ner bei sich, auf dem er den angebotenen Kurs ein­
tippt. Der Wechsler hält einem dann das Gerät vor die
Nase, gefeilscht wird nicht, da steht es ja schliesslich,
schriftlich – nichts zu machen! Es herrscht Preisab­
sprache, und vom vierten Wechsler lasse ich mich
schliesslich in eine leer stehende Einkaufspassage
führen und reiche ihm den ersten Schein (mein Depot
zeige ich ihm natürlich nicht). In dem schattigen Flur
fällt mir auf, dass ich mir den einzigen Geldwechsler
weit und breit ausgesucht habe, der mich um einen
halben Kopf überragt, und verstehe nun den wahren
Sinn des Worts Touristenfalle. Aber der Mann zieht
einen dicken Wust abgegriffener Pesos aus der Tasche
und zählt sorgfältig den korrekten Betrag auf meine
flache Hand ab. Ob er auch eine grössere Summe
wechseln könnte, frage ich, sagen wir tausend Dollar.
Wortlos reicht er seine Visitenkarte, gibt mir die Hand
und fragt, um wie viel Uhr ich wieder hier sein werde.
Um drei sei am Samstag nämlich Geschäftsschluss.
Irgendwie hatte ich nicht erwartet, dass sich auch
der Schwarzmarkt an die Ladenöffnungszeiten hält.
Eine Komplikation. Mehr als tausend Dollar aufs Mal
möchte ich nicht einwechseln, nur – das hiesse, dass
ich in den nächsten drei Stunden zehnmal zum Hotel
und wieder hierher zurück pilgern müsste. Oder das
Geschäft auf Montag verschieben. Aber da fliege ich
ja schon wieder heim. Irgendwie hatte ich nicht erwartet, dass sich
auch der Schwarzmarkt an die Öffnungszeiten hält.
Eine Komplikation.
14
AUSGEZEIC
HNET
Valiant
Bank
Private-B
anking-R
ating
2015
Wo jedes
Vermögen gleich
sorgfältig
behandelt wird.
Wir sind einfach Bank.
DA S M AGA Z I N 18/201 5 auf dem Konto! Ganz verzückt ist er von seiner Fi­
nanzdienstleisterromantik. Mir wirds aber ein we­
nig mulmig. Ich rette meine Laune mit dem Gedan­
ken an die viertausend Franken Gewinn, die mir
nach Abzug der Reisekosten bleiben müssten.
In Paris – Zwischenlandung – erhalte ich die
Nachricht einer Bekannten, M., die gerade ein paar
Monate in Argentinien verbringt. Nicht in Buenos
Aires, in Rosario. Sie meint, das Ganze könnte schwie­
riger werden als gedacht – es sei nicht möglich, so
viel Geld auf einmal zu tauschen. Zu spät.
Ich wache auf, ohne eingeschlafen zu sein. Die
Flugbegleiterinnen verteilen ein kleines Formular
für die Zollerklärung. Name, Passnummer, traigo en
efectivo o en instrumentos monetarios un valor igual
o superior a US$ 10.000: Anzukreuzen ist SI oder
NO. NO, nein, ich bringe keine zehntausend Dollar
mit, darauf habe ich geachtet – 9980 sind es exakt.
Also nichts anzumelden. Vor sechzehn Stunden noch
Zürcher Hochnebelwinter, nun steige ich aus der AirFrance-Maschine hinab ins flüssige Heiss am Flug­
hafen Ezeiza. Am Zoll nimmt man meinen Dau­
menabdruck, fordert mich auf zum Blickkontakt mit
einem eingedosten elektronischen Auge. Keine Fra­
ge wird gestellt, aber selbst wenn – ich habe nichts zu
verbergen. Noch nicht. Auf der Rückfahrt wird mein
Gewissen dann nicht mehr ganz so rein sein.
Auch der Temperaturanzeige im Shuttlebus ist
es zu heiss, ihre Angabe wechselt mit jedem Atem­
zug, zeigt bald Minusgrade an, bald Fieber, bald ko­
chendes Wasser, dabei sind wir erst in den Vormit­
tagsstunden. Das Hotelzimmer lässt sich noch nicht
beziehen, zu früh; ich mache mich direkt auf den Weg
zur Einkaufsstrasse Calle Florida, unter dem Hemd
der billige Bauchgürtel mit Schnappverschluss. Gut:
Das flache Bündel Hundert-Dollar-Scheine wölbt
regulären Schmuckkunden scheinen im Bilde zu sein,
das Tauschgeschäft wird wohl vom Staat toleriert.
Alle paar Minuten treten zwei oder drei Leute aus der
Tür zum hinteren Teil des Ladens, und ein aufgereg­
ter junger Mann ruft, irgendwie gehetzt, als habe er
eine besonders komplexe und delikate Angelegenheit
zu erledigen, den vordersten zwei Schlangestehern
zu, sie sollen mitkommen.
Schliesslich werde auch ich durch ein paar enge
Korridore in ein winziges, fensterloses Zimmer ge­
führt, in dem nur ein Pult und zwei Stühle stehen;
quer über den Gang sind zwei weitere gleichartige
Büros zu sehen. Ein älterer Mann zwängt sich zu mir
herein, dick, wie es sich gehört, aber freundlich. Ich
setze mich ihm gegenüber, stelle wieder meine Fra­
ge: Ob er auch grössere Beträge wechsle? Klar. Zehn­
tausend Dollar? Klar. Er bleibt ungerührt. Bedeutet
aber dem jungen Mann, die Tür zu schliessen. Ich
lege das Bündel vor ihm auf das Pult. Er hat die Är­
mel nach hinten gekrempelt – keine Taschenspieler­
tricks, soll das vielleicht signalisieren (oder: Es ist
heiss). Er lässt die Dollars zweimal durch eine Geld­
zählmaschine rauschen: 9880. Tippt etwas auf einen
Taschenrechner und zeigt mir einen Betrag an. Langt
unter das Pult und stapelt sechs oder acht mit Gum­
mibändern zusammengehaltene Geldbeigen auf den
Tisch. Langt wieder unter das Pult. Und wieder, und
wieder, und wieder. Bis ich vor einem Berg Banknoten
sitze, so gross wie eine dreistöckige Hochzeitstorte.
Vermutlich sehe ich jetzt etwas betreten aus. Ei­
gentlich hatte ich vorgehabt, auf der Rückreise den
Pesos-Anteil, der den zur Ausfuhr erlaubten Gegen­
wert von zehntausend Dollar übersteigt, in die Un­
terhosen zu stopfen. Bei diesen Mengen sähe das si­
cher lustig aus; aber der Zoll hat eben gar keinen Hu­
mor. Der Geldwechsler reicht mir eine Plastiktüte
Ich setze mich ihm gegenüber, stelle wieder
meine Frage: Ob er auch grössere Beträge wechsle?
Klar. Zehntausend Dollar? Klar.
16
DA S M AGA Z I N 18/201 5 Während ich noch überlege, eine neue Nachricht von
M.: Sie hat sich in meiner Sache umgehört und wur­
de auf einen Juwelier verwiesen, der im Hinterzim­
mer Geld wechsle. Adresse folgt.
Avenida 9 de Julio: die breiteste Strasse der Welt,
ein Drillingsboulevard, so breit, dass er zwei zusätz­
liche Namen benötigt: Carlos Pellegrini und Cerrito
heissen seine Seitenarme. Verkehrsdonnern, Men­
schenmassen. Gesichter mit italienischen, spani­
schen, indianischen Reminiszenzen. Gerüche, die
mir Madrid wachrufen. Madrid, ausgerechnet. Wie
haben die Konquistadoren den Duft ihrer Stadt nur
über den Atlantik verfrachten können? Wegen der
Schachbrettstrassen überhaupt der Eindruck, mich
durch die stadtbaumeisterliche Erweiterung einer
spanischen Grossstadt zu bewegen, Barcelona oder
Valencia; dort gibt es jeweils einen Kern, eine Alt­
stadt. In Buenos Aires hat man die irgendwie ver­
gessen – hier sieht alles aus nach Aussenbezirk.
Die Taxifahrt führt nach Norden, an einer end­
losen Zahl von Strassenblöcken vorbei, mal wird die
Gegend schmuddelig, dann wieder feudal. Wir halten
nie, werden kaum einmal langsamer, trotzdem dau­
ert es eine halbe Stunde bis zu meinem Juwelier, und
ein Ende der Häuserschluchten ist nicht absehbar.
Mein Erspartes drückt mir auf den Bauch, der Fahrer
sagt, die Kriminalität habe zugenommen, seit sich
die Krise verschärft hat. Aber schliesslich könne ei­
nem ja auch in Zürich etwas zustossen, ¿verdad?
Das Juweliergeschäft liegt im Quartier Coghlan
(oder ist es schon Villa Urquiza?). Der Verkaufsraum
ist schmal und lang, eine Menschenschlange steht
an der Wand mit den Vitrinen an, in denen Uhren
ausliegen, Swatch und Casio und andere mit pira­
tisch erbeutetem Schweizerkreuz. Man wartet in
dösender Langeweile, kein Codewort ist gefragt, die
DA S M AGA Z I N 18/201 5 und gibt väterliche Anweisungen: Nur den legalen
Anteil ins Bordgepäck, nicht nervös werden, nicht
zu viel reden, dann würde ich keine Probleme haben.
Ich zucke die Schultern, klar.
Tresor-Irrungen im Hotel an der Calle Recon­
quista. Im ersten Zimmer höre ich jedes Wort meiner
Nachbarn, eine ganze Sippe scheint sich da einquar­
tiert zu haben. Im nächsten lässt sich der Safe nicht
schliessen, ebenso wenig im dritten; jedes Mal ver­
sucht ein anderes Zimmermädchen ihr Glück an der
Elektronik des Panzerschranks, die Tür zum Gang –
Hotelrichtlinie – bleibt dabei offen. Erst als ich den
Geldhaufen endlich in den Tresor einfülle, bemerke
ich seinen Gestank: Schweiss, Moder, Gier; alte, böse
Emotionen haften unerlöst an diesen Scheinen.
Die erste Etappe ist genommen, es bleiben mir
zwei freie Tage als Tourist.
Strassenbummel. Im Restaurant El Cuartito nahe
der Plaza General Lavalle sei die Pizza erfunden
worden, behauptet jemand. Scheint mir plausibel –
der fettige Fladen auf dem Teller vor mir stellt wohl
eine frühe Evolutionsstufe des Gerichts dar. Ein Pro­
zessionskreuz aus dem 12. Jahrhundert im Museo
Nacional de Bellas Artes, das barocke Grossporträt
eines wohlmanikürten Jesus Christus vor tinten­
schwarzem Grund. Die Finsternis ist bedrängend,
der Gottessohn strahlt nicht mehr, sondern droht ver­
schluckt zu werden – vielleicht seine wachsende Ab­
kapselung von der Welt. Der Abzug einer blutrüns­
tigen Bildserie von Goya, Zweitklassiges von Pissarro,
Gauguin, Sisley. Letzterer ist eigentlich immer zweit­
klassig. Der Eintritt ins Museum kostet nichts, man
kommt wegen der Klimaanlage hierher.
