Das Magazin 21 vom 23. Mai 2015

N ° 21 — 23. M A I 2015
DANIEL BINSWANGER
ÜBER LOBBYING
IM PARLAMENT S. 6
MA X KÜNG AUF DEN
SPUREN PAVAROTTIS
S. 1 1
R A DIK A L NORM A L
Junge Erwachsene und ihr braves Leben
Grande Reverso Night & Day
Eduardo Novillo Astrada, Polospieler,
Gewinner der argentinischen Triple Crown.
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DA S M AGA Z I N 2 1/201 5 — BI L D C OV E R : L I N U S BI L L ; BI L D E DI T OR I A L: S T E FA N B O GN E R
EDITOR IAL/INHALT
Wer jung ist, sollte rebellisch sein
und sich auflehnen gegen das bestehende System oder zumindest den
Anschein erwecken, als ob er das tue,
so die Erwartungen vieler über
Fünfzigjährigen mit einem Hang zur
Verklärung ihrer Taten im eigenen
dritten Lebensjahrzehnt. Tatsächlich
scheint die gute alte politische
Utopie gänzlich zu fehlen, wenn man
sich mit jüngeren Leuten von heute
unterhält (S. 12). Gearbeitet haben diese
jungen Vernünftigen in erster Linie
an ihrem eigenen Résumé, ganz so, als
ob der eigene Name eine Marke
wäre. Da die Berufswelt kompetitiver
wird, ist auch gut nachvollziehbar,
weshalb nur wenige es wagen, in Lebensführung und Ansichten völlig
aus der Reihe zu tanzen. Lieber plant
Passstrasse an der Furka S. 22
man für die Zukunft, also die berufliche Laufbahn, das Familienmodell und
die Altersvorsorge, man kann ja nie
wissen, was noch kommen mag, dieses
Prinzip des Befriedigungsaufschubs
ist der Kern bürgerlichen Denkens.
Das ist an sich nicht schlecht. Es kann
aber sein, dass bei all diesen radikal
nor­malen Biografien vielleicht die
Qualitäten verloren gehen, die erst
durch Unvernunft und Spontaneität
entstehen – durch ein Leben halt, das
auch im Jetzt geführt wird.
Finn Canonica
S. 12
Superhappy, supergut. Über den Siegeszug der jungen Streber.
Von Paula Scheidt; Bilder Linus Bill
S. 2 2
Der Mann, der die Kurven liebt.
Von Max Küng; Bilder Stefan Bogner
S. 2 8
Bei den Wilden. Sabri Louatah beschreibt in seinem Werk die explosive
Stimmung in den französischen Vorstädten.
Von Miklós Gimes; Bilder Bertrand Le Pluard
5
KOMMENTAR
DAS FALSCHE EXEMPEL
wiederaufflammenden Auseinandersetzungen um die Legal Quote, also jenen
Anteil der Anlagegewinne aus Altersrentenkapital, den Lebensversicherungen von Gesetzes wegen sich selber gutschreiben und den Versicherten vorenthalten dürfen.
Es geht um riesige Summen: Jeder
zweite Arbeitnehmer zahlt seine BVGBeiträge an eine Lebensversicherung.
Laut einer Studie von Travailsuisse sind
allein von 2005 bis 2012 rund 3,6 Milliarden Franken an die Versicherer geflossen. Ein beträchtlicher Teil dieser Gewinne ist darauf zurückzuführen, dass
die Berechnungsgrundlagen der Legal
Quote im Gesetzestext unpräzise formuliert und in den Umsetzungsverordnungen so ausgelegt wurden, dass der Kapitalertragsgewinn für die Versicherungen
rund doppelt so hoch ausfällt wie ursprünglich vorgesehen. Die Versicherungen haben so viele Ständeräte auf ihrer
Gehaltsliste, dass sie in der für das BVGGesetz zuständigen Sozialkommission
die Mehrheit kontrollieren. Es käme einem Mirakel gleich, wenn der Ständerat
die sprudelnden Gewinne der Assekuranz mit einer verschärften Legal Quote
beschneiden würde.
An dieser Stelle muss man Christa
Markwalder allerdings in Schutz nehmen. Beim unmittelbar renditerelevanten Versicherungslobbying war sie nie an
vorderster Front aktiv. Erstens ist sie gar
nicht Mitglied in der Sozialkommission,
und zweitens amtet sie als National- und
nicht als Ständerätin. Checkbuch-Lobbyismus wird mit Vorliebe in der kleinen
Kammer betrieben. Im Nationalrat muss
man dreizehn Parlamentarier kaufen, um
eine Kommissionsmehrheit zu erreichen, im Ständerat reichen sieben «Volksvertreter». Die Versicherungsbranche
kann rechnen.
Markwalder profiliert sich als Aussenpolitikerin und als Befürworterin einer
Öffnungspolitik gegenüber Europa.
Auch in dieser Rolle ist sie für die Zurich
Insurance Group, die wie alle Grosskonzerne erkannt hat, dass die Bilateralen
unverzichtbar sind für ihr Geschäft, ein
strategisches Asset. Aufschlussreich ist
in diesem Zusammenhang, dass FDPPräsident Philipp Müller die Kasachstan-Affäre instrumentalisiert hat, um
Markwalder öffentlich zu desavouieren.
Versucht die FDP-Parteileitung ihre exponierteste Europapolitikerin zu entsorgen? Muss man daraus Rückschlüsse
ziehen, wie weit Müllers Wahlkampfpakt
mit der SVP geht und wie weit er gewillt
ist, die Anti-EU-Politik der Volkspartei
mitzutragen?
Häufig ist zu hören, Lobbyismus sei
ein normaler Bestandteil der Verhandlungsdemokratie, am Schweizer System
sei gar nichts auszusetzen. Das ist nicht
richtig. Demokratische Prozesse bestehen tatsächlich darin, dass Interessenvertreter Kompromisslösungen aushandeln. Und ja, Demokratie ist eine schmutzige Angelegenheit: Sie wird umflort von
einem unausmerzbaren Graubereich
der Hinterzimmerabsprachen, persönlichen Ambitionen, intransparenten
Deals und finanziellen Anreize. Genau
deshalb aber, genau weil Partikularinteressen die konkrete Entscheidungsfindung immer dominieren, müssen
möglichst saubere Spielregeln durchgesetzt werden. Transparenzpflichten für
Lobbyisten wären das eine. Noch viel
dringender aber wäre es, dass alle Parlamentarier ihre sämtlichen Einkünfte offenlegen müssen.
DA N I EL BI N S WA NGER ist Redaktor bei «Das Magazin».
6
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DA S M AGA Z I N 2 1/201 5 Von DANIEL BINSWANGER
Wenn eine Politposse ins Groteske kippt,
sollte man sich an Dürrenmatt halten:
«Es ist mir nicht gelungen, dich der Verbrechen zu überführen, die du begangen
hast, nun werde ich dich eben dessen
überführen, das du nicht begangen hast»,
heisst es in «Der Richter und sein Henker». Die Affäre Markwalder ist eine
Übersprungshandlung, mit welcher die
Schweizer Medien das quälende Problem
der institutionalisierten Käuflichkeit
Schweizer Politiker wegen einer Lappalie plötzlich aufkochen – während die
schweren Schäden, die der CheckbuchLobbyismus unserem politischen System zufügt, weiter kaum Wogen werfen.
Sicher: Dass ein kasachischer Diktator für ungefähr 7000 Franken eine
nationalrätliche Interpellation erstehen
kann, ist kein Ruhmesblatt (besonders
über den Discountpreis wird man sich
wundern in Zentralasien). Vor dem Hintergrund jedoch, dass sich heimische Interessengruppen gegen hohe Summen
parlamentarisches Wohlwollen erkaufen
– und den «Volksvertretern» nicht nur
irrelevante Interpellationen, sondern
folgenreiche Gesetzestexte in die Feder
diktieren –, wird hier ein absurdes Exempel statuiert.
Es gibt zwar einen MarkwalderSkandal, aber der hat nichts mit Kasachstan zu tun und dauert bereits seit 2008 –
seit die Nationalrätin für die Zurich In­
surance Group eine Fünfzig-ProzentStelle versieht, für welche sie 100 000
Franken Jahresgehalt beziehen soll. Die
Assekuranz ist eine der regulierungsabhängigsten Branchen, hat zahllose Parlamentarier auf der Paylist und erwirtschaftet aufgrund der von ihr erkauften
Berner Gewogenheit milliardenschwere
Zusatzgewinne – auf Kosten der Schweizer Bürger. Exemplarisch zeigen dies die
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0
2
DA S M AGA Z I N 2 1/201 5 DR AUSSEN SEIN MIT: MA X USATA
Der Sänger der Bieler Band Puts Marie erzählt bei einem Spaziergang nach
Frankreich und Deutschland, warum er gern über die Grenze schaut.
Von MICHAEL HUGENTOBLER
«Es wird gleich anders», sagt er. Er eilt am alten Zollhaus vorbei, wo Gardinen den Blick in leere Büros verdecken, mal schlurft
er, mal schwebt er, und die Hosen flattern um seine dünnen
Beine. «Ich frage mich jeweils: Passiert es nur im Kopf?»
Ein paar Meter hinter der Grenze steht im Garten eines
Hauses ein Holztisch mit schiefer Tischplatte, rundherum kniehohes braunes Gras. Ein ausgebleichter Sonnenschirm lehnt
an einem Busch, und ein löchriges Tuch hat sich in einem Feigenbaum verfangen. «Eindeutig weniger herausgeputzt als
da», sagt er und streckt den Daumen über die Schulter, zurück
in Richtung Schweiz.
An den Strassen von Saint-Louis parken an diesem Montagmorgen ein paar Autos, aber niemand spaziert auf den Gehsteigen, niemand steckt den Kopf aus dem Fenster der Häuser.
Es scheint ein verspäteter Sonntag zu sein. Der Käseladen, wo
es den besten Camembert der Region gibt, ist verlassen, die
Tür der Metzgerei, wo man den fabelhaften Schinken kauft, verschlossen. Nur «Au Monde du Vin» ist offen, und Max Usata
geht hinein und kauft eine Flasche Aprikosenschnaps, ein Geschenk für den Gitarristen der Band Puts Marie.
Max Usata ist der Sänger der Band. Die Musiker begannen
als Strassenmusikanten, sie reisten in einem alten BedfordWohnmobil durch Europa, sammelten Kleingeld und fragten
in Clubs, ob sie auftreten dürfen. Auf alten Fotos sehen sie aus
wie Obdachlose. In Mexiko-Stadt wurden sie verhaftet, weil sie
nicht am Strassenrand spielten, sondern auf einer Kreuzung.
Mittlerweile ist ihre Musik ruhiger geworden, sie sei nun ehrlicher, sagt der 33-Jährige. Neulich wurde die Band für den Swiss
Music Award in der Kategorie Best Live Act nominiert.
Wir laufen unter rostigen Strassenlaternen durch, an einer
Kirche vorbei, die an ein Lagerhaus erinnert. Vor einer roten
Hecke bleibt er stehen und schaut über eine Brache aus Kies.
«Vor einigen Monaten habt ihr ein Musikvideo herausgebracht, bei dem man das Gefühl hat, ihr würdet in ein Haus
einbrechen.»
«Ja.» Max Usata blinzelt hinter seiner Sonnenbrille. Es
scheint, als wolle er nichts weiter zu dem Thema sagen.
«Das war doch nicht wirklich ein Einbruch?»
«Es gibt viele Häuser in der Schweiz, die leer stehen und
wo man hineingehen und wohnen kann.»
«Sie wohnen in solchen Häusern?»
«Ja.» Er macht eine Pause. «Früher schon.» Eine längere
Pause. «Die Schweizer haben so viel Geld, dass sie sich zweite Häuser leisten können. Es ist doch schade, dass die nicht
benützt werden.»
Für eine Weile war die Band nichts als ein loses Projekt.
Max Usata wanderte 2009 nach New York aus, der Bassist
nach Mexiko-Stadt, und der Schlagzeuger startete eine Solo-
karriere in der Schweiz. Usata besuchte die Schauspielschule
von Lee Strasberg und spielte danach «Diary of a Madman»
von Nikolai Gogol. Er trat auf verschiedenen Bühnen auf, in
New York, Edinburgh oder St. Petersburg. Nach der Theaterzeit entstanden neue Lieder für Puts Marie. Unter anderem
solche für das Album, das im Sommer herauskommen soll.