Lederwaren in San Telmo. Die Tasche, die mir
am besten gefällt, ist – hier im Lederland – synthe­
tisch und hecho en China; so viel zu meinem Ge­
schmack. Die Armut. Clochards sammeln Papier­
schnipsel im Businessviertel. Vor einem stillgeleg­
ten Theater schläft eine Familie mit zwei Kindern in
der Nachmittagshitze schmutzfüssig auf einem Stück
Pappe. Wie mögen sie ihre Nacht verbracht haben?
Die träumenden Gesichter sind heiter. Obdachlose
verkaufen zerfledderte Heiligenbildchen. Dem
Grossteil der Bevölkerung scheint es an nichts zu
fehlen. Man arbeitet und isst Rumpsteak und kauft
ein. Den Armen gibt man nichts, das sollen jene tun,
die mehr haben als man selbst. Wie überall sind auch
hier die Reichen das gute Gewissen des Mittelstan­
des. Mmh. Ein Pfund süsse schwarze Kirschen und
eine Handvoll Feigen aus dem Mercado de San Tel­
mo; es ist Januar.
Der junge Zollbeamte am Flughafen will wis­
sen, was ich für nur zwei Tage hier gemacht hätte.
Meine mit Notenbündeln prall gefüllte Handtasche
wurde von der Röntgenmaschine durchleuchtet; er
lächelt, hilfloser Komplize des Rechts, und weiss,
dass ich weiss, dass er weiss. Er spricht in ein WalkieTalkie. Schickt mich weiter. Als müsste ich mich vor
einem Gottesgericht bewähren, bei dem jedes Miss­
geschick als Indiz gegen den Angeklagten gewertet
wird, stolpere ich, verhasple mich, mein Schnürsen­
kel löst sich, dann der Riemen der Handtasche. Es
dürfte zwanzig Jahre her sein, seit ich zuletzt einen
Schritt aus der Legalität hinaus getan habe. Wie ein­
dringlich der Staat doch dem Bürger eingeimpft hat,
dass er als Träger von Barem – also digital nicht ver­
folgbarem Geld – unter Schuldvermutung steht. Na­
türlich droht mir keine grosse Strafe. Einige Stunden
in einem Verhörzimmer, ein verpasster Flug, eine
Busse. Aber: Die Konfiskation des Geldes in meiner
gegenwärtigen Finanzsituation wäre, nun, unange­
nehm.
Als ich in Paris aussteige, wird eine ausserordent­
liche Passkontrolle in der Gangway angekündigt. Ich
muss an den Funkspruch des argentinischen Zöll­
ners denken. Ist es möglich, dass . . ? Ich zeige meinen
Schweizer Pass. Bonjour; merci; au revoir.
Vor der Weiterreise wird noch einmal mein Ge­
päck durchleuchtet. Was ist mit dem Röntgenblick
eigentlich sichtbar? Die indischstämmige Unifor­
mierte hält mich an: C’est quoi ça, Monsieur? Ich sto­
cke, mein Mund schnappt lautlos nach etwas ge­
schmeidig Unwahrem. Sie bietet mir die Antwort
selber an: Ce sont des livres? Ich nicke: Oui. Weiter.
Heim. In der Schweiz droht mir kein Ungemach mehr;
das wars.
Oder fast. Einfühlsam drückt mir die Schalteran­
gestellte auf der Bank ihr Bedauern darüber aus, dass
man meine Pesos nicht einwechseln könne; ich sei
falsch informiert worden, leider, es gebe keinen ver­
bindlichen Wechselkurs. Es ist dieselbe junge Frau,
die mir vor einer guten Woche die Zusage gemacht
hat, und sie erinnert sich, mit Unbehagen. Ich bleibe
fatalistisch gelassen (oder heiter verzweifelt). Der
Berg Geld wird ein paarmal unter dem Sicherheits­
glas hin und her gereicht. Ich lasse mich nicht ab­
wimmeln. Termine erwarten mich keine. Es wird te­
lefoniert; dann heisst es, vielleicht könne man doch
etwas machen, am Notenschalter. Das Geld wird in
einem Beutel versiegelt und nach hinten gereicht.
Drei Tage lang bin ich bankrott. Die MastercardGebühren werden abgebucht, ich stehe im Minus.
Von der Bank höre ich nichts. Am Freitagabend ein
letzter Gang zum Bankomaten vor dem Wochenende.
Ein fünfstelliger Betrag wird angezeigt. M AU RU S F EDER SPI EL ist freier Autor und lebt in Zürich; redaktion@dasmagazin.ch
Der Illustrator A N DR E A S GEF E lebt in Zürich; www.gefe.ch
19
BI L D: H EN RY GR I S/F P G/GE T T Y I M AGE S
EIFERSÜCHTIG?
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BI L DE R : I N T E R F O T O (3X ); DDP I M AGE S (3X ); MOV I E S T OR E C OL L E C T ION LT D / A L A M Y (2 X ); K E Y S T ON E/ U N I T E D A RC H I V E S/103 K PA A RC H I VA L C OL L E C T ION
Bin ich noch verliebt oder schon krank?
Wer vor Eifersucht sich und dem Partner
das Leben zur Hölle macht, sollte zu
Harald Oberbauer gehen.
Es begann mit einem Teppichhändler, der seine Frau aus Eifersucht ermordete. Harald Oberbauer, Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, wurde vom Gericht
Innsbruck gebeten, ein Gutachten zu erstellen, das der Frage
nachging, ob der Mann, der im Wahn agierte, schuldfähig sei
oder nicht. Weil er fand, dass es für krankhaft eifersüchtige
Patienten keine Anlaufstelle gab, eröffnete er vor 15 Jahren
eine Eifersuchtssprechstunde – bis heute die einzige im deutschsprachigen Raum. «Keine Paarberatung», wie er beteuert,
«nicht so ein Frauenzeitschriften-Ding», sondern ärztliche
Betreuung in einer medizinischen Klinik.
Das Magazin — Herr Oberbauer, nehmen wir an, ich
wäre einer Ihrer Durchschnittspatienten. Ich würde Ihnen erzählen, dass ich meiner Frau nachspioniere, dass
ich in der Nacht gelegentlich an ihrem Kleid schnuppere, um zu überprüfen, wo sie war – und vor allem mit
wem. Würde ich mich für meine Eifersucht schämen?
Harald Oberbauer — Ja. Den meisten ist es unangenehm, dass
sie ihre Partner kontrollieren, wobei die Sache mit dem Kleid
eher ungewöhnlich wäre. Als ich mit der Eifersuchtssprechstunde begann, ging es noch um blonde Haare am schwarzen
Jackett oder um Lippenstift am Revers. Heute geht es um EMails, Nacktselfies und SMS von Arbeitskollegen. Sie würden
sich also viel eher dafür schämen, dass Sie sich in den Computer Ihrer Frau eingeloggt haben. Aber viel wichtiger ist – Sie
würden wahrscheinlich unter Ihrer Eifersucht leiden. Wäre
der Leidensdruck nicht gross genug, sässen Sie nicht hier.
24
Doch das alles würden Sie mir nicht erzählen, denn Männer
wie Sie, also Durchschnittspatienten, sind sehr zugeknöpft.
Wie brechen Sie das Eis?
Bei Frauen geschieht das von allein. Frauen suchen sich Hilfe,
tippen bei Google die Wörter «Eifersucht» und «krankhaft»
ein und landen früher oder später bei mir. Sie wollen reden.
Männer werden in der Regel von ihren Frauen zu mir geschleppt und sitzen dann mit verschränkten Armen vor mir. Im
Anamnese-Gespräch ist die Eifersucht vorerst kein Thema. Ich
sage: «Erzählen Sie mir von Ihrer Beziehung», «Haben Sie Kinder?». Schön langsam nähern wir uns der Eifersucht, aber ich
werte nie. Ich beginne vielleicht mit dem Satz: «Eifersucht ist
etwas Normales. Aber Eifersucht kann auch krankhaft werden.»
Spielt es denn keine Rolle, ob ich Beweise habe für die
Untreue meiner Frau? Werden Ihnen Auszüge irgendwelcher E-Mails unter die Nase gehalten?
Sie bringen mir verwackelte Fotos mit? Schön! Aber die interessieren mich nicht. Ich bin nicht Sherlock Holmes. Wären Sie
also mein Patient, ginge es nicht um die Frage, ob Ihre Frau
fremdgeht, sondern darum, wie Sie damit umgehen. Wenn
Ihre Frau Sie tatsächlich betrügt, Sie aber deshalb nicht depressiv sind, haben Sie zwei Möglichkeiten: Entweder Sie ziehen die Konsequenzen, oder Sie ordnen das für sich ein. Jeder
nach seinen moralischen Vorstellungen. Mich brauchen Sie
dafür nicht.
Wann brauche ich Sie?
Krankhaft ist die Eifersucht dann, wenn die Lebensqualität
des Eifersüchtigen – oder die Lebensqualität des Partners –
DA S M AGA Z I N 18/201 5 — BI L D: PR I VAT
Von Sacha Batthyany
beeinträchtigt ist. Das heißt, wenn ich
sexualität meinen Patienten erkläre, winmich nicht mehr auf meine Arbeit konken viele ab. «Um Gottes willen», heisst
zentrieren kann. Wenn ich ständig denes, «Homosexualität ist für mich so weit
ke: Wo ist sie? Was macht er gerade? Beentfernt wie China.»
lügt sie mich? Wenn ich dauernd konWas ist, wenn ich als Patient an eitrolliere, wir nennen das Checking. Oder
nem verminderten Selbstwert leiwenn ich Gewalt anwende, wenn ich jede? Wie bauen Sie mich auf ?
manden einsperre oder züchtige. Man
Dazu reichen drei Stunden nicht. Das
muss sich das wie ein ansteigendes Konwäre dann die Aufgabe eines Psychothetinuum vorstellen: Es fängt mit der lierapeuten.
besfördernden Eifersucht an. 98 ProEifersüchtige Menschen sind kranke
zent der Menschen kennen diese leichte
Menschen?
Form, das haben amerikanische Forscher
In meiner Ambulanz sind wir biologisch
belegt, und diese Erregung hat ja auch
orientiert. Wir schauen, ob eine Grundetwas Schönes, dieses Gefühl also, eine
störung vorhanden ist, Alkoholismus,
Frau neben sich zu haben, nach der sich
Hirnschädigung, Depression, Libidoalle Männer umdrehen.
Störung. Was auch bekannt ist: MenUnd wo hört es auf ?
schen mit einer Hirnschädigung, einem
Beim Wahn. Der Eifersüchtige ist der
Schädel-Hirn-Trauma, können Eiferunumstösslichen Gewissheit, dass es so
suchtssymptome zeigen. Der Psychiater
ist und nicht anders. Die Wahrnehmung
Alois Alzheimer hat bei Auguste Deter
ist dermassen eingeengt, dass man sonst Harald Oberbauer ist Facharzt für
Eifersuchtssymptome festgestellt. Deter
nichts mehr denken kann.
Psychiatrie und psychotherapeutische
war die Patientin, die Alzheimer berühmt
Haben Sie ein Beispiel?