Wir spazieren nach Huningue, wo bei einem verlassenen
Bahnhof Gras zwischen den Geleisen wächst und ein altes
Sofa in der Sonne steht. Auf der Brücke, die nach Deutschland
führt, lehnt am Geländer eine Reisetasche, daneben liegt eine
Decke zusammengefaltet auf dem Boden, vor einem Plastikbecher, in dem Euromünzen funkeln. Im Park hinter der
Brücke tanzt eine Frau im Flirren fallender Kirschblüten.
Schon das letzte Album, «Masoch», verhalf der Band international zu Auftritten und Interviews. Diesen Sommer sind
sie nun so gut wie ausgebucht für Festivals im Ausland. Die
Band hat etwas Mutiges, aber auch Abstruses, sie wirkt unschweizerisch. «Das ist der Grund, warum wir heute während
drei Stunden in drei Ländern spazieren», sagt Max Usata: «Ich
bin gern in der Schweiz, aber zum Ideensammeln muss ich
das Land verlassen.»
In Weil am Rhein kommen wir zu einem Parkplatz, der
vollgestellt ist mit Autos, denen Rückspiegel, Türen und Heckklappen fehlen. Jenseits davon steht eine verlassene Autowaschanlage, die mit grünen und roten Plastikstühlen verstellt
ist. Die Stühle gehören zu einer Dönerbude, wo sich die Leute
über Fleischberge beugen, während Sauce aus dem Brot tropft.
Es sieht aus wie auf einer Raststätte irgendwo zwischen Istanbul und Batumi. «Das ist es: diese Störung, die es nur noch im
Ausland gibt», sagt Usata.
Es ist kurz nach Mittag, wir kehren über eine schmale
Brücke aus Riffelblech in die Schweiz zurück. Am Ende der
Brücke beginnt das Industriegebiet Basels, und wir laufen die
Geleise entlang Richtung Stadt. Unten am Fluss ankert eine
Yacht, neben einem Restaurant, wo Altes und Kaputtes zu Retrochic umfunktioniert wurde. Aus dem Nichts erscheint ein
Herr in königsblauem Anzug, über der Schulter eine Ledertasche mit Goldknöpfen. Er schleppt einen silbernen Rollkoffer.
Als er die Fotografin auf den Geleisen sieht, sagt er: «Aber Sie
wissen doch – Sie müssen hier eine Leuchtweste tragen.»
Wenig später sitzen wir im Tram Richtung Bahnhof, Usata sagt: «Die Schweizer sind so stolz auf ihre Ordnung.» Er
drückt sich die Schnapsflasche an den Bauch. «Es ist ja auch
nicht besonders schwierig, in einem so kleinen Land eine
Ordnung zu schaffen – das ist, wie wenn man ein Zimmer aufräumt.» Das Tram quietscht um eine Kurve. «Aber man braucht
ein gewisses Chaos, um etwas erschaffen zu können.» Draussen zieht der Tinguely-Brunnen vorbei, eine Kaskade aus
Schläuchen und Rädern und Wasserfontänen.
Grenzgänger Max Usata im Basler Rheinhafen
Bild GUA DA LU PE RU I Z
9
HAZEL BRUGGER
DIE AKTE TOPINAMBUR
Ich weiss nicht, wie oft meine Eltern sich
schon fast scheiden liessen. Zwanzig,
vierzig, hundert Mal.
Irgendwann in den späten Neunzigerjahren grub – scharrte, pflügte, wühlte auf allen vieren! – mein Vater einmal
die hintere linke Ecke unseres Gärtchens
um. Ich glaube, er wollte sich und allen
anderen beweisen, dass auch Akademiker ab und zu mit dreckigen Fingernägeln einem tieferen, naturgegebenen Ruf folgen sollten. Und
dass Väter, die für ihre Familie im
fruchtbaren Dreck graben, keine
furchtbaren Väter sind.
Heraus kamen – nach Stunden
– neben Tierskeletten vor allem
esoterische Überreste des Mobiliars der Vorbesitzer («Wenn ein
Spiegel auf dem Rasen liegt, wird
er den Regen abwehren!») und ein
paar erdverkrustete Knollen. Die
Knollen sahen so aus wie das, was
rauskäme, wenn ein Albino-Ingwer einen Nacktmull schwängern
würde. Topinambur. JerusalemArtischocke, Erdbirne, die total
be­kloppte, sozial schwache Cousine der Sonnenblume. Zwittriger
Blütenstand, dünne Haut, temperaturbeständig bis zu minus dreissig Grad. Angeblich reichen schon
winzig kleine Brocken davon aus,
dass diese Pflanze im Boden erhalten bleibt. Topinambur wird man so
schnell nicht wieder los, nein, Topinambur ist der Herpes des Reihenhausgartens.
Der Vater kochte die Wurzeln dann
und offerierte sie uns stolz als kleinen,
selbst gefangenen Gaumenschmaus.
Breiig, schleimig, faserig. Erwärmtes Ohrenschmalz mit Stückchen, eine Plörre,
die verstörte und gleichzeitig neugierig
machte. Die Masse sah aus, als hätten alle
räudigen Hauskatzen der Region uns
aufs Ikea-Tellerset gekotzt und ihr Œuvre
anschliessend mit einem Stückchen Peterli garniert. Der Vater war stolz, wir
Kinder schockiert, die Mutter hin und
her gerissen. «Oh, ich wurde bekocht!»
im stetigen Wechsel mit «Oh ... ich wurde bekocht …».
Zwanzig, vierzig, hundert Mal. Es war
nie nur schlecht, wenn meine Eltern sich
fast scheiden liessen. Einer dieser Fälle
war, als der mittlere Bruder dann schliesslich weinend über einen Quadratmeter
des Esstischs hinwegkotzte. Die Akte
Topinambur. Es war ein beeindruckender Schwall des rosaroten Entsetzens,
man hörte Schluchzen, Schmatzen und
Röcheln, während er er- und seine Kind-
heit zerbrach. Er war unser Held, ein
Friedenskämpfer, der sich nicht mehr
alles gefallen lassen wollte. Einer, der
noch mit allen Eingeweiden gegen die
elterliche Unterdrückung rebellierte. Er
war unser Reich-Ranicki, er nahm dieses
Abendmahl nicht an. Liter für Liter, Knolle für Knolle zeigte er seine Missgunst.
Gut, zugegeben, vielleicht ist die Menge
auch gar nicht so schrecklich beeindruckend gewesen, aber in einem Alter, in dem es mir Mühe be­
reitete, auf einen Stuhl zu klettern, konnten Mengenverhältnisse schon auch mal durcheinanderkommen.
Er solle es mit Himbeersirup
hinunterspülen, so schlimm sei
das nicht, hatte der Vater noch gesagt, bevor es losging. Es wurde
schliesslich gegessen, was auf den
Tisch kam – Gopfertammisiech.
Der Vater schimpfte über das System, die Welt und die Familie als
kleine Version einer eigenen Gesellschaft. Die Mutter sorgte sich
um die Kinder, um den Haussegen und schimpfte mit dem Vater.
Es war ja schliesslich kein Krieg
mehr, und Zwang macht keine
gute Liebe. Der grosse Bruder und
ich lachten, und der Mittlere weinte und weinte weiter, worüber wir
natürlich noch mehr lachen mussten. Denn Geschwister hat man ja hauptsächlich, um das eigene Leid in der Familie weniger absolut wirken zu lassen.
Zwanzig, vierzig, hundert Mal. Es
gibt Dinge, die sollte man nicht ausgraben. Und schon gar nicht auftischen.
Die Slampoetin H A Z EL BRUG GER schreibt hier im Wechsel mit Katja Früh.
Bild LU K A S WA S SM A N N
DA S M AGA Z I N 2 1/201 5 M A X KÜNG
NESSUN DOR MA!
Es gibt Dinge, die sind wahr. Und es gibt Dinge, die sind unwahr. Also falsch. Gewisse Dinge sind absichtlich falsch, eine
Arglist steckt dahinter, beispielsweise hinter dem Tun eines
Politikers. Andere Dinge sind einfach falsch herausgekommen,
weil irgendwo ein Fehler passiert ist. So etwa vor vier Wochen
circa.
Ich schrieb am unteren Rande einer Kolumne mit dem Titel «Lachen mit Xenia» auch über ISIS. Dort in einer Klammerbemerkung stand, ISIS stehe für «Islamischer Staat im Iran und
in Syrien». Das ist natürlich zur Hälfte ganz und gar falsch,
denn ISIS steht für «Islamischer Staat im Irak und in Syrien».
Die Buchstaben k und n stehen sich zwar alphabetisch nahe, so
wie die beiden erwähnten Staaten geografisch auch nahe beieinander liegen, und so manches Wort beginnt gar mit den
beiden als Duo, wie etwa «Knusperhäuschen», «Knitterfalte»
oder «Knabbergebäck», trotzdem ist es falsch. An dieser Stelle
möchte ich mich bei Herrn Dadelahi bedanken, einem genauen Leser, welchem dieser Lapsus aufgefallen ist, und mich
gleichzeitig entschuldigen.
Es gibt Dinge, von denen weiss man nicht, ob sie wahr sind
oder nicht. Etwa eine Geschichte, die mir einst ein Freund erzählt hat. Er behauptete, er wisse – aus zuverlässiger Quelle – ,
dass der Sänger Luciano Pavarotti immer, so er unterwegs war
vom Norden in den Süden, mit seinem Auto im kleinen Dorf
Andeer haltgemacht habe, und zwar vor der Metzgerei Joos.
Dort habe er dann den wie der Bauch eines Opernsängers voluminösen Kofferraum seines Maserati Quattroporte II geöffnet und mit den Würsten dieser Metzgerei gefüllt. Die Metzgerei habe den halben Jahresumsatz mit dem Sänger gemacht.
Schwer hing die wurstige Last hinten auf der Federung, als der
Sänger sich Richtung San Bernardino davonmachte, und wenn
er am Steinbruch vorbeigefahren sei, dann habe er mindestens
schon einen «Andutgel da dir» verspiesen.
Ob diese Geschichte wahr ist, das weiss ich nicht. Aber ein
jedes Mal, wenn ich an Andeer vorbeifuhr, musste ich daran
denken, wie der grosse Pavarotti voller Freude sich aus dem ledernen Gestühl seines Autos hob, die wenigen Schritte bis zur
Tür der Metzgerei rannte, sich in den Laden schob und eine Bestellungsarie in den Raum schmetterte. Bis ich einmal den rechten Blinker setzte, die A13 verliess und in das Dorf hineinfuhr,
in welchem ich noch nie gewesen war, welches aber – das sah ich
gleich – wunderbar anzusehen ist. Wie einst Pavarotti hielt ich
(in meinem etwas weniger glamourösen Wagen) vor einem
Haus, auf dessen Fassade steht «Meztga H. Joos», von Hand
beschriebene Tafeln priesen «Grillitäten» wie «Grappa-Steak»
und «Bärlauch-Steak». Im Laden erblickte mein Auge eine
imposante Anzahl von Wurstwaren, von denen ich mir ein
paar einpacken liess. Und gleich vis-à-vis der Meztga Joos fand
ich ein Lädeli mit der Aufschrift «Stizun da Latg», wo es Käse
gibt, meine Güte! Zum Beispiel den «Andeerer Traum», der im
Jahr 2010 am Championship Cheese Contest in Wisconsin USA
die Goldmedaille in der Kategorie «Geschmierte Hartkäse»
errang. Und ein paar Schritte weiter gibt es bei der Konditorei
Iselin die unglaublichen «Cagliatschatürmli». Nun ja, wie dem
auch sei, auf jeden Fall setzte ich mich wieder hinter das Steuerrad und biss in eine der gekauften Würste. Und ich konnte
sehen, während ich mit geschlossenen Augen kaute: Pavarotti
muss sehr glücklich gewesen sein, wenn er seinen Maserati den
Berg hoch jagte und am Lebersalsiz nagte. Was er da wohl
sang? Etwas aus Puccinis «Turandot»? «Nessun dorma! Ma il
mio mistero è chiuso in me, il nome mio nessun saprà! No, no,
sulla tua bocca lo dirò quando la luce splenderà!» Und dann
sprach er leise, als er aus dem Dunkel des Tunnels in das Licht
des Südens schoss: «Meztga Joos!» Und verspies den letzten
Bissen der Wurst.
M A X K Ü NG ist Reporterbei «Das Magazin»
11
SUPERHAPPY,
SUPERGUT
Von Paula Scheidt
Bilder Linus Bill
12
DA S M AGA Z I N 2 1/201 5 Warum sind die Jungen von heute alle so verdammt
fleissig, glücklich und brav?
Swiss-Re-Praktikantin Naomi Attar, 19:
«Ich bin rundum zufrieden.»
13
im Internet recherchiert, Bekannte nach ihren Jobs
befragt. «Das ist die Schwierigkeit heutzutage: Uns
Jungen stehen alle Wege offen.» Der Markt für Praktika und Weiterbildungen wächst so schnell wie die
Auswahl der Jeans im Onlineshop, und La Torre hat
gelernt, klug auszusuchen. Sie optimiert.
Diese Generation geht kein Risiko ein, sie lässt
es nicht einmal zu. «Versicherungen wird es immer
geben», sagt Naomi Attar, 19 Jahre alt. «Man braucht
sie, selbst wenn man nur Skischuhe ausleihen möchte.» Deswegen ist für sie die Versicherungsbranche
ein attraktiver Arbeitgeber, auch für später. Sie war
froh, als sie die Zusage für ihr Praktikum bei der Swiss
Re bekommen hat. «Es gibt viele gute Schüler, deshalb muss man heutzutage herausstechen», sagt sie
und streicht sich die langen, glatten Haare aus dem
Gesicht. Sie trägt eine Brille mit einem massiven,
schwarzen Rahmen und wirkt genauso erwachsen
wie ihre Worte.
Früh ins Bett statt wilder Nächte
Sie ist keine Person, die etwas dem Zufall überlässt.
«Ab Sommer möchte ich weitere Erfahrungen in der
Arbeitswelt sammeln und 2016 an der Fachhochschule ein Wirtschaftsstudium beginnen.» Es gibt
Leute, die monatelang durch den kolumbianischen
Dschungel irren oder in einem Pariser Café auf ihren künstlerischen Durchbruch hoffen, Attar gehört
nicht dazu. Nicht einmal den zum Klischee gewordenen Auslandsaufenthalt, den man im Lebenslauf
gerade noch unter «Horizont erweitern» verbuchen
könnte, fasst sie ins Auge. Auch sie optimiert. Unaufhaltsam strebt sie dem Ziel entgegen, wie ein Fernfahrer auf der Autobahn.
Ihre Abende verbringt sie am liebsten zu Hause.
Sie sagt: «Ich bin jemand, der viel Schlaf braucht.»
Manchmal kocht sie gemeinsam mit Freundinnen.
Wilde Tanznächte in lärmigen Clubs, wie frühere Generationen sie zelebrierten, interessieren sie nicht.
Genauso wenig wie die 23-jährige Sajani Nussbaum,
die einen kleinen silbernen Stecker im Nasenflügel
trägt und als Sachbearbeiterin bei Caritas arbeitet. Sie
geht lieber etwas Feines essen. Auch Lisa La Torre
findet nichts an Partys. «Ich habe gemerkt, dass ich
viel mehr von meinen Freunden habe, wenn wir
grillieren gehen, ins Kino oder in eine Bar.» Augen-
Warum sein Leben neu programmieren, wenn doch
alles funktioniert? Warum ausflippen – ohne Grund?
14
Von Konto bis Kreditkarte –
mit dem ZKB inklusiv Paket
bis zu 73 CHF sparen.
DA S M AGA Z I N 2 1/201 5 Sie ist 21, und das Beste an ihrem Job, findet sie, ist
die Verantwortung. Wenn die Gäste sich nach einem
gelungenen Golfturnier für die tolle Organisation
bedanken, dann geht sie mit einem guten Gefühl
nach Hause. Sie weiss dann, dass sie etwas geleistet
hat. Lisa La Torre (auf dem Titelbild dieses Hefts) ist
Junior-Projektleiterin bei der Axa-Winterthur. Über
ihre Karriere spricht sie so differenziert, als wäre sie
ihre eige­ne Berufsberaterin. «Im klassischen Versicherungswesen bin ich nicht richtig aufgeblüht. Das
‹daily business› war mir zu trocken.» Ihre Passion
für Kreativität spiegle sich besser im Eventbereich.
Lisa La Torre hat neben ihrem 100-Prozent-Pensum
gerade den eidgenössischen Fachausweis als Marketingfachfrau erlangt. Vor den Prüfungen hat sie Ferien genommen, um zu lernen – kein Problem bei ihren vielen Überstunden. Natürlich hat sie bestanden.
Dass ihr nur wenig freie Zeit bleibt, stört sie nicht.
«Ich bin wirklich superhappy mit meinem Leben»,
sagt sie. So fühlen auch andere in ihrem Alter, zum
Beispiel Pierre Boutinard Rouelle, der für sein Masterstudium in Physik täglich viele Stunden in der
ETH-Bibliothek sitzt und Rechenaufgaben löst. Ihm
fällt nichts ein, worüber er sich beklagen könnte.
Ausser vielleicht, dass der Tag bloss 24 Stunden hat.
Naomi Attar, Praktikantin bei Swiss Re, denkt höchstens manchmal an die freien Nachmittage in der
Schulzeit zurück. Mit strahlendem Lächeln sagt sie:
«Ich bin rundum zufrieden.» Das passt: 65 Prozent
der 15- bis 25-Jährigen schauen optimistisch in die
Zukunft, hat das Forschungsinstitut gfs.bern herausgefunden. Wut? Ver­wirrung? Rebellion? Solche Gefühle scheinen diese Jungen nicht zu kennen. Früh
haben sie sich für einen Platz in der Mitte der Gesellschaft entschieden. Als liebevolle Familienmenschen,
leistungsbereite Arbeitskräfte und verantwortungsvolle Bürger.
Keine 25 und machen einfach alles richtig. Geklaute Velos, grün gefärbte Haare, grosse Ideen? Sicher nicht. Wieso auch? Sitzt man ihnen gegenüber,
irritiert einen das. Sie wirken wie frisch aus der ZKBBroschüre geschlüpft. Und man fragt sich: Ist das
nun vernünftig oder öde?
Lisa La Torre hat sich den Kopf darüber zerbrochen, welcher Beruf der richtige für sie sei. Sie hat
Informationsabende an Fachhochschulen besucht,
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bieten (...), brauchen wir Mitarbeitende, die unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen einbringen», steht im Unternehmensprofil der Credit Suisse.
Bei Swiss Re heisst es: «Wir wissen, dass Ihr Leben
und Ihre Erfahrungen einzigartig sind, und glauben
daran, dass es sich lohnt, diese Einzigartigkeit zu verfechten.» Aber vielleicht ist das nur ein theoretisches
Konzept. Vielleicht sieht die Praxis anders aus: je
stromlinienförmiger, je geräuschärmer, desto besser. «Ich beobachte den Siegeszug des Strebers», sagt
der österreichische Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier. «Nur dass Fleiss und Ehrgeiz heute weniger
eine Frage des Charakters sind als vielmehr eine
Notwendigkeit.» Um beruflich erfolgreich zu sein,
müsse man sich den Regeln des Markts anpassen.
Pierre Boutinard Rouelle, 24 Jahre alt, dunkel­
blaues Poloshirt und Seitenscheitel, ist auch deshalb
kein Fan von Diskotheken, weil man sich dort schlecht
unterhalten kann. «Ich höre lieber klassische Musik»,
sagt der angehende ETH-Physiker. Doch er ist offen.
«Innerhalb der Klassik gerne alle Epochen.»
ringe und nach Rauch stinkende Haare würden ihren Lebensplan aus der Balance bringen. Natürlich
hat sie auch zu Alkohol eine klare Haltung: «Ich kann
Spass haben, ohne zu trinken.» Ist ja auch sinnvoller. Sie fährt abends gern mit ihrem eigenen Auto
nach Hause.
Endlich mal ein jugendlicher Lifestyle, der auch
bei Firmen gut ankommt, könnte man meinen: radikal normal. Aber selbst Mitarbeiter der altehrwürdigen Rückversicherung Swiss Re wundern sich. Naomis Vorgesetzte Brigitte Meier beobachtet die neue
Nüchternheit auch bei anderen Nachwuchskräften:
«Früher hatten wir öfter mal Praktikanten, die am
Morgen nicht ins Büro gekommen sind, weil sie am
Abend vorher zu lange gefeiert haben. Sie haben dann
behauptet, sie hätten Kopfschmerzen oder MagenDarm-Grippe. In den letzten fünf Jahren kann ich
mich nicht erinnern, dass so etwas mal passiert wäre.
Das ist schon auffällig.» So war das alte «normal».
Die Personalbüros landauf, landab verschreiben
sich seit Jahren einem Motto: Diversity Management. Die Förderung der Vielfalt. «Um unseren Kunden erstklassige Produkte und Dienstleistungen zu
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der sonnigen Montreux Riviera.
DA S M AGA Z I N 2 1/201 5 Lehrling Musa Caglak, 20:
«Ich widerspreche den Eltern nicht.»
Ein Traum für Schwiegermütter
Lange Jahre schimpften die Medien über die Verantwortungslosigkeit der Jugend. Hedonistisch, selbstbezogen, planlos seien die Jugendlichen, hiess es.
Boutinard Rouelle engagiert sich neben dem Physikstudium ehrenamtlich beim Tonhalle-Or­ches­ter
Zürich. Er träumt davon, junge Menschen für die
klassische Musik zu begeistern, und organisiert mit
der Gruppe TOZZukunft Anlässe für Konzertbesucher zwischen 18 und 30 Jahren. Das ist Ausdruck
seines Lebenskonzepts, die Zukunft vorzubereiten.
Sein Lieblingszitat entstammt dem Buch «Der kleine
Prinz» von Antoine de Saint-Exupéry: «Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut
gemacht hat.» Schwiegermütter gewinnt man so.
Auch deren Töchter?
Pläne für die Zukunft zu schmieden, das ist das
grosse Thema für die radikal Normalen. Sie sind nicht
nur der Traum aller Berufsberater, sondern haben
auch im Privatleben traditionelle Werte verinnerlicht. Boutinard Rouelle ist zwar froh, dass Familienväter heute keine Patriarchen mehr sind und Frauen nicht Hausfrauen werden müssen, trotzdem fragt
er sich manchmal, ob eine gewisse Ordnung nicht
Vorteile hat. «Die Familie ist die elementare Zelle
der Gesellschaft. Wenn es in der Zelle keine Struktur gibt, wie kann man dann in der Gesellschaft eine
Struktur erreichen?» Die Struktur soll seiner Meinung nach nicht hierarchisch, sondern egalitär und
gerecht sein. Viele Menschen lebten heute von einem Tag auf den anderen, statt ihre Zukunft langfristig zu planen. Das findet er verantwortungslos.
«Vielleicht sollte man sich die wichtigen Fragen im
Leben frühzeitig stellen und gemeinsam mit seinem
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Main Partners
16
DA S M AGA Z I N 2 1/201 5 Sachbearbeiterin Sajani Nussbaum, 23 (oben, mit ihrer Mitbewohnerin):
«Mit extremen Positionen kann ich nichts anfangen.»
Partner nach Antworten suchen», sagt er, und wenn
man will, hört man den kleinen Prinzen aus ihm sprechen. Aber konservativ? So würde Boutinard Rouelle seine Haltung nicht beschreiben.
Der Jugendforscher Lukas Golder, Jahrgang 1974,
lobt die heutige Jugend, die er für das «Credit Suisse Jugendbarometer 2014» genau untersucht hat: für
ihre Fähigkeit, sich Ziele zu setzen und gleichzeitig
flexibel zu bleiben. Man merke es daran, wie souverän sie auf die digitale Revolution reagiert. «Ich wäre
gern wie sie», sagt er bewundernd.