Medizin. In seine Eifersuchtssprechmachte, weil er bei ihr eine Demenz­
Ich hatte einen 92-jährigen Mann bei mir, stunde kommen Männer wie Frauen,
erkrankung beschrieb, die später nach
der mit einer erheblich jüngeren Frau zu­ «von der Fließbandarbeiterin bis zum
ihm benannt wurde. Ich kläre die Patisammen war. Er brachte Tonbänder mit, Uniprofessor».
enten deshalb zu Beginn medizinisch
als Beweis ihrer Untreue, und er hat sie
ab, führe eine Schädelcomputertomowüst beschimpft. Dass sie eine Schlamgrafie durch, mache psychologische
pe sei, gehörte noch zu den freundlicheTests, das ganze Programm.
ren Ausdrücken. Mit der Zeit war er der Meinung, sie habe Schreckt das die Patienten nicht ab? Sie kamen wegen
auch was mit mir. Er war im Wahn – und warum? Weil bei ihm irgendwelcher E-Mails und landen in der Röhre?
eine altersgemässe erektile Dysfunktion eingesetzt hatte. Er Im Gegenteil. Viele empfinden es als wohltuend. Endlich werhatte eine fesche, vollbusige Frau neben sich, die er für anbe- den sie ernst genommen, endlich sind sie keine Spinner mehr.
tungswürdig hielt, gleichzeitig hatte er Panik, sie würde ihn Man muss wissen: Bei gesteigerter Eifersucht ist Feuer im Dach.
verlassen, weil er sie sexuell nicht befriedigen konnte.
Was genau spielt sich im Dach oder eben im Hirn ab?
Und, hat sie ihn am Ende verlassen?
Es ist ein Erregungszustand, ob positiv oder negativ, spielt
Er verstarb eines natürlichen Todes, bevor sie sich trennen keine Rolle, es ist ein Rausch. Die Botenstoffe Adrenalin, Nor­
konnten.
adrenalin, Dopamin, Serotonin machen Rambazamba, sind
Warum werden gewisse Menschen krankhaft eifer- also in totaler Dysbalance.
süchtig, andere nicht?
Wie viele Ihrer Patienten mit einer Eifersuchtsstörung
Wir sprechen von Wegbereitern oder Triggern für paranoide gehen geheilt und munter aus Ihrer Praxis?
Eifersucht. Chronischer Alkoholismus kann ein solcher Trig- Das Wort geheilt ist nicht korrekt. Ich sag es mal so: Bei 80
ger sein. Oder vermindertes Selbstwertgefühl. Wenn ich das Prozent der Patienten erkenne ich die Grundstörung, eben AlGefühl habe, ein kleines Würstchen zu sein, nicht potent ge- koholismus, Impotenz und so weiter. Diese Menschen wernug, kann das ein Sprungbrett sein für Eifersuchtsgedanken. den von Spezialisten in den einzelnen Gebieten behandelt. In
Dann spielt die Qualität der Paarbeziehung eine Rolle, die Art den meisten Fällen löst sich die Eifersucht dann von selbst.
der Kommunikation, das Alter. Die Konstellation älterer Mann Warum muss heute eigentlich alles pathologisiert werund jüngere Frau ist gefährdet, wie das Beispiel des 92-Jähri- den? Eifersucht hat doch auch etwas dem Partner Zugegen zeigt. Und was noch dazukommt: Die Eifersucht des Man- wandtes. Männern wird nachgesagt, normalerweise so
nes kann Zeichen einer latenten Homosexualität sein. Das hat kalt zu sein wie Bachforellen. Endlich zeigen sie mal
mit Biologie jetzt nichts zu tun.
Emotionen. Was ist daran krank?
Klingt nach Sigmund Freud.
Wie gesagt – es kommt auf die Dosis an. Der Satz stammt übBingo. Der Ehegatte ist eifersüchtig auf seine Frau, weil sie mit rigens nicht von mir, sondern von Paracelsus.
anderen Männern herumturtelt, etwas, was er sich selbst nicht In Shakespeare-Dramen wurde die Eifersucht gefeiert.
erlaubt, weil es ja nicht sein darf. Wenn ich das von der Homo- «Das grüngeäugte Ungeheuer», heisst es in «Othello»,
25
27
«Da war dieser 60-jährige Bauer aus dem
Tiroler Unterland. Einen Tag später erschoss er
seine Frau, er selber hängte sich im Stall auf.»
schlimmere Dramen zu vermeiden. Die Zeitungen sind voll
von sogenannten Eifersuchtsmorden. Was glauben Sie, was ich
mir für Fragen anhören muss, wenn es wieder mal so weit ist!
Hatten Sie denn schon einmal einen Patienten, der..?
Da war dieser 60-jährige Bauer aus dem Tiroler Unterland. Es
war Freitagnachmittag, er kam und meinte, seine Frau habe
jeden Tag einen anderen Liebhaber, was für mich schon unglaubwürdig klang. Er sass lange bei mir, ich habe schon gemerkt, dass da was nicht stimmt, und ihm eine stationäre Aufnahme angeboten, die er aber ablehnte. Einen Tag später erschoss er seine Frau, er selber hängte sich im Stall auf. Ich
weiss schon, was Sie als Nächstes fragen werden.
Der Mann sass einen Tag zuvor auf diesem Stuhl? Konnten Sie denn nichts tun?
SPINAS CIVIL VOICES
«das dem Fleische höhnt, von dem es sich nährt.»
Warum darf sie heute nicht mehr sein?
Mozart soll, wenn alles stimmt, was man so liest, spiel- und
sexsüchtig gewesen sein. Van Gogh soll sich im Wahn das Ohr
abgeschnitten haben – beide waren unglaublich kreativ, und
trotzdem litten beide nach heutiger Auffassung an der einen
oder anderen psychischen Störung. Ich halte es für wichtig,
dass man solche Menschen nicht einfach ihrem Schicksal überlässt, dass wir einen Krankheitsbegriff haben, an dem wir uns
festhalten können. Nehmen wir die Depression, die mit Eifersuchtssymptomen einhergehen kann. Was ist falsch daran,
eine depressive Person mit Psychopharmaka zu behandeln,
um ihre Lebensqualität zu verbessern? Ich als Mediziner bin
darüber hinaus dazu verpflichtet, vorbeugend zu handeln, um
Ich hielt ihn nicht für akut selbst- oder fremdgefährdend, deshalb durfte ich ihn nicht einweisen.
Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie davon hörten?
Super habe ich mich gefühlt. Blöde Frage.
Wie steckt man das weg?
Es ging mir nahe. Es ist nicht der erste Patient, den ich verloren habe. Ich gehe dann die Fälle mit anderen Therapeuten
durch, das hilft.
98 Prozent der Menschen waren schon einmal eifersüchtig in ihrem Leben, sagten Sie. Was ist mit dem Rest?
Wer prahlerisch sagt, er sei noch nie eifersüchtig gewesen, ist
für mich hochauffällig. Da könnte man ja auch davon ausgehen, dass er beziehungsunfähig ist. Autistische Menschen kennen keine Eifersucht, weil sie sich auf niemanden einlassen
können. Wer nie eifersüchtig war auf seine Partnerin, der muss
sich schon fragen: Liebe ich sie überhaupt?
Hat Eifersucht denn wirklich mit Liebe zu tun?
Es gibt Therapeuten, die sagen: nein. Ich sage: ja. Wer jemanden liebt, dem kann nicht egal sein, wo der Partner oder die
Partnerin sich nachts um drei rumtreibt.
Es gibt in Marcel Prousts «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit» diese Szene, in der der Erzähler einer
Frau namens Albertine überdrüssig wird. Er kann Albertine nur begehren, wenn ein anderer sie begehrt. Eifersucht als Lustgewinn: Haben Sie das schon erlebt?
Mehr als einmal. Oft habe ich das Gefühl, dass dies auch eine
Motivation ist, warum man als Paar in einen Swingerclub geht.
Man sucht Situationen, in denen die Eifersucht einen
packt. Man will leiden?
Arbeitslosigkeit
mu ss verschwinden.
Wir packen es an: mit konkreten Angeboten
unterstützen wir Menschen, die ohne Arbeit sind.
Danke, dass Sie uns dabei helfen.
www.sah-zh.ch
PC-Konto 80-842-2
Schweizerisches Arbeiterhilfswerk
SAH ZÜRICH
Arbeit und Integration
Man will sich spüren, einerseits. Andererseits ist es auch ein
Gefühl von Stärke, seine aufkommende Eifersucht in Schach
halten zu können, so im Sinne von: Das packe ich schon! Nur
packen es nicht immer alle. Vor Kurzem sass hier ein Paar, sehr
selbstreflektierte, sehr gescheite Leute. Sie sagten, sie würden
Swingerclubs besuchen, doch seien sie gar nicht so liberal, wie
sie es gern wären. Der Mann sagte, seine Frau sei in diesen
Clubs das Objekt der Begierde, für ihn würde sich aber niemand
interessieren. Er beschrieb den Anblick, wenn fremde Männer sich an seine Frau heranmachten, als Kastration.
Kam es schon zu Untreuegeständnissen zwischen zwei
Menschen in Ihrer Anwesenheit?
Häufig.
Soll man seine Untreue gestehen?
Früher oder später kommt die Affäre ja doch ans Licht. Vor
Kurzem war hier eine Frau, die mit einem sehr eifersüchtigen
Mann zusammenlebt. Sie erzählte mir, dass sie neulich an einem Betriebsausflug teilnahm, ihrem Mann aber nichts davon
erzählte, weil er sonst ausgerastet wäre und ihr den Ausflug verboten hätte. Natürlich ist die Lüge aufgeflogen, worauf der
Mann sich wieder mal im Recht wähnte, eifersüchtig zu sein –
dabei ist gar nichts passiert. Nur glaubte er ihr das nicht mehr.
Sonst hätte sie ja, nach seiner Logik, nicht lügen müssen.
Wie also muss man sich verhalten, wenn man mit einem
chronisch eifersüchtigen Menschen zusammenlebt?
Totale Transparenz?
Der Eifersüchtige wird sich auch damit nicht zufriedengeben
und weitersuchen, weiterbohren, bis er ein vermeintliches
Beweisstück für seinen Verdacht findet, was sehr anstrengend
ist, und zwar für beide. Ich habe viele Beziehungen an der Eifersucht zerbrechen sehen.
Darf der Eifersüchtige das Handy des Partners kontrollieren?
Nein.
Den Facebook-Account durchstöbern?
Nein.
Tagebuch lesen?
Alles Grenzüberschreitungen. Von verbaler wie physischer
Gewalt nicht zu sprechen. Es ist nicht so, dass ich meine Patienten zu Tode verstehe und alles billige. Jeder Mensch verdient eine gewisse Privatsphäre, eine Intimität.
Kann ich eifersüchtig sein auf den Range Rover meines
Nachbarn?
Das wäre dann Neid. Ich behandle nur Eifersucht, und die setzt
eine zwischenmenschliche Beziehung voraus.
So wie die Menschen in Swingerclubs haben auch die Hippies in den Kommunen versucht, Eifersucht abzulegen –
sie war verpönt, weil Ausdruck kapitalistischen Besitzdenkens. «Du gehörst mir», so etwas durfte man damals
nicht mal denken. Stattdessen galt: Jeder darf mit jedem.
Selbst Hippies waren vor Eifersucht nicht gefeit.
Die berühmte Ethnologin Margaret Mead verfasste in den
1920er-Jahren ein Buch, in dem sie die Bewohner auf Samoa beschrieb. Ein Naturvolk, das ohne Eifersucht auskomme. Die wahre freie Liebe sei möglich, schrieb Mead.