Früher war es unter Jugendlichen gang und gäbe,
sich einmal ordentlich mit den Eltern zu verkrachen.
Doch egal, ob autoritär oder liberal erzogen, die Jungen von heute verstehen sich bestens mit ihren Eltern. Viele bleiben lange zu Hause wohnen, wie Lisa
La Torre, die sagt: «Ich hab mein eigenes Zimmer,
meine Freiheiten, und es ist immer jemand da – das
geniesse ich.» Pierre Boutinard Rouelle wohnt inzwischen in einer WG, hat aber auch ein sehr gutes
Verhältnis zu seiner Familie: «Meine Eltern haben
mich immer unterstützt, sowohl moralisch als auch
finanziell. Dafür bin ich ihnen dankbar.»
Man muss nicht durch und durch Schweizer sein,
um das Altbewährte zu schätzen. Musa Caglak, 20
Jahre alt, zurzeit in der Lehre als Detailhandelsfachmann bei Coop, sieht aus, als sei er auf dem Weg zu
einem Punkkonzert. Er trägt Converse, einen Dreitagebart und ein modisches T-Shirt. Aber Caglak geht
nur selten aus, er muss um 22 Uhr zu Hause sein, am
Wochenende spätestens um Mitternacht. «Andere
würden finden, dass meine Eltern sehr streng sind,
für mich ist es normal», sagt er. Ausgang, Liebesbeziehungen und Sex vor der Ehe sind Tabus in seiner
türkischen Familie. Deswegen aber einen auf Revolte zu machen, fände er unangebracht. «Auch wenn
meine Eltern etwas Falsches behaupten, widerspreche ich ihnen nicht. Denn sie sind in der höheren Position.» Vor zwei Jahren, während der Ferien in der
Türkei, hat er gemerkt, dass er die Tradition seiner
Familie kaum kennt. «Jetzt habe ich angefangen,
mich intensiver damit zu beschäftigen, weil ich der
älteste Sohn bin», sagt er. Wie den anderen geht es
auch ihm darum, das Bestehende zu bewahren.
Generation Gähn? Der kürzlich verstorbene Soziologe Kurt Imhof war all das, was die radikal Normalen nie waren, nie sein werden. Ihm galt Unvernunft als Tugend, er rauchte und soff, liebte die Frauen, nahm Umwege in seinem Leben und eckte an,
war manchmal eher Rockstar als Wissenschaftler.
Zuletzt sagte Imhof immer häufiger Sätze wie diesen: «Es handelt sich um eine angepasste, ja sogar
langweilige Jugend.» Oder: «Die Jugendlichen sind
austauschbar geworden.»
Lisa La Torre kann das nicht verstehen: «Von uns
wird erwartet, dass wir gradlinig sind. Wären wir an-
Sehen in allen
Entfernungen
«Als kleines Kind wollte ich unbedingt alles verschönern,
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was es auf der Welt gibt. Und Königin werden.» Noch immer gestaltet und dekoriert Helena Koenig fürs Leben gerne
– und den Titel trägt sie im Familiennamen. Dafür ist bei der
Filialleiterin der Kunde König. «Ich bin begeistert von meiner
Gleitsichtbrille. Das unkomplizierte Sehen in allen Bereichen
möchte ich auch allen meinen Kunden ermöglichen.»
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21
und 98 Prozent der Befragten halten «Treue und Ehrlichkeit» hoch. Die Swingerparty scheint vorbei: Sexuelle Erfahrungen zu machen ist nur für 36 Prozent
sehr wichtig.
Kontrollverlust ade, von allem das richtige Mass,
nicht zu viel und nicht zu wenig: «Manchmal», sagt
Lisa La Torre, «muss ich mich fast zusammennehmen, um nicht jeden Tag Sport zu treiben. Der Körper braucht ja Pausen, wie es so schön heisst.» Sie
spricht von Fitness und Showdance, ihre dritte Sportart – Boxen – klingt vergleichsweise abenteuerlich.
«Ich boxe aber nur gegen den Sandsack, gegen eine
Person traue ich mich nicht.» Jeden Anflug von Exzess bändigt sie souverän. Auch Naomi Attar macht
viel Sport, weil es ihr Spass macht und weil es gut für
die Gesundheit ist. Man sieht es den beiden jungen
Frauen an, sie haben wunderschöne Figuren, makellos.
ders, würde es heissen: Die Jungen hängen nur rum.»
Auch Jugendforscher Golder findet: «Wer sagt, die
Jungen heute seien langweilig, leidet an romantischer Verklärung.» In Wahrheit hätten viele aus der
68er-Generation eine wesentlich langweiligere Jugend erlebt. Rebelliert habe schon damals nur eine
Minderheit.
Mit der richtigen Frau würde Pierre Boutinard
Rouelle später gern eine Familie gründen. Sajani
Nussbaum sagt: «Ich wünsche mir eine feste Beziehung, aber dafür muss es für mich voll und ganz stimmen.» Der freien Liebe erteilt sie eine Absage – ausgerechnet sie, deren Eltern in den Siebzigerjahren
als Hippies durch Indien getravelt sind und sich zu
dem Vornamen Sajani inspirieren liessen, was auf
Hindi «Geliebte» bedeutet. «One-Night-Stands sind
nicht das, was ich brauche», sagt Nussbaum. Wenn
andere sich so ausleben wollen, sollen sie nur. Jeder,
wie er möchte. Auch Lisa La Torre wartet auf den
Richtigen. Das «Jugendbarometer 2014» der Credit
Suisse hat die Nase im Wind: 71 Prozent der 16- bis
25-Jährigen möchten eine Familie mit Kindern. 97
Prozent wollen «verantwortungsbewusst leben»,
ETH nach «Lösungen für eine Zukunft ohne Erdöl».
Die radikal Normalen stören sich offenbar nicht an
der einheitlichen Werkseinstellung. Warum sein
Leben neu programmieren, wenn doch alles funktioniert? Warum ausflippen, wenn es keinen Grund
gibt? «20 ist das neue 40» stellte die britische Zeitung «The Telegraph» fest. Die Jugend von heute
vertraut dem Staat, kleidet sich adrett und macht
pragmatische Lebenspläne. Geht uns so etwas verloren? Verschiedene Blickwinkel? Die geniale Idee?
Der nächste Nicolas Hayek? Oder bedeutet es vielleicht einfach, dass unsere Gesellschaft funktioniert
wie geschmiert?
Ob man die Generation der Früh-Erwachsenen
nun vorbildlich findet oder langweilig: Vorwerfen
kann man ihr jedenfalls nichts. PAU L A S CH EI DT, Jahrgang 1982, ist Reporterin bei «Das Magazin»; paula.scheidt@dasmagazin.ch
Der Fotograf L I N U S BI L L lebt in Biel; www.linusbill.biz
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DA S M AGA Z I N 2 1/201 5 Physikstudent Pierre Boutinard Rouelle, 24:
«Ich bin meinen Eltern dankbar.»
Neue Begeisterung fürs Angepasste
Das alles ist kein Schweizer Trend. Die nach 1990
Geborenen konsumieren nicht nur weniger Alkohol
und Drogen als frühere Generationen, sie halten sich
auch gewissenhafter an Gesetze. In der Schweiz und
in Deutschland ist die Jugendkriminalität laut offiziellen Zahlen in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Im Jahr 2012 verübten in den USA Minderjährige 36 Prozent weniger schwere Gewaltverbrechen als noch 2003. In England wird verzeichnet,
dass die unter 25-Jährigen sogar weniger Lärm in der
Öffentlichkeit machen als frühere Generationen.
Die Strassen sind heute also ruhiger, bis mal wieder
ein Babyboomer in Lederjacke auf seiner Harley vorbeiröhrt.
Die neue Begeisterung für das Angepasste beherrscht auch die Mode. In allen Metropolen tragen
die Jungen Ray-Ban-Sonnenbrillen oder Kopien davon. Jedes Paar Jeans ist slim geschnitten. Wohin man
schaut: überall uniformierte Trends. Wo sind die
Punks geblieben? Die Hippies? Die Freaks? Ausgestorben.
«Das Lebenskonzept der Jugend ist heute wie
die Werkseinstellung beim iPhone», sagt der Autor
Milos Matuschek, der Bücher über junge Erwachsene und moderne Liebe schreibt. «Wer nicht extra umstellt, hat den gleichen Klingelton wie alle anderen.»
Seine These: Alles wird optimiert und dadurch immer
gleicher. Die Devise lautet: Bloss nicht auffallen.
Beim 1.-Mai-Umzug ist Sajani Nussbaum dennoch mitgelaufen, um ein Zeichen «für Offenheit und
Vielfalt» zu setzen. Das sei ihr wichtig. Aber an den
Nachdemos würde sie sich nicht beteiligen. «Mit extremen Positionen kann ich nichts anfangen. Egal, ob
rechts oder links, wenn man Scheuklappen aufhat,
erreicht man einfach wenig.» So sieht es auch Lisa
La Torre. «Jeder soll seine Meinung haben und sich
dafür einsetzen können, aber in einem gesunden
Mass. Bei Demonstrationen einen Riesenschaden
an­zurichten, ohne dass es was bringt, da hab ich schon
meine Fragen», sagt sie und schafft es, dabei nicht
dozierend rüberzukommen. Eine Generation, die wie
ein Kongress von Mediensprechern klingt – vielleicht
weil alle seit Kindsbeinen im Netz als PR-Verantwortliche ihrer selbst amten?
Sajani Nussbaum fragt sich trotzdem manchmal,
warum ihre Generation so unpolitisch ist. An Themen
fehlt es ja nicht. Die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer. Die Klimaerwärmung. Der Datenklau der
Geheimdienste. «Man wird ein bisschen apathisch,
weil es so viele Krisen auf der Welt gibt», sagt sie.
«Ich frage mich oft: Soll ich jetzt an die syrische
Grenze reisen und in einem Flüchtlingscamp arbeiten? Aber bringt es den Menschen vor Ort überhaupt
etwas, wenn ich hier alles aufgebe?»
Es mag vielleicht so aussehen, als sei dieser Generation der eigene Lebenslauf wichtiger als die Mitmenschen. Aber das stimmt nicht, sie bringt einfach
beides perfekt unter einen Hut. Lisa La Torre möchte
sich im Rahmen eines Austauschprogramms «um
Kleinkinder kümmern». Sajani Nussbaum lehrt als
Caritas-Angestellte Migranten Deutsch. Pierre Boutinard Rouelle sucht in seiner Semesterarbeit an der
9
7
14
12
1 Only | 2 Becksöndergaard | 3 Vero Moda | 4 Bronx | 5 Pink Sand | 6 Daniel Wellington | 7 Abro | 8 Vila | 9 Steve Madden | 10 Pieces | 11 Vila | 12 Minimum | 13 Becksöndergaard | 14 Liebeskind
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KURVEN ...
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23
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GOT TH A R D -PA S S
DIE BER N INA PA S S-ST R A S SE
DI E F U R K A PA S S-STR A S SE
DIE K L AUSEN PA S S-STR A S SE
Kurven bringen uns durch die Landschaft.
Man kann sich in sie verlieben.
Von Max Küng
Bilder Stefan Bogner
Daraus entstand «Curves». «Curves» ist
eine Zeitschrift, die einmal jährlich erscheint und, man ahnt es, lauter Bilder
von Kurven zeigt. Bogner nennt sein Heft
«ein Sehnsuchtsmagazin mit Nutzwert».
Sein Blick auf Kurven ist ein rein grafischgeometrischer: Eine Strasse ist immer
auch eine Linie durch eine Landschaft,
und eine Kurve ist eine Schlaufe – und ein
Haufen Kurven sind einfach ein wunderbares Bild. Auf einen Exkurs in die Mathematik über den Kurvenbegriff verzichte ich an dieser Stelle, obschon die
gängigste Definition der Kurve als «Bild
eines Weges» die Strassenkurve ganz
gut beschreibt. Kompliziert wird es erst,
wenn Spiralkurven in Worten beschrieben werden müssen, Ellipsen oder gar
Hyperbeln. Bereits die Griechen der Antike haben sich mit Kurven beschäftigt,
die Faszination für dieses geometrische
Objekt ist also schon sehr alt.
Die Strassenkurve jedenfalls ist eine
wunderbare Erfindung. Ihre Schwester,
die gerade Strasse, ist nichts anderes als
die langweilige, aber nützliche Idiotin,
die einen zur nächsten Kurve führt. Und
keine Kurve gleicht der anderen – Steilheit, Radius, Beschaffenheit des Belages.
Eine Kurve ist der elegante Gedankenschlenker, innert kurzer Zeit ändert man
seine Sichtweise, nicht selten blickt man
dorthin, wo man eben herkam; um bald
wieder eine Kurve zu beschreiben und
die Richtung abermals zu ändern.
Stefan Bogner sagt: «Es geht mir immer nur um die Schönheit, nicht um das
Anprangern von so etwas wie der Verschandelung der Landschaft.» Er findet,
dass man früher Kurven schöner baute,
als man es heute tut, in früheren Zeiten,
als es günstiger war, von Menschenhand
Serpentine auf Serpentine zu legen, richtige Mauern mauerte, Stein auf Stein, wie
etwa am Splügenpass, weil es früher
günstiger war, den Menschen arbeiten
zu lassen statt die Maschine, die man
früher nicht oder nur schwerlich in die
Bergwelt bringen konnte.
Eine Kurve ist auch, wenigstens eine
Strassenkurve, ein gebauter Beweis für
das menschliche Einlenken vor der Natur. Der Mensch bahnt sich und seinen
Gefährten einen Weg durch die Natur,
und wo die Natur Widerstand leistet, wo
sie sich aufbäumt mit Hügeln und Bergen, dort muss der Mensch Kurven bauen, um ihr beizukommen, um sie zu bewältigen. Ausser er bohrt einen Tunnel.
Aber wer mag schon Tunnels? Tunnels
sind das Allerblödeste. M A X K Ü NG ist Redaktor bei «Das Magazin»; max.kueng@dasmagazin.ch
26
E-Mobility meets Le Mans.
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Am 13. Juni 2015 in allen Schweizer Porsche Zentren.
Vernunft und Nervenkitzel liegen näher
zusammen, als man denkt.
Porsche ist unterwegs in Richtung Zukunft. Mit Rennsporterfahrung für die Serie. Und mit
mehr Ideen pro PS. Genauer gesagt mit E-Mobility. Unsere Plug-in-Hybrid-Modelle für die
Strasse sowie die Porsche 919 Hybrid-Boliden in Le Mans beweisen, dass Performance und
Nachhaltigkeit kein Widerspruch sein müssen. Im Gegenteil.
Kommen Sie am 13. Juni in Ihrem Porsche Zentrum vorbei und erleben Sie die volle
Ladung Porsche. Mit dem neuen Cayenne S E-Hybrid, dem Panamera S E-Hybrid und der
Live-Übertragung des 24-Stunden-Rennens von Le Mans.
DA S M AGA Z I N 2 1/201 5 Stefan Bogner fotografiert nichts anderes
als Kurven. Genauer: Strassenkurven,
noch genauer: Kurven von Strassen, die
über Berge führen, über Pässe. Am liebsten tut er dies im Frühsommer und im
Herbst, wenn das Licht nicht plump ist,
am besten kurz vor einem Gewitter, wenn
die Wolken regenschwanger sind, die
Landschaft voll Dramatik, Donnergrollen naht. «Sleeping Beauties» nennt er
sein Projekt, von dem er nicht weiss, was
er dann mal damit machen will. Gut möglich, dass daraus ein Buch wird.
Wenn man Stefan Bogner fragt, ob er
von Beruf Fotograf sei, dann sagt er:
«Nein, ich bin kein Fotograf, und ich bin
auch kein Künstler, denn was ich tue, das
ist keine Kunst, oder sagen wir: Es ist Gebrauchskunst. Ich bin Designer, das ist
mein Beruf.» Zusammen mit Freunden
führt er in München eine Designagentur,
entwickelt und entwirft etwa die Stifte
der Marke Stabilo. Vielleicht muss man
noch anführen, dass Stefan einen recht
berühmten Onkel hat, der Kurven am
liebsten auf Skiern in den Schnee zeichnete: Willy Bogner von «Fire & Ice».
Diese Geschichte mit den Kurven,
die nahm vor ein paar Jahren ihren Anfang, aus einer Not heraus. Mit seiner
Agentur war Stefan Bogner gerade daran, einen Reiseführer zu produzieren,
aber die Bilder gefielen ihm nicht. Und
statt lange auf Bilder zu warten, die vielleicht doch wieder nicht dem entsprächen, was er sich vorstellte, sagte er sich:
«Ich machs selber.» So fuhr er mit seiner
Kamera zum Stilfser Joch. Dort fand er
seine erste Kurve – und es war um ihn geschehen.
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BEI DEN
WILDEN
Zehn Jahre nach den Unruhen in den Vorstädten von
Paris steht fest: Die französische Integrationspolitik
ist gescheitert. Sabri Louatah beschreibt in seinem
Werk eine französische Realität jenseits von Croissants
und dem richtigen Gebrauch des Subjonctif.
Von Miklós Gimes
Bilder Bertrand Le Pluard
30
hatte, die Mutter hütete Kinder, manchmal putzte sie oder
machte Aushilfe in einem Kinderhort, Louatah ist der älteste
von drei Brüdern.
«Ich wurde nie benachteiligt»
Wir setzen uns in ein Strassencafé, Sabri Louatah wirkt etwas
zerstreut, er könnte auch ein Mathematikgenie sein, schmal
mit grosser Brille, dunklem Bart und krausen Haaren. Er ist
nervös, raucht viel, seine Hände dauernd in Bewegung. Er
spricht schnell, als versuchte er mit seinen Gedanken Schritt
zu halten. Wir bleiben stundenlang vor einem Bier mit Grenadine, Louatah spricht ernsthaft und lustig zugleich. Es ist ein
grosses Vergnügen, ihm zuzuhören, er verkörpert sozusagen
die Geschichte seiner Generation, man nennt sie die dritte –
gemeint sind junge Franzosen mit maghrebinischem Hintergrund.
Er sei immer ein Buchmensch gewesen, sagt Louatah, die
Pubertät habe er in der Bibliothek verbracht. Er war ein guter
Schüler. Nach der Matur bekam er ein Stipendium, um sich auf
die Aufnahmeprüfung an eine der französischen Eliteuniversitäten vorzubereiten. Er gab aber bald auf: «Flauberts ‹L’Éducation sentimentale› war von der Leseliste gestrichen worden», erzählt er, «da hatte ich keine Lust mehr.»
Er beschloss, Schriftsteller zu werden. «Es war selbstmörderisch, aber ich mag keine halbe Sachen.» Er schlug sich
durch mit kleinen Arbeiten und schrieb. Er lebte auf dem Sofa
seiner Freunde, in Saint-Étienne, später in Paris, liess sich zum
Essen einladen, ein «pique-assiette», der die Tischgesellschaft
unterhielt. Es sei eine harte Zeit gewesen, am Existenzminimum. Nichts von dem, was er schrieb, habe ihm gefallen. «Die
Ratschläge der Leute, ich solle mir erst mit Kurzgeschichten
und Reportagen einen Namen machen, gingen mir auf die
Nerven. Ich wollte etwas riskieren, ich mag nicht, wenn man
von Anfang an auf den Notausgang schaut. Mir gefallen die
grossen Projekte, ich wollte zu einem grossen Verlag, zur literarischen Grossbourgeoisie, aber ich wusste nicht, wie man
hineinkommt.» Nach sieben Jahren schickte er zum ersten
Mal ein Manuskript an einen Verlag, direkt an Flammarion,
einen der grössten, den ersten Band der «Sauvages». «Als sie
interessiert waren, sagte ich: ‹Aber ich schreibe vier Bände.›
Sie sagten: ‹Ja, sehr gut.› Da hat sich mein Leben verändert.»
Nach dem zweiten Band wurden die Medien aufmerksam,
eine Fernsehstation kündigte eine TV-Serie an und kaufte die
Rechte am Roman. Die Kritiken waren gut. «Zwischen Émile
Zola und ‹Millennium›», schrieb die bekannte Schriftstellerin
Virginie Despentes in «Le Monde» – «Louatahs sympathischer Blick, seine positive Grundhaltung, macht ihn so untypisch für die heutige Zeit und so überzeugend.»
Seine Eltern waren keine zwanzig Jahre alt, als er auf die
Welt kam, beide in Frankreich geboren, erzählt Louatah, «aber
die kleine Familienzelle war sehr liebevoll, und der Islam hat
völlig gefehlt. Mein Vater hatte eine anarchistische Seele, er
war ein später 68er. Er war kein Heiliger, aber meine Eltern
waren sehr weichherzig, ich liebe sie sehr. Meine Mutter ist das
jüngste von zehn Geschwistern, sie wollte nicht das traurige
Leben haben wie in Algerien, wo die Frauen den ganzen Tag
DA S M AGA Z I N 2 1/201 5 Man nimmt die Realität zusehends als Fernsehserie wahr. Man
sagt «House of Cards» oder «Borgen» und meint die Welt der
Politik. Man sagt «Sopranos» und meint die Welt der Gangster. Vielleicht sagt man dereinst «Les Sauvages» und meint
Frankreich vor dem Attentat auf «Charlie Hebdo». Aber: «Les
Sauvages» ist noch keine Fernsehserie, sondern ein Roman in
vier Bänden, von denen drei schon erschienen sind. Es ist eine
Welt, die selbst Nichtfranzosen kennen, eine Welt, über die
nach den Pariser Attentaten im Januar täglich berichtet wurde.
Als mein Zug in der Gare de Lyon stoppt, kann ich zwischen Wirklichkeit und Fiktion nicht mehr unterscheiden. Ich
habe auf der ganzen Fahrt gelesen, die letzten Kapitel von
«Sauvages», einer Familiensaga algerischer Einwanderer in der
Minenstadt Saint-Étienne, der «Wilden» eben. Es ist die Geschichte der verfeindeten Brüder Fouad und Nazir, aufstrebender Schauspieler der eine, Stratege des Terrors der andere.
Alleinerziehende Mütter, melancholische Busfahrer, kleine
Gangster, politische Fanatiker, alles kommt vor in den Büchern
und dazu Männer und Frauen, die ständig ein Mobiltelefon in
der Hand haben und Kanye West im Kopfhörer.
Die Geschichte geht über 1300 Seiten. Sie beginnt mit einer
Araberhochzeit in der Provinz und zieht sich bis in die Hinterzimmer der höchsten französischen Politik, wie ein sich verästelnder Fluss. Motor der Geschichte ist das Attentat auf den aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten, Idder Chaouch
– ein algerischstämmiger Ökonomen, integriert, klug, charismatisch, ein französischer Obama. Chaouch ist Bürgermeister
einer kleinen Stadt nahe Paris und äussert sich weder zu seiner
Herkunft noch zu seinem Glauben.
Am Wahltag zerfetzt eine Kugel Idder Chaouchs strahlendes Gesicht. Die Wahllokale schliessen. Am Abend steht fest:
Frankreich hat einen Politiker arabischer Abstammung zum
Präsidenten gewählt, der aber jetzt im Koma liegt. Das Volk
stürzt hinaus auf die Strassen. Barrikaden, Schüsse, Molotowcocktails – alles inszeniert?, wer wollte diesen Aufstand?
«Les Sauvages» spielt im Jahr 2017. Der Autor hat die heutigen Verhältnisse ein paar Jahre weitergedacht, extrapoliert,
wie Michel Houellebecq in seinem satirischen Roman «Soumission», der kurz nach dem Attentat auf «Charlie Hebdo»
erschienen ist. Auch in «Soumission» wird ein Araber Staatspräsident, kein netter Secondo, auch kein arabischer Obama,
sondern ein Anhänger der Muslimbruderschaft. Die Minijupes
verschwinden, die Schulen werden muslimisch, Saudi-Arabien übernimmt die Finanzierung der Sorbonne. Die Hauptfigur des Romans, ein aufgeklärter Literaturprofessor, tritt zum
muslimischen Glauben über, ein trauriger Schritt der Unterwerfung, aber Houellebecqs Frankreich hat keine Ideale mehr,
kein Rückgrat, keine Energie. Die Muslime werden uns, suggeriert Houlle­becq, übernehmen wie eine Firma.