Ich kenne das Buch. Herausgekommen ist ja, dass sie sich in
vielem irrte, weil sie es gern so gehabt hätte. Aber für mich ist
das nicht der Punkt. Vielleicht gibt es ein Volk, das Eifersucht
nicht kennt. Wir aber befinden uns nicht in der Südsee, sondern in Innsbruck. Zu mir kommen Tiroler, vielleicht auch ein
paar Wiener, Münchner von mir aus – keine Samoaner. Es sind
Menschen, die sich ihrer westeuropäischen Wertvorstellungen nicht entledigen können.
Gibt es Unterschiede zwischen den Kulturen? Sind wir
gleich eifersüchtig wie Asiaten? Südamerikaner? Araber?
Es gibt Unterschiede. Ich hatte gestern ein traditionell türkisches Ehepaar bei mir. Sie sprachen kaum Deutsch, die Frau
trug Kopftuch. Der Mann kam mit Weisung vom Gericht, weil
er seine Frau geschlagen hatte. Es stellte sich heraus, dass er
an einer beidseitigen Makuladegeneration leidet, was bedeutet, dass er zunehmend an Sehkraft verliert. Er hat deswegen
mehrere Jobs verloren, brachte wenig Geld nach Hause. Ausserdem nahm er Kortison, einen Wirkstoff, der seine Libido
minderte, worauf seine Frau begann, ihn zu triezen. Erst bringt
er kein Geld mehr, und jetzt steht er nicht mal mehr im Bett
seinen Mann! Was für eine Entwürdigung, verstehen Sie?
Jedes Wort.
Da ist er heissgelaufen. Ich will das nicht entschuldigen. Ich versuche nur, seine Gewalt zu verstehen. Als er sie dann im Nachbarhaus antraf, behauptete er, sie gehe fremd, und hat ihr eine
geknallt.
Was hat das damit zu tun, dass sie Türken waren?
Die Degradierung des Mannes ist in der muslimischen Kultur
ganz anders konnotiert. Hätte es sich um ein modernes Paar
aus Norwegen gehandelt, wäre vieles vielleicht anders gekommen. Da hätte die Frau gearbeitet, der Mann wäre zu Hause
geblieben, sie hätten das Gespräch gesucht. Ich will damit sa-
gen: Der Kulturkreis meiner Patienten ist in der Therapie von
hoher Bedeutung.
Wie steht es um die Eifersucht bei homosexuellen Paaren?
Sie unterscheidet sich durch nichts – und doch ist bei Schwulen alles ein wenig komplizierter, denn die Promiskuität gehört bei manchen Paaren beinahe zum Lebensstil. Der eifersüchtige schwule Mann, der in einer Partnerschaft lebt, hat es
schwer, weil er ja eigentlich nicht eifersüchtig sein darf. Wie
schwer muss für so jemanden ein Abend in einem Gay-Club
sein, mit all den Darkrooms, das sind ja keine Teekränzchen.
Erst neulich erzählte mir einer von so einer Party. Er war dort
mit seinem Freund. Als sie das Lokal verliessen, schmiss er
sich vor das fahrende Auto seines Partners, so zerrissen war
er. Interessant ist, dass eifersüchtige Schwule den Fehler oft
bei sich selber suchen. Weil sie glauben, nicht mehr zu genügen. Dieses Verhalten übernimmt in heterosexuellen Beziehungen meist die Frau, während die Männer eher externalisieren, also die Schuld im anderen suchen.
Wird Eifersucht durch die Freizügigkeit, die heute
herrscht, befeuert? In Internetforen schreiben junge
Frauen, dass sie es nicht aushalten, wenn ihre Partner
die neuen H&M-Models auf den Plakaten sehen.
Der Druck ist immens, weil wir alle so darauf bedacht sind,
schick, sportlich, gesund und schlank zu sein. Bei mir waren
Paare, die Schwierigkeiten haben, gemeinsam Filme anzusehen, weil die Schauspieler so perfekt sind und man selbst gegen diese Bilder immer verliert. Noch hübschere Frauen, noch
potentere Männer sind immer nur einen Klick entfernt.
Eifersucht ist die Angst vor Vergleich, sagte Max Frisch.
Das ist so – wobei wir uns früher mit ein paar Schulkameraden
oder Nachbarn verglichen. Heute vergleichen wir uns mit der
ganzen Welt.
Können Sie selbst mit Eifersucht besser umgehen als
andere Menschen?
Ich gehöre mit Sicherheit zu den 98 Prozent, die Eifersucht
kennen. Nur weil ich mich therapeutisch mit Eifersucht herumschlage, macht mich das nicht frei davon. Es gibt Ärzte, die
ihren Patienten das Rauchen abgewöhnen und sich in der
Pause eine anzünden. Wir sind Menschen.
Seit 15 Jahren leiten Sie die Eifersuchtssprechstunde.
Wer war Ihr seltsamster Patient, der mit besonders kreativen Mitteln versuchte, den Partner zu kontrollieren?
Das Anheuern von Privatdetektiven gehört schon zum Alltag.
Ich hatte einmal einen Mann, der Bewegungssensoren im
Bett installierte. Ausserdem hat er die Slips seiner Frau aus
der Schmutzwäschebox genommen und sie mit einem Färbemittel angefärbt, um zu erfahren, ob Sperma drauf ist. Kreativ? Für mich klingt das eher psychotisch. Für Wandervögel.
Das aktuellste Wetter.
Wetter, Telefonbuch, TV-Programm, Karte und Fahrplan. Die aktuellsten
Infos für alles rund um Sie – auf search.ch und auf unserer App.
MAX GUBLER
EIN LEBENSWERK
So vielfältig die vielen Sportarten sind, so umfangreich
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ist das Angebot der Lösungen. Der diplomierte Augen­
optiker Philippe Weder fühlt sich in der Welt des Sports
zu Hause und kennt auch das entsprechende Sortiment
so gut, als wäre es sein eigenes Daheim. «Eine Sportbrille
soll nicht nur schützen, sondern ebenso viel Freiheit er­
möglichen, damit der Höchstleistung nichts mehr im
Wege steht.»
Kochoptik liegt Ihre Sehkraft am Herzen, gutes Sehen
bedeutet schliesslich pure Lebensfreude. Unsere ausge­
wiesenen Spezialisten setzen alles daran, dass auch Ihre
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Henry Dunant gründete nicht nur das Rote Kreuz,
auf ihn geht auch die erste Genfer Konvention
von 1864 zurück. Der Vertrag ist ein Meilenstein
des Völkerrechts und Symbol für eine humanitäre
und solidarische Schweiz. Eine historische
Schweizer Erfolgs­geschichte – aus Anlass der
aktuellen Debatte um Völkerrecht und fremde
Richter
Von Oliver Diggelmann
30
DA S M AGA Z I N 18/201 5 — BI L D: U L L S T E I N BI L D – DR K
UNSER
FACKELTRÄGER
DES
VÖLKERRECHTS
Richten wir den Blick zunächst auf das
damals bestehende Völkerrecht und die
Umstände der Zeit, als Dunant 1859
«Eine Erinnerung an Solferino» zu Papier brachte. Er war bei Abfassung dieser Schrift gerade 31 Jahre alt. In seinem
gut gestellten bürgerlichen Elternhaus
war er schon früh zu Mitgefühl gegenüber anderen angeleitet worden. Als achtjähriger Knabe musste er seine Mutter
bei Almosengängen ins Quartier SaintGervais begleiten, Armut und Verzweiflung waren ihm vertraut.
Anfänge des Multilateralismus
Mitte des 19. Jahrhunderts hatte das Völkerrecht einen ganz anderen Charakter
als heute. Die Unterschiede zur GegenEine reife Frucht gepflückt?
wart waren weit grösser als beispielsAuch das Völkerrecht ist eine zivilisatoweise im Bereich des Strafrechts oder
rische Errungenschaft, die uns seit langem selbstverständlich erscheint. Wenn
selbst des Familienrechts, das sich seither ebenfalls grundlegend verändert hat.
wir mit Zivilflugzeugen fremde LufträuDas Völkerrecht bestand damals fast ausme durchfliegen oder im Supermarkt Wa- Die Genfer Konvention von 1864 war
schliesslich aus Gewohnheitsrecht. Es
ren einkaufen, die wegen des WTO- eine Initialzündung für die Ent­
Rechts tiefen Zöllen unterliegen, denkt wicklung des Völkerrechts und steht am wurde aus internationalen Praktiken ab­
geleitet, die mit der Zeit als rechtsverkaum jemand an das Völkerrecht. Doch Anfang einer Phase sich schnell ver­
bindlich empfunden wurden. So hatte
auch dieses musste durch mutige Pio- stärkender internationaler Kooperati­
sich beispielsweise über lange Zeit die
nierleistungen erkämpft werden. Ein on. 1865 wurde die erste internatiosolcher Pionier war der aus dem Genfer nale Organisation gegründet, der Allge­ Regel herauskristallisiert, dass ein Staat
einen straffälligen fremden Diplomaten
Bürgertum stammende Kaufmann Hen- meine Telegraphenverein, 1874 der
zwar ausweisen – zur Persona non grata
ry Dunant. Als Gründer des Roten Kreu- Weltpostverein mit Sitz in der Schweiz.
erklären – kann, ihn aber nicht vor ein
zes ist er bis heute jedem Schulkind ein Die Zahl der Verträge nahm rasch zu.
Strafgericht stellen darf.
Begriff. Genauso bedeutend sind aller- Es begann jene gewaltige Verschiebung
Es gab viel weniger völkerrechtliche
dings sein Beitrag zur Entwicklung des vom Gewohnheitsrecht zum Vertrags­
Normen als heute, viele Regeln waren
Völkerrechts und sein Einsatz für die ers- recht, die die Entwicklung des Völker­
zudem im Einzelnen sehr umstritten. Verte Genfer Konvention von 1864.
rechts im letzten Drittel des 19. und
träge gab es vergleichsweise wenige, etwa
Aus heutiger Sicht könnte man den- während des ganzen 20. Jahrhunderts
zu Grenzverläufen, internationale Geken, Dunant, ein gläubiger Protestant, charakterisieren sollte. Nicht nur
richte gar keine, eine multilaterale Rechthabe im Grunde nur eine reife Frucht ge­ Dunant, sondern auch General Henri
setzung ebenfalls nicht. Heute kennen
pflückt. Dass Staaten in unnötigem Leid Dufour und das weltoffene Genfer
wir in nahezu allen Politikbereichen die
und dem Tod Kriegsverwundeter ein ge- Bürger- und Unternehmertum haben
gemeinsame Rechtsetzung der Staameinsames Problem erkennen, das sie am Anstossen dieser Entwicklung
auf dem Weg multilateraler Konventio- Anteil. Sie alle waren zu dieser Zeit
ten. Das WTO-Recht etwa regelt den internationalen Freihandel, die bilateranen zu lösen versuchen, ist für uns nichts Fackelträger des Völkerrechts.
len Verträge mit der EU die Anerkennung
Aussergewöhnliches. Die Medien berichten darüber täglich. Dass der Schutz von Verwundeten von Bildungsabschlüssen. Bis zur ersten Genfer Konvention
und Sanitätern ein ethisches Gebot ist, das rechtlicher Absi- von 1864 wurde Multilateralismus dagegen nur bei Friedenscherung bedarf, erscheint uns als ebenso selbstverständlich. schlüssen nach grossen Kriegen praktiziert, die im Regelfall
Egal wie heftig die Kampfhandlungen, wie verfeindet die be- Epochenbrüche markierten. Die Verträge von Münster und
teiligten Länder – Verletzte und Ärzte sind tabu und stehen im Osnabrück nach dem Dreissigjährigen Krieg 1648 und die
Krieg unter besonderem Schutz. Doch dass diese Norm heute Wiener Verträge von 1815 nach den Napoleonischen Kriegen
allgemein akzeptiert wird, verdanken wir der Fortentwicklung sind hier vor allem zu nennen. Beides waren aber keine rechtdes Völkerrechts durch Du­nant und seine Gesinnungsfreun- setzenden Konventionen, sondern Friedensverträge, welche
de. Es ist ein kaum zu überschätzender Beitrag der kleinen und die internationale Ordnung generell neu festlegten. Organisamachtpolitisch unbedeutenden Schweiz zum Zivilisations- tionen, die über Ländergrenzen hinweg operieren, existierten
1864 entsprechend auch noch nicht, wenn man von ein paar für
fortschritt der Weltgemeinschaft.
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DA S M AGA Z I N 18/201 5 — BI L D L I N K S: IC RC; BI L DE R R E C H T S: U L L S T E I N BI L D; H U LT ON A RC H I V E/GE T T Y I M AGE S
Zivilisatorische Fortschritte erscheinen
im Nachhinein häufig als Selbstverständlichkeit. Tatsächlich aber wurden sie oft
zäh errungen. Nehmen wir die Pressefreiheit: Heute ist sie in aller Munde und
gilt als unverhandelbar. Gerade weil ihr
Sinn und Zweck so offensichtlich ist,
fehlt uns manchmal das historische Bewusstsein dafür, wie weit der Weg bis zu
der Einsicht war, dass ihre Vorzüge weit
grösser sind als die Nachteile ihrer «Drachenzähne», um ein Bild aus dem 17. Jahrhundert zu verwenden. Was heute selbstverständlich erscheint, erweist sich bei
näherer Betrachtung oft als voraussetzungsreiche Kulturleistung.
Am 22. August 1864 unterzeichnen zwölf europäische Staaten die erste Genfer Konvention.
Auf Initiative Henry Dunants einigte man sich auf Regeln zum besonderen Schutz von
Verwundeten und Sanitätern im Kriegseinsatz sowie ihr Erkennungszeichen: das rote Kreuz.
33
DA S M AGA Z I N 18/201 5 — BI L D: BPK / R M N - GR A N D PA L A I S
das Verwalten der Flussschifffahrt zuständigen Kommissionen
absieht.
Die von Dunant initiierte Genfer Konvention war die erste multilateral rechtsetzende Konvention. Alle mächtigen Staaten Europas traten ihr innert kurzer Zeit bei. Sie gab mit ihrem
raschen Erfolg das Beispiel für die Verwendung dieses Instruments und markierte den Anfang des rechtsetzenden Multilateralismus. Dunant eröffnete damit eine neue Ära des vertraglich gesicherten Völkerrechts.
Das heroische Zeitalter
Um Dunants Leistung richtig einschätzen zu können, muss
man sich auch bewusst machen, welches Verständnis vom
Krieg damals herrschte. Es ist aus heutiger Sicht schwer nachvollziehbar, dass das Völkerrecht Mitte des 19. Jahrhunderts ein
Recht der Staaten zum Krieg kannte. Dieses Recht wurde als
Aspekt der Souveränität der Staaten betrachtet, Annexionen
waren entsprechend legal. Die USA etwa hatten sich 1845 das
zuvor zu Mexiko gehörende Texas einverleibt, Grossbritannien
1833 die Falklandinseln, um zwei Beispiele mit dauerhaften
Gebietsverschiebungen zu nennen. Das Völkerrecht hatte
Elemente eines «Faustrechts», spiegelte in diesem Punkt aber
die in den politisch massgeblichen Kreisen herrschende Überzeugung wider, Krieg stelle in den internationalen Beziehungen eine Art Naturtatsache dar.
Verbreitet war bis zum Ersten Weltkrieg, und keineswegs
nur in extremen Milieus, auch der Glaube an einen «kulturellen Wert» des Krieges. Thomas Mann etwa hat sich später für
einen Text sehr geschämt, in dem er das geistig-ästhetische
Potenzial des Kriegs betonte. Im heutigen «postheroischen»
Zeitalter, um an eine Beschreibung der westlichen Gesellschaft
durch den Politikwissenschaftler Herfried Münkler anzuknüpfen, ist uns diese Gedankenwelt fremd. Zu einem erfüllten Leben gehören heute privates Glück und äusserer Erfolg, soldatisches Sterben steht, falls es nicht um Abwehr eines Angreifers geht, grundsätzlich im Verdacht der Sinnlosigkeit. Als
Charles Darwin aber 1859 seine Theorie der natürlichen Auslese veröffentlichte, lieferte er Stichworte, die damals hervorragend zum Gedanken des natürlichen Krieges passten und
bereitwillig auch zur Beschreibung der internationalen Beziehungen verwendet wurden.
Die Schlacht von Solferino
Vor diesem geistigen und politischen Hintergrund kam es in
Oberitalien zum Schlüsselerlebnis in Dunants Leben. Frankreich und Österreich trafen im Juni 1859 in der Nähe des Gardasees in einer ausserordentlich blutigen Schlacht aufeinander.
Anlass waren die Unabhängigkeitsbestrebungen des mit Frankreich verbündeten Sardinien-Piemont, denen sich Österreich
widersetzte. Dunant, der als Kaufmann in Algeriengeschäfte
involviert war, hielt sich in der Nähe der französischen Armee
auf. Er hoffte auf eine persönliche Begegnung mit Kaiser Napoleon III. und letztlich auf Unterstützung für seine geschäftlichen Algerienpläne. Kritiker Dunants haben immer wieder
auf diesen Hintergrund seiner Anwesenheit bei Solferino hingewiesen. Streitgegenstand ist vor allem sein Versuch, die
Gunst Napoleons III. mit einer Schrift zu erwerben, die diesen – in der Tradition der christlichen Heilslehre mit vier aufeinanderfolgenden Weltreichen – in eine Linie mit Caesar und
Karl dem Grossen stellte. Dunant hat Napoleon III. in seiner
Bedeutung bestimmt nicht unterschätzt, Raum für eine
kritische Sichtweise gibt es aber trotzdem zweifellos. Man
muss dabei allerdings auch erwähnen, dass der fromme Du­
nant die Bibel auch in späteren Lebensphasen ausgesprochen, man ist versucht zu sagen: erschreckend wörtlich nahm.
Eine Audienz bei Napoleon III. erhielt er nicht. Stattdessen wurde Dunant jedoch Zeuge erschütternden Leidens und
massenweisen Sterbens. Er sah Soldaten, die höllische Qualen
litten, auch weil nicht genügend Sanitäter und Hilfsmittel vor
Ort waren. Dunant kümmerte sich um die Hilfsbedürftigen und
gab der lokalen Bevölkerung ein Beispiel. Er ging dabei bis an
die Grenze physischer und psychischer Erschöpfung und bewies bemerkenswertes organisatorisches Talent.
Später versuchte Dunant, das Erlebte in seiner bekanntesten Schrift «Eine Erinnerung an Solferino» zu verarbeiten. Sie
entstand zwei Monate nach der Schlacht und entsprang einer
Mischung aus «traumatischem Antrieb und reflektierender
Haltung», wie seine Biografen Dieter und Gisela Rittberger
schreiben. Ausführlich schildert er darin das Gesehene bis in
militärische Details; er fordert die Bildung freiwilliger Hilfsorganisationen für die Pflege Kriegsverwundeter; und verlangt nach der Einberufung eines internationalen Kongresses,
um den Schutz der Verwundeten und des Sanitätspersonals
völkerrechtlich zu sichern.
Die Ideen waren in der Welt. Das Erstaunlichste ist aber: Sie
wurden innert weniger Jahre auch realisiert. Die Genfer Konvention wurde schon 1864 von zwölf europäischen Staaten
unterzeichnet, es entstand das Rote Kreuz mit nationalen Rotkreuzgesellschaften in den einzelnen Ländern und einem Internationalen Komitee, das seither seinen Sitz in Genf hat.
Dunant trug sein Werk fast vier Dekaden später, neun Jahre vor
seinem Tod, 1901 den Friedensnobelpreis ein. Dazwischen
lag kein glückliches Leben. Nach den frühen 1860er-Jahren,
seiner grossen Zeit, und vor dem späten Ruhm lagen Jahre der
Verzweiflung, geschäftlichen Ruins und abgrundtiefer Bitterkeit. Zeitweise litt er unter Verfolgungswahn.
Charisma, Napoleon und das Genfer Bürgertum
Wie konnten Dunants Ideen aber innerhalb so kurzer Zeit
verwirklicht werden? Vier Faktoren spielten eine Rolle. Da
war zunächst die erstaunliche Wirkung von «Eine Erinnerung
an Solferino». Die erste Auflage wurde an ausgewählte Empfänger versandt, ab der zweiten, offen verkauften, war das Buch
dann ein Beststeller. Es wurde zum Grundtext einer Bewegung
Gleichgesinnter. Dunant traf einen Nerv, nicht zuletzt bei den
Damen der besseren Gesellschaft. Er war ein Mann der Tat und
des Wortes.
Der zweite Faktor war Dunants phänomenale Gabe, sich
Zugang zu den Mächtigen in ganz Europa zu verschaffen. Für
die Vorbereitung der Konferenz, an der die Genfer Konvention
geschaffen wurde, erwies sich dieses Talent als von unschätzbarem Wert. Dunants Aufgabe war im Grunde unlösbar: Es
Die blutige Schlacht von Solferino im Juni 1859 war ein Schlüsselerlebnis für Henry Dunant.
Schockiert vom Leid auf dem Schlachtfeld, organisierte er Hilfe für die Schwerverwundeten.
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ging darum, ein privates Projekt aus der vergleichsweise unbedeutenden Schweiz den Lenkern der mächtigsten Staaten Europas zu verkaufen. Und dann handelte es sich auch noch um
ein multilaterales Rechtsetzungs-Abkommen ohne Vorbild,
nicht um eine blosse Deklaration, ausgerechnet für den sensiblen Bereich der Kriegsführung. Doch Dunant verschaffte sich
Gehör. Er dinierte beim preussischen Innenminister, wurde
vom König von Sachsen empfangen, und er brachte Napoleon
III. über einen französischen Baron dazu, einen Vertreter an die
Vorbereitungskonferenz nach Genf zu schicken. Ohne Frankreich ging damals nichts. Dass es Dunant als Nichtadligem – der
sich durchaus selbstbewusst einen adeligen Habitus zulegte,
doch das ist eine andere Geschichte – gelang, derart erfolgreich
für sein Projekt zu werben, stellt eine immense Leistung dar.