Ich habe mich mit dem Autor von «Les Sauvages» im eleganten Pariser Viertel Saint-Germain verabredet. Sabri Louatah ist ein 31-jähriger Franzose algerischer Herkunft. Aufgewachsen ist er in der Innenstadt von Saint-Étienne, wo die
Mieten billig sind, «unter unzähligen Cousins und Cousinen,
Onkeln und Tanten, einem Stamm sozusagen». Sein Vater war
Hilfsarbeiter im Strassenbau, wenn er überhaupt einen Job
Die Illusion der Republik
Saint-Étienne ist auf sieben Hügeln gebaut, an den Hängen
wohnen die Wohlhabenden, unten im Zentrum die armen Leute. Louatah wuchs in einem durchmischten Viertel auf, das sei
sein Glück gewesen, sagt er. «Ich hätte auch ein Krimineller
werden können. Einige meiner Cousins sind in einem Ghetto
aufgewachsen, für sie war es viel härter. Wir sind nicht gemacht,
um nur unter Menschen zu leben, die uns ähnlich sind. Ich liebe
die grossen kosmopolitischen Städte. Sobald einer auftaucht,
der mir gleicht, haue ich ab.»
Wäre sein Leben in anderen Bahnen verlaufen, wenn er in
Saint-Étienne geblieben wäre?
«Die Weichen wurden schon früh gestellt, schon in SaintÉtienne. Wenn ich ins Lycée gleich neben unserer Siedlung
gegangen wäre, hätte ich meine Freunde gut auswählen
müssen. Ich hätte wohl mit den Arabern herumhängen müssen, sonst hätte man mich wie einen Verräter behandelt. Aber
weil ich ein guter Schüler war, konnte ich ein katholisches Lycée besuchen, wo ich der einzige Araber war unter Weissen, es
hatte noch zwei Türken. Wer in den Banlieues aufwächst,
muss sich die Frage stellen, welches sein Clan ist, der ihn beschützt. Seine Heimat. Ich finde das schrecklich.»
Fühlt er sich in Saint-Étienne noch zu Hause?
«Ich lebe in einer anderen Welt», sagt Louatah. «Ich liebe
die Literatur, die Kunst, die grosse Musik. Wenn ich das nicht
hätte, meinen Geschmack, meine hohen Ansprüche, würde mir
meine Religion bleiben, meine Identität, die Leute um mich
herum. Das Leben ist, ehrlich gesagt, ziemlich hart für die
Araber. Jeden Tag reden sie über uns im Fernsehen.»
Es gibt einen Film aus dem Jahre 1995, «La Haine», es
geht um drei Jugendliche – einen Schwarzen, einen Juden und
einen Muslim –, die eine Pistole finden, es ist sozusagen der
Film über das Leben in den französischen Vorstädten. Ob der
Film heute noch seine Gültigkeit hat?
«Das gibt es nicht mehr. Zwischen Schwarzen und Arabern
herrscht Kriegszustand. Ich habe nie einen schwarzen Freund
gehabt, in Saint-Étienne gibt es keine Schwarzen und keine
Juden.» Sabri Louatah war 15 Jahre alt, als Frankreich Fussballweltmeister wurde, mit einer ethnisch gemischten Mannschaft. Der Slogan «black-blanc-beur» löste Begeisterung aus,
nach dem Final im Juli 1998 waren so viele Menschen auf der
Strasse wie nie mehr seit der Befreiung, «das ist grossartig, redete man sich ein, Frankreich ist eine Integrationsmaschine»,
sagt Louatah. Nach den Opfern des Rassismus, den drei jungen Arabern, die von Legionären aus einem Schnellzug geworfen wurden, den Jugendlichen, die von der Polizei erschossen wurden, den Protestmärschen glaubte man 1998, die Lösung gefunden zu haben. «Aber man hatte sie nicht gefunden,
es war nur Euphorie.» Dann sei der Kater gekommen und der
11. September.
Im Jahr 2012 erschien der zweite Band der «Sauvages», dem
Jahr, als in Toulouse ein junger Franzose algerischer Abstammung eine Kaserne und eine jüdische Schule überfiel, es starben
sieben Menschen. Unter den Opfern waren zwei kleine Buben
und ein achtjähriges Mädchen, der Mörder rannte ihr nach, als
sie über den Schulhof flüchtete. Ein paar Tage später wurde er
von Polizisten erschossen. Bis heute wird gerätselt, ob dieser
Mohammed Merah ein Irrer war oder ein islamistischer Aktivist.
Erwiesen ist, dass die französische Polizei ihn überwachte, und
es gibt Indizien, dass er möglicherweise als Informant des französischen Geheimdienstes arbeitete. Aber vieles bleibt unklar,
Untersuchungsberichte wurden weggeschlossen, Verschwörungstheorien machen die Runde. Man hat das Gefühl, als hätte
man das alles in «Les Sauvages» schon gelesen: die Aufrüstung
gegen den Terrorismus, den Krieg der Geheimdienste. Louatah
sagt, er habe die Nachrichten gesehen und gestaunt, «dass die
Sachen so sind, wie ich sie beschrieben habe. Ich lebe in meiner
Imagination, wie Balzac. Man hat ihn als Chronisten der Gesellschaft bezeichnet; doch er sah sich anders: Ich beschreibe die
französische Gesellschaft nicht, ich erträume sie, sagte er.»
Was taugt der Laizismus heute noch?
Nach der grossen Demonstration für «Charlie Hebdo», bei der
Louatah mitmarschierte, habe er sich mit vielen seiner Intellektuellenfreunde zerstritten, erzählt er. Er habe gemerkt,
dass die meisten von ihnen auf die Strasse gegangen seien,
um die Idee des laizistischen Staates zu verteidigen, «um den
Muslimen zu sagen: ‹Ihr sollt euch anpassen.› Das finde ich
ungerecht.» Er verstehe die Schüler aus den Vorstädten, die
nicht «Charlie» sein wollen, weil sie den Eindruck haben, dass
man ihren Propheten angreift. «In Frankreich gibt es seit Jahren einen gesellschaftlichen Graben, und ich finde es traurig,
dass die Intellektuellen den Muslimen sagen: ‹Akzeptiert, dass
man euren Propheten fertigmacht, oder verzieht euch – die
Meinungsfreiheit ist heilig.› Aber die Meinungsfreiheit ist nie
heilig, sie ist nie absolut.» Seine Freunde hätten ihm entgegnet, die Muslime müssten das akzeptieren, das sei Frankreich,
auch die Juden und die Katholiken hätten sich der Laizität beu-
gen müssen. «Die Leute, die auf ihren Prinzipien beharren,
werden dogmatisch, sie begreifen nicht, dass die Gesellschaft
sich verändert hat.» Die Dogmatiker hätten nicht verstanden,
«dass der Terrorismus, der uns angegriffen hat, die Karikaturen
nur als Vorwand benutzte. Ihr Ziel war es, die Muslime vom Rest
der Gesellschaft zu isolieren.»
Aber ist der Laizismus nicht eine Errungenschaft der Französischen Revolution, die Seele Frankreichs? «Das ist traurig», antwortet Louatah. «Laizität ist ein Projekt der Vergangenheit. Man müsste in Frankreich endlich mal von der sozialen Mobilität reden», das sei das dringende Thema, «Leute,
die aus ihrem Viertel mit 25 Prozent Arbeitslosigkeit nicht
wegkommen, selbst wenn sie ein Studium gemacht haben.
Weil sie nämlich mit einem arabischen Namen keine Stelle
finden. Aber das Einzige, was sie hören, ist: ‹Wir haben das
Recht, uns über euren Propheten lustig zu machen.› »
DA S M AGA Z I N 2 1/201 5 kochen, waschen und sich um die Kinder kümmern. Für meine Eltern war Frankreich eine Chance. Sie waren wie die jüdischen Einwanderer überzeugt, dass die Schule der Weg zum
Erfolg ist. Als ich gute Aufsätze schrieb, waren sie stolz.»
Louatahs Grosseltern waren Kabylen aus der Berggegend
im Norden Algeriens, wo der militante Islam weniger Einfluss
hat. Seine Eltern sprachen noch Kabylisch, haben diese Sprache ihren Kindern aber nicht beigebracht. «Ich hatte während
der Schulzeit nie das Gefühl, benachteiligt zu sein. Die Strategie der Republik funktionierte. Man behandelte uns alle mehr
oder weniger gleich. Das hat mir geholfen, meine Identität zu
finden. Ich denke, Identität ist nicht durch die Wurzeln definiert, sondern durch ein Projekt, durch die Sachen, die einer
machen will; in meinem Fall durch den Grössenwahn. Nicht
durch die Vergangenheit, sondern durch die Zukunft.»
Klar habe seine Familie Rassismus erlebt, der war fast normal gegenüber Einwanderern. Die Algerier hätten die Franzosen daran erinnert, dass sie nicht nur den Algerienkrieg verloren haben, sondern ihre Rolle in der Welt. Aber im Lycée habe
man nicht über diese Sachen gesprochen, «es gab eine falsche
Höflichkeit, in der Französischen Republik ist der Rassismus
nicht vorgesehen, alle Menschen sind gleich. Aber man spürt
das Unausgesprochene, es ist demütigend.»
«Ich wäre am liebsten Amerikaner»
Frankreich sei eine korporatistische, hierarchisch strukturierte Klassengesellschaft, sagt Louatah, «in Frankreich musst
du Mitglied von Hunderten von Sekten sein, es braucht einen
Zugangscode oder das Wohlwollen der grossen Familien. Wer
nicht dazugehört, wird nicht mal vorgestellt.» Daher reden die
Franzosen immer über «Wurzeln» und «Identität». «Es gibt
eine grosse soziale Immobilität», sagt Louatah, und dann folgt
eine längere Polemik gegen französische Intellektuelle. «Leute
wie der Journalist Éric Zemmour mit seinem ‹Französischen
Selbstmord›, der Philosoph Alain Finkielkraut mit seiner ‹Unglücklichen Identität›, die grossen Reaktionäre Frankreichs,
sie sagen, so gehe es nicht weiter, das Leben hier sei nur noch
Scheisse.» Es sei einfach, eine apokalyptische Vision der Welt
zu entwerfen. Die Europäer seien heute darauf spezialisiert.
«Ich mag das nicht. Mein Lieblingsautor ist Tolstoi, bei
ihm ist das Leben überall, die Blumen auf dem Schlachtfeld.
Aber in diesem Land gibt es eine Fantasie des Bürgerkriegs,
eine gewisse Sehnsucht. Und nach Charlie Hebdo ist den Leuten klar geworden, dass man mit diesen Sachen nicht spielen
soll, dass Worte töten können.» Die ganze negative Nabelschau
der letzten Jahre sei nicht unschuldig an dem, was passiert ist.
«Nietzsche sprach im Zusammenhang mit Émile Zola von der
Lust zu stinken. Es kommt mir vor, als hätten all die alten
Weissen Freude daran zu stinken, die französische Identität in
den Schmutz zu reiten, sich lustig zu machen über die Jungen
aus der Banlieue, die schlechtes Französisch sprechen.»
Michel Houellebecq hat sich einen muslimischen Präsidenten für Frankreich ausgedacht. Ist das Szenario denkbar?
Es sei nicht vorstellbar, antwortet Louatah, dass die Franzosen einen Präsidenten mit arabischem Hintergrund wählen, ob er an Allah glaubt oder nicht. Es gebe einen rassistischen Unterton im Land, der zu stark sei. Als er zu schreiben
anfing, habe er nicht an die Tagespolitik und an Wahlen gedacht, sondern an Dostojewskis «Dämonen». «Dostojewski
wollte ein Pamphlet gegen den russischen Nihilismus schreiben, er war sehr konservativ, gegen die jungen Radikalen, die
alles in die Luft jagen wollten.» Er habe die «Dämonen» gelesen, als 2005 die Aufstände in den Banlieues ausbrachen. Poli-
zeihelikopter flogen über Saint-Étienne, «plötzlich begann
ich, über die Politik nachzudenken, ich dachte mir: Wir leben
in einem segregierten Land. Ich war sehr nervös, ich sagte den
Jungen auf der Strasse: ‹Ihr schaufelt euch das eigene Grab.