Der dritte Faktor war der Sonderbundskrieg-General
Henri Dufour. Er galt bereits als grosse Gestalt der noch jungen Schweizer Geschichte und besass auch im Ausland Einfluss, der bis zu Napoleon III. reichte. Dufour unterstützte Dunant früh, galt als «Homme de paix» und verfügte mit Blick
auf das Projekt über besondere Glaubwürdigkeit. Im Sonderbundskrieg von 1847 bewies er als Befehlshaber der siegreichen liberal-fortschrittlichen Kantone grosse Besonnenheit,
aufgrund seiner Zurückhaltung hatte es weniger als hundert
Todesopfer gegeben. Vor allem schlug der Krieg nicht derart
tiefe Wunden, dass ein Zusammenleben der Eidgenossen im
neuen Bundesstaat verunmöglicht worden wäre. Dufour erklärte sich auf Dunants Bitte hin bereit, den Entwurf von
«Eine Erinnerung an Solferino» kritisch durchzulesen und allfällige militärtechnische Unstimmigkeiten zu korrigieren. Als
es an die Realisierung des Projekts ging, konnte Dunant Dufours Ansehen bei Napoleon III. nutzen. Es war damit nicht nur
die visionäre Kraft Henry Dunants, sondern indirekt auch die
Gründungsgeschichte des Schweizer Bundesstaats, die dem
Projekt zu Glaubwürdigkeit verhalf.
Unverzichtbar war schliesslich auch die Unterstützung
durch das Genfer Bürgertum. Als blosser Einzelkämpfer hätte
Dunant sein Ziel nicht erreichen können. Eine Reihe von Personen wäre hier zu erwähnen, wobei die wichtigste fraglos der
Jurist Gustave Moynier war, später zeitweiliger Rivale Du­
nants und jahrzehntelang Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz. Moynier war fast gleich alt wie Dunant
und zählte zu den klug ausgewählten Adressaten der ersten
Auflage von «Eine Erinnerung an Solferino». Er war weltgewandt und damals bereits Präsident der «Genfer Gemeinnützigen Gesellschaft», einer wohltätigen Organisation der besseren Genfer Kreise, die für das Gelingen von Dunants Projekt
äusserst wichtig war. Dunants Schrift beeindruckte Moynier.
Es kam zum Kontakt zwischen den beiden, Moynier versicherte sich der Ernsthaftigkeit Dunants und setzte sich fortan
geschickt dafür ein, dass seine Gesellschaft das Projekt trug.
Nach ersten Rückschlägen gelang ihm das auch. Ein «Fünferkomitee» wurde gebildet, dem neben Dunant, Moynier und
Dufour zwei grossbürgerliche Ärzte angehörten, die dem Projekt weiteren Rückhalt verschafften. Aus diesem Gremium
wurde später das IKRK, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz.
Für die Umsetzung ihrer Pläne war das Zusammentreffen Dunants und Moyniers ein grosses Glück, auch wenn die Beziehung der beiden unter keinem guten Stern stand. Entscheidend war, dass Dunants Ideen im für soziale Fragen offenen,
weltläufigen Genfer Bürgertum auf fruchtbaren Boden fielen
– jener freisinnigen Schweiz also, die Geschäfte und mitmenschliches Engagement gut zu verbinden wusste.
Humanist und Hasardeur
Warum aber ist uns Dunant, trotz seiner unbestrittenen Verdienste, irgendwie fremd geblieben? Man kennt zwar seinen
Namen, liest als Schulkind einen Ausschnitt aus «Eine Erinnerung an Solferino», im nationalen Gefühlshaushalt aber stehen andere in der ersten Reihe. Der Grund ist nicht nur, dass
es die «Helden der Abgrenzung» – WilhelmTell und Arnold
Winkelried, obschon «nur» Mythen – im prekären 20. Jahrhundert mit seinen Bedrohungen der Schweiz durch Faschismus
und Kommunismus leichter hatten als jene, die für Engagement
jenseits der Grenze eintraten. Eine Rolle spielt auch, dass Dunant als Person nicht leicht fassbar ist.
Dunant vereinte sehr widersprüchliche Charakterzüge in
sich. Er war lebensnah und pragmatisch, wenn er Verwundeten half und für sein Projekt warb, aber auch naiver und unseriöser Hasardeur, wenn er im Zuge der nach Europa überschwappenden Goldrauschatmosphäre trotz eines anhaltend
schlechten Geschäftsgangs an raschen Reichtum glaubte. Nach
seinem Ruin dachte er nicht daran, seine Schulden auch nur
teilweise abzubezahlen. Dunant war zugleich bescheiden und
anmassend. Er überliess anderen wiederholt und ohne Groll
die repräsentativen Posten, auch wenn er die Hauptarbeit
schulterte, empfand aber die Verleihung des Friedensnobelpreises als blosse Selbstverständlichkeit, die ihm seiner Meinung nach schlicht zustand.
Dunants Grösse jedenfalls ist aus der Distanz wohl am
besten sichtbar. Er verfügte über einen sicheren moralischen
Kompass und forderte sowie realisierte einen Fortschritt der
Zivilisation, der die Zeiten überdauert – und von dem sich noch
heute manch hartlippiger Zeitgenosse ein Scheibchen abschneiden kann, wenn er auf die humanitäre Tradition der
Schweiz verweist. OL I V ER DIG GEL M A N N ist Professor für Völker- und Staatsrecht an der Universität Zürich und zurzeit
Visiting Fellow an der Universität Cambridge; oliver.diggelmann@rwi.uzh.ch
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ALLES AUF
EINER KARTE
Über den erstaunlichen Erfolg eines kleinen Stücks Papier
Von Hannes Grassegger
Bild Daniel Riera
die sie Bumper oder SnapDat tauften – und die allesamt scheiterten. Mittlerweile lassen selbst glaubensfeste Digitalisten
die Finger von der Karte. Das Branchenportal TechCrunch berichtete kürzlich über einen neuen Versuch, die papierne Visitenkarte auszulöschen. Doch «die Dinger weigern sich auszusterben», meint selbst der Unternehmensgründer. Gerade
mal 500 000 Dollar gaben ihm Investoren. So viel sammelt
derzeit jede dahergelaufene Hundefutter-Heimliefer-App.
Gross wurden jene, die die Visitenkarte philosophisch
durchdrungen haben. Man kann Facebook als riesiges Archiv
von Visitenkarten betrachten, die wir tagtäglich ergänzen. Und
Google als eine Art Kontaktinformationssammelstelle. Persönliche Daten sind das Kerngeschäft im Silicon Valley. Daher
wollen alle auf unsere Kontakte zugreifen. Manchmal fragen
einen sogar Taschenlampen-Apps nach dem Adressbuch. Und
wenn wir unsere Kontakte nicht freiwillig teilen, kommt entweder die NSA – oder Apple zwingt uns mittels neuer Geschäftsbedingungen, Namen, Anschriften und Nummern, die
uns anvertraut wurden, in die iCloud zu legen.
Statt vom Untergang der Visitenkarte zu reden, könnte man
genauso gut behaupten, die Visitenkarte kontrolliere die Digitalwelt. Wie fundamental das Visitenkartendenken im Silicon Valley ist – zeigt sich auf den Visitenkarten. Die ganz Grossen in den Chefetagen benennen die Strassen vor ihren Konzernzentralen so, dass sich das auf der Karte gut liest. Apple
sitzt im Infinite Loop, Facebook residiert im Hacker Way und
Microsoft im Microsoft Way. Und dann gibt es auch Fantasie­
positionen. Auf der Karte des Google-Lobbyisten Vint Cerf
steht: Chief Internet Evangelist.
Auch dessen Oberboss Eric Schmidt, einer der mächtigsten Männer der Welt, führte eine Weile einen Fantasietitel.
Allerdings eher unfreiwillig. Aus seinem vielleicht allzu klassischen Titel Chairman, Verwaltungsratspräsident von Google,
wurde laut Karte ein Chariman. Bevor ihm der Fehler auffiel,
hatte schon jemand die Karte abfotografiert und ins Netz gestellt, wo man sie bis heute googeln kann.
Das Ins-Netz-Stellen superrarer VIP-Visitenkarten ist überhaupt interessant – falls Sie vor den anstehenden Wahlen noch
einmal Hillary Clinton sprechen wollen oder bei Donald Trump
um die Hand seiner Tochter anhalten. Besonders geärgert haben
wird sich der Chef von Chinas Netzüberwachung Lu Wei, Herrscher über Armeen von Zensoren. Seine Visitenkarte gibts auf
Twitter.
Das Digitalisieren ist das grösste Sakrileg an der Visitenkarte: Sie ist ein personalisierter Zugang, den wir nur bestimmten Leuten schenken. Der ist nicht für alle da. Und auch
nicht für viele. Sondern nur für den ausgewählten Empfänger.
Die papierne Visitenkarte ist daher genau das, was das Netz
nicht ist, weil alles, was digital ist, schon bald irgendwie öffentlich wird: Die Visitenkarte ist eine private Sphäre. Sie hilft
uns zu kontrollieren, wer zu uns Zugang hat.
So sieht das übrigens auch Warren Buffett, der letzte klassische Supermilliardär. Als ein Reporter ihn einst ausquetschen wollte, händigte Buffetts Assistentin ihm seine Karte
aus. Erst später bemerkte der Reporter, dass darauf statt einer
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Zürich. Anruf- und Einsendeschluss (Datum des Poststempels) ist der 30.6.2015. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Es wird keine Korrespondenz
geführt. Keine Barauszahlung. Die Ziehung findet am 6.7.2015 statt. Die Gewinner/innen werden schriftlich benachrichtigt. Der Wettbewerbspreis
ist gültig für eine Abreise bis 15. Okt. 2015. Mitarbeiter/innen der Tamedia AG und tourasia sind vom Wettbewerb ausgeschlossen.
DA S M AGA Z I N 18/201 5 Ist es nicht ein ziemliches Wunder, dass wir im 21. Jahrhundert
immer noch kleine Papierstücke austauschen, auf denen unsere Namen stehen? Die digitale Revolution hat ja in den letzten Jahren so ziemlich alles komplett umgekrempelt. Niemand,
der nicht gerade digitale Strategien ersinnt, damit ihm nicht
das Gleiche passiert wie der einst allmächtigen Musikindustrie, die beinahe pulverisiert wurde von winzigen MP3-Dateien. Während Taxifahrer gegen den Fahrervermittlungsdienst
Uber demonstrieren, gehen Hoteliers am Zimmervermittlungsdienst Airbnb zugrunde. Keiner bleibt verschont.
Die Visitenkarte sollte eigentlich schon lange tot sein. Denn
alles begann, als der Schlachtruf vom papierfreien Büro die
Teppichetagen der 1970er erfüllte und graue Computerklötze
schwere Ordner in körperlose Files verwandelten. Weil neben
dem Computer auch der Drucker kam, stieg die Papiermenge
zwar zunächst an, heute aber leeren sich die Regale, wir schreiben Mails statt Briefe, und die Schlangen am Kopierer schwinden. Wo das Netz kommt, ist Papier auf dem Rückzug. Papier
stinkt, lässt der US-Autor Gary Shteyngart eine seiner Figuren
aus der Zukunft denken. Investoren haben das gerochen. Verlage schliessen, «Zeitungssterben» ist ein ganz normales Wort
geworden, genau wie «News-Plattform». Nur ein zäher, kleiner Fetzen trotzt all dem: die Visitenkarte.
Ja, sie blüht sogar, wenn man die unzähligen Fotos von Visitenkarten sieht, die ihre stolzen Eigentümer im Web posten.
Ein Fotograf zeigt Karten mit Sichtloch, ein Möbeldesigner eine
auffaltbare Couch und Legomitarbeiter Legofiguren mit ihren
Kontaktdaten. Das Meisterwerk individualisierter Kartengestaltung aber ersann der kanadische Scheidungsanwalt James
A.W. Mahon, mittig trennbar: Form folgt Funktion.
Freiberufler versuchen, mit ihren Karten Kreativität und
Erfolg zu demonstrieren, Firmen drucken ihre bunten Logos
darauf – das klassische Spiel mit der Business Card bleibt es,
im meist standardisierten Scheckkarten-Format durch minimale Variationen herauszustechen (die grössten Karten gibt es
im angeblich bescheidenen Japan, 91 auf 55 Millimeter). Jede
Karte ist Ausdruck von Persönlichkeit. Und Persönlichkeiten
stehen im Kapitalismus miteinander im Wettbewerb. Nirgends
wurde das deutlicher als in der berühmten Business-CardSzene im Film «American Psycho», wenn die Hauptfigur Patrick Bateman, ein gegelter Aktienbroker, innerlich kollabiert,
weil sein Widersacher bei der rituellen Visitenkartenübergabe in Downtown Manhattan eine elegantere Kombination von
Schrifttyp, Papier und Drucktechnik zückt.
In der digitalisierten Welt sind Kontaktinformationen
wichtiger denn je. Wir treffen mehr Menschen, wechseln
schneller Jobs und Orte, müssen uns vermarkten. Dass Kontakte und Selbstdarstellung ein riesiger Wachstumsmarkt sind,
haben sich bereits viele smarte Gründer ausgerechnet und
wollten den alten Namenszettel updaten. Immerhin gibt es
die Karte schon seit dem 17. Jahrhundert, als Adelige sich damit vorab zur Visite ankündigten – daher der Name. Und hatte
nicht auch Marx einst prophezeit, alles Ständische und Stehende werde verdampfen?
«Tod der Visitenkarte», schrien die Nerds Anfang der
Nullerjahre und gründeten digitale Visitenkarten-Start-ups,
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CHR ISTIAN SEILER
OCHSENSCHWANZR AGOUT JACK O’SHEA
Als ich zuletzt den Metzger Jack O’Shea traf *, lernte ich einiges
über Fleisch. O’Shea wird gern mit dem Etikett «Promi-Metzger» («celebrity butcher») gekennzeichnet, was sich allerdings
nicht darauf bezieht, dass er Prominente schlachtet, sondern,
selbst ein Metzger, prominent ist.
O’Shea ist Ire. Er stammt aus einer Familie, in der nachweislich seit 1790 Metzgerei betrieben wird. O’Shea sagt, dass
er die Qualität eines Stücks Fleisch nicht sehen oder riechen
müsse, sondern mit seinen Händen fühle – dabei knetete er den
mächtigen Rippenbogen eines Angusrinds, den er für eine
Demonstration seiner Schnitttechnik mitgebracht hatte, wie
eine Thai-Masseuse.
Der aktuelle Lebensmittelmittelpunkt Jack O’Sheas ist
Brüssel, wo er im Europaviertel sein Geschäft betreibt. Er hatte
zuerst im eleganten Londoner Kaufhaus Selfridges praktiziert,
war dort aber rausgeflogen, weil er – entgegen dem Ethikkodex
von Selfridges – Gänseleber verkaufte (man musste an der Theke «Chateaubriand» bestellen und bekam, blicksicher verpackt, ein Stück Foie gras).
«Sie vermissen mich mehr als ich sie», sagte O’Shea mit
gesundem Selbstbewusstsein, als er zu seiner Suada über Ethik
und Verschleierung ansetzte. Ausserdem dekonstruierte er,
sozusagen im Vorübergehen, einige moderne Fleischmythen.
Von marmoriertem Fleisch zum Beispiel hält Jack O’Shea
nichts: Jene Musterung, die vom ins Fleisch eingebundenen
Fett stammt und besonders das japanische Wagyū Beef auszeichnet, mag O’Shea nicht; sie stamme aus einer fremden
Kultur und sei «maximal für ein bisschen Tataki geeignet» –
für winzige Mengen Fleischgenuss im Nahrungsmittelkosmos
«einer Fischnation».
Auch Dry Aged Beef hält er eher für eine Modeerscheinung. Er
selbst finde es wichtiger, dass sich seine Tiere nur von Gras ernähren, nicht von Weizen oder Kraftfutter – «siehst du die vier
Mägen? Deshalb!» Für O’Shea beginnt die Metzgerei damit,
dass sichergestellt ist, dass seine Rinder – er bevorzugt Angus,
weil sich diese Rasse in Irland wohlfühlt – nur Gras zu fressen
bekommen, was man an der gelben Farbe der Fettpolster erkennt, die das Fleisch ummanteln und schützen.
O’Shea, langhaarig und bärtig wie der Dirigent eines
Shanty-Chors, sprach über die Einzigartigkeit einzelner Tiere
und einzelner Muskelstränge, er schimpfte über die Filetgesellschaft und stellte eine Faustregel auf, die mir einleuchtete:
«Je mehr ein Muskel bewegt wird, desto besser schmeckt das
Fleisch.» Dann fragte er mich, ob das wohl für das Filet gelte.
«Nein», antwortete ich folgsam wie ein blökendes Schaf.
«Richtig», schrie Jack O’Shea und schlug mir anerkennend
auf die Schulter. «Und welchen Muskel bewegt das Rindvieh
am meisten?»
«Mhm», sagte ich.
«Nö», sagte Jack. «Den Schwanz.» Und er er ahmte mit
beiden Händen die Bewegung nach, mit der ein Ochse Fliegen und Bauern, die ihn melken wollen, vertreibt.
Ochsenschwanz. Wie lang hatte ich keinen Ochsenschwanz
mehr bekommen. Also besorgte ich mir bei nächster Gelegenheit schöne Stücke vom Ochsenschwanz und kochte zu Ehren
des «celebrity butcher» mein Ragout «Jack O’Shea», das so
einfach ist wie aromatisch, weil es den Geschmack des Fleisches in den Vordergrund stellt und zelebriert (Rezept im Blog).
*Auf dem Symposium «Culinary Art» in Salzburg.
Mehr von CH R I S T I A N SEI L ER immer montags in seiner «Montagsdemonstration» auf blog.dasmagazin.ch
Illustration A L E X A N DR A K L OBOU K
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DA S M AGA Z I N 18/201 5 Ein irischer Promi-Metzger, ein Diskurs über das beste Fleisch des Ochsen – und dieses Ragout
F R A NC I S B AC ON: T H R E E S T U DI E S F OR S E L F-P ORT R A I T, 19 7 2 . © T H E E S TAT E OF F R A NC I S B AC ON. A L L R IGH T S R E S E RV E D / 201 5, PROL I T T E R I S , Z U R IC H . F O T O: PRU DENC E C U M I NG A S S O C I AT E S LT D.
Wo komme ich her, wo stehe ich, was wird aus mir werden? In Adam Thirlwells Roman wie in diesem DreifachSelbstbildnis von Francis Bacon löst der Porträtierte sich auf, weil er nicht weiss, wer er ist.
HANS ULR ICH OBR IST
ANFANG UND ENDE
Wie anfangen? Diese Frage stellt sich jeder, der irgendetwas macht. Mit welcher Schraube fange ich
an, das Regal zusammenzubauen, wie beginne
ich die E-Mail, wie diese Kolumne? Je grösser die
Aufgabe, desto schwieriger der Anfang. Wie also
beginnt man ein Buch? Kürzlich traf ich den britischen Schriftsteller Adam Thirlwell, der gerade
seinen dritten Roman veröffentlicht hat. Ich fragte ihn, ob er einen Plan gehabt habe, bevor er mit
dem Schreiben begann. Er meinte, er habe nur
eine sehr vage Vorstellung gehabt und sich mit einem roten Faden herumgeplagt, der durch die
Handlung führt. Dann allerdings sei er dazu übergegangen, die Handlung einfach wegzulassen.
Zwar gibt es noch immer einen groben Plot: Ein
Mann wacht neben einer fremden Person im Bett
auf und versucht im Folgenden, den Seitensprung
sich selbst gegenüber zu rechtfertigen und vor seiner Frau zu verheimlichen. Doch diese missliche
Ursituation führt dann eben nicht zu einer Reihe
sich überstürzender Ereignisse, sondern eher zu
einem Konzert der inneren Stimmen des Protagonisten, die sich mal moralisch, mal pragmatisch,
mal sarkastisch zu seiner Situation äussern.
Es gebe, sagte Thirlwell, immer zwei Motivationen, die ihn dazu veranlassten, etwas zu schreiben: eine szenische Situation wie die des Mannes
im Bett und eine philosophische. Die philosophische Frage sei in diesem Fall für ihn die wichtigere gewesen, nämlich: ob und wie man über-
haupt ein Bekenntnis ablegen könne. Denn der
zweifelhafte Held bekennt sich zwar zu manchem seiner Fehltritte, doch sind es konkurrierende Stimmen, die aus ihm sprechen. Mal verharmlost, mal dramatisiert, mal lügt er, bis sowohl er selbst als auch der Leser gar nicht mehr
weiss, ob das überhaupt ein und dieselbe Person
ist, die da spricht. Ihr Englisch wird manchmal
stockend und falsch, dann redet sie plötzlich Russisch, Spanisch, Deutsch, bis sich die Person des
Sprechers in dem Gewirr der Stimmen aufzulösen scheint. Man könnte sagen: Das Bekenntnis
ist da, aber man weiss nicht, wer der Bekenner
ist. Ganze Passagen bestehen aus Sätzen, die
Schriftsteller wie Proust oder Kafka ihren Helden in den Mund gelegt haben. Diese Auflösung
des Ichs und das Kopieren aus anderen Quellen
machen das Buch auch zu einer Art Parabel über
das Internetzeitalter. Denn wie Thirlwells Held
ist auch die virtuelle Welt ein hybrides, vielstimmiges Gebilde ohne Subjekt, ohne Ende und daher auch ohne Anfang.
Adam Thirlwell: Lurid & Cute, Jonathan Cape Verlag, 2015
H A N S U L R ICH OBR I ST ist Kurator und Co-Direktor der Serpentine Galleries in London.
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TRUDY MÜLLER-BOSSHAR D
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Am Freitag dann die zweite Operation.
Am Vorabend nochmals das pralle Leben
geniessen. Vielleicht erwache ich nie aus
der Narkose und liege wie Schumacher
im Bett. Darum am Abend auf dem Sofa
Familientüte Chips, eine Limonade und
Frau neben mir. Wir gucken den Film
«Die Hard». Plötzlich klingelt das Telefon. Ich kenne die Nummer. Es ist ein
Rabbiner. Ich mache Schnarchgeräusche
und gebe den Hörer der Frau. Frau sagt:
«Hallo, Herr Rabbiner, mein Mann
schläft gerade.» Ich tätschle meiner Frau
das Knie, flüstere danke und gucke weiter «Die Hard».