Hört auf, es ist genug.› 2005 war im Grunde eine nihilistische,
selbstmörderische Meuterei, die Jungen zerstörten die Autos
ihrer Nachbarn und ihrer Väter. Aber zugleich fragte ich mich,
was ich tun würde, wenn ich jünger wäre.» Da habe er sich die
Figur des jungen Krim ausgedacht, des verwirrten, begabten
Musi­kers, mit seiner verhaltenen Wut, der im Roman auf den
Kandidaten Idder Chaouch schiesst.
Nach 2005 habe die Stimmung im Land gekehrt, die französische Jugend sei konservativ geworden. Gleichzeitig habe
sich der Präsident am Fernsehen von Gymnasiasten aus der
Banlieue interviewen lassen, «Jugendliche, die aus meinem
Roman sein könnten, fragten ihn: ‹Warum spricht man so viel
über den Holocaust und nicht über die Gräuel der Kolonialisierung und der anderen Völkermorde?› Sie waren besessen von
dieser Frage.» Was hätte er geantwortet?
«Was wollen Sie da sagen? Es hat mich geärgert, weil ich
viele jüdische Freunde habe. Zu sehen, dass in Frankreich ein
Kulturkrieg ausbricht zwischen Juden und Arabern, das macht
mich wahnsinnig.» Aber nach 2005 sei das Leben in den Banlieues zum Albtraum geworden und viele Junge seien radikalisiert worden.
«Wie viel Franzose und wie viel Algerier steckt in Ihnen?»
«Ich bin hundert Prozent Franzose.»
«Auch in der Seele?»
«Darf ich ein drittes Land wählen?», lacht Louatah. «Am
liebsten wäre ich Amerikaner. Der Algerier in mir zeigt sich
darin, dass ich sehr nervös bin, ich rauche die ganze Zeit, bin
etwas cholerisch. Aber ich kann nicht Arabisch, nur etwas Kabylisch, bin kein Muslim, das heisst, ich glaube nicht an Gott,
gehe nicht in die Moschee, ich habe keinen ethnischen Stolz.
Deshalb sage ich, dass ich am liebsten Amerikaner wäre, weil
man sich in den USA neu erfinden kann.»
Er habe von «Sauvages» zwanzigtausend Exemplare verkauft, schätzt Louatah. Es seien viele Araber unter den Lesern,
Gymnasiasten, Frauen, Familienväter, sie seien stolz, von einer
glaubwürdig dargestellten algerischen Familie zu lesen, von erfolgreichen Figuren wie Raouf, dem jungen Unternehmer. «Die
Menschen sehen mich plötzlich als Wortführer einer Gemeinde, das macht mir Angst.» Louatah lebt zurzeit in Chicago, wo
seine Freundin studiert. Vielleicht werde er sein nächstes Buch
auf Englisch schreiben. «Es wird nicht von Arabern handeln.»
Jetzt habe er genug Geld, sich eine Wohnung in einem
Hochhaus im Beaugrenelle-Quartier zu mieten, auch Michel
Houellebecq wohne in einem der Betontürme des Viertels, erzählt Louatah. Als im Januar Millionen von Menschen auf die
Strasse gingen, habe er hinabgeschaut, «auf das Leben, das ich
beschrieben habe, ein Attentat von Terroristen, wie ich es erfunden habe, die Gesellschaft, wie ich sie gezeichnet habe, am
Rand der Explosion». «Les Sauvages»: Die Bände 1 bis 3 sind zwischen 2011 und
2013 bei Flam­marion erschienen, Band 4 ist für Frühjahr
2016 angekündigt. Bislang nicht ins Deutsche übersetzt.
M I K L Ó S GI M E S ist Redaktor bei «Das Magazin»; miklos.gimes@dasmagazin.ch
Der Fotograf BERT R A N D L E PLUA R D lebt in Paris; www.bertrandlepluard.net
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CHR ISTIAN SEILER
WENN HUNDE INS R ESTAUR ANT FR ESSEN GEHEN
Ich gebe gern zu, ich bin wankelmütig. Während vieler Jahre
habe ich meinen grossen, schwarzen Köter ohne jede Skrupel
zum Essen mitgenommen, und manchmal, wenn Hunde nicht
erwünscht waren, habe ich das mit Unverständnis quittiert.
Vor allem in Italien lässt man dich ja mit Hund kalten Arsches
verhungern.
Natürlich sind mir schon damals die Typen aufgefallen,
die in berühmte Restaurants an der Goldküste eine Kaschmir­
decke mitbrachten, auf der sich ihr Pinscher dann ausstrecken
durfte. Ich sah mit einem gewissen Erstaunen, dass nicht nur ein
Teller für das Herrchen aufgedeckt wurde, sondern ein zwei­
ter mit dem gleichen Essen, nur minus Gemüse. Den Anblick,
als der gut gekleidete Gentleman seinen Pudel mit einer kleinen
Silbergabel vom Tisch hinunter fütterte, werde ich nie verges­
sen. Es hatte ikonischen Charakter: Wäre der englische «Mag­
num»-Fotograf Martin Parr in der Nähe gewesen, würden wir
heute über ein buntes Bild dekadentester Tierliebe verfügen.
Aber es kommt noch schlimmer. Ein Sternekoch erzählte
mir, wie selbstverständlich manche seiner Gäste davon aus­
gehen, dass man ihren Hunden mit demselben Respekt be­
gegnet wie menschlichen Gästen. Zum Beispiel habe ein
Stammgast regelmässig Risotto für seinen Hund bestellt – ganz
klassisch, versteht sich, mit angeschwitzten Zwiebeln, aufge­
gossenem Weisswein, fünfzehn Minuten lang mit Hühner­
fond gerührtem Rundkornreis und anschliessender Verfeine­
rung durch Butter und Parmesan.
Zusätzlich verlangte der fürsorgliche Stammgast aller­
dings, dass man den Risotto auf für den Hund bekömmliche
Temperatur abkühle – und dass der Risotto für den Köter dann
zur selben Zeit serviert werde wie jener Risotto, den der Gast für
sich selbst bestellt hatte, dieser natürlich heiss und dampfend.
In der Küche führte diese Bestellung regelmässig zu Chaos,
denn sie absorbierte gleich zwei Köche: einen, der den Risotto
rührte, und einen, der den Risotto für den Köter mit Eis auf Be­
triebstemperatur brachte. Der Stammgast pflegte schliesslich
mit den Fingern zu prüfen, ob die Mahlzeit für sein Vieh eh
nicht zu heiss sei.
Fiel die entsprechende Prüfung negativ aus, musste der
Geschäftsführer aufmarschieren und sich coram publico zur
Sau machen lassen. Ich kann verstehen, dass man beim Anblick
von Hund und Herr, wenn sie das nächste Mal ihr Stammlokal
betraten, Attentatsfantasien bekommen konnte.
Dagegen machen sich die Dekadenzen jener Gäste, die
ihren Hunden einfach Steaks vom Dry-Aged Beef bestellen,
geradezu gewöhnlich aus: Sie wollen ja nur ein Stück Fleisch,
auf das Züchter und Metzger ganz besondere Aufmerksamkeit
verwendet haben, und bezahlen dafür den angemessenen
Preis. In diesem Preis, finden sie, muss auch inkludiert sein,
dass der Küchenchef seinem Fleischposten den Auftrag gibt,
das Steak für den Dackel von der Frau Liechtenstein medium
rare zu braten und auf den Pfeffer zu verzichten.
Müssen Köche für Hunde kochen? Ich finde: Nein. Ich bin
damit einverstanden, wenn die Küche auf Anfrage Abschnitte
und Knochen in einen Napf schmeisst, die der Fifi mit demsel­
ben Appetit verzehren wird wie den kalt gerührten Risotto. Aber
ich halte es für eine ungeheure Respektlosigkeit gegenüber
Köchen und Küchenchefs, Geschäftsführern, Kellnern und Ab­
wäschern, ihnen zuzumuten, im Vieh, das man vielleicht noch
so liebt, dasselbe sehen zu müssen wie man selbst.
Mehr von CH R I S T I A N SEI L ER immer montags in seiner «Montagsdemonstration» auf blog.dasmagazin.ch
Illustration A L E X A N DR A K L OBOU K
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DA S M AGA Z I N 2 1/201 5 Kalt gerührter Risotto, Dry-Aged Fressi und was Martin Parr daran gefunden hätte
Ian Chengs computeranimierte Filme sind wie die Welt, die sie abbilden: Sie drehen sich ewig weiter.
DA S M AGA Z I N 2 1/201 5 — I A N C H ENG: E M I S S A RY I N T H E S QUAT OF G OD S , 201 5. C OU RT E S Y I A N C H ENG
HANS ULR ICH OBR IST
OHNE ENDE
Wenn wir uns einen Film ansehen, sind wir es gewohnt, dass er irgendwann auch wieder aufhört.
Oft basiert seine Spannung ja gerade darauf, dass
er nicht ewig weitergeht, sondern irgendwann an
sein Ende kommt. Natürlich gibt es Filme, die sehr
lange dauern oder wie eine Serie in vielen Episoden erzählt werden. Auf Youtube findet man auch
Videos, die geloopt sind, also an einer bestimmten Stelle immer wieder an den Anfang zurückspringen. Aber in ihnen entwickelt sich nichts, sie
wiederholen nur immer wieder das Gleiche. Wie
wäre es aber, einen Film zu sehen, der immer weitergeht?
Zunächst wäre das für den Zuschauer schwierig, denn der müsste ja sein ganzes Leben vor der
Leinwand verbringen, und wenn er stirbt, hätte
auch nur er selbst, nicht aber der Film ein Ende
gefunden. Erst recht müsste aber der Regisseur
Probleme haben. Es sei denn, er macht es wie Ian
Cheng. Der junge, in New York lebende Künstler
kreiert Cyberwelten, deren Strukturen er studieren konnte, als er für grosse Produktionsfirmen
Hollywoodfilme und Videospiele animierte. Die
Technik, aber auch seine Fähigkeiten als Programmierer wurden immer ausgereifter und die
virtuellen Welten immer realistischer. Sie haben
nur ein Manko: Irgendwann ist das Videospiel
oder der Film zu Ende.
Also schrieb er ein Computerprogramm, das den
virtuellen Charakteren eine Art Seele einhaucht.
Algorithmen entscheiden, was die Ava­tare als
Nächstes tun werden. Alles ist in ständiger Bewegung und Entwicklung – selbst die Art und Weise, in der die Computermenschen miteinander
kommunizieren. Denn Cheng setzt nicht nur Lebewesen, Steine und Bäume in seine Computerwelt, sondern auch Zeichen und Symbole, mit denen die Menschen erst langsam umzugehen lernen müssen, bis irgendwann vielleicht sogar eine
Sprache entsteht. Cheng projiziert, wie gerade in
Turin, seine unendliche Geschichte auf zwei Leinwände. Auf der einen sieht man das Panorama
einer Landschaft mit Spuren einer frühen Zivilisation, die von ihrer Auslöschung bedroht scheint.
Auf der anderen zoomt er auf einzelne Personen.
Auf der Makro- und auf der Mikroebene kann man
so in dieser Livesimulation der Kulturgeschichte
beobachten, wie Menschen lernen, Häuser zu
bauen oder auch nur einander zu vertrauen. Will
man wissen, wie die Sache mittelfristig ausgeht,
sollte man allerdings schon ein wenig Zeit mitbringen. So zehntausend Jahre dürften für einen
ersten Eindruck reichen.
Ian Cheng, Emissary in the Squat of Gods, Fondazione Sandretto Re Rebaudengo, Turin,
kuratiert von Hans Ulrich Obrist. Noch bis 11. Oktober
H A N S U L R ICH OBR I ST ist Kurator und Co-Direktor der Serpentine Galleries in London.
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TRUDY MÜLLER-BOSSHAR D
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FR ENKEL
I AM NOT FROM YESTER DAY!