Der Rabbiner aber will ein Problem
loswerden. Er hat herausbekommen,
dass meine rechte Hand gebrochen ist,
also meine Schreibhand. «Frau Frenkel,
das ist ein Zeichen!» Gott will uns auf et-
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FR ENKEL
DIE SÜNDIGE HAND
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EIN SCHAFQUÄLER, VOM TIERLAUT AUSGEHEND:
HELPLINE FÜR RATLOSE: Sie kommen nicht mehr weiter? Wählen Sie 0901 591 937 (1.50 Fr. / A nruf vom Festnetz), um einen ganzen Begriff
zu erfahren. Wenn Sie nur den Anfangsbuchstaben wissen möchten, wählen Sie 0901 560 011 (90 Rp. / A nruf vom Festnetz).
WA AGRECHT (J + Y = I): 5 Reflektieren das tägliche Morgengrauen. 13 Bewegte Machtdemonstrationen. 18 Exzessives Posten, generiert Tierfutter­
kosten. 19 Pharao am Ende des Fetzchens, das Quant erfand. 20 Für heimwehkranken Schweriner die erste Senderwahl. 21 Des Gezackten Geschmack
kommt von der Stange. 23 War blass für die Oberklasse ein Must. 24 Erlebte vereint mit Rapperswil einen schwarzen April. 25 Beim Tierturmbau mit
oben Gockel der Sockel. 26 Saarbrücken-Viertel, mit dem man irgendwie Atelier assoziiert. 28 Fliesst ein, wo Berufsfrauen nicht nur mitgemeint. 29 Paradox, really, wie der arme Mann aus dem Toggenburg endet. 30 Auf der Insel eine Pause à la Jause. 33 Languedoc-Hafen, kann Giovanni akzentlos
stillen. 34 Wird mit Raum zu Volumen. 36 Urlaubende Royals lauschen seinem Rauschen. 37 Der Berg, von dem Simi gen Innsbruck runterjuckt. 38 Erscheinen an der Seine – wird mit Geld- ein Erinnerungsstück. 39 Rousseau oder so, enthält Unterwelt. 40 Ihr Kuss inspirierte Matthias Claudius.
41 Kam bei Lawrence’s Skandalnovel zu Titelehren. 42 Laut Volkswillen konserviert, sein Feuchtgebiet.
LÖSUNG RÄTSEL Nº 17: GERICHTSTERMIN
WAAGRECHT (J + Y = I): 6 TERRASSENHAEUSER. 12 APPENZELLERWITZE. 18 (Tom) CRUISE. 19 RAUBTIERE. 20 HENNING (Fabelname des
Hahns, Mankell). 21 Esche in ESCHER. 23 ONON. 24 DISKRET (Butler). 26 EUTER (Schweizer = Melker). 27 SAMT. 28 STEHAUF (Steh auf!).
30 Lied in GLIED. 32 ERLE in Zaub-erle-hrling. 33 «Harold und MAUDE». 34 UBI (lat. für wo). 35 RETSINA, Retina. 37 ULME in Pf-ulme-n.
38 DROGERIE. 39 MILDE. 40 SINNE. 41 ROBINSONADE.
SENKRECHT (J + Y = I): 1 REPRESSALIE. 2 HANSI. 3 GELAEUFIG, läufig. 4 CHEB (dt.: Eger). 5 MUJER (span. für Frau). 6 TACHISMUS. 7 REINREDEN. 8 SERGE (Gainsbourg). 9 ARTHRITIS. 10 STROM(-er). 11 REMOULADE. 13 PUNKTUM. 14 ZENTAUR. 15 LUSTGREIS.
16 WIESE (Rütli). 17 ZENTRAL. 22 CELER (lat. für schnell). 25 EHEDEM. 29 U-BOOT. 31 DIM. 32 ENYA («Only Time», 9/11). 36 SEON,
Anagramm: nose (engl. für Nase).
SENKRECHT (J + Y = I): 1 Für Leihgaben ungeeignete Kunst. 2 Stand Julie als Lara nah. 3 Status des gewesenen Krösus, der nunmehr im Minus. 4 Ein, der Name sagts, bläuliches Silikat. 5 Was hier generiert wird, ist noch nicht raffiniert. 6 Die streitbaren Weiber kann man im Buchladen anfänglich
nicht leiden. 7 Macht – trallala – den Mann zur Hagebutte. 8 So fällt das Verbringen des Fadens ins Öhr schwer. 9 Keine gute Adresse, es sei denn für
Gepresstes. 10 Während der Kulthandlungsvollmachterteilung liegt er flach. 11 Mann von Welt, dem Lac abhandengekommen, liegt in Flandern. 12 Art der Kreatur, die Wärme produzierend ihre Körpertemperatur reguliert. 14 Standesmann, den man zu fünfzig Prozent von Hardy kennt. 15 Gemixt ist Kalthefe igitt. 16 Hochland, das Habitat genügsamer Lamas. 17 Reduziert, explosiv, das Massiv. 22 Zwangsbeschallt im August die
Limmatstadt. 27 Bei Renzis Schatz ist Gold stets Ingredienz. 31 Von Sartre im O-Ton mit dem Nichts gepaart. 32 Affirmatives, repetitives Beatlessong­
textfragment. 35 Dreck – lässt sich zu Kopfschutz umnutzen.
«DAS MAGAZIN» ist die wöchentliche Beilage
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DA S M AGA Z I N 18/201 5 «Ich bin leer.»
Der neue Spot zur Kampagne:
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#IchBinLeer
einen Koffer mit Sprengsatz entschärfen.
Dabei flucht er ungeheuerlich. Ebenfalls
nicht schön, denke ich. Der Rabbiner
wüsste sicher auch vier passende Kapitel für die Bombe.
«Frau Frenkel, Gott hat Sie lieb,
wahrscheinlich auch Ihren Mann. Reden
Sie ihm ins Gewissen.» Dann legt der
Rabbiner auf. Ich weiss, dass ich jetzt
nicht mehr weitergucken kann. Mist,
verfluchter! Frau weint megastark.
Mach Busse! Ja, mache ich, grummele
ich. Und beten musst du auch. Ja, Liebling, gleich morgen früh. Nein, jetzt! Ja,
verdammt noch mal, darf ich zuerst
noch auf Toilette? Ich mache mir wirklich Sorgen um dich! Jaja, antworte ich
und freue mich auf die Narkose.
Mehr von Beni Frenkel lesen Sie in seinem soeben erschienenen Buch
«Gar nicht koscher. Vom täglichen Schlamassel, als Jude durchs Leben zu gehen». Kein & Aber Verlag, 2015
BEN I F R EN K EL ist freier Autor und lebt in Zürich.
Die Lösung ergibt sich aus den grauen Feldern waagrecht fortlaufend.
Eine Depression erkennt man nicht von aussen.
Kommen Sie näher.
was aufmerksam machen: Meine sündige Hand, die schon so viel Ärger verursacht hat, ist jetzt kaputt. Meine Texte, die
so viel Sünde enthalten, haben jetzt –
wie soll ich sagen – eine «erste Mahnung»
vom lieben Gott bekommen. Noch deutlicher kann man das von ganz oben eigentlich nicht mitteilen? Ich bin da anderer Meinung. Der Computer könnte
abstürzen, oder der Maus-Pfeil bewegt
sich nicht mehr. Das würde ich eher unter «erster Mahnung» verstehen. Hand
brechen ist schon zweite Mahnung. Dritte Mahnung wäre Cablecom-Problem.
«Jetzt aber zu Ihnen, Frau Frenkel:
Welche Psalmen werden Sie morgen beten?» Der Rabbiner schlägt vier passende Kapitel aus dem Buch der Psalmen vor.
Ich versuche, mich auf den Film zu konzentrieren. Bruce Willis muss gerade
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EIN ABEND IM LEBEN
THOMAS SCHUMACHER, 56, ist bei Disney zuständig für Theaterproduktionen. «The Lion King» wollte er eigentlich gar nicht auf die
Bühne bringen. Während der Probevorführung war er in Panik.
Mein Leben veränderte sich an einem
Abend im Juli 1997 in Minneapolis. Es
war die erste Probevorführung des Musicals «Lion King». Wir wussten gar nicht,
ob wir die Vorführung ganz durchspielen können, da wir das Stück nie von Anfang bis Ende geprobt hatten.
Ich war so nervös, mir kam es vor, als
wäre ich in einem Schockzustand. Ich hatte noch nie etwas gemacht, das halb so
gross gewesen wäre oder auch nur ein
Viertel so gross. Heute bin ich Experte
auf diesem Gebiet, und «Lion King» ist
das erfolgreichste Musical aller Zeiten –
aber damals hatte ich keine Ahnung.
Von Anfang an hatte es an der Geschichte von «Lion King» viele Zweifler gegeben. Ich war schon beim Trickfilm involviert, als Produzent. Es war schwierig
gewesen, Trickfilmzeichner zu finden.
Anfangs wollte auch niemand die Musik
komponieren: Paul McCartney und Benny Andersson sagten ab, und Elton John
sagte insgesamt dreimal Nein. Es ging
um sprechende Tiere, und das war unpopulär. Aber als wir den ersten Trailer
endlich produziert hatten, dachten die
Leute plötzlich: «Oh» – und verstanden
das Konzept. 1994 kam der Film heraus
und war sofort ein Hit.
Nach diesem Erfolg wollte der Vorsitzende von Disney, dass ich den Film auf
die Bühne bringe. Ich sagte, das sei eine
schreckliche Idee, «Lion King» funktioniere nicht als Musical. Während fünf
Monaten telefonierte ich immer mal wieder mit dem Vorsitzenden, oder wir trafen uns zum Mittagessen, und immer
wieder sprach er mich auf das Musical
an, und ich sagte Nein. Nach fünf Monaten erinnerte er mich daran, dass es mein
Job sei, für ihn zu arbeiten. Er sagte:
«Mir ist es egal, wie du es machst – mach
es einfach.»
Ich hatte dann eine Idee, und die
hiess Julie Taymor. Ich hatte schon viel
über Julie gehört, und ich mochte ihre
Arbeit als Regisseurin. Wir waren einander sofort sympathisch. Aber alle, mit
denen ich sprach, rieten mir davon ab,
mit ihr zu arbeiten. Auch sie hatte noch
nie etwas so Grosses gemacht. Und alle,
mit denen Julie sprach, sagten ihr, sie sei
verrückt, mit Disney zu arbeiten – die
Firma werde ihr nicht freie Hand lassen.
Wir begannen trotzdem und entwickelten das Stück. Es gefiel nicht allen, und
es gab wichtige Leute bei Disney, die
sagten, wir würden «Lion King» auf diese Weise zerstören. Aber der Chef stand
hinter mir, und so kam das Stück im Juli
1997 nach Minneapolis.
Ich schwitzte, als in der Eingangsszene die Sonne aufging und die Tiere
auf die Bühne traten. Es sah wunderschön aus, und die Musik war betörend.
Und dann: Das Publikum klatschte.
Danach kam die Szene mit der Schamanin, die etwas in einer fremden Sprache sagt, und kein Mensch versteht es. Ich
war mir bewusst, dass diese Szene ein
grosses Risiko ist und man sie in jedem
anderen Musical wohl übersetzt hätte.
Aber Julie fand, man müsse die Bedeutung der Wörter nicht verstehen, sondern fühlen. Als die Schamanin die Bühne wieder verliess, brüllten die Zuschauern vor Begeisterung. Und am Schluss
gab es tosenden Applaus. Da wusste ich:
Sie haben es verstanden.
Disney «The Lion King» ist noch bis
11. Oktober im Musical Theater Basel
zu sehen. www.musicaltheaterbasel.ch
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