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If there is something in my life what I reg­
ret than that I actually never learnt english proper. I mean, I can speak with
stranger or I can understand a song, sung
in english. And like all swiss people, I
learnt in school for many years this language. But I can’t understand a movie
nor a difficult book in english. Once a
friend of mine organisierte für mich a
date with a nice young lady. The purpose was maybe to mary her in a year. But,
how should I say, it didn’t work. She was
looking for another kind of man than I
was. And I didn’t understand her very
good.
My english defizite, I saw last week
very strong. I got mail (not a email, but a
real mail with stamps on it – also, einen
richtigen Brief, a letter). The Absender
was the «Wing Lung Bank». A gewisser
Mr. Wang Zhipiang from Hong Kong
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STEHT KOSTÜMPROBEHALBER AN:
Die Lösung ergibt sich aus den grauen Feldern waagrecht fortlaufend.
wrote a letter to me. The english was difficult again. He startet with: «Please accept my sincere apology for this unsolicited (what does this expression mean?)
letter to you ...» In the second Abschnitt it
got spannend. Mr. Wang Zhipiang wanted to give me $ 41’300’359’000! Actually I will «only» get 45 % of this sum,
but this is enough for live till Rente.
Of course, I am not stupid. I know the
Begriff «Spam». But this letter was signed with real ink and there was some­
thing else very interesting: Wang mentioned my wife! He knew even her name. If I
understood the letter correct, than the reason, why I get 45 % of $ 41’300’359’000
is the following: My wife diet (unfortunately) and she had had («haben» im Plusquamperfekt?) an enormesly (enormes)
Vermögen, the Luder! She never spoke to
me about this Vermögen!
This was the moment I started to zweifeln to the letter. My wife live! She streitet every day with me. And I know my
parents-in-law. There are not rich! If
they are coming from Germany to Zürich to visit their grandchildren, I sometimes have to pay the Hotel!
So I decided not to call Mr. Wang
Zhipiang from Hong Kong. I estimate
(wertschätzen) his Anstrengungen to
provide me, but there is a Wurm in the
apple. He wrote: «be rest assured that the
transaction is 100 % legal and risk free».
Blablabla! Listen, my dear Mr. Wang
Zhipiang, I have a english Motto: No risk
no fun! Do you understand me? I am not
from yesterday! F*** you!
BEN I F R EN K EL ist freier Autor und lebt in Zürich.
HELPLINE FÜR RATLOSE: Sie kommen nicht mehr weiter? Wählen Sie 0901 591 937 (1.50 Fr. / A nruf vom Festnetz), um einen ganzen Begriff
zu erfahren. Wenn Sie nur den Anfangsbuchstaben wissen möchten, wählen Sie 0901 560 011 (90 Rp. / A nruf vom Festnetz).
WA AGRECHT (J + Y = I): 7 Geht mit Gerichten ins Gericht. 13 Fischen im Netz nach Vorschussabgaben. 18 Erheitert mit minimaler Personenzahl. 19 Wo Blaujacken das Heck des Potts verorten. 20 Eine Bekannte aus Verona ebenda. 21 Akustisch lässt sich der Felchen mit Intrigen verwechseln. 22 Vom Hörensagen ist Verdi-Violettas Vertraute ein Palindrom. 23 Bauernstubenhockers Logenplatz. 25 Macht Abmachen einfacher. 28 Verrückt wäre
Berner Alt-Model ein Gift. 29 Für der Heulsuse Äuglein der irgendwie passende Ton. 31 Kehrte der Tara-Zicke den Rücken zu. 32 Nach englischer
Prinzessin benannte kanadische Provinz. 34 Kirschblütenlandes Handelsmetropole. 35 Bayrischer Rettich, umgebaut: Sitz der Sauds. 36 Hätte einen
Parlamentssitz, der Spitze, ohne Spitze. 37 Bedarf nach Hungerqualen der Ahle. 38 Trübt, wenn dicht, Sightseers Sicht. 39 Wer farblosen Fetzen hisst,
ists. 40 Besetzt vom Allerwertesten – auch Nahrung, verwertet.
LÖSUNG RÄTSEL Nº 20: BLUTGRUPPE
WAAGRECHT (J + Y = I): 5 ONLINEKOMMENTARE. 13 LIMOUSINENKONVOI. 18 BASTELN. 19 TATTOOS. 20 VERPRELLEN. 22 EBENEN.
23 GELL(?). 24 HILFERUF («Help!»). 27 ROSTEN (alte Liebe). 31 (Ave-)NUE (franz. für nackt/w.). 32 ALTERSGRUPPE. 33 TONNE (Diogenes).
34 LETO. 36 TROER (Trojaner). 38 ANM (kurz für Anmerkung). 39 GERONT. 40 (Sam) JAUN(-pass). 41 James CAGNEY. 42 LEGENDEN. 43 BIRKHAHN.
SENKRECHT (J + Y = I): 1 BIOSPHAERE. 2 BESEELT. 3 Lindsey VONN (war mit Tiger Woods liiert). 4 SEKTE. 5 OLIVENOEL. 6 NIBELUNGEN
(-hort, Alberich) 7 to KILL time (engl. für die Zeit totschlagen). 8 METERSTAB. 9 NOTBRUECKE. 10 AVON (Shakespeare). 11 ROSE («Titanic»). 12 EINNEHMEN. 14 MARLENE Dietrich. 15 Maurice UTRILLO. 16 NANU(k). 17 NOÉ. 21 LEROY Brown, le roi. 25 FETTE. 26 FRON. 28 OPRAH,
von unten: Harpo. 29 SPAGAT. 30 TENN. 35 END(-lager). 37 RUIN (engl. für Ruine).
SENKRECHT (J + Y = I): 1 Ist nicht mehr beschäftigt – er sei denn Gast. 2 Vernichter der Schöpfungsgeschichte. 3 Der Tierfreund fährt möglicherweise
auch auf Frauen ab. 4 Wo ein Tesla zwecks Weiterkommen Anschluss sucht. 5 Die sehr pummelige: weiland begafft auf dem Rummel. 6 Illuminiert
von oben, informiert von Norden. 7 Bezüglich Objekt der Begierde: finaler Fight zwischen Gollum und Frodo. 8 Spricht, wenn leer, fürs Gericht. 9 Sozialpartnervertreter – Nippon-Indigene, von Süden gesehen. 10 Rückzugsprozess – auch für den welschen 1 senkrecht. 11 Bei teuer: religiös angehauchtes
ungeheuer. 12 Verschleissmaterial sind hier Hufeisen und Reifen. 14 Wird von fiesen Typen ausgebrütet. 15 Von «Geldwechslers Tisch kaputt» hergeleitete Pleite. 16 Kicker Walcott – in der Langform so viel wie Geschenk Gottes. 17 Schlecht drauf in Worblaufen. 24 ... Sohn: für Hungerleiders Junior
keine Option. 26 Finale Destination von Cicero und Co. 27 Lloyd Webber brachte seinen Schauerroman zum Klingen. 29 Fort – führt von Ort zu Ort.
30 Zu viel von ihm führt zu Hühnchen-Homonym. 33 Wird, heiss, oral umkreist.
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#IchBinLeer
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PR IOR IN IRENE, 49, verliess sich auf ihr Gottvertrauen – und liegt
damit bis heute richtig.
Gott ist schlau. Er brachte es fertig, in mir
eine tiefe Sehnsucht nach ihm zu erwecken. Dann liess er mich zappeln. Offenbar wollte er mich nicht manipulieren,
den Schleier zu nehmen. Das sollte ich,
bitte, selber entscheiden.
Ich habe nie davon geträumt, Kinder
zu bekommen. Weil ich gerne tanzte,
nahm mich mein Bruder zum einen oder
anderen Dorffest mit. «Da triffst du bestimmt den Mann fürs Leben», meinte
er. Zwar fand ich einen Freund. Über Gott
reden und ihm einen wichtigen Platz in
unserer Beziehung einräumen wollte er
aber nicht. Also bestand er die Prüfung
nicht.
Auf einem Bauernhof im Kanton Luzern
aufzuwachsen bereitete mir so sehr
Freude, dass ich beschloss, selber Bäuerin zu werden. Den schweigsamen Gott
nicht aus den Augen zu verlieren und
gleichzeitig mein Berufsziel anzuvisieren
– das liess sich am besten in der Bäuerinnenschule des Benediktinerinnenklosters Fahr realisieren.
Eine nächste Möglichkeit, meine
Sehnsucht nach Gott zu testen, bot eine
Reise mit Schulkolleginnen der Klosterschule nach Rimini: Fun am Strand,
abends in die Bar. Gott vergessen? Fehlanzeige. Ich hungerte mehr denn je nach
Gott, fasste allen Mut, den ich in mir fand
und zog eine Nonne ins Vertrauen, die
mir mit ihrer Ausstrahlung dem Herrgott
sehr nahe schien. Ob man die Berufung
für ein Klosterleben klar und deutlich
spüre, wollte ich von ihr erfahren. Vielleicht sass ich ja bloss einem jugendlichen Spleen auf. Die Antwort der Schwester war verblüffend einfach: «Wenn du
das so spürst, dann ist genug, dann
komm, wir freuen uns!»
Nicht ganz so federleicht sah es die
Priorin. Es hätten schon viele Mädchen
vom Kloster geschwärmt, gab sie mir zu
bedenken, ich solle für zwei Monate nach
Hause und in mich gehen. Verändert hat
diese Wartezeit nichts.
Am Sonntag, 13. Juli 1986, einem
wunderschönen Sommertag, gab ich
meinem Leben die entscheidende Richtung. Ich war 21, stellte mich vor Gott hin
und teilte ihm mit: «Auch wenn du mich
nicht rufst, ich sage dir einfach: Ich komme!» Angst, einen derart folgenreichen
Entscheid zu fällen, hatte ich nicht. Ich
vertraute darauf, dass ich die Kraft aufbringe, das Kloster wieder zu verlassen,
sollte ich darin nicht glücklich werden.
Die letzte Nacht zu Hause hätte ich
liebend gern auslöschen wollen. Es fiel
mir schwer, Adieu zu sagen. Vor 30 Jahren war das Klosterleben noch viel strenger. Du kommst nie mehr heim, schoss es
mir durchs Herz. An meine Familie dachte ich nicht. Es war für mich keine Frage,
ob ich ihnen das antun dürfe. War ich
egoistisch? Meine Mutter starb früh. Vater fand wieder eine Frau. Danach fühlte
ich mich frei, meinen Weg zu gehen.
Geblieben ist bis heute die Erfahrung: Der Einzige, der mich wirklich versteht, ist Gott. Und was mich trägt, ist der
klösterliche Rhythmus «ora et labora»:
vier Stunden beten, sechs Stunden arbeiten. Andere Menschen stecken im Stau,
sitzen in überfüllten Zügen, stehen unter
Druck. Ich dagegen darf gelassen meine
Tage leben.
Ab und an gibt es ein Rimini-Treffen
mit meinen Schulkolleginnen. Was hat
doch die eine von ihnen einen ganzen
Tag bitter geweint, als ich bekanntgab,
ins Kloster einzutreten. Nein, eine Flucht
war das nie. Wie auch sollte ich eine solche bewältigen? Sie würde nunmehr
schon 30 Jahre dauern. Meine Kollegin
hat vergebens um mich geweint.
Protokoll JO SEF HO CH S T R A S SER ; Bild TOM H A L L ER
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GELESEN
Der Fussball ist ein Gott
GELESEN
Kann man Fussball hassen
und trotzdem ein Mann sein?
DA S M AGA Z I N 2 1/201 5 EIN SOMMERTAG IM LEBEN
Zwei Beiträge aus dem Tages-Anzeiger.
Gedruckt, online, als App und in unserer Vielfalt an Blogs.
<wm>10CAsNsjY0MDQx0TU2Nze0sAAA2RLYVg8AAAA=</wm>
<wm>10CFWLoQ7DMAwFv8iRn5sXOzWcwqKCaTxkGt7_o7VlAycduJszWfTmMY7XeCYUtcrmjohkZzFvyFAv4VtvqYSZgjtIA9z8b5Faw6i6rkaUAlunEAIuZyvf9-cHG1n4enUAAAA=</wm